Komarno. Eine Stadt mit 40.000 Einwohnern ganz im Süden der Slowakei. Auf einem steinernen Sockel gleich am Donau-Ufer thront der Operetten-König Franz Lehar, der große Platz ringsum ist nach ihm benannt und auch die Straße, die daran entlangläuft. Es wäre nicht überraschend, läge eine seiner Melodien in der Luft. Als Lehar vor fast 140 Jahren hier geboren wurde, gehörte Komarno noch zur österreichisch-ungarischen Monarchie. Heute liegt der Ort auf slowakischem Territorium, auf der anderen Seite der Donau beginnt Ungarn. In ihrem Alltag spüren die Bürger von Komarno die Grenze aber nicht – auf beiden Seiten des Flusses ist Ungarisch die wichtigste Sprache. Das slowakische Komarno gilt als Hochburg der ungarischen Minderheit, zu der hier mehr als zwei Drittel der Bürger gehören. Und noch etwas verbindet beide Nationen: Vor zwei Jahren öffnete in Komarno die erste slowakische Universität ihre Tore, in der auf ungarisch gelehrt wird. Rektor ist Albert Sandor.
Sandor: "Ungarische Universitäten auf dem Boden der heutigen Slowakei haben eine lange Tradition, es gab früher gleich mehrere von ihnen. Die wurden dann geschlossen, aber jetzt lassen wir mit unserer Universität seit zwei Jahren diese Tradition wieder aufleben. Das ist sehr wichtig, denn in der ungarischen Minderheit haben dreieinhalb Mal weniger junge Leute einen Hochschulabschluss als im gesamten slowakischen Durchschnitt."
Nun aber fürchten die Angehörigen der ungarischen Minderheit um ihre gerade eröffnete Universität. Vor drei Monaten kam in der Slowakei nach den Parlamentswahlen eine neue Regierung unter der Führung von Premierminister Robert Fico an die Macht, eine bizarre Koalition aus Linkspopulisten und Rechtsextremen. Die rechte Nationalpartei, die 11,7 Prozent der Stimmen bekommen hat, richtet sich in ihrem Programm ganz offen gegen die ungarische Minderheit – und stellt im Kabinett ausgerechnet den Bildungsminister.
Uni-Rektor Albert Sandor: "Der jetzige Minister hat bei der Abstimmung über unsere Universität damals als einfacher Abgeordneter gegen die Einrichtung gestimmt. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass er seine Meinung geändert hat und inzwischen sieht, dass die Universität hier gute Dienste für die Slowakei leistet. Es bleibt aber letztlich nur zu hoffen, dass unsere Mittel in Zukunft nicht gekürzt werden."
Mit seinen Befürchtungen steht Albert Sandor nicht alleine. Die Regierungsbeteiligung der rechten Nationalpartei hat im Land eine groß angelegte Debatte über die ungarische Minderheit entfacht, zu der immerhin zehn Prozent der Slowaken gehören. Die meisten von ihnen leben entlang der ungarischen Grenze. In den Städten hier sind Straßen und Geschäfte zweisprachig ausgeschildert, auf den Speisekarten der Restaurants werden die Gerichte auf ungarisch und auf slowakisch angepriesen.
Das Zusammenleben von Mehrheit und Minderheit läuft hier reibungslos – zumindest glaubten das bislang alle. Der Mann, der das Gleichgewicht ins Wanken bringt, heißt Jan Slota. Der 53-Jährige ist Vorsitzender der Slowakischen Nationalpartei und berüchtigt für seine verbalen Ausfälle. Als er vor Jahren drohte, die slowakischen Panzer würden Budapest dem Erdboden gleich machen, nahm ihn niemand Ernst – damals war Slota ein unbedeutender Provinzpolitiker. Heute aber sitzt seine Partei in der Regierung und Slota hat seine Rhetorik um keinen Deut verändert. Seine Ansichten verbreitet er auf Video-Clips im Internet. Die Tonqualität ist schlecht, die Aussage dafür umso deutlicher.
Slota: "Falls es extrem ist, wenn jemand dafür kämpft, dass seine Nation nicht im Elend lebt, sondern Herr ist im eigenen Land, dann bin ich Extremist. Ich denke aber, dass das mit Extremismus überhaupt nichts zu tun hat."
