Zum Regieren brauche ich nur "BILD", "BamS" und Glotze.
Dieser nicht gerade intellektuell anmutende Satz wird Ex - Bundeskanzler Gerhard Schröder zugeschrieben. Ob Wahrheit oder Unterstellung, fest steht, Gerhard Schröder war ein Medienkanzler. Er verstand es, das Interesse der Journalisten auf sich zu ziehen.
"Das Parlament war ja mal der klassische Ort der Öffentlichkeit, der Begriff leitet sich von "parlare", sprechen, ab, wo eben über die großen politischen Fragen gesprochen wurde. Das ist es noch heute. Auf der anderen Seite mit den modernen Massenmedien, vorab dem Fernsehen, ist die Rolle des Parlaments klar relativiert worden. Politiker drängen heut viel mehr in die Talkshows oder die aktuellen Nachrichtensendungen als in das Parlament, um beispielsweise politische Erklärungen abzugeben."
Hans Kleinsteuber ist Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg. Er beschäftigt sich vor allem mit Medien und Kommunikation.
"Die Politiker haben selbst erfahren, dass es viel wichtiger ist, mit ihren Argumenten direkt in die Medien zu gehen und dann tun sie das auch. Und die Politiker selbst sind ja die, die das Parlament links liegen lassen."
Medien schaffen den wichtigsten Kontakt zwischen Politik und Bürgern und sie genießen hohe Glaubwürdigkeit. Aber die Massenmedien seien auch eine Bedrohung für die klassische repräsentative Demokratie, befindet Hans Kleinsteuber.
"Also die Politiker orientieren sich nicht an der Logik des Parlaments, sondern an der Logik der Medien und das ist ein Prozess, den wir sorgsam beobachten müssen. Nur wir können das Fernsehen nicht abschaffen und wir können auch nicht die Boulevardpresse abschaffen."
Miese Stimmung - die Talkshow-Politiker sind mitschuldig.
So klagte 2005 der inzwischen verstorbene CDU Politiker Rainer Barzel an.
Wir mahnen die zentrale Rolle des Parlaments an und sind dafür, dass die parlamentarische Demokratie, an der wir mitgewirkt haben, nicht kaputtgeht zugunsten einer Fernsehdemokratie.
Inwieweit die Massenmedien tatsächlich miese Stimmung erzeugen und die Meinungsbildung der Wähler beeinflussen, ist unklar, sagt der Medienforscher Hans Kleinsteuber.
"Die Wirkung besteht bestenfalls darin, dass wir nun wissen, welcher Politiker welche Positionen vertritt. Aber dass das Einstellungsveränderungen auslöst, das wäre eine sehr gewagte These. Wird auch kaum jemand behaupten."
Man müsse zudem bedenken, dass die Zuschauer politischer Talksendungen nicht unpolitisch seien. Sie hätten durchaus fundierte politische Meinungen.
"Und die freuen sich, wenn sie einen Repräsentanten im Fernsehen finden, der sie bestätigt in ihren Vorstellungen oder der ihnen vielleicht für die nächste Diskussion am Stammtisch noch neue Argumente liefert. Hier davon auszugehen, dass ein mit scharfem Säbel präsentiertes Argument im Fernsehen seine Position ändert, die er seit Jahren entwickelt hat, ist völlig abwegig. Darum geht es auch nicht."
Es gehe den Talkgästen vor allem um ein Image der Vertrauenswürdigkeit nach außen. Und um Machtgewinn innerhalb der eigenen Reihen, sagt Hans Kleinsteuber. In diesem Zusammenhang fordert Hans Kleinsteuber von den Medien, eine hintergründigere Berichterstattung über politische Ereignisse. Weg von Schlagworten und weg von den immer gleichen Alpha-Politikern – hin zu der großen Bandbreite von Meinungen, die im politischen Geschehen vertreten sind.
