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Zwischen Paria und wachsender Akzeptanz

Seit der Westen angesichts der knapper werdenden Energiereserven mit Libyen Geschäfte machen muss, ist Muammar al-Gaddafi zum Staatsmann aufgestiegen. Gaddafi dagegen bleibt seiner Linie treu: Er ist offen für ausländische Investitionen und behält doch seine kritischen Positionen bei.

Von Hans Michael Ehl |
    Es dürfte zum 40. Jahrestag der "Revolution" am 1. September die gleiche Inszenierung sein wie in Jahren zuvor - mit vielen Staatschefs vor allem aus Afrika und Diplomaten aus aller Welt - und Muammar el-Gaddafi wird sie gefallen. Gaddafi, der Exzentriker, der sich mit weiblichen Bodyguards umgibt, der zur kommenden UN-Vollversammlung im September in New York wieder einmal ein Beduinenzelt aufstellen lässt, der immer ein bisschen wirkt, als stünde er unter Drogen – so das äußere Bild eines Mannes, der die Geschicke seines Landes seit 40 Jahren bestimmt. 40 Jahre zwischen Paria-Dasein und wachsender Akzeptanz. Gaddafi, für den Westen der Demagoge, der Geisteskranke und Psychopath, vor allem aber der "Vater des internationalen Terrorismus".
    Letzteres war für die US-Regierung unter Ronald Reagan 1986 Anlass, Kampfflugzeuge nach Benghazi und Tripolis zu schicken. Der damalige US-Präsident am Abend des Angriffs:

    "Colonel Gaddafi ist nicht nur ein Feind der Vereinigten Staaten, die subversiven und aggressiven Akte gegen seine afrikanischen Nachbarn sind wohl bekannt. Trotz unserer wiederholten Warnungen hat Gaddafi seine rücksichtslose Politik der Einschüchterung, seine unaufhörliche Unterstützung des Terrors fortgeführt, er hat darauf gezählt, dass Amerika passiv bleibt, er hat sich geirrt.""

    Die amerikanischen Angriffe galten als Reaktion auf den Anschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle" zehn Tage zuvor. Zwei Jahre später, 1988, folgt der Anschlag auf die PanAm-Passagiermaschine über dem schottischen Ort Lockerbie, bei dem 270 Menschen sterben. Die USA und Großbritannien beschuldigen zwei libysche Geheimdienstmitarbeiter; der UN-Sicherheitsrat verhängt scharfe Sanktionen gegen das Land.

    Gaddafi handelt. Er liefert die beiden Beschuldigten aus und legt einen Entschädigungsfonds für die Angehörigen der Opfer auf über 2,7 Milliarden US-Dollar, beteuert aber zugleich Libyens Unschuld. Die UN-Sanktionen werden aufgehoben. Ein einträglicher Handel, denn was sind die 2,7 Milliarden US-Dollar gegen die acht Milliarden, die die US-Regierung im Gegenzug vor allem in Ölförderprogramme im Land investiert?! Im gleichen Jahr gibt Gaddafi sein Atomprogramm auf und zerstört alle Massenvernichtungswaffen: Als Gegenleistung streichen die USA Libyen 2006 von ihrer Terrorliste. Gaddafi also einfach nur ein orientalischer Markthändler, der zu Konzessionen bereit ist, wenn er darin einen Vorteil sieht?

    Ganz so einfach kann man es sich nicht machen. Es gibt auch die andere Seite des Muammar el-Gaddafi: seine Ambitionen und Ideale, die er in seiner Heimat umsetzen wollte. Nach dem Putsch 1969 wollte er in der Geschichte Libyens eine neue Ära einleiten. In einer Rede fasste er seine Ziele zusammen:

    ""Nach dem 1. September ist in Libyen eine Periode angebrochen, ohne Günstlingswirtschaft, Unterdrückung und Willkür. Nach dem 1. September gibt es keine Demütigung, Unterwerfung und keine Erniedrigung mehr, auf dass das Volk über alles herrsche. Die soziale Freiheit meint die Durchführung der Revolution bis der Wohlstand für die Söhne des Landes verwirklicht ist, der Wohlstand, den sie seit vielen langen Jahren entbehren."

    Seine Versuche, die Ideale in die Wirklichkeit umzusetzen, wurden auch von manchen Politikern im Westen beachtet. Der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky bescheinigte Gaddafi Ende der 1980er-Jahre, er sei "einer der wenigen in der Dritten Welt, die dem revolutionären Charakter der von ihnen geprägten Bewegung auch programmatischen Ausdruck verliehen" habe.