Bei vielen Slowaken kommen die heimattümelnden Sprüche des rechten Populisten an. Nachdem seine Partei in die Regierung eingezogen ist, entlud sich in der Slowakei eine aufgestaute Aggression, die kaum jemand erwartet hätte. Auf offener Straße wurden Angehörige der ungarischen Minderheit angegriffen, im Internet kursierten Videos mit brennenden Ungarn-Fahnen.
Besonders bei Fußballspielen ist die angespannte Stimmung zu spüren. Der bisherige Tiefpunkt: In einem slowakischen Stadion entrollten Fans ein Transparent mit der Aufschrift "Tod den Ungarn!" Beobachter sind überrascht von der Welle des Hasses, die auf einmal das Land überrollt. Der Politologe Miroslav Kusy aus Bratislava, der sich auf Minderheitsfragen spezialisiert hat, beschwört das erprobte Miteinander.
Kusy: "Es handelt sich nicht um eine vorgezeichnete Animosität. Die Geschichte von Ungarn und Slowaken ist keine blutige Geschichte, das Zusammenleben läuft über 1.000 Jahre hinweg friedlich und ganz natürlich. Einen ethnischen Konflikt hat es hier nie gegeben, bislang zumindest nicht."
In der gemeinsamen Geschichte allerdings zeigen sich bereits die Wurzeln des späteren Konflikts. Während der Habsburger Monarchie fühlten sich die Slowaken unterdrückt und forderten immer wieder einen eigenen Nationalstaat. Sie wollten kein ungarisches Anhängsel mehr sein – ein Wunsch, der nach dem Ersten Weltkrieg in Erfüllung ging. Mit dem Vertrag von Trianon entstand bei der europäischen Neuordnung die Tschechoslowakei. Der Politologe Miroslav Kusy sieht darin den Beginn einer unterschiedlichen Geschichtsschreibung bei Ungarn und Slowaken.
Kusy: "Trianon hat für die Ungarn ein Unglück bedeutet und für die Slowaken die Befreiung gebracht. Es kann nicht gelingen, einen Ungarn davon zu überzeugen, dass es damals ein Sieg der Demokratie gewesen ist, das kann der einfach nicht verstehen und das muss man respektieren. Immerhin lebt ein Drittel der Ungarn außerhalb des heutigen ungarischen Staatsgebietes."
An ihren Traditionen, ihrer Lebensweise und ihrer Sprache halten die meisten Ungarn fest, die vor Generationen zu Mitgliedern einer Minderheit geworden sind. Sie assimilieren sich nicht, sondern behalten ihren ungarischen Nationalstolz. Darauf nehmen sogar die slowakischen Behörden Rücksicht, die durch ein Hintertürchen aus der komplizierten Lage entkommen: Sie unterscheiden Staatsangehörigkeit und Nationalität – ein Unterschied, der schon sprachlich schwer zu fassen ist, erklärt der politische Analyst Michael Petras.
Petras: "Hier in der Slowakei, das ist so ein Überbleibsel aus den stalinistischen Zeiten, ist die Staatsangehörigkeit slowakisch, aber dann können Sie noch eine Nationalität haben, slowakische, roma, jüdische, ungarische, tschechische. Zum Beispiel bei den zehnjährigen statistischen Erhebungen werden Sie nach Staatsangehörigkeit und nach Nationalität gefragt."
Was zunächst wie eine spitzfindige und rein bürokratische Unterscheidung aussieht, wirkt sich auf den Alltag in der Slowakei entscheidend aus. Mit eigenen Schulen, eigenen Kirchengemeinden, eigenen Theatern und eigenen Zeitungen konservieren die Angehörigen der Minderheit ihr ungarisches Nationalgefühl auch in einer fremdsprachigen Umgebung. Im slowakischen Fernsehen gibt es täglich Sendungen, die auf ungarisch ausgestrahlt werden. Zoltan Pek leitete viele Jahre lang die ungarische Redaktion und hat dabei seine ganz eigene Sicht auf die Minderheit gewonnen.
Pek: "Nehmen Sie meine Mutter als Bespiel. Sie ist heute 77 Jahre alt und in der Tschechoslowakei geboren worden. Ohne umzuziehen, lebte sie danach in der ungarischen Republik, dann wieder in einer eigenständigen Slowakei, dann erneut in der Tschechoslowakei und schließlich zum zweiten Mal in einer selbstständigen Slowakei. Sie war immer am gleichen Ort, nur die Grenzen haben sich verschoben. Das einzige, was da bleibt, ist doch letztlich das Gefühl, ungarisch zu sein. Ich fühle mich auch ungarisch, zahle aber meine Steuern in der Slowakei und erfülle hier loyal meine Bürgerpflichten."