"Die zweite Seite ist, wir brauchen in der Bevölkerung mehr Medienkompetenz. Das heißt, die Bürger müssen eben auch wissen, wie sie mit dem Angebot der Medien umgehen. Die Bürger müssen auch fordern, wenn sie das Gefühl haben, dass sie zu wenig informiert werden. Insofern ist das immer ein zweiseitiger Prozess. Es sind nicht nur die Medien, es sind auch die Bürger, die sich da zu Wort melden müssen."
Dem Internet misst der Medienfachmann nur begrenzte Einflussmöglichkeiten zu. Foren und Websites von Parteien seien für die Meinungsbildung eher unbedeutend. In der Zukunft immer interessanter würden Massenaktionen. Zum Beispiel das "e-petitioning", das Versenden von E-Mail-Petitionen Hunderttausender Bürger ans Parlament.
"Oder nehmen Sie ein anderes Beispiel. Obama in seinem Wahlkampf 2008 in den USA hat das Internet genutzt, um ganz viele kleine Spenden, Mikrospenden einzusammeln, die dann in der Summe eine Menge Geld gaben und sicherlich dabei mithalfen, dass er zum Präsidenten gewählt wurde."
Eine andere Auffassung von der Meinungsmacht des Internet hat der Kulturanthropologe Manfred Faßler. Er befasst sich an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main mit Medienkulturen und Medienevolution. Das Parlament funktioniert heute nicht mehr als Meinungsbildungssorgan, sagt er. Im Internet fänden die Menschen weitaus mehr Informationen. Es gebe neue Strukturen.
"Diese quasi institutionelle politische Ordnung ist über digitale Medien, Vernetzungsprozesse entstanden in denen politische Meinungen von Rechtsradikalismus bis zu anderen Varianten der politischen Präsentation bis hin zu eloquenten Diskussionsgruppen. Und die definieren die Demokratie neu. Sie definieren die Demokratie als eine Meinungsbildungsdemokratie neu. Und zwar als eine ständige Meinungsbildungsdemokratie. Nicht eine, die nach vier Jahren mal wieder abgefragt wird, sondern eine Meinungsbildungsdemokratie, die sofort geschehen kann."
Wir hätten gewissermaßen zwei Geschwindigkeiten von Demokratie, glaubt der Medienforscher. Eine informelle, die übers Internet laufe und eine formelle, die sich in den institutionellen politischen Ordnungen, zwischen Landesparlamenten und Bundesparlament bewege.
"Ich denke schon, dass der größte Teil der Meinungsbildung mit den politisch parteilichen Erklärungen nichts mehr zu tun hat. Das heißt die meisten Menschen informieren sich, wenn sie sich informieren wollen nicht mehr über Broschüren, die von Parteien zur Verfügung gestellt werden, sondern sie informieren sich über Medien. Dafür sind Medien da. Interessant ist, dass es eben nicht nur als Druckmedium oder als Sendemedium funktioniert, sondern auch als Hol-Medium. Ich gehe ins Netz und hole mir Informationen."
Die Polit-Talks des Fernsehens, kritisiert Manfred Faßler, würden sich nicht daran orientieren, dass die Bevölkerung heutzutage ein weitaus höheres Bildungsniveau aufweise als vor 50 Jahren. Eine Beteiligung dieser hoch qualifizierten Bürgerinnen und Bürger könne praktizierte Demokratie bedeuten.
"Also nicht nur die Talkshow im Sinne des nebenbei noch eingebrachten Netzkommentars, dass jemand noch sagt, also wir haben jetzt folgende Mail usw. bekommen. Sondern dass man sich darüber auch Gedanken macht, wie diese millionenfachen Außenbeziehungen, die über Netz usw. laufen, wie die präsenter auch in solche Talkshows eingebaut werden, dass sie tatsächlich verstanden werden als Kommentare von Menschen, die sehr gebildet sind."
Ein Versuch mehr Demokratie zu wagen, findet seit 1976 in mehreren Bundesstaaten der USA statt. "Sunset legislation" bezeichnet zeitlich begrenzte Rechte, die unter Bürgern immer neu debattiert werden können.
