So merkt doch endlich, dass Gott mir Unrecht getan hat und mich mit seinem Jagdnetz umgeben hat. Siehe, ich schreie Gewalt und werde doch nicht gehört. Ich rufe, aber kein Recht ist da. Er hat mich zerbrochen und hat meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum. Er hat meine Brüder von mir entfernt und meine Verwandten sind mir fremd geworden. Mein Odem ist zuwider meiner Frau, und den Söhnen meiner Mutter ekelt es vor mir. Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. Erbarmt euch, meine Freunde, denn die Hand Gottes hat mich getroffen.
Hiob, im Alten Testament, klagt. Gott hat ihm, einem frommen und gerechten Mann, alles genommen: Vermögen und Ansehen, Familie und Freunde, am Ende auch die Gesundheit. Hiob hadert und rechtet mit Gott, der ihm soviel Leid angetan hat. Verzweifelt sucht er im Glauben nach einer Bewältigungsstrategie, nach einem Coping, wie man heute sagt.
"Wenn man einmal Hiob modern betrachtet und die vielen Überlegungen zu Coping, also wie gehen Menschen mit schwerer Krankheit um, welche Strategien entwickeln sie, dann muss man sich fragen, gibt es bei Hiob Coping? - Ja und Nein. Es gibt kein Coping, wenn man darunter versteht, dass Menschen innerhalb ihres Glaubens eine klare Antwort finden, dass diese Krankheit gegeben ist, um etwas zu lernen, als Strafe Gottes oder sonst etwas. Aber Hiob bietet eine Auseinandersetzung zwischen sich und seinem Gott, und genau deshalb findet sich auch bei Hiob Coping, aber eben nicht als runde Antwort."
Hiob ist nur ein Beispiel aus 3000 Jahren jüdisch-christlicher Glaubensgeschichte, die der Bochumer evangelische Theologe Günter Thomas zusammen mit anderen im Hinblick auf Krankheit und Krankheitsdeutung durchleuchtet hat. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts sind nun in einem Sammelband veröffentlicht. Die Perspektive ist aber nicht historisch, sondern gilt der Situation des modernen Menschen.
Wir haben heute ein hocheffizientes Medizinsystem, das Krankheiten heilt und Leiden lindert, das den Verfall des Menschen in höhere Lebensalter zurückdrängt, aber keineswegs besiegt. So bleibt die Frage, wie wir mit Leiden und Endlichkeit umgehen und welche Deutungs- und Verarbeitungspotenziale die christliche Religion anbietet.
Isolde Karle, Bochumer Theologieprofessorin und Mitherausgeberin, fordert, die körperliche Dimension von Krankheit religiös ernst zu nehmen, aber auch über sie hinauszugehen.
"Man nennt es heute die ganzheitliche Wahrnehmung, eigentlich ist es eine multidimensionale Wahrnehmung, also die seelischen Komponenten, die geistigen Komponenten, die gerade bei schwerer Krankheit eine große Rolle spielen, hier auch ernster zu nehmen. Und ich vermute, dass viele Menschen heute auch deshalb ihre Skepsis gegenüber unserem hocheffizienten Medizinsystem haben, weil sie sich in dieser Hinsicht nicht immer persönlich wahrgenommen fühlen. Und da wäre die christliche Ethik darauf aus, den Menschen in seinen unterschiedlichen Dimensionen wahrzunehmen."
Die naturwissenschaftlich fundierte Medizin ist vor allem für die körperliche Seite von Krankheit zuständig. Krankheit hat aber auch eine psychische Seite und sie hat - wie die Bibel verdeutlicht - eine soziale Dimension. Mehr noch als unter seiner körperlichen Erkrankung, die im Text recht unbestimmt bleibt, leidet Hiob unter seiner Ächtung durch die Mitmenschen, die sehr eingehend geschildert wird. Und das ist heute kaum anders, so
Isolde Karle:
"Es ist ein riesiges Problem, dass Menschen, die dauerhaft oder sehr schwer krank sind, also eben nicht nur mit ihren Schmerzen zurechtkommen müssen, sondern auch mit dieser sozialen Isolation, also Eltern von dauerhaft kranken Kindern, die dauerhaft auch nicht mehr anschlussfähig sind an den ganz normalen Alltagsdiskurs von anderen - oder vielmehr umgekehrt, die anderen meiden sie, weil die Menschen Angst haben vor der Konfrontation mit dauerhaftem Leid, und das ist ein ganz wichtiger Aspekt, wenn jemand mit schwerer oder dauerhafter Krankheit zu tun hat."