In diesem Zwiespalt zwischen ungarischer Identität und slowakischem Pass gedeiht ein seltenes politisches Phänomen: eine eigene Partei für die ungarische Minderheit, die in der ganzen Slowakei erheblichen Einfluss hat. Sie ist im slowakischen Parlament sogar die stabilste Kraft. Bei den Wahlen landet sie regelmäßig bei einem Ergebnis zwischen zehn und zwölf Prozent, die Mitglieder der ungarischen Minderheit geben ihr fast geschlossen die Stimme. Konservative, liberale und linksorientierte Strömungen fließen hier in einer einzigen Gruppierung zusammen. In der jetzt abgelaufenen Legislaturperiode war sie als Koalitionspartner des konservativen Premierministers Mikulas Dzurinda zum ersten Mal an der Macht. Und, besonders symbolträchtig: Erstmals saß ein Politiker ungarischer Herkunft auf dem Posten des Vizepremiers. Pal Csaky bekleidete vier Jahre lang das höchste Amt, das ein Mitglied der Minderheit in der slowakischen Geschichte jemals erreicht hat.
Csaky: "Wir haben einige Schulen gegründet, in denen auf Ungarisch unterrichtet wird, und die kulturelle Unterstützung der Minderheit verbessert. Auch in den Rathäusern und bei den Behörden hat sich vieles getan, da wird jetzt endlich die ungarische Identität respektiert und die Leute können dort in ihrer Muttersprache reden. Das heißt für sie nichts anders, als dass sie in Freiheit leben können."
Selbst politische Gegner sagen offen, dass die ungarisch-slowakischen Beziehungen noch nie besser waren als in der zurückliegenden Legislaturperiode. Es zweifelt auch niemand daran, dass sich die alte Regierung intensiv um die Belange der ungarischen Minderheit gekümmert hat. Das hat allerdings nicht nur Positives für die Ungarn bedeutet. Denn gleichzeitig leitete die Koalition harte Wirtschafts- und Sozialreformen ein, bei denen sich vor allem die Kleinverdiener als Verlierer fühlten. Zusammen mit der vermeintlichen Bevorzugung der ungarischen Minderheit wurde das zum Nährboden für die rechte Nationalpartei.
Fernsehspot mit slowakischer Volksmusik
Im Wahl-Werbespot der Rechtspopulisten tritt zu den Klängen eines slowakischen Volkslieds der Parteivorsitzende Jan Slota vor eine Nationalfahne und verkündet in pathetischem Ton seine einfache Botschaft:
"Seit 135 Jahren gibt es unsere Partei, wir haben noch nie die Interessen der Nation verraten und werden das auch künftig nicht tun. Sorgen Sie dafür, dass die Slowakei endlich wieder eine slowakische Regierung bekommt."
Die Wähler haben auf ihn gehört. Die Nationalpartei wurde zur drittstärksten Kraft im Parlament und schaffte sogar den Durchmarsch bis in die Regierung. An der Spitze des slowakischen Staates herrscht seither eine eigenwillige Koalition: Geleitet wird sie von Robert Fico, der im Wahlkampf mit seiner linkspopulistischen Partei Smer ohne eigenes Programm vor allem den Reformkurs seiner Vorgängerregierung attackiert hatte. Die allerdings genoss zumindest international wegen ihrer mutigen Sozial- und Wirtschaftspolitik höchste Anerkennung. Von der neuen Regierung Fico lässt sich das nicht behaupten – ganz im Gegenteil. Die ungarnskeptischen Aussagen der Nationalpartei und die Ausschreitungen während der Fußballspiele führten schon gleich nach dem Amtsantritt zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen der slowakischen und der ungarischen Regierung. Layos Varadi, der ungarische Gesandte an der Botschaft in Bratislava, äußert sich undiplomatisch offen über die neue slowakische Regierung:
"Die Nationalpartei ist nach unserer Einschätzung extremistisch, xenophob und gegen Minderheiten gerichtet. Sie äußert sich auf eine Art, die im zivilisierten Europa nicht akzeptabel ist. Wenn es in einem Land zu minderheitsfeindlichen Äußerungen kommt, dann ist es wichtig, dass sich solche Leute nicht von der Regierung unterstützt fühlen. Dadurch, dass die Regierung hier so lange zu den Vorfällen geschwiegen hat und sie vielleicht sogar bagatellisieren wollte, hat sie aber gerade zu einer solchen Unterstützung beigetragen, ohne dass sie es natürlich so wollte."
