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Zwischen Marxbüsten und Lohnbüro

Arbeiterrevolution, Arbeitsqualen und Arbeitslosigkeit: Mit dem Großprojekt "LebensZeichen" hat das Theater Rudolstadt den Bedeutungswandel der Arbeit und des Lohnarbeiters thematisiert - mit Liedern, Text-Collagen, Filmen und einem Gang durch das Stahl- und Walzwerk Maxhütte.

Von Hartmut Krug |
    Er ist eine imposante Industriekathedrale, der riesige Backsteinbau der Gasmaschinenzentrale im thüringischen Unterwellenborn. Doch er steht seit 1992 leer, als das 1872 gegründete Stahl- und Walzwerk Maxhütte wegen Unproduktivität abgerissen und durch ein hochmodernes Elektrostahlwerk ersetzt wurde. Maxhütte war als erstes Jugendprojekt des Landes ein ideologischer Mythos in der DDR. Tausende Jugendliche bauten hier 1948 und 1949 unter der Parole "Wasser für Max" eine sechs Kilometer lange Kühlwasserleitung. Heute finden statt einst 6000 nur noch 650 Menschen hier Arbeit, und die Gasmaschinenzentrale wird als Museum ehrenamtlich von ehemaligen Stahlwerkern betreut.

    Der über 120 Meter lange und 33 Meter hohe Saal mit seinen tonnenschweren Maschinen ist ein ästhetisch beeindruckender und geschichtlich aufgeladener Ort. Die Theatercollage "Ode an die Arbeit", die das Thüringer Landestheater Rudolstadt hier präsentierte, natürlich am 1. Mai, versucht den Bedeutungswandel zu beleuchten, den "Arbeit" in den letzten 125 Jahren für den individuellen und kollektiven Alltag der Menschen durchmachte. Der zweiteilige Abend begann in den labyrinthischen Erdgeschoß-Räumen: Kumpel erklärten und Schauspieler spielten, und das Publikum staunte, fragte, erinnerte sich und spielte auch mal mit. Man erlebte eine Brigadefeier mit Schnaps und dem DDR-Tanz Lipsi, war Teilnehmer einer Arbeitsschutz-Belehrung oder einer Kollektivarbeit und wurde über die Aktivisten-Bewegung belehrt.

    Dazu inszenierte sich eine Schauspielerin nach dem Vorbild von Wolfgang Mattheuers berühmtem Gemälde "Aktivistin" und las die theoretischen und ideologischen Definitionen vor, denen die Realität mit einem Kompilationsfilm über die einstigen Arbeitsbedingungen entgegengesetzt wurde. Vom "Altar der Arbeit" geht es ins "Lohnbüro." Aber man kann sich auch von "Glücklichen Arbeitslosen" den Sinn von Arbeit infrage stellen lassen, kann in einer Videolounge die ehemaligen Arbeiter wie Jugendliche von heute über Vergangenheit und Zukunft von Arbeit erzählen hören oder in einem Geräuschemuseum historischen Originalaufnahmen lauschen.
    Die Theatercollage mit über 150 Mitwirkenden beginnt anschließend oben im Maschinensaal mit den Thüringer Symphonikern und Alexander Mossolows "Die Eisengießerei".

    Eine große Arbeiterschar baut sich vor dem Publikum auf - für eine Collage aus Stücken von Georg Seidel, Ernst Toller, Heiner Müller und Paul Zech und mit Texten von Volker Braun und Martin Clausen. Während sich auf der einen Seite ein Misthaufen mit riesiger Forke als Metapher für die Arbeit von Herakles auftürmt, legen die Arbeiter auf der anderen Seite ihren biografischen und historischen Müll ab. Ein Schrottberg entsteht - aus Firmenzeichen, Marxbüsten, roten Fahnen und Sternen, aber auch mit veralteten Arbeitswerkzeugen wie einer Schreibmaschine. Erst äußern die Menschen Resignation, doch dann revoltieren die Arbeiter mit Ernst Tollers "Die Maschinenstürmer" gegen die Maschinen.

    Regisseurin Susanne Truckenbrodt gelingen von Anfang an viele beeindruckende, so sinnliche wie metaphorische Massenszenen. Hoch oben auf einer Maschine, hinter der sich ein riesiges Schwungrad dreht, bemühen sich Schriftsteller und Theoretiker mit schönen Worten um den ideologischen Überbau und die Utopien, während unten die erschöpften Menschen mit der Realität ihrer Arbeit kämpfen. Rund um ein Sofa gibt das Geschehen aus Georg Seidels "Kondensmilchpanorama" die szenische Klammer: Eine von ihrer Arbeit völlig erschöpfte Melkerin kühlt ihre Füße im Wassereimer und wird zum thematischen Impulsgeber für die Arbeiterschar. Wie hier die Wassereimer so einfallsreich wie sinnlich in Bewegungschoreografien genutzt werden, wie die Motive aus den einzelnen Stücken sich durchdringen, das ist schon beeindruckend.

    Sebastian aus Paul Zechs "Das Rad" predigt den Unterdrückten Heil und Erlösung, während in Volker Brauns "Lied vom Kommunismus" das Paradies auf Erden nach getaner Arbeit besungen wird. Held Herakles aber, dessen von ihm getöteter nemeischer Löwe vor den Maschinen aufgespießt ist, ist bei Heiner Müller seiner Arbeitsaufgaben überdrüssig. Dazu erzählen Chöre mit Volksliedern vom individuellen Eigen- und Innenleben der Menschen, Filmprojektionen zeigen die Entwicklung der Arbeit und des Verständnisses von ihr seit der Weimarer Republik, und aus einem an der Saaldecke entlangfahrendem Kran wird Goldflitter gestreut. Dieser Panoramaschwenk über viele Facetten der Bedeutung von Arbeit für den Menschen will und kann keine endgültigen Antworten geben, aber er stellt die richtigen offenen Fragen. Dieser Abend war kein Event, sondern ein vom Publikum umjubeltes Theaterereignis von ästhetischer und thematischer Kraft.