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Zwischen Steinzeitkeule und Mutterkreuz

Hatten Bevölkerungswissenschaftler bis vor kurzem noch vor einer Überbevölkerung der Welt gewarnt, beherrscht nun ein anderes Thema Wissenschaft und Medien: Die Geburtenrate schrumpft in vielen Ländern der westlichen Welt, die Bevölkerung überaltert, die Deutschen, die Italiener, die Spanier sterben aus.

Von Inge Breuer |
    Und nachdem in den 90er Jahren die Vielfalt von Lebensstilen der freien Gesellschaften gefeiert worden waren, werden nun vermehrt Forderungen nach einem "Zurück zur Natur" laut, nach einer Rückbesinnung auf die vermeintlich natürlichen Rollen von Mann und Frau.

    Die Emanzipation der Frauen komme einer "Sabotage" unseres Schicksals gleich und deshalb sollten diese sich wieder auf ihre natürlichen Aufgabe besinnen: Kinder statt Karriere. Letzteres sei dagegen eine eher männliche Domäne.

    "Frauen arbeiten heute nicht mehr für Liebe, sondern für Geld. Je erfolgreicher die Wirtschaft und je gebildeter die Frauen, desto unfruchtbarer ist eine Nation. Den Preis für die Emanzipation der Frauen zahlen die Kinder!"

    schreibt Norbert Bolz, Medienwissenschaftler in Berlin.

    "Liebe begünstigt Geburten. Arbeit vereitelt sie. Arbeit ist vor allem Arbeit des Gehirns. Der Grad der Ausbildung einer Frau ist mittlerweile eine feste Größe für Kinderlosigkeit und die Verschiebung stabiler Partnerschaften",

    meint Frank Schirrmacher, Buchautor und Mitherausgeber der FAZ.

    "Wir (Frauen) sehnen uns verzweifelt nach Geborgenheit, Heim und Familie und kämpfen täglich unser einsames Gefecht in der männlich geprägten Arbeitswelt",

    klagt Eva Herman, TV-Moderatorin.

    Dr. Paula Villa, Assistentin am Fachbereich Gender-Studies der Universität Hannover:

    " Ich kämpfe schon wie viele Menschen in ihrem Beruf, aber ich würde das jetzt nicht zu einem Kampf reduzieren noch hochstilisieren. Ich sehne mich nicht in dieser pathetischen Weise nach Familie etc.. Ich sehne mich nach einem weiteren Kind und das verwirkliche ich auch. "

    Villa erwartet ihr zweites Kind und reichte gerade ihre Habilitation ein.

    Ein Gespenst geht um in vielen Ländern der westlichen Welt. Alt, gebückt und grau bettelt es vor überfüllten Pflegeheimen um Aufnahme. Eine letzte Zuflucht! Denn die Deutschen, die Italiener, die Spanier haben keine Nachfahren, die sich um sie kümmern könnten! Keine Jungen, die die Alten versorgen! Statt dessen ist das Land, das einmal ihres war, mittlerweile bevölkert von Menschen anderer Ethnien. Von den Hungernden Afrikas etwa. Von Familien muslimischer Herkunft. - Und manchmal hört man auch Wölfe heulen. Da wo die Natur verlassene Städte wieder in Besitz nimmt.

    Einst lautete die deutsche Klage: Volk ohne Raum. Das hat sich gründlich geändert. In diesen Tagen klagt man umgekehrt: Raum ohne Volk. Die Deutschen haben Angst vorm Aussterben. Sie kriegen zu wenig Kinder. Bevölkerungswissenschaftler wie die Bielefelder Demographieprofessoren Herwig Birg oder Franz Xaver Kaufmann warnen schon lange vor dem Bevölkerungsschwund. Mittlerweile ist die Warnung angekommen: bei Politikern, Sozialwissenschaftlern und in den Medien. Deutschland: das Land der Schrumpfgermanen! Paula Villa ist anderer Meinung:

    Villa:
    " Also, die Deutschen sterben nicht aus, das ist wirklich bevölkerungspolitisch Quatsch. Keine bevölkerungspolitische Prognose kann das so weit extrapolieren, man kann das nämlich einfach daran sehen, dass vor 150 Jahren, also 1860 die durchschnittliche Lebenserwartung bei 34-37 Jahren lag. Hätte man damals Jahre in die Zukunft gerechnet, wir wissen, wie sehr sich das verändert. "

    Hatten wir nicht gerade noch gelernt, Überbevölkerung sei die Bedrohung der Menschheit? Noch vor gut 10 Jahren forderte eine UN-Konferenz zur Bevölkerungspolitik die "Eigenverantwortung der Frau ... ihre Fruchtbarkeit selbst zu kontrollieren", denn dies sei ein "wesentlicher Eckpfeiler " für jedes Bevölkerungsprogramm. Kurz: Geburtenkontrolle schien der einzige Weg, die aus allen Nähten platzende Welt vor Hunger und Elend zu bewahren.