Auch aus Brüssel weht dem slowakischen Premier Robert Fico heftiger Gegenwind ins Gesicht. Die Sozialdemokraten im europäischen Parlament haben seine Partei Smer Mitte Oktober aus der gemeinsamen Koalition ausgeschlossen. In der Begründung heißt es, dass in der Politik, so wörtlich, grundlegende Prinzipien nicht geopfert werden dürften. Die europäischen Sozialdemokraten sollten nicht jeden Preis bezahlen, um an die Regierung zu kommen.
Es ist die erste Sanktion der Europäischen Union gegen die slowakische Koalition, die sich nach ihrem Amtsantritt ohnehin international isoliert sieht. Einladungen zu Staatsbesuchen etwa sind in Bratislava erst sehr spärlich eingetroffen.
Robert Fico bemüht sich indes um Schadensbegrenzung – und setzt dafür auf symbolträchtige Gesten.
Ein Geiger stimmt eine traditionelle Melodie der Roma an, als die Limousine des Premierministers im kleinen Ort Dunajska vorfährt. Noch bedeckt ein weißes Leinentuch das steinerne Mahnmal, das hier im Stadtpark künftig an den Roma-Holocaust erinnern wird. Robert Fico ist hier, um das Denkmal zu enthüllen – und wohl auch, weil er um die Medienwirksamkeit der Fotos weiß, auf denen er mit den Vertretern der Roma-Verbände zu sehen sein wird. Die Roma stellen gleich nach den Ungarn die zweitstärkste Minderheit in der Slowakei dar und Fico hofft, dass er sich hier als Freund der Minderheiten präsentieren kann. In seiner Rede zeigt er sich demonstrativ entschlossen.
Fico: "Die Regierung wird sehr intensiv daran arbeiten, den Holocaust an den Roma und allen anderen Menschen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Wir haben das größte Interesse daran, dass die Kinder schon in der Grundschule die Wahrheit darüber lernen. Dass heute viele hohe Vertreter von Regierung und Parlament anwesend sind, drückt aus, wie wichtig uns dieses Thema ist."
An wen der slowakische Premierminister seine Worte richtet, ist klar: Im Publikum sitzen die Vorstände von einflussreichen Organisationen aus Deutschland und Polen und einige europäische Politiker. Viele bleiben auch nach Robert Ficos Rede skeptisch. Viktoria Mohacsi etwa, die als ungarische Abgeordnete im europäischen Parlament sitzt, ist eine strikte Gegnerin der rechten Nationalpartei.
Mohacsi: "In der EU ist es nicht akzeptabel, dass sich Politiker so äußern wie einige Vertreter dieser Partei. Die Zeremonie heute hat mich allerdings positiv überrascht, weil bei weitem nicht alle europäischen Länder den Roma-Holocaust zum Thema machen. An meiner Einstellung zur slowakischen Koalition hat das aber nichts geändert, natürlich nicht."
Tatsächlich hat Jan Slota, der Vorsitzende der Nationalpartei, gerade zu Anfang der Regierungszeit sämtliche Beschwichtigungsgesten des Regierungschefs unterminiert. Im Interview mit einer österreichischen Zeitung etwa beklagte er eine, so wörtlich, "brutale Ungarisierung" im Süden der Slowakei. Weitere verbale Ausfälle gegen die Ungarn folgten in regelmäßigen Abständen – so lange, bis Regierungschef Robert Fico offenbar die Nase voll hatte. Aus politischen Kreisen heißt es, er habe der Nationalpartei einen Maulkorb verpasst und Interviews kategorisch verboten. Tatsächlich ist es in den vergangenen Tagen ruhig geworden um Jan Slota, in seiner Parteizentrale verweigert man sogar eine Stellungnahme zum gespannten ungarisch-slowakischen Verhältnis.
In Lehars Geburtsstadt Komarno macht sich der Universitäts-Direktor Albert Sandor über die Zukunft der ungarischen Minderheit seine ganz eigenen Gedanken. Aus dem Fenster seines üppig bemessenen Büros schaut er direkt auf die Donau. Die Kirchtürme am Horizont stehen schon auf ungarischem Boden.
