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Zwischen Naturschutz und Industrialisierung

Island ist eine Vulkaninsel und gilt deshalb als Land mit schier unbegrenzten Vorräten an erneuerbaren Energien. Damit lassen sich Großindustriebetriebe ins Land locken. Doch immer mehr Isländer setzen sich verstärkt für den Schutz der Umwelt ein - und damit gegen die Industrie.

Von Angelika Hoffmann | 15.02.2010
    Früher haben sich die Isländer nicht viel um Umweltschutz gekümmert, denn sie mussten ums Überleben in einer menschenfeindlichen Natur kämpfen, sagt der langjährige Direktor des größten isländischen Nationalparks Vatnajökull und Naturschutz-Berater der Regierung, Stefan Benediktsson. In Island hat sich in der Beziehung aber jetzt viel geändert:

    "Man ist viel, viel bewusster geworden in Island jetzt in Sachen Umweltschutz."

    Angefangen hat diese Veränderung mit Kahranjukar, dem umstrittenen Staudamm im Osten der Insel. Eine unberührte Flusslandschaft wurde 2007 zur Energiegewinnung für eine neue Aluschmelze unter Wasser gesetzt. Das Ausmaß dieses Eingriffs in die Natur hat viele Isländer zum Umdenken bewogen. Einen solchen Raubbau an ihrer vulkanischen Urlandschaft wollen sie nicht noch einmal hinnehmen - auch wenn das Land wirtschaftlich am Abgrund steht. Kritisch und mit vielen Vorbehalten verfolgen sie deshalb den Bau der nunmehr vierten Alu-Schmelze, die gerade nahe dem Reykjaviker Flughafen Keflavik entsteht und gespeist werden muss aus neuen Kraftwerken:

    "Dieser Alu-Schmelzer in Keflavik wird sehr genau betrachtet in Sachen wo kommt die Kraft her - wie wird die Kraft gefördert. Es ist Tatsache, dass der Schmelzer nicht genug Kraft hat. Die muss er sich noch besorgen bevor er in Betrieb genommen werden kann."

    2012 soll der erste Bauabschnitt der neuen Schmelze fertig sein. Aber schon jetzt wird die Kritik an der Stromversorgung immer lauter, so der pensionierte isländische Nationalpark-Chef. Umweltschützer warnten seit langem vor einem Austrocknen der unterirdischen Hochtemperaturfelder durch die energiefressenden Schmelzen. Aber es sei schwer für die neue Regierungs-Allianz aus Sozialdemokraten und Grün-Linken, die Balance zu finden zwischen dem Schutz der isländischen Natur und der Notwendigkeit, das Land aus der Pleite zu steuern. Gelten doch Geothermie und Wasserkraft weltweit als freundliche "grüne Energien". Dass aber für industrielle Zwecke das Hochland der Insel teilweise zerstört werde, verschweige man gerne, sagt Benediktsson. Aber anders als bei der vor einem Jahr zurückgetretenen alten Regierung haben jetzt auch Naturschützer in der Sozialdemokratisch-Grün-Linken Regierungsallianz unter Ministerpräsidentin Johanna Sigurdardottir eine Stimme:

    "Heute haben wir eine Regierung glücklicherweise, die auch andere Dinge anschaut als nur Riesenkraftwerke. Es gibt jetzt auch einflussreiche Leute in den Parteien der Links-Grünen und der Sozialdemokraten, die sich sehr für Naturschutz engagieren."

    Statt energiefressender Alu-Produktionen sollen verstärkt Computerkonzerne nach Island gelockt werden, sagt Benediktsson. Sie könnten an erdbebensicheren Orten auf der Insel ihre Rechenzentren bauen, weil der Strom für die Kühlanlagen leicht aus den vorhandenen Ressourcen zu beschaffen sei. Auch sanfter Tourismus soll Island aus dem Staatsbankrott helfen. 500.000 Besucher kommen schon jetzt jedes Jahr, bis zu einer Million Touristen könne die Insel vertragen, meint der offizielle Naturschutz-Berater:

    "Es wird, da bin ich sicher, Gebiete auf Island geben, in denen man im Sommer nur zu Fuß reisen darf."

    Nicht auszuschließen, dass die Besucher künftig sogar durch kleine arktische Forstlandschaften wandern statt durch karge, baumlose Urlandschaften. Denn trotz oder gerade wegen der wirtschaftlichen Katastrophe pflanzen die Isländer neuerdings ein Bäumchen nach dem anderen auf ihre Insel:

    "Weil wir uns sehr bewusst sind dass wir die ganze Vegetation gefressen haben - durch die Schafe. Deshalb pflanzen wir überall Bäume an - Bäume sind für Isländer eine Genugtuung."