Archiv


Zwischen Politik und Wirtschaft

15.000 Lobbyisten arbeiten im gerade mal vier Quadratkilometer großen EU-Viertel in Brüssel. Viele Interessensvertreter gehen im EU-Parlament ein und aus. Und auch inoffiziell treffen sich Parlamentarier und Lobbyisten in den unzähligen Cafés und Restaurants der belgischen Hauptstadt.

Von Miriam Kuck |
    Gerade mal vier Quadratkilometer groß ist das EU-Viertel in Brüssel - entstellt von Bürotürmen und Baukränen. Die Tour zu den Lieblingsplätzen der EU-Lobbyisten beginnt am Schuman-Rondell, seinem östlichsten Zipfel. Auf der einen Seite des Kreisverkehrs steht das verglaste, X-förmige Gebäude der EU-Kommission, direkt gegenüber der Rat der Europäischen Union, wo sich regelmäßig die Minister und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten treffen. Hier am Platz befinden sich die meisten Lobbyistenbüros, erzählt Pia Eberhardt von der lobbykritischen Organisation CEO:

    "Deshalb gehört er auch mit zu den teuersten Bürogegenden selbst im EU-Viertel. Hier gibt es Büros von BP zum Beispiel von Philipp Morris, von BASF , der größte Chemiekonzern der Welt, Thalis, der viertgrößte Waffenproduzent Europas ist hier um die Ecke."

    15.000 Lobbyisten arbeiten in Brüssel, neben Konzernen und PR-Firmen gehören dazu auch Vereine und vermeintlich unabhängige Think Tanks. Sie selbst nennen sich allerdings lieber Stakeholder - Interessenvertreter. Perfekte Treffpunkte sind die vielen Bars und Cafés im EU-Viertel – auch Reinhard Bütikofer, Sprecher der Grünen im Europaparlament, die sich eigentlich gern gegen Lobbying positionieren, gibt zu:

    "Also ich bin auch schon mal mit 'nem Lobbyisten gut essen gegangen abends"

    Direkt gegenüber der Europäischen Kommission gibt es zum Beispiel seit über 30 Jahren das deutsche Restaurant "Maxburg". Vor allem deutsche EU-Mitarbeiter kommen zum Schnitzel essen - über die Namen der Gäste aber schweige man lieber, sagt Kellnerin Gavina:

    "Funktionäre, Leute von der Kommission, die schnell essen wollen, dass sie schnell da sind, es ist ja bekannt hier das Restaurant". "

    Seit Colin Powells Besuch gebe es hier ein nach ihm benanntes Schnitzel. Ansonsten aber interessiere es sie reichlich wenig, was die vielen Schlipsträger in dem rustikal eingerichteten Restaurant zu besprechen hätten.

    Die Brüsseler Lobbytour führt von der Kommission weiter in die Tiefen des EU-Viertels, über die Rue Froissart. Der klassische Klang des EU-Viertels sind die Rollkoffer der An- und Abreisenden sowie die Polizeisirenen bei wichtigem politischen Besuch. Eine Oase ist deshalb der Park Leopold, direkt hinter dem Europäischen Parlament. Hier, wo sonst die Brüsseler Enten füttern oder Sport treiben, hat ein deutsches Bundesland eine besondere Präsenz – ein Muss bei jedem von Pia Eberhardts Lobbyspaziergängen durch Brüssel:

    " "Und hinter uns dieses luxuriöse schlossartige Gebäude, das ist der Sitz der bayrischen Landesvertretung hier bei der EU, in der deutschen Community wird das hier Schloss Neuwahnstein genannt weil’s eben so ein protziges, teures Gebäude war. 30 Millionen Euro hat Bayern hingelegt"

    Während Pia Eberhardts Lobbyistentour weiter durch die raumschiffartigen Gebäude des Europaparlaments führt, erzählt sie von den neuesten Strategien der Lobbyisten. Da das EU-Parlament hier in Brüssel kaum Kontakt zu Bürgern hat, funktioniere Lobbying besonders effektiv, wenn es im Namen des Wählers daher komme – so wie vor Kurzem als ganz normale Bauern die Abgeordneten zu einem genmanipulierten Essen einluden:

    "Die Message war also, das ist lecker das schadet niemand, wir essen das und wir brauchen mehr Gentechnik in Europa – und zwar wir Bauern! Die Strippen hinter den Kulissen zieht aber eben dann ein großes PR-Unternehmen"

    Gemeinsame Ziele führen Lobbyisten und Parlamentarier in Brüssel oft zusammen. Auch Grünen-Sprecher Reinhard Bütikofer hat Lobbyisten schon an seiner Arbeit beteiligt:

    "Zum Teil ist es tatsächlich so, dass ich davon was lerne und als ich den Berichtsentwurf geschrieben hatte zur Rohstoffpolitik, habe ich den breit verteilt und habe gesagt, jetzt gebt mir mal Rückmeldung und dann habe ich manche von diesen Anregungen mit aufgenommen."

    Viele Lobbyisten gehen ohnehin im Parlament ein- und aus oder beraten die EU-Kommission.
    Inoffiziell treffen sich Parlamentarier und Lobbyisten am liebsten am Place du Luxembourg. Die Cafés und Bars auf dem runden Platz direkt vor dem Europaparlament sind immer gut besucht. Vor allem am Donnerstagabend – bevor viele aus dem EU-Umfeld für das Wochenende nach Hause fahren - wird der Lieblingstreffpunkt der EU-Mitarbeiter zur Partymeile – mit lauter Musik und viel Alkohol. Eine gemeinsame Sprache und Sympathie sind hier bisweilen wichtiger als die Frage, ob man aufseiten der Politik oder der Privatinteressen steht. Allein die reine Zahl ihrer Mitarbeiter in Brüssel begünstige deswegen die Interessen großer Konzerne, meint Pia Eberhardt:

    "Brüssel ist kein Marktplatz der Ideen, auf den jeder kommen kann und sich gleichermaßen artikulieren kann und gehört wird, sondern hier geben die Gruppen den Ton an die am meisten Ressourcen haben und das sind eben Konzerne und ihre Verbände"

    Der Spaziergang durch das Brüssel der Lobbyisten endet am Square Meeus, am westlichsten Ende des EU-Viertels. Der Machtwandel innerhalb der Europäischen Union hat auch die Struktur ihres Viertels verändert. Seitdem das Europäische Parlament mehr zu sagen hat, haben viele Lobbyisten ihre Büros hier her verlegt. Und auch eine andere Neuerung, die die Europäische Union eigentlich demokratischer machen sollte, wollen Interessenvertreter bald für sich nutzen: die Europäische Bürgerinitiative. Bei entsprechendem Geldeinsatz sollen eine Million Stimmen aus mindestens sieben Ländern dabei helfen, Eigeninteressen durchzusetzen – wirbt die PR-Firma Fleishman-Hillard. Möglich wird das ab dem Frühjahr 2012. Beim Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer löst das kein Erstaunen aus:

    "Damit habe ich immer gerechnet man weiß zum Beispiel aus Kalifornien, wo es schon lange solche Referenden gibt, dass ganz parteiische Interessen versucht haben solche Instrumente der direkten Demokratie für sich in Anspruch zu nehmen"

    Pia Eberhard empfiehlt deswegen am Ende ihrer Tour, nie gedankenlos zu unterschreiben, auch im Internet. Neben ihren Finanzen haben Lobbyisten gegenüber anderen EU-Bürgern nämlich vor allem einen Vorteil: Sie sind in Brüssel vor Ort und wissen deswegen genau, welche Gesetzesänderungen gerade anstehen.