Sandor: "Über jemanden zu sagen, ob er ungarischer, slowakischer oder österreichischer Herkunft ist, wird immer schwieriger. Schauen Sie sich allein die Namen an: Mein Vorname zum Beispiel ist Albert, das ist sicher nicht ungarisch, das kommt aus dem deutschen Sprachraum. Einige unserer ungarischen Studenten haben slowakische Vornamen. Die 1000-jährige gemeinsame Geschichte hat doch bei allen Nationalitäten ihre Spuren hinterlassen - auch, wenn wir in völlig anderen Sprachen sprechen."
Manchmal, so hofft Albert Sandor, hat die friedliche Tradition eine größere Kraft als die Hassparolen einer radikalen Partei.
Sandor: "Ungarische Universitäten auf dem Boden der heutigen Slowakei haben eine lange Tradition, es gab früher gleich mehrere von ihnen. Die wurden dann geschlossen, aber jetzt lassen wir mit unserer Universität seit zwei Jahren diese Tradition wieder aufleben. Das ist sehr wichtig, denn in der ungarischen Minderheit haben dreieinhalb Mal weniger junge Leute einen Hochschulabschluss als im gesamten slowakischen Durchschnitt."
Nun aber fürchten die Angehörigen der ungarischen Minderheit um ihre gerade eröffnete Universität. Vor drei Monaten kam in der Slowakei nach den Parlamentswahlen eine neue Regierung unter der Führung von Premierminister Robert Fico an die Macht, eine bizarre Koalition aus Linkspopulisten und Rechtsextremen. Die rechte Nationalpartei, die 11,7 Prozent der Stimmen bekommen hat, richtet sich in ihrem Programm ganz offen gegen die ungarische Minderheit – und stellt im Kabinett ausgerechnet den Bildungsminister.
Uni-Rektor Albert Sandor: "Der jetzige Minister hat bei der Abstimmung über unsere Universität damals als einfacher Abgeordneter gegen die Einrichtung gestimmt. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass er seine Meinung geändert hat und inzwischen sieht, dass die Universität hier gute Dienste für die Slowakei leistet. Es bleibt aber letztlich nur zu hoffen, dass unsere Mittel in Zukunft nicht gekürzt werden."
Mit seinen Befürchtungen steht Albert Sandor nicht alleine. Die Regierungsbeteiligung der rechten Nationalpartei hat im Land eine groß angelegte Debatte über die ungarische Minderheit entfacht, zu der immerhin zehn Prozent der Slowaken gehören. Die meisten von ihnen leben entlang der ungarischen Grenze. In den Städten hier sind Straßen und Geschäfte zweisprachig ausgeschildert, auf den Speisekarten der Restaurants werden die Gerichte auf ungarisch und auf slowakisch angepriesen.
Das Zusammenleben von Mehrheit und Minderheit läuft hier reibungslos – zumindest glaubten das bislang alle. Der Mann, der das Gleichgewicht ins Wanken bringt, heißt Jan Slota. Der 53-Jährige ist Vorsitzender der Slowakischen Nationalpartei und berüchtigt für seine verbalen Ausfälle. Als er vor Jahren drohte, die slowakischen Panzer würden Budapest dem Erdboden gleich machen, nahm ihn niemand Ernst – damals war Slota ein unbedeutender Provinzpolitiker. Heute aber sitzt seine Partei in der Regierung und Slota hat seine Rhetorik um keinen Deut verändert. Seine Ansichten verbreitet er auf Video-Clips im Internet. Die Tonqualität ist schlecht, die Aussage dafür umso deutlicher.
Slota: "Falls es extrem ist, wenn jemand dafür kämpft, dass seine Nation nicht im Elend lebt, sondern Herr ist im eigenen Land, dann bin ich Extremist. Ich denke aber, dass das mit Extremismus überhaupt nichts zu tun hat."
Bei vielen Slowaken kommen die heimattümelnden Sprüche des rechten Populisten an. Nachdem seine Partei in die Regierung eingezogen ist, entlud sich in der Slowakei eine aufgestaute Aggression, die kaum jemand erwartet hätte. Auf offener Straße wurden Angehörige der ungarischen Minderheit angegriffen, im Internet kursierten Videos mit brennenden Ungarn-Fahnen.
Besonders bei Fußballspielen ist die angespannte Stimmung zu spüren. Der bisherige Tiefpunkt: In einem slowakischen Stadion entrollten Fans ein Transparent mit der Aufschrift "Tod den Ungarn!" Beobachter sind überrascht von der Welle des Hasses, die auf einmal das Land überrollt. Der Politologe Miroslav Kusy aus Bratislava, der sich auf Minderheitsfragen spezialisiert hat, beschwört das erprobte Miteinander.