    Die neue Erkenntnis aber heißt: unser wahres Problem ist der Kindermangel! Feministische Positionen geraten damit in die Defensive. Errungenschaften moderner Gesellschaften werden kritisch befragt. Errungenschaften, von denen wir doch dachten, sie hätten sich endgültig durchgesetzt. Die Rettungsanker heute heißt dagegen: Rückkehr des Patriarchats. Zwar war es fast in Vergessenheit geraten. Nie war es vermisst worden. Doch jetzt ist es wieder da! "Machs noch einmal, Macho" titelte die Süddeutsche Zeitung deshalb auch im Frühjahr 2006.

    Die Sozialwissenschaften haben ein neues Thema entdeckt. In den 90er Jahren feierten Soziologen den Pluralismus von Lebensstilen in unserer individualisierten Gesellschaft. Nun werden wir belehrt, dass die Biologie die Grundlage aller Freiheit sei. Und ein Lebensstil, der das nicht beherzigt, ist zum Untergang bestimmt. Denn: es ist "30 Jahre nach Zwölf", so der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg, weil die Eltern, die heute Kinder zur Welt bringen müssten, nie geboren wurden. Anders gesagt: um Freiheit, Lust und individuelle Selbstverwirklichung darf es im Leben nicht gehen. Jeder hat vielmehr eine bevölkerungspolitische Pflicht: "Seid fruchtbar und vermehret euch!" Frauen sollen wieder Kinder kriegen und Männer sollen sie dabei unterstützen. Der amerikanische Sozialwissenschaftler Stanley Kurtz etwa meint, wir bräuchten entweder eine Art radikales "eugenisches Regime": ein Kinderzuchtprogramm. Oder: eine Wiederherstellung traditioneller Werte und Rollen.

    Villa:
    " Es sollen ja immer Frauen Kinder kriegen, kein Mensch fragt, warum kriegen / wollen Männer keine Kinder.. Wenn es um Geschlechter geht, sind wir aus sozialwissenschaftlicher Perspektive daran gewöhnt, dass man mit Natur argumentiert, also nicht sagt, weil das ne Meinung ist, sondern argumentiert wird mit einer vermeintlichen Natur, einer vermeintlichen Biologie, das zieht sich wirklich durch die Geschichte und das haben wir jetzt auch, und das spricht viele Leute an. "

    "The empty cradle", "die leere Wiege" heißt ein vielbeachtetes Buch des amerikanischen Soziologen Philip Longman, das im Frühjahr erschien. Zentrale These:

    "Das ausgedehnte kinderlose Segment der heutigen Gesellschaft, dessen Mitglieder überproportional aus der feministischen Bewegung und der Gegenkultur der 60er und 70er Jahre stammen, wird kein genetisches Erbe hinterlassen."

    Die hedonistische Lebensform des Westens erledige sich sozusagen von selbst, weil sie keinen Nachwuchs habe. Sie verliere daher zunehmend an Einfluss, während traditionelle, kinderfreundliche Lebensformen und Gesellschaften an Einfluss gewännen. Schon jetzt bekommen z.B. in den USA die bibeltreuen Christen mehr Kinder als die liberalen, permissiven Bevölkerungsschichten. Deshalb, behauptet Longman, stehe "die Wiederkehr des Patriarchats", bevor. Denn dies sei die Lebensform, die sich perfekt eigne, die Gesellschaft des zusammenbrechenden Sozialstaates zu überleben. Ob aber eine solche patriarchale Generation ihre eigenen altmodischen Werte auf ihre Kinder übertragen würde, fragt Longman sich nicht. Schließlich lehnten sich auch die aufmüpfigen 68er gegen ihre "spießigen" Eltern auf. Während man den Kindern der 68er wiederum eher traditionelle Orientierungen nachsagt.