"Das sind Gesetze, die ne Verfallszeit haben. Fünf Jahre oder vier Jahre oder drei Jahre, sodass dann mit anderen Gruppierungen, mit anderen Meinungen usw. die Gesetzeslage noch mal diskutiert wird. Also sozusagen eine vorparlamentarische oder nichtparlamentarische Meinungsbildung, die ernst genommen wird."
Der scheidende SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck zeigte unlängst in einem Interview mit der Wochenzeitschrift DIE ZEIT seine Abneigung gegen Polit-Talkshows.
"Die tun so, als bringen sie den Bürgern Politik näher, aber in Wahrheit verderben sie unser Geschäft und machen es uns schwerer, weil alles so plakativ und oberflächlich ist."
Christoph Möllers, Staatsrechtler an der Universität Göttingen, glaubt nicht, dass es durch die Medien einen Verfall der parlamentarischen Debatte gibt
"Die Sachen ändern sich. Sie werden nicht schlechter. Aber dass wir in Deutschland im Moment schon wenig Interesse haben an dem, was im Parlament passiert, dass wir Politiker sehr stark in anderen Formaten kennenlernen, in Talk Shows. Viele Leute sehen solche Shows, weil das zunächst ihr primärer Zugang ist zur politischen Kommunikation. Und die Formate sind vielleicht auch nicht unproblematisch. Weil sie zu ritualisierten Auseinandersetzungen führen, die man schwer ernst nehmen kann. Und die, weil sie nicht ernst genommen werden dann dazu führt, dass demokratische Politik als solche vielleicht nicht mehr ernst genommen wird."
Fernsehtalks seien alles andere als repräsentativ für einen demokratischen Diskurs, sagt Christoph Möllers. Niemand, der diese Sendungen verfolge könne erfahren, wie es in der Politik wirklich sei. Dass Argumente eine Rolle spielen würden. Und dass es tatsächlich möglich sei, über Diskussionen auch Probleme zu lösen. Die Zuschauer würden unterschätzt. Und die Dummheit mancher Formate würde in der öffentlichen Meinung auf die Politik zurückwirken.
"Die dann auch für dumm gehalten wird. Also ich finde man könnte schon andere Form von Diskussion anhören, wo man mal mit einer Person länger redet, die mal Argumente entfalten kann, wo man mal wirklich nur zwei Leute konfrontiert, wo man mal diese Hektik rausnimmt, dieses sich unterbrechen und auch mal jemanden zu Ende reden, zu Ende denken lässt. Also so eine gewisse Form von Gemächlichkeit da wieder reinbringt. Ich glaube nicht, dass das von vornherein zur Erfolglosigkeit verdammt ist."
Die Aufgabe des öffentlich rechtlichen Fernsehens sollte darin bestehen, demokratische Prozesse besser zu erklären, eine demokratische Ordnung als Anforderung an jeden Einzelnen darzustellen. Als etwas, was jeden angeht und was immer wieder verteidigt werden muss.
"Was mich etwas stört, ist, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen gerade die Rolle, die sie selbst beanspruchen, nämlich so ein zentrales Medien einer gehobenen öffentlichen Meinungsbildung zu sein in der Form sicherlich nicht wahrnimmt. Das gilt sicherlich noch fürs Radio aber es gilt sicherlich nicht mehr fürs Fernsehen. Sondern da muss man immer beides sein. Erfolgreich einerseits und andrerseits eben anspruchsvoll. Und die Mischung klappt nicht. Und da sehe ich schon auch ein Problem, weil da eigentlich ein politischer Prozess mit Beteiligten, die alle gar nicht so schlecht sind, weit unter seinen Möglichkeiten bleibt in dem, wie er sich selbst verkauft."
Ob die Konkurrenz in der Medienlandschaft es zukünftig erlauben wird, dass das öffentlich rechtliche Fernsehen seine Rolle als Medium der gehobenen Meinungsbildung besser ausfüllt und anspruchsvollere Formate entwickelt, bleibt abzuwarten. Die vielfältigen Informationsmöglichkeiten des Internets sind jedenfalls noch längst nicht ausgeschöpft.
