Freitag, 19. April 2024

Archiv


Zwischen Psychoanalyse und Katholizismus

Auf den Filmfestspielen in Cannes wurde er 1949 zum besten Film des Jahres gekürt: "Der dritte Mann". Die Geschichte spielt in den Ruinen des kriegszerstörten Wiens, der Held hieß Harry Lime, verkörpert von Orson Welles. Das Drehbuch stammte von dem englischen Romancier Graham Greene. Mit 45 Jahren war er bereits ein arrivierter, erfolgreicher Autor, der Film aber machte ihn zur internationalen Berühmtheit.

Von Joachim Scholl | 02.10.2004
    Niemand dachte an Weltruhm im Örtchen Berkhamsted in der englischen Grafschaft Hertfordshire, wo Graham Greene geboren wurde und aufwuchs. Er war ein scheues, psychisch hochlabiles Kind, geplagt von Ängsten, Melancholie und früh schon ergriffen von der "sickness of boredom", wie der Erwachsene später das krankhafte Gefühl von Langeweile umschreiben sollte, unter dem er zeitlebens litt. Der junge Graham besuchte die Schule, an der sein Vater Direktor war - das machte alles nur noch schlimmer. 1920 schickten die ratlosen Eltern ihren Sechzehnjährigen fortschrittlich zu einem Psychoanalytiker. Zuvor war der Filius durchgebrannt.

    Ich steckte in einer tiefen emotionalen Krise, ich konnte dieses seltsame, zerrissene Leben als Schüler in der Schule meines Vaters nicht länger ertragen. Ich lief also weg, hinterließ einen Zettel, dass ich erst wiederkommen würde, wenn man mir ein vernünftiges Angebot machte. Ich verbarg mich im Wald, wo mich nach ein paar Tagen meine Schwester aufspürte. So errang ich meinen ersten Sieg, ich durfte nach London, wo ich im Hause meines Psychiaters wohnte. Es waren die glücklichsten Monate meines Lebens.

    Mit 21 Jahren veröffentlichte Graham Greene sein erstes Buch, einen Gedichtband. Ein Jahr später konvertierte er zum Katholizismus, das war der Auftakt zu einer lebenslangen Auseinandersetzung mit Fragen des Glaubens, der verzweifelten Suche nach einem höheren Sinn des Daseins. Fast sämtliche seiner Romanfiguren sind davon geprägt: gespaltene, durchweg einsame Persönlichkeiten in existenzialistischen Krisen, taumeln sie hin und her zwischen Begierden und Reue. Etwa der Held in einem der berühmtesten Romane, "Die Kraft und die Herrlichkeit", - ein versoffener katholischer Priester. Der Vatikan setzte das Buch 1954 auf den Index. Nur an der Oberfläche sind Greenes Bücher spannende Thriller an exotischen Orten, darunter liegen die seelischen Verwüstungen des modernen Menschen. Aus diesen Tiefen bezog der psychoanalysierte Autor seine Inspiration.

    Es waren oft Träume, die mir das Material zum Schreiben lieferten. Mehrere Kurzgeschichten bestehen aus reinen Träumen. Einer meiner ersten Romane "Schlachtfeld des Lebens" entstand ebenfalls aus einem Traum. Und Träume halfen mir auch über Durststrecken hinweg. Zum Beispiel bei dem Buch "Ein ausgebrannter Fall", wo es auch um einen Priester geht. Irgendwann stockte die Arbeit, ich kam nicht voran, ich spürte, wo das Problem lag - aber erst durch einen Traum kam ich auf die Lösung. Und dann konnte ich weiter schreiben.

    Graham Greene war sein Leben lang auf Reisen, manche sagen auf der Flucht. Er jagte förmlich durch die Welt: im Krieg als Agent des britischen Geheimdienstes, dann als literarischer Jetsetter, Lebemann und sexueller Draufgänger rund um den Erdball. Seine mehr als 30 Romane machten ihn reich und so berühmt, dass ihn schließlich sogar der Papst empfing. Die Glaubensfrage beschäftigte den sündigen Katholiken Greene bis zuletzt, mit originellen Vorstellungen vom Leben nach dem Tod.

    Vor dem Tod habe ich keine Angst, eher vor dem Sterben. Ich hänge sehr an der Vorstellung vom Fegefeuer. Das erscheint mir als sinnvolle Einrichtung, die Hölle weniger. Ich glaube auch fest daran, dass es im Jenseits so etwas wie Entwicklung geben muss. Ich kann nicht an einen Himmel glauben, wo man nur passiv selig herumhängt. Wenn es einen Himmel gibt, dann bewegt, verändert sich da was. Und das Schönste wäre, wenn man die eigene geistige Strebsamkeit wiederfände: Wenn sich das, was man so mühsam versucht hatte, mit Feder und Tinte herzustellen, von ganz selbst einstellen würde, für alle Ewigkeit, nur viel feiner und interessanter und ohne Schmerz...

    Graham Greene starb am 3. April 1991 im Alter von 87 Jahren in Vevey am Genfer See. Ausgerechnet in der Schweiz, die der Globetrotter und Abenteurer immer furchtbar langweilig fand: Wie ließ er seinen Harry Lime im "Dritten Mann" über das Land urteilen: "500 Jahre Demokratie und Frieden, und sieh her, was hat es hervorgebracht, die Kuckucksuhr."