Kusy: "Es handelt sich nicht um eine vorgezeichnete Animosität. Die Geschichte von Ungarn und Slowaken ist keine blutige Geschichte, das Zusammenleben läuft über 1.000 Jahre hinweg friedlich und ganz natürlich. Einen ethnischen Konflikt hat es hier nie gegeben, bislang zumindest nicht."
In der gemeinsamen Geschichte allerdings zeigen sich bereits die Wurzeln des späteren Konflikts. Während der Habsburger Monarchie fühlten sich die Slowaken unterdrückt und forderten immer wieder einen eigenen Nationalstaat. Sie wollten kein ungarisches Anhängsel mehr sein – ein Wunsch, der nach dem Ersten Weltkrieg in Erfüllung ging. Mit dem Vertrag von Trianon entstand bei der europäischen Neuordnung die Tschechoslowakei. Der Politologe Miroslav Kusy sieht darin den Beginn einer unterschiedlichen Geschichtsschreibung bei Ungarn und Slowaken.
Kusy: "Trianon hat für die Ungarn ein Unglück bedeutet und für die Slowaken die Befreiung gebracht. Es kann nicht gelingen, einen Ungarn davon zu überzeugen, dass es damals ein Sieg der Demokratie gewesen ist, das kann der einfach nicht verstehen und das muss man respektieren. Immerhin lebt ein Drittel der Ungarn außerhalb des heutigen ungarischen Staatsgebietes."
An ihren Traditionen, ihrer Lebensweise und ihrer Sprache halten die meisten Ungarn fest, die vor Generationen zu Mitgliedern einer Minderheit geworden sind. Sie assimilieren sich nicht, sondern behalten ihren ungarischen Nationalstolz. Darauf nehmen sogar die slowakischen Behörden Rücksicht, die durch ein Hintertürchen aus der komplizierten Lage entkommen: Sie unterscheiden Staatsangehörigkeit und Nationalität – ein Unterschied, der schon sprachlich schwer zu fassen ist, erklärt der politische Analyst Michael Petras.
Petras: "Hier in der Slowakei, das ist so ein Überbleibsel aus den stalinistischen Zeiten, ist die Staatsangehörigkeit slowakisch, aber dann können Sie noch eine Nationalität haben, slowakische, roma, jüdische, ungarische, tschechische. Zum Beispiel bei den zehnjährigen statistischen Erhebungen werden Sie nach Staatsangehörigkeit und nach Nationalität gefragt."
Was zunächst wie eine spitzfindige und rein bürokratische Unterscheidung aussieht, wirkt sich auf den Alltag in der Slowakei entscheidend aus. Mit eigenen Schulen, eigenen Kirchengemeinden, eigenen Theatern und eigenen Zeitungen konservieren die Angehörigen der Minderheit ihr ungarisches Nationalgefühl auch in einer fremdsprachigen Umgebung. Im slowakischen Fernsehen gibt es täglich Sendungen, die auf ungarisch ausgestrahlt werden. Zoltan Pek leitete viele Jahre lang die ungarische Redaktion und hat dabei seine ganz eigene Sicht auf die Minderheit gewonnen.
Pek: "Nehmen Sie meine Mutter als Bespiel. Sie ist heute 77 Jahre alt und in der Tschechoslowakei geboren worden. Ohne umzuziehen, lebte sie danach in der ungarischen Republik, dann wieder in einer eigenständigen Slowakei, dann erneut in der Tschechoslowakei und schließlich zum zweiten Mal in einer selbstständigen Slowakei. Sie war immer am gleichen Ort, nur die Grenzen haben sich verschoben. Das einzige, was da bleibt, ist doch letztlich das Gefühl, ungarisch zu sein. Ich fühle mich auch ungarisch, zahle aber meine Steuern in der Slowakei und erfülle hier loyal meine Bürgerpflichten."