Die Komikerin und Moderatorin Anke Engelke beschwerte sich unlängst in einem Spiegel-Interview:
Bei den meisten Politikerauftritten spüre ich doch, dass die nicht gekommen sind, um mir etwas klarer zu machen. Sie dreschen einfach ihre Meinung durch und ich bin hinterher nicht klüger als vorher. Die wollen mich gar nicht erreichen. Dabei sollten Politiker eigentlich Menschen sein, die für etwas brennen.
Den Schriftsteller, Publizisten und Moderator Roger Willemsen verwundert das nicht. Im Grunde blättere eine Talkshow einen Katalog von nummerierten Argumenten auf und kombiniere althergebrachte Standpunkte miteinander, sagt er.
"Es kommt dazu, dass das Ganze vorgetragen wird mit einer Form von emotionaler Überwärmung, die uns andeuten soll, es sei der Ernstfall. Es sei höchst wichtig und der Politiker sei unglaublich beteiligt. Im Grunde genommen sitzt der Politiker in der Regel innerlich zurückgelehnt, ist relativ kalt dem gegenüber, was er vertritt und muss Emotionalität nur als Verabreichungsform anbieten."
Roger Willemsen hat selber jahrelang mit Politikern getalkt. Seine Erfahrung wirkt ernüchternd.
"Der Politiker von heute hat sich daran gewöhnt, dass selten die politische Information wichtig ist. Es ist wichtig, ob er sympathisch wirkt. Deshalb ist für den Politiker unserer Zeit der Auftritt in einer Talk Show, weil er Psychologie zeigen darf, weil er sich als reizender Vater und Ehemann zeigen darf. Interessanter als die politische Tribüne. Auf der politischen Tribüne wird geleitartikelt. Da werden die Gedanken und Konzepte auf langweiligste Weise ausgebreitet und daran kann man sich im Grunde kaum mehr politisch orientieren."
Was der wortgewaltige Kulturschaffende besonders kritisiert ist die mangelnde Vielfalt der Eingeladenen in den Polit-Talkshows.
"Als gäbe es so ein schmales Meinungsspektrum wie es sich in den Fragen abbildet und wie es sich in den Charakteren abbildet."
Beispiel der FDP-Parteivorsitzende Guido Westerwelle. Schon im Jahr 2000 war er derjenige, der am häufigsten in Talkshows zu Gast war. Jetzt wurde die FDP die große Siegerin bei den Europawahlen. Und das, so Roger Willemsen, obwohl die neoliberale Wirtschaftspolitik der FDP in die Wirtschaftskrise geführt habe.
"Es geht zunächst mal um Präsenz. Guido Westerwelle wird ja nicht für seine Ideen, wenn er denn welche hat, befragt und gewählt. Sondern er wird für seine Ausstrahlung und für seine Omnipräsenz belohnt. Im Grunde weiß doch keiner, was Guido Westerwelle will."
Die Glaubwürdigkeit der Politiker war noch nie so gering wie heute. Das liegt nicht zuletzt an einer Gesellschaft, die in die Glotze guckt.
So formulierte es Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Und weiter:
Die Politiker reden nur oberflächliches Zeug in Talkshows, weil sie meinen, es sei die Hauptsache, man präge sich ihr Gesicht ein.
Roger Willemsen stimmt dem zu. Das Schlimme sei: die Wähler würden tatsächlich in diese Falle laufen.
"Wenn ich ein Plakat mit Silvana Koch-Mehrin sehe und auf diesem Plakat steht: für Deutschland in Europa, dann sage ich, was wäre eigentlich, wenn jemand titeln würde: für München in Bayern. Da würde man sagen, das ist gaga, das ist Dadaismus. Deutschland liegt nun mal in Europa. Trotzdem ist sie die große Gewinnerin der Europawahl gewesen. Also man möchte wirklich fatalistisch werden angesichts der Gründe aus denen Personen gewählt werden und der Argumente, auf denen sie sitzen."
