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Zwischen Schutz und Nutzung

Bis zum Ende dieses Jahres sollen alle europäischen Mitgliedstaaten ihre schützenswerten Gebiete im Rahmen des europäischen Natura-2000-Netzes nach Brüssel melden. Deshalb werden in allen deutschen Bundesländern derzeit naturschutzwürdige Gebiete geprüft und Experten befragt - und zwar in zwei Seminaren, dem atlantischen für die Küstengebiete und dem kontinentalen für das Binnenland.

Von Annette Eversberg |
    In Schleswig-Holstein zum Beispiel gibt es beides: schützenswerte Küstenzonen und auch Naturräume im Binnenland. Elf Vogelschutzgebiete und 240 Flora-Fauna-Habitat-Gebiete - kurz FFH-Gebiete gennant, die den Schutz seltener Arten garantieren sollen; immerhin rund sieben Prozent der Landesfläche.

    Der Anblick ist beeindruckend. Tausende von Möwen erheben sich auf einmal von einer Insel mitten im Lanker See in Schleswig-Holstein. Er ist Teil der holsteinischen Seenplatte. Dr. Henning Thiessen, Artenschutzexperte im schleswig-holsteinischen Landesamt für Natur- und Umwelt betont den naturnahen Charakter des Sees mit Verlandungszonen, Röhrichten, Bruchwäldern und der Möweninsel in der Mitte.

    Man sieht also das sind enorme Mengen von Vögeln, die hier vorkommen, einige Hundert, einige Tausend, und diese haben im allgemeinen eine soziale Attraktion sagen wir in der Biologe für andere Vogelarten. Die gruppieren sich in solchen Koloniebereichen, weil sie vom Schutz dieser Arten profitieren.

    Daher leben hier auch Reiherenten, und vor allem Schwarzhalstaucher: Das beste Brutvorkommen in ganz Deutschland mit 300 Brutpaaren. Außerdem mausern im Bereich des Lanker Sees die Graugänse, die früher lieber weiter in die Niederlande zogen. Solche Massenvorkommen und die Zahl der Brutpaare sind für die EU entscheidende Kriterien für die Ausweisung eines solchen Gebietes als Vogelschutzgebiet. Auch der Landschaftscharakter spielt eine besondere Rolle. Im Bereich der Ostsee gibt es eine Endmoränenlandschaft mit vielen kleinen Hügeln, die schon aus der Eiszeit stammen. Eiszeitlich sind auch die Strandseen an der Ostsee. Sie sind schützenswerte Bereiche nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie. Dazu gehört der Sehlendorfer Binnensee vor der Hohwachter Bucht, über den der Ostseewind streift. Henning Thiessen:

    Wir haben hier noch eine offene Verbindung zur Ostsee. Hier läuft das Wasser der Ostsee munter rein und raus, je nach dem Wasserstand der Ostsee. Manchmal wenn das Ostsee hoch ist, rauscht es hier rein. Das ist natürlich eine tolle Sache für das Gebiet. Wir haben also eine echte Lagune, die man sonst nur aus tropischen Bereichen kennt. Lagunen sind nach der FFH-Richtlinie prioritäre Lebensräume. Die sind ganz besonders wertvoll und besonders zu schützen. Und der ganze Sehlendorfer Binnensee gehört zu diesen prioritären Lebensräumen.

    Eine Lagune ist auch der Große Binnensee. Wichtige Algenarten, Schilf, oder Salzwasserpflanzen sind hier durch die FFH-Richtlinie zu schützen. Der Prozess der Auswahl läuft in allen Bundesländern. In Schleswig-Holstein gibt es ein Gesetz, dass eine Beteiligung betroffener Bürger zwingend vorsieht, erläutert Michael Rittmeier vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Landwirtschaft.

    Wir sind jetzt dabei, in Schleswig-Holstein, das Beteiligungsverfahren für 240 FFH-Gebiete zu beenden und werden Anfang Mai die Entscheidungen treffen. Und ich verspreche Ihnen, wir sind mit einer Kulisse in die Entscheidungen gegangen, die völlig anders aussehen wird, wie das, was wir im Mai verabschieden werden.

    Das heißt, man hat die Bedenken und Befürchtungen der Bevölkerung mit einbezogen. Denn es geht nicht um Verbote, sondern eine sinnvolle Kombination von Schutz und Nutzung. Michael Rittmeier:

    Die erste Überschrift ist: Es darf alles so weiter gemacht werden wie bisher. Nur das Schutzziel darf nicht gefährdet werden. Ich darf nichts tun beispielsweise, dass der Sonnentau sich da nicht mehr hält, oder ich muss mich darum kümmern, dass der Fischotter dort nicht vertrieben wird. Wenn es in der Vergangenheit nicht geschehen ist, weil ein Fischer dort gearbeitet, und wenn es in der Vergangenheit nicht geschehen ist, weil die Landwirtschaft dort gearbeitet hat, dann können die Landwirtschaft und der Fischer so weiter arbeiten wie bisher.

    Bei Neuanlagen von Verkehrsflächen oder Wohngebieten gelten künftig in deutschen und europäischen FFH- und Vogelschutzgebieten Auflagen, um die Schutzziele nicht zu gefährden. Dabei können durchaus Straßen oder Häfen erweitert und ausgebaut werden, wenn es für den Flächenverbrauch gleichwertige Alternativen gibt, die den Schutz von Tier und Pflanzen ermöglichen. In Schleswig-Holstein sind bereits knapp sieben Prozent der Landesfläche als FFH- oder Vogelschutzgebiete ausgewiesen. Das sehen die Naturschützer als eine neue Möglichkeit für den Tourismus im Lande, der nicht unbedingt im Widerspruch zum Naturschutz stehen muss. Henning Thiessen hat im Vogelparadies Lanker See gute Erfahrungen gemacht.

    Der Wassersport findet hier weitgehend frei statt. Es ist gar kein Konflikt hier mit dem Bootfahren auf diesem See. Das ist kein großes Problem.