In diesem Zwiespalt zwischen ungarischer Identität und slowakischem Pass gedeiht ein seltenes politisches Phänomen: eine eigene Partei für die ungarische Minderheit, die in der ganzen Slowakei erheblichen Einfluss hat. Sie ist im slowakischen Parlament sogar die stabilste Kraft. Bei den Wahlen landet sie regelmäßig bei einem Ergebnis zwischen zehn und zwölf Prozent, die Mitglieder der ungarischen Minderheit geben ihr fast geschlossen die Stimme. Konservative, liberale und linksorientierte Strömungen fließen hier in einer einzigen Gruppierung zusammen. In der jetzt abgelaufenen Legislaturperiode war sie als Koalitionspartner des konservativen Premierministers Mikulas Dzurinda zum ersten Mal an der Macht. Und, besonders symbolträchtig: Erstmals saß ein Politiker ungarischer Herkunft auf dem Posten des Vizepremiers. Pal Csaky bekleidete vier Jahre lang das höchste Amt, das ein Mitglied der Minderheit in der slowakischen Geschichte jemals erreicht hat.
Csaky: "Wir haben einige Schulen gegründet, in denen auf Ungarisch unterrichtet wird, und die kulturelle Unterstützung der Minderheit verbessert. Auch in den Rathäusern und bei den Behörden hat sich vieles getan, da wird jetzt endlich die ungarische Identität respektiert und die Leute können dort in ihrer Muttersprache reden. Das heißt für sie nichts anders, als dass sie in Freiheit leben können."
Selbst politische Gegner sagen offen, dass die ungarisch-slowakischen Beziehungen noch nie besser waren als in der zurückliegenden Legislaturperiode. Es zweifelt auch niemand daran, dass sich die alte Regierung intensiv um die Belange der ungarischen Minderheit gekümmert hat. Das hat allerdings nicht nur Positives für die Ungarn bedeutet. Denn gleichzeitig leitete die Koalition harte Wirtschafts- und Sozialreformen ein, bei denen sich vor allem die Kleinverdiener als Verlierer fühlten. Zusammen mit der vermeintlichen Bevorzugung der ungarischen Minderheit wurde das zum Nährboden für die rechte Nationalpartei.
Fernsehspot mit slowakischer Volksmusik
Im Wahl-Werbespot der Rechtspopulisten tritt zu den Klängen eines slowakischen Volkslieds der Parteivorsitzende Jan Slota vor eine Nationalfahne und verkündet in pathetischem Ton seine einfache Botschaft:
"Seit 135 Jahren gibt es unsere Partei, wir haben noch nie die Interessen der Nation verraten und werden das auch künftig nicht tun. Sorgen Sie dafür, dass die Slowakei endlich wieder eine slowakische Regierung bekommt."
Die Wähler haben auf ihn gehört. Die Nationalpartei wurde zur drittstärksten Kraft im Parlament und schaffte sogar den Durchmarsch bis in die Regierung. An der Spitze des slowakischen Staates herrscht seither eine eigenwillige Koalition: Geleitet wird sie von Robert Fico, der im Wahlkampf mit seiner linkspopulistischen Partei Smer ohne eigenes Programm vor allem den Reformkurs seiner Vorgängerregierung attackiert hatte. Die allerdings genoss zumindest international wegen ihrer mutigen Sozial- und Wirtschaftspolitik höchste Anerkennung. Von der neuen Regierung Fico lässt sich das nicht behaupten – ganz im Gegenteil. Die ungarnskeptischen Aussagen der Nationalpartei und die Ausschreitungen während der Fußballspiele führten schon gleich nach dem Amtsantritt zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen der slowakischen und der ungarischen Regierung. Layos Varadi, der ungarische Gesandte an der Botschaft in Bratislava, äußert sich undiplomatisch offen über die neue slowakische Regierung:
"Die Nationalpartei ist nach unserer Einschätzung extremistisch, xenophob und gegen Minderheiten gerichtet. Sie äußert sich auf eine Art, die im zivilisierten Europa nicht akzeptabel ist. Wenn es in einem Land zu minderheitsfeindlichen Äußerungen kommt, dann ist es wichtig, dass sich solche Leute nicht von der Regierung unterstützt fühlen. Dadurch, dass die Regierung hier so lange zu den Vorfällen geschwiegen hat und sie vielleicht sogar bagatellisieren wollte, hat sie aber gerade zu einer solchen Unterstützung beigetragen, ohne dass sie es natürlich so wollte."
Auch aus Brüssel weht dem slowakischen Premier Robert Fico heftiger Gegenwind ins Gesicht. Die Sozialdemokraten im europäischen Parlament haben seine Partei Smer Mitte Oktober aus der gemeinsamen Koalition ausgeschlossen. In der Begründung heißt es, dass in der Politik, so wörtlich, grundlegende Prinzipien nicht geopfert werden dürften. Die europäischen Sozialdemokraten sollten nicht jeden Preis bezahlen, um an die Regierung zu kommen.