Insgesamt, sagt der Publizist, habe sich politische Meinungsbildung heute aus der Arbeit des Parlaments, aus den Talkshows und den Leitartikeln der Zeitungen zurückgezogen. Die Deutschen wählten sorgfältiger ihr Waschmittel aus als die Partei, die sie in den nächsten Jahren regieren soll.
"Zugleich kann man jedem Wähler, jeder Wählerin empfehlen, geht ins Internet, nehmt den Wahl-o-maten, da werden Euch bestimmte Positionen angeboten, da kann man ankreuzen, welche Position man für richtig hält. Und dann kriegt man danach gesagt, welche Partei die meiste Übereinstimmung mit den Positionen hat, die man angekreuzt hat. Das ist erstaunlich. Denn da stellen viele Leute fest, dass sie eigentlich längst die Linkspartei wählen müssten, was sie aber nicht tun, weil die ihnen irgendwie unheimlich ist. Und da sind wir wieder bei den Argumenten, die nichts mit dem Politischen zu tun haben."
Für den Frankfurter Kulturanthropologen Manfred Faßler stellt sich die Frage anders. Eine kompetente Gesellschaft muss eine neue Organisationsform finden, sich politisch einbringen zu können.
"Wie sieht die Politik für eine Wissensgesellschaft aus? Wie sind die Menschen mit einbezogen, die wissen? Die hoch qualifiziert sind. Das ist für mich eine Riesenfrage. Die kann ich nicht mehr im klassischen Muster von Parteienparlamenten definieren."
Dieser nicht gerade intellektuell anmutende Satz wird Ex - Bundeskanzler Gerhard Schröder zugeschrieben. Ob Wahrheit oder Unterstellung, fest steht, Gerhard Schröder war ein Medienkanzler. Er verstand es, das Interesse der Journalisten auf sich zu ziehen.
"Das Parlament war ja mal der klassische Ort der Öffentlichkeit, der Begriff leitet sich von "parlare", sprechen, ab, wo eben über die großen politischen Fragen gesprochen wurde. Das ist es noch heute. Auf der anderen Seite mit den modernen Massenmedien, vorab dem Fernsehen, ist die Rolle des Parlaments klar relativiert worden. Politiker drängen heut viel mehr in die Talkshows oder die aktuellen Nachrichtensendungen als in das Parlament, um beispielsweise politische Erklärungen abzugeben."
Hans Kleinsteuber ist Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg. Er beschäftigt sich vor allem mit Medien und Kommunikation.
"Die Politiker haben selbst erfahren, dass es viel wichtiger ist, mit ihren Argumenten direkt in die Medien zu gehen und dann tun sie das auch. Und die Politiker selbst sind ja die, die das Parlament links liegen lassen."
Medien schaffen den wichtigsten Kontakt zwischen Politik und Bürgern und sie genießen hohe Glaubwürdigkeit. Aber die Massenmedien seien auch eine Bedrohung für die klassische repräsentative Demokratie, befindet Hans Kleinsteuber.
"Also die Politiker orientieren sich nicht an der Logik des Parlaments, sondern an der Logik der Medien und das ist ein Prozess, den wir sorgsam beobachten müssen. Nur wir können das Fernsehen nicht abschaffen und wir können auch nicht die Boulevardpresse abschaffen."
Miese Stimmung - die Talkshow-Politiker sind mitschuldig.
So klagte 2005 der inzwischen verstorbene CDU Politiker Rainer Barzel an.
Wir mahnen die zentrale Rolle des Parlaments an und sind dafür, dass die parlamentarische Demokratie, an der wir mitgewirkt haben, nicht kaputtgeht zugunsten einer Fernsehdemokratie.
Inwieweit die Massenmedien tatsächlich miese Stimmung erzeugen und die Meinungsbildung der Wähler beeinflussen, ist unklar, sagt der Medienforscher Hans Kleinsteuber.