    Eine weitere Facette in Gaddafis Persönlichkeit: Er wird zu einem der Chefideologen einer sozialistischen Theorie für Afrika und darüber hinaus. Ausgerechnet in diesem "Bollwerk gegen den Sozialismus in Afrika", als das die USA Libyen gern sehen wollten, sympathisiert Gaddafi aufgrund der Befreiungsgeschichte seines Landes mit diversen Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt, mit der Polisario in der Westsahara, mit Rebellen im Tschad und in Ghana, mit sozialistischen Regimen wie in Angola. Über Libyen sollen damals sowjetische Waffen ihren Weg nach Palästina gefunden haben. Gaddafis Unterstützung international gesuchter Terroristen und seine offensichtliche Annäherung an die Sowjetunion – eine Verurteilung durch den Westen ist da sehr gut nachvollziehbar. Aber warum eine derartige Dämonisierung?

    Und Gaddafi gießt selbst bis heute immer wieder Öl ins Feuer und unterfüttert diese Dämonisierung mit seiner Kritik am Westen. In einem Interview mit dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira 2007 klärt Gaddafi zum Beispiel über die eigentlichen Hintergründe für den Konflikt in der sudanesischen Krisenregion Darfur auf.

    "Du armer und naiver Sudanese in Darfur! Ich sage dir jetzt die Wahrheit: Der Konflikt in Darfur ist nur ein Konflikt zwischen Amerika und China um das Öl in Darfur."

    Ähnlich klare Worte von Gaddafi im selben Interview zum iranischen Atomprogramm. Er habe darüber mit dem Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde gesprochen.

    "Ich habe Mohammed El-Baradei gefragt, ob er denn auch das amerikanische, russische, britische oder chinesische Atomprogramm überwacht und er hat mir erzählt, seine Organisation würde von ihnen nicht anerkannt und sie könnten sie überhaupt nicht über ihr Atomprogramm befragen. Dann habe ich ihn weiter gefragt, warum gibt es denn eure Organisation? Und da hat mir gesagt, sie sei nur für uns arme Länder. Das ist die Wahrheit! Wenn das iranische Atomprogramm friedlich ist, soll es keinen Protest geben, aber wenn es daran Zweifel gibt, dann soll es international überwacht werden und ich glaube, El-Baradei überwacht es schon."

    Gaddafi bleibt seiner Linie treu – in politischen Konflikten zeigt er sich zum Handel bereit, er ist offen für Investitionen aus dem Ausland und behält doch gleichzeitig seine kritischen Positionen zum Westen bei. Interessanterweise geben sich trotzdem seit fünf Jahren die Regierungsvertreter der Welt in Tripolis die Klinke in die Hand. Von Blair über Schröder, Putin und Rice – mehr und mehr wird klar, dass jeder ein Stück vom großen Kuchen Libyen abhaben möchte. Im vergangenen Jahr dann die Versöhnung mit der ehemaligen Kolonialmacht Italien. Fünf Milliarden US-Dollar will die italienische Regierung in den nächsten 25 Jahren investieren. Regierungschef Silvio Berlusconi:

    "Das bedeutet, dass sich unsere Zusammenarbeit entwickeln kann. Gleichzeitig kommen libysches Gas und libysches Erdöl der besten Qualität zu uns. Wir werden auch an den großen Investitionen und Bauvorhaben, die heute geplant werden, teilhaben."

    Und zudem erklärt sich Libyen zur Zusammenarbeit bei der Flüchtlingsproblematik bereit. Den Handel bezahlt Berlusconi mit einer öffentlichen Düpierung: Bei Gaddafis Besuch in Rom vor wenigen Wochen ziert ein Foto des libyschen Widerstandskämpfers gegen die Italiener, Omar el-Muchtar, sein Jackett. Gaddafi kann die Großen der Welt an der Nase herumführen, mit seinem Öl und seinem Gas hat er die besten Karten im Ärmel.

    Und vor wenigen Tagen wieder so ein Handel: Beim Empfang für den vorzeitig aus schottischer Haft entlassenen Lockerbie-Attentäter Abdulbasset El-Megrahi dankte Gaddafi Premierminister Gordon Brown und Königin Elisabeth II. dafür, dass sie die schottische Regierung zu der Freilassung ermutigt hätten. Dieser Schritt werde sich positiv auf alle Bereiche der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern auswirken, so wird Gaddafi zitiert. Eine kurze Erregung in der britischen und US-amerikanischen Öffentlichkeit und dann scheint sich die Empörung wieder zu legen.

    Gaddafi, der einstige Dämon, ist zum Staatsmann aufgestiegen. Doch wer hat seine Einstellung geändert? Es wird wohl der Westen sein, der angesichts der knapper werdenden Energiereserven seine eigene Bedürftigkeit erkannt hat. Aber erneut wird die Person Gaddafi im eigenen Sinne instrumentalisiert und jetzt ins positive gedreht, weil man mit einem Dämon keine Geschäfte macht.

    In Libyen selbst sehen die Menschen das übrigens anders. "Wir warten darauf, dass endlich der Sohn übernimmt!", sagen viele. Und der "Ingenieur", wie Gaddafi-Sohn Seif el-Islam im Land genannt wird, arbeitet schon heute daran, der wirtschaftlichen Öffnung des Landes auch eine innere Öffnung folgen zu lassen.