Es ist die erste Sanktion der Europäischen Union gegen die slowakische Koalition, die sich nach ihrem Amtsantritt ohnehin international isoliert sieht. Einladungen zu Staatsbesuchen etwa sind in Bratislava erst sehr spärlich eingetroffen.
Robert Fico bemüht sich indes um Schadensbegrenzung – und setzt dafür auf symbolträchtige Gesten.
Ein Geiger stimmt eine traditionelle Melodie der Roma an, als die Limousine des Premierministers im kleinen Ort Dunajska vorfährt. Noch bedeckt ein weißes Leinentuch das steinerne Mahnmal, das hier im Stadtpark künftig an den Roma-Holocaust erinnern wird. Robert Fico ist hier, um das Denkmal zu enthüllen – und wohl auch, weil er um die Medienwirksamkeit der Fotos weiß, auf denen er mit den Vertretern der Roma-Verbände zu sehen sein wird. Die Roma stellen gleich nach den Ungarn die zweitstärkste Minderheit in der Slowakei dar und Fico hofft, dass er sich hier als Freund der Minderheiten präsentieren kann. In seiner Rede zeigt er sich demonstrativ entschlossen.
Fico: "Die Regierung wird sehr intensiv daran arbeiten, den Holocaust an den Roma und allen anderen Menschen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Wir haben das größte Interesse daran, dass die Kinder schon in der Grundschule die Wahrheit darüber lernen. Dass heute viele hohe Vertreter von Regierung und Parlament anwesend sind, drückt aus, wie wichtig uns dieses Thema ist."
An wen der slowakische Premierminister seine Worte richtet, ist klar: Im Publikum sitzen die Vorstände von einflussreichen Organisationen aus Deutschland und Polen und einige europäische Politiker. Viele bleiben auch nach Robert Ficos Rede skeptisch. Viktoria Mohacsi etwa, die als ungarische Abgeordnete im europäischen Parlament sitzt, ist eine strikte Gegnerin der rechten Nationalpartei.
Mohacsi: "In der EU ist es nicht akzeptabel, dass sich Politiker so äußern wie einige Vertreter dieser Partei. Die Zeremonie heute hat mich allerdings positiv überrascht, weil bei weitem nicht alle europäischen Länder den Roma-Holocaust zum Thema machen. An meiner Einstellung zur slowakischen Koalition hat das aber nichts geändert, natürlich nicht."
Tatsächlich hat Jan Slota, der Vorsitzende der Nationalpartei, gerade zu Anfang der Regierungszeit sämtliche Beschwichtigungsgesten des Regierungschefs unterminiert. Im Interview mit einer österreichischen Zeitung etwa beklagte er eine, so wörtlich, "brutale Ungarisierung" im Süden der Slowakei. Weitere verbale Ausfälle gegen die Ungarn folgten in regelmäßigen Abständen – so lange, bis Regierungschef Robert Fico offenbar die Nase voll hatte. Aus politischen Kreisen heißt es, er habe der Nationalpartei einen Maulkorb verpasst und Interviews kategorisch verboten. Tatsächlich ist es in den vergangenen Tagen ruhig geworden um Jan Slota, in seiner Parteizentrale verweigert man sogar eine Stellungnahme zum gespannten ungarisch-slowakischen Verhältnis.
In Lehars Geburtsstadt Komarno macht sich der Universitäts-Direktor Albert Sandor über die Zukunft der ungarischen Minderheit seine ganz eigenen Gedanken. Aus dem Fenster seines üppig bemessenen Büros schaut er direkt auf die Donau. Die Kirchtürme am Horizont stehen schon auf ungarischem Boden.
Sandor: "Über jemanden zu sagen, ob er ungarischer, slowakischer oder österreichischer Herkunft ist, wird immer schwieriger. Schauen Sie sich allein die Namen an: Mein Vorname zum Beispiel ist Albert, das ist sicher nicht ungarisch, das kommt aus dem deutschen Sprachraum. Einige unserer ungarischen Studenten haben slowakische Vornamen. Die 1000-jährige gemeinsame Geschichte hat doch bei allen Nationalitäten ihre Spuren hinterlassen - auch, wenn wir in völlig anderen Sprachen sprechen."
Manchmal, so hofft Albert Sandor, hat die friedliche Tradition eine größere Kraft als die Hassparolen einer radikalen Partei.