"Die Wirkung besteht bestenfalls darin, dass wir nun wissen, welcher Politiker welche Positionen vertritt. Aber dass das Einstellungsveränderungen auslöst, das wäre eine sehr gewagte These. Wird auch kaum jemand behaupten."
Man müsse zudem bedenken, dass die Zuschauer politischer Talksendungen nicht unpolitisch seien. Sie hätten durchaus fundierte politische Meinungen.
"Und die freuen sich, wenn sie einen Repräsentanten im Fernsehen finden, der sie bestätigt in ihren Vorstellungen oder der ihnen vielleicht für die nächste Diskussion am Stammtisch noch neue Argumente liefert. Hier davon auszugehen, dass ein mit scharfem Säbel präsentiertes Argument im Fernsehen seine Position ändert, die er seit Jahren entwickelt hat, ist völlig abwegig. Darum geht es auch nicht."
Es gehe den Talkgästen vor allem um ein Image der Vertrauenswürdigkeit nach außen. Und um Machtgewinn innerhalb der eigenen Reihen, sagt Hans Kleinsteuber. In diesem Zusammenhang fordert Hans Kleinsteuber von den Medien, eine hintergründigere Berichterstattung über politische Ereignisse. Weg von Schlagworten und weg von den immer gleichen Alpha-Politikern – hin zu der großen Bandbreite von Meinungen, die im politischen Geschehen vertreten sind.
"Die zweite Seite ist, wir brauchen in der Bevölkerung mehr Medienkompetenz. Das heißt, die Bürger müssen eben auch wissen, wie sie mit dem Angebot der Medien umgehen. Die Bürger müssen auch fordern, wenn sie das Gefühl haben, dass sie zu wenig informiert werden. Insofern ist das immer ein zweiseitiger Prozess. Es sind nicht nur die Medien, es sind auch die Bürger, die sich da zu Wort melden müssen."
Dem Internet misst der Medienfachmann nur begrenzte Einflussmöglichkeiten zu. Foren und Websites von Parteien seien für die Meinungsbildung eher unbedeutend. In der Zukunft immer interessanter würden Massenaktionen. Zum Beispiel das "e-petitioning", das Versenden von E-Mail-Petitionen Hunderttausender Bürger ans Parlament.
"Oder nehmen Sie ein anderes Beispiel. Obama in seinem Wahlkampf 2008 in den USA hat das Internet genutzt, um ganz viele kleine Spenden, Mikrospenden einzusammeln, die dann in der Summe eine Menge Geld gaben und sicherlich dabei mithalfen, dass er zum Präsidenten gewählt wurde."
Eine andere Auffassung von der Meinungsmacht des Internet hat der Kulturanthropologe Manfred Faßler. Er befasst sich an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main mit Medienkulturen und Medienevolution. Das Parlament funktioniert heute nicht mehr als Meinungsbildungssorgan, sagt er. Im Internet fänden die Menschen weitaus mehr Informationen. Es gebe neue Strukturen.
"Diese quasi institutionelle politische Ordnung ist über digitale Medien, Vernetzungsprozesse entstanden in denen politische Meinungen von Rechtsradikalismus bis zu anderen Varianten der politischen Präsentation bis hin zu eloquenten Diskussionsgruppen. Und die definieren die Demokratie neu. Sie definieren die Demokratie als eine Meinungsbildungsdemokratie neu. Und zwar als eine ständige Meinungsbildungsdemokratie. Nicht eine, die nach vier Jahren mal wieder abgefragt wird, sondern eine Meinungsbildungsdemokratie, die sofort geschehen kann."
Wir hätten gewissermaßen zwei Geschwindigkeiten von Demokratie, glaubt der Medienforscher. Eine informelle, die übers Internet laufe und eine formelle, die sich in den institutionellen politischen Ordnungen, zwischen Landesparlamenten und Bundesparlament bewege.