    Immerhin fordert Longman kein Ende der Emanzipation. Um eine, so wörtlich, "Talibanisierung" der Gesellschaft zu verhindern, einen Weg zurück in eine düstere, vormoderne Welt, müssten zukünftig finanzielle und soziale Möglichkeiten für Männer und Frauen geschaffen werden, so viele Kinder zu bekommen, wie sie möchten. Andere Gesellschaftsdiagnostiker lassen hingegen solche fortschrittlichen Ideen kaum noch zu. Sie fordern geradewegs ein Zurück zur Natur, zur natürlichen Ordnung.

    Und so werden Sozial- und Medienwissenschaftler oder auch jene, die sich gut vermarkten wollen, zu Spezialisten der Evolution. Zurück in die Steinzeit, ist die Devise. Da, wo Frauen noch die Höhlen fegten, während ihre Männer Mammuts jagten, liegt unser biologisches Erbe. Zum Beispiel bei Eva Herman, die sich mit ihrem "Eva-Prinzip" in die Bestenlisten schrieb. Die Fernsehmoderatorin, deren heutiger Lebenstraum fünf Kinder und ein treusorgender Mann wäre, führt noch das "Herumschleppen von Handtaschen" auf unser evolutionäres Erbe zurück. Denn Eva sammelt gern und muss stets die Möglichkeit haben, ihre Ernte zu verstauen. Während Männer die Hände freihalten, weil sie unbewusst verteidigungsbereit sein wollen. Frank Schirrmacher wiederum versäumt in seinem Buch "Minimum" nicht, "evolutionäre Hypothesen zum Verschwinden der Kinder" vorzustellen. Denn nach den Gesetzen der Evolution sei es ja "ganz und gar widersinnig", sich "freiwillig dazu zu entschließen, immer weniger Nachwuchs zu produzieren". Und der populäre Medienwissenschaftler Norbert Bolz bedauert in seinem jüngsten Buch "Die Helden der Familie" die Vertreibung des Mannes aus den "ewigen Jagdgründen". Der Mann ist nun der "Jäger, den man nicht mehr braucht". Der geplagte Mann, dessen Männlichkeit von perfiden Feministinnen "dekonstruiert" worden ist, findet seine Heimstatt nur noch im Boxen z.B. oder bei der Formel 1. Denn, so Bolz,

    "Rennstrecken sind die Naturschutzparks des Männlichen."


    " Die waren immer dabei, die waren ja alle immer schon in der Steinzeit dabei, in der Höhle, bei den Jägern, die wissen ja auch Bescheid, die wissen auch immer wie's früher war, und dieses früher ist immer schön unspezifisch. Aber die wissen, dass es immer so gewesen ist, wie's heute sein sollte. ... Kein Mensch war dabei und da sollte man sich sehr zurückhalten, "

    meint dagegen Paula Villa. Die Sozialwissenschaftlerin betreibt "Gender Studies" an der Universität Hannover. "Gender Studies" beschäftigen sich damit, wie Geschlechterrollen eben nicht biologisch, sondern durch Kultur und Gesellschaft geprägt werden. Für Norbert Bolz sind "Gender Studies" deshalb geradezu eine "Kampfansage gegen die Evolutionsbiologie". Denn diese hat klare Frauenrollen vorgesehen. Das "Ewig Weibliche", sozusagen. Das "heilige Familiengefühl" der traditionellen Mutter. Weben, Flechten, Töpfern! Frischgebackenen Apfelkuchen unter blühenden Fliederbüschen servieren! Die Frau sei das Geschlecht der Zukunft, meint Frank Schirrmacher, weil sie das Erbe der Evolution treuer verwaltet als die Männer. Die neue alte Rolle also: selbstlos und fürsorglich. Das sei schließlich weibliche Natur, so Schirrmacher:

    "Alles, was einer schrumpfenden Gesellschaft fehlen wird - soziale Kompetenz, Einfühlung, Altruismus, Kooperation -, vereinen Frauen auf sich; da sind sich Evolutionspsychologie, Hirnforschung, Anthropologie und Psychologie einig."