Es gab in der christlichen Lehre und Tradition, wie Kritiker monieren, immer wieder die Tendenz, allzu schnell über Krankheit und Leid, über das Leben im diesseitigen Jammertal hinwegzugehen und sich mit dem Glauben an Auferstehung, Jenseits und ewiges Leben zu trösten. Aber diese leib- und diesseitsfeindlichen Züge sind nicht entscheidend, wenn man sich die Evangelien und die Praxis der frühchristlichen Gemeinden vergegenwärtigt.
Günter Thomas:
"Es ist eine sehr spannende Beobachtung zu sehen, dass in allen Evangelien Jesus heilt. Es gehörte zur Praxis Jesu, die körperlich Leidenden, die dadurch Ausgeschlossenen anzusprechen, dieses Problem wahrzunehmen - auch wenn Jesus nicht alle geheilt hat. Aber das zentrale Problem Krankheit durchzieht wie ein roter Faden die Evangelien. Und es ist auch spannend zu beobachten, dass in der frühen Christenheit das Christentum überall Krankenhäuser baute. Und die Dimension Krankenfürsorge gehört so zentral zum Christentum, dass man es fast zum Kennzeichen der Kirche machen kann. Und auch heute in einem Medizinsystem, das sehr effektiv ist, bleibt die Frage - da komme ich auf Hiob zurück -, wie Menschen in ihrer Not trotzdem gewürdigt und wertgeschätzt werden können."
Das Forschungsprojekt der Theologen hat schließlich zutage gefördert, welch enorme Bandbreite es in der christlichen Deutung von Krankheit gibt. Das reicht von der positiven Sinngebung, wo Krankheit als Strafe Gottes akzeptiert oder als Ruf zur Umkehr ins Selbstverständnis integriert wird bis hin zur empörten Ablehnung, wo Krankheit als sinnlose Zerstörung des eigenen Lebens erfahren wird, die man Gott klagt oder wofür man ihn auch selber anklagt.
Kritisch wenden sich die Theologen allerdings gegen fundamentalistisch-christliche Strömungen, die heute verstärkt aus den USA herüberdriften und mit vollmundigen Heilungsversprechen der Medizin Konkurrenz machen. Die Konsequenz aus der Reflexion der christlichen Texte und Traditionen wäre vielmehr, dem kranken Einzelnen, gläubig oder nicht, Dialog anzubieten, auch Rat, jedenfalls ihn auf seinem oft schweren Weg nicht alleinzulassen.
"Das ist ganz grundlegend, dann aber auch durchaus im Sinne von Segenshandlungen, liturgischen Handlungen, Gottesdiensten, die einfach Menschen, die mit dem Glauben etwas anfangen können, unheimlich stärken können, Kraft geben und sie trösten können, also durchaus auch mit spezifisch religiösen Elementen, die wir ja haben. Ich habe es selbst erlebt, dass vorformulierte uralte Gebete hier eine große Kraft und Ausdrucksmöglichkeit entfalten, gerade für Schmerz und Leid, wo einem selbst oft die Worte fehlen."
In ihrer Aufarbeitung von Geschichte und Gegenwart haben die Theologen einen denkwürdigen Rangwechsel bemerkt in dem, was Menschen am meisten ängstigt. In der Vergangenheit war das die Todesstunde, wo der Mensch vor Gott tritt und gerichtet wird, zu ewigem Leben oder zu ewiger Verdammnis.
"Wenn man heute in der Sixtinischen Kapelle vor dem Endgericht steht, dann habe zumindest ich den Eindruck: Das Problem haben die Leute nicht mehr - zugespitzt formuliert - Tod ist keine Bedrohung. Was heute in der Tat Menschen tief bewegt, ist Verfall, Fragilität, abnehmende Möglichkeiten. Die Menschen würden gern spät, aber sehr jung sterben. Verfall, Zerstörung - das ist etwas, wo heutige Kulturen viel mehr mit kämpfen, als direkt mit dem Tod. Und für diese Lebensphase - um es salopp zusagen - zwischen Mallorca und Hospiz, für diese Lebensphase lässt sich manches auch im interdisziplinären Gespräch mit Biologie, auch mit anderen Sozialwissenschaften noch erforschen."
Hiob, im Alten Testament, klagt. Gott hat ihm, einem frommen und gerechten Mann, alles genommen: Vermögen und Ansehen, Familie und Freunde, am Ende auch die Gesundheit. Hiob hadert und rechtet mit Gott, der ihm soviel Leid angetan hat. Verzweifelt sucht er im Glauben nach einer Bewältigungsstrategie, nach einem Coping, wie man heute sagt.
"Wenn man einmal Hiob modern betrachtet und die vielen Überlegungen zu Coping, also wie gehen Menschen mit schwerer Krankheit um, welche Strategien entwickeln sie, dann muss man sich fragen, gibt es bei Hiob Coping? - Ja und Nein. Es gibt kein Coping, wenn man darunter versteht, dass Menschen innerhalb ihres Glaubens eine klare Antwort finden, dass diese Krankheit gegeben ist, um etwas zu lernen, als Strafe Gottes oder sonst etwas. Aber Hiob bietet eine Auseinandersetzung zwischen sich und seinem Gott, und genau deshalb findet sich auch bei Hiob Coping, aber eben nicht als runde Antwort."
Hiob ist nur ein Beispiel aus 3000 Jahren jüdisch-christlicher Glaubensgeschichte, die der Bochumer evangelische Theologe Günter Thomas zusammen mit anderen im Hinblick auf Krankheit und Krankheitsdeutung durchleuchtet hat. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts sind nun in einem Sammelband veröffentlicht. Die Perspektive ist aber nicht historisch, sondern gilt der Situation des modernen Menschen.
Wir haben heute ein hocheffizientes Medizinsystem, das Krankheiten heilt und Leiden lindert, das den Verfall des Menschen in höhere Lebensalter zurückdrängt, aber keineswegs besiegt. So bleibt die Frage, wie wir mit Leiden und Endlichkeit umgehen und welche Deutungs- und Verarbeitungspotenziale die christliche Religion anbietet.
Isolde Karle, Bochumer Theologieprofessorin und Mitherausgeberin, fordert, die körperliche Dimension von Krankheit religiös ernst zu nehmen, aber auch über sie hinauszugehen.
"Man nennt es heute die ganzheitliche Wahrnehmung, eigentlich ist es eine multidimensionale Wahrnehmung, also die seelischen Komponenten, die geistigen Komponenten, die gerade bei schwerer Krankheit eine große Rolle spielen, hier auch ernster zu nehmen. Und ich vermute, dass viele Menschen heute auch deshalb ihre Skepsis gegenüber unserem hocheffizienten Medizinsystem haben, weil sie sich in dieser Hinsicht nicht immer persönlich wahrgenommen fühlen. Und da wäre die christliche Ethik darauf aus, den Menschen in seinen unterschiedlichen Dimensionen wahrzunehmen."
Die naturwissenschaftlich fundierte Medizin ist vor allem für die körperliche Seite von Krankheit zuständig. Krankheit hat aber auch eine psychische Seite und sie hat - wie die Bibel verdeutlicht - eine soziale Dimension. Mehr noch als unter seiner körperlichen Erkrankung, die im Text recht unbestimmt bleibt, leidet Hiob unter seiner Ächtung durch die Mitmenschen, die sehr eingehend geschildert wird. Und das ist heute kaum anders, so
Isolde Karle:
"Es ist ein riesiges Problem, dass Menschen, die dauerhaft oder sehr schwer krank sind, also eben nicht nur mit ihren Schmerzen zurechtkommen müssen, sondern auch mit dieser sozialen Isolation, also Eltern von dauerhaft kranken Kindern, die dauerhaft auch nicht mehr anschlussfähig sind an den ganz normalen Alltagsdiskurs von anderen - oder vielmehr umgekehrt, die anderen meiden sie, weil die Menschen Angst haben vor der Konfrontation mit dauerhaftem Leid, und das ist ein ganz wichtiger Aspekt, wenn jemand mit schwerer oder dauerhafter Krankheit zu tun hat."