    Vielleicht ist das "Ewig-Weibliche" aber auch: langweilige Hausarbeit! Waschen! Bügeln. Verkackte Windeln entsorgen. Unfreiheit. Finanzielle Abhängigkeit. Am Ende gar: Steinigung bei Seitensprung! Villa:

    " Also über das Weibliche lässt sich gar nichts sagen, außer wie vielfältig das schillert im Lauf der Geschichte. Das Weibliche, das ist so, das sagt nichts, das ist eine inflationäre Floskel, die immer sehr beliebt ist. Zum kulturellen Geschlecht kann man sich angucken, was heißt Mütterlichkeit, was gibt es da für Bilder, für Institutionen, man kann sich Frauenbilder in Medien anschauen, das kann man empirisch analysieren. "

    Doch weg mit "Gender", dem kulturellen Geschlecht. Und hin zum biologischen Geschlecht. Zum "Sex" -in des Wortes durchaus doppelter Bedeutung. Denn Sex allein vermag den demographischen Supergau zu verhindern. Fragt sich nur, warum die Frauen, die evolutionär auf Fruchtbarkeit und Familie programmiert sind, plötzlich so gebärunwillig sind? DNA-Mutationen, Gen-Defekte? Der Spiegel-Redakteur und Autor Matthias Mattusek versuchte kürzlich in einer Diskussion eine Antwort. Er sagte:

    "Ich glaube, es ist kein Zeichen von Intelligenz, wenn Frauen auf Kinder verzichten. Vielleicht ist es so, dass eine Frau, die eine technische oder eine Karrierenintelligenz herausbildet, darauf verzichtet - ich glaube aber, sie betrügt sich selbst."

    Die arbeitende, karriereorientierte Frau ist also das Problem! In der so genannten "neuen Unterschicht" werden ja nach wie vor genug Kinder geboren. Doch niemand erhofft sich Rettung von denen. Nein, die Akademikerin muss wieder die Kinder bekommen, denn der gebildete Mittelstand strampelt um Selbsterhalt.

    "Karrierefrauen tendieren zur genetischen Impotenz. Denn je höher sie auf der Karriereleiter steigen, umso unwahrscheinlicher wird es, dass sie heiraten und Kinder bekommen",

    weiß der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz. Der Zusammenhang zwischen Berufstätigkeit der Frau und Kinderlosigkeit in der Gesellschaft scheint evident. Villa:

    " Von den Zahlen her stimmt das nicht. Wenn man sich das genau anguckt, kann man deutliche Korrelationen, z.B. hat Frankreich die zweithöchste Geburtenrate in der europäischen Union und hat zugleich eine der höchsten Frauenerwerbsquoten, Schweden hat eine deutlich höhere Geburtenrate und auch dort ist die Frauenerwerbsquote und Müttererwerbsquote deutlich höher als in der BRD. Man kann das nicht so leicht korrelieren, in den USA ist die Erwerbsquote von Frauen statistisch höher und die Geburtsrate westlich höher. "

    Trotzdem: Schluss mit der Emanzipation. Mit dem Kampf gegen unsere biologische Realität, also gegen unser Schicksal, so noch mal Norbert Bolz. Die Erfindung der Pille, das "wichtigste Stück Anti-Natur in der Geschichte des Eros" führe zu einem Mangel an Kindern. Die Berufstätigkeit der Frau zerstöre die Erotik, wenn gestresste Dinkies zum Sex zu müde sind. Und noch dazu steige da, wo Frauen ökonomisch unabhängig sind, die Scheidungsrate. Die Freiheit der Frau, Mutterschaft, Beruf oder beides zu wählen, komme einer "Sabotage des Schicksals" gleich. Villa:

    " Ich sehe darin kein Problem. Ich finde nicht, dass wir uns irgendeine Alternative wünschen sollten zu genau dieser Möglichkeit, wir können uns als Frau, als Paar aussuchen, ob wir ein Kind bekommen oder nicht, alles andere wäre ja ziemlich tragisch. Und die Geschichte ist voller Tragik in Bezug auf das nicht Selber-Verfügen-Können der Reproduktion. "

    Doch welche Rezepte von den neuen Vertretern der alten Rollen auch angeboten werden, eines ist vielleicht beruhigend zu wissen: Jeder Vorschlag, der eine versteckte oder offene Einschränkung der Gleichberechtigung von Frauen enthält, ist unter den Bedingungen einer modernen Gesellschaft zum Scheitern verurteilt. Weder können moderne Gesellschaften wie wohl auch die meisten Familien auf die Arbeitskraft von Frauen verzichten. Noch spielen Frauen länger mit bei dem Versuch, sich in die Höhle zurück treiben zu lassen. Sie entscheiden selbst über ihre Karriere, über ihre Kinder - und ihren Mann. Und da werden Bolz & Co vielleicht zum Auslaufmodell.