Es gab in der christlichen Lehre und Tradition, wie Kritiker monieren, immer wieder die Tendenz, allzu schnell über Krankheit und Leid, über das Leben im diesseitigen Jammertal hinwegzugehen und sich mit dem Glauben an Auferstehung, Jenseits und ewiges Leben zu trösten. Aber diese leib- und diesseitsfeindlichen Züge sind nicht entscheidend, wenn man sich die Evangelien und die Praxis der frühchristlichen Gemeinden vergegenwärtigt.
Günter Thomas:
"Es ist eine sehr spannende Beobachtung zu sehen, dass in allen Evangelien Jesus heilt. Es gehörte zur Praxis Jesu, die körperlich Leidenden, die dadurch Ausgeschlossenen anzusprechen, dieses Problem wahrzunehmen - auch wenn Jesus nicht alle geheilt hat. Aber das zentrale Problem Krankheit durchzieht wie ein roter Faden die Evangelien. Und es ist auch spannend zu beobachten, dass in der frühen Christenheit das Christentum überall Krankenhäuser baute. Und die Dimension Krankenfürsorge gehört so zentral zum Christentum, dass man es fast zum Kennzeichen der Kirche machen kann. Und auch heute in einem Medizinsystem, das sehr effektiv ist, bleibt die Frage - da komme ich auf Hiob zurück -, wie Menschen in ihrer Not trotzdem gewürdigt und wertgeschätzt werden können."
Das Forschungsprojekt der Theologen hat schließlich zutage gefördert, welch enorme Bandbreite es in der christlichen Deutung von Krankheit gibt. Das reicht von der positiven Sinngebung, wo Krankheit als Strafe Gottes akzeptiert oder als Ruf zur Umkehr ins Selbstverständnis integriert wird bis hin zur empörten Ablehnung, wo Krankheit als sinnlose Zerstörung des eigenen Lebens erfahren wird, die man Gott klagt oder wofür man ihn auch selber anklagt.
Kritisch wenden sich die Theologen allerdings gegen fundamentalistisch-christliche Strömungen, die heute verstärkt aus den USA herüberdriften und mit vollmundigen Heilungsversprechen der Medizin Konkurrenz machen. Die Konsequenz aus der Reflexion der christlichen Texte und Traditionen wäre vielmehr, dem kranken Einzelnen, gläubig oder nicht, Dialog anzubieten, auch Rat, jedenfalls ihn auf seinem oft schweren Weg nicht alleinzulassen.
"Das ist ganz grundlegend, dann aber auch durchaus im Sinne von Segenshandlungen, liturgischen Handlungen, Gottesdiensten, die einfach Menschen, die mit dem Glauben etwas anfangen können, unheimlich stärken können, Kraft geben und sie trösten können, also durchaus auch mit spezifisch religiösen Elementen, die wir ja haben. Ich habe es selbst erlebt, dass vorformulierte uralte Gebete hier eine große Kraft und Ausdrucksmöglichkeit entfalten, gerade für Schmerz und Leid, wo einem selbst oft die Worte fehlen."
In ihrer Aufarbeitung von Geschichte und Gegenwart haben die Theologen einen denkwürdigen Rangwechsel bemerkt in dem, was Menschen am meisten ängstigt. In der Vergangenheit war das die Todesstunde, wo der Mensch vor Gott tritt und gerichtet wird, zu ewigem Leben oder zu ewiger Verdammnis.
"Wenn man heute in der Sixtinischen Kapelle vor dem Endgericht steht, dann habe zumindest ich den Eindruck: Das Problem haben die Leute nicht mehr - zugespitzt formuliert - Tod ist keine Bedrohung. Was heute in der Tat Menschen tief bewegt, ist Verfall, Fragilität, abnehmende Möglichkeiten. Die Menschen würden gern spät, aber sehr jung sterben. Verfall, Zerstörung - das ist etwas, wo heutige Kulturen viel mehr mit kämpfen, als direkt mit dem Tod. Und für diese Lebensphase - um es salopp zusagen - zwischen Mallorca und Hospiz, für diese Lebensphase lässt sich manches auch im interdisziplinären Gespräch mit Biologie, auch mit anderen Sozialwissenschaften noch erforschen."