"Ich denke schon, dass der größte Teil der Meinungsbildung mit den politisch parteilichen Erklärungen nichts mehr zu tun hat. Das heißt die meisten Menschen informieren sich, wenn sie sich informieren wollen nicht mehr über Broschüren, die von Parteien zur Verfügung gestellt werden, sondern sie informieren sich über Medien. Dafür sind Medien da. Interessant ist, dass es eben nicht nur als Druckmedium oder als Sendemedium funktioniert, sondern auch als Hol-Medium. Ich gehe ins Netz und hole mir Informationen."
Die Polit-Talks des Fernsehens, kritisiert Manfred Faßler, würden sich nicht daran orientieren, dass die Bevölkerung heutzutage ein weitaus höheres Bildungsniveau aufweise als vor 50 Jahren. Eine Beteiligung dieser hoch qualifizierten Bürgerinnen und Bürger könne praktizierte Demokratie bedeuten.
"Also nicht nur die Talkshow im Sinne des nebenbei noch eingebrachten Netzkommentars, dass jemand noch sagt, also wir haben jetzt folgende Mail usw. bekommen. Sondern dass man sich darüber auch Gedanken macht, wie diese millionenfachen Außenbeziehungen, die über Netz usw. laufen, wie die präsenter auch in solche Talkshows eingebaut werden, dass sie tatsächlich verstanden werden als Kommentare von Menschen, die sehr gebildet sind."
Ein Versuch mehr Demokratie zu wagen, findet seit 1976 in mehreren Bundesstaaten der USA statt. "Sunset legislation" bezeichnet zeitlich begrenzte Rechte, die unter Bürgern immer neu debattiert werden können.
"Das sind Gesetze, die ne Verfallszeit haben. Fünf Jahre oder vier Jahre oder drei Jahre, sodass dann mit anderen Gruppierungen, mit anderen Meinungen usw. die Gesetzeslage noch mal diskutiert wird. Also sozusagen eine vorparlamentarische oder nichtparlamentarische Meinungsbildung, die ernst genommen wird."
Der scheidende SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck zeigte unlängst in einem Interview mit der Wochenzeitschrift DIE ZEIT seine Abneigung gegen Polit-Talkshows.
"Die tun so, als bringen sie den Bürgern Politik näher, aber in Wahrheit verderben sie unser Geschäft und machen es uns schwerer, weil alles so plakativ und oberflächlich ist."
Christoph Möllers, Staatsrechtler an der Universität Göttingen, glaubt nicht, dass es durch die Medien einen Verfall der parlamentarischen Debatte gibt
"Die Sachen ändern sich. Sie werden nicht schlechter. Aber dass wir in Deutschland im Moment schon wenig Interesse haben an dem, was im Parlament passiert, dass wir Politiker sehr stark in anderen Formaten kennenlernen, in Talk Shows. Viele Leute sehen solche Shows, weil das zunächst ihr primärer Zugang ist zur politischen Kommunikation. Und die Formate sind vielleicht auch nicht unproblematisch. Weil sie zu ritualisierten Auseinandersetzungen führen, die man schwer ernst nehmen kann. Und die, weil sie nicht ernst genommen werden dann dazu führt, dass demokratische Politik als solche vielleicht nicht mehr ernst genommen wird."
Fernsehtalks seien alles andere als repräsentativ für einen demokratischen Diskurs, sagt Christoph Möllers. Niemand, der diese Sendungen verfolge könne erfahren, wie es in der Politik wirklich sei. Dass Argumente eine Rolle spielen würden. Und dass es tatsächlich möglich sei, über Diskussionen auch Probleme zu lösen. Die Zuschauer würden unterschätzt. Und die Dummheit mancher Formate würde in der öffentlichen Meinung auf die Politik zurückwirken.
"Die dann auch für dumm gehalten wird. Also ich finde man könnte schon andere Form von Diskussion anhören, wo man mal mit einer Person länger redet, die mal Argumente entfalten kann, wo man mal wirklich nur zwei Leute konfrontiert, wo man mal diese Hektik rausnimmt, dieses sich unterbrechen und auch mal jemanden zu Ende reden, zu Ende denken lässt. Also so eine gewisse Form von Gemächlichkeit da wieder reinbringt. Ich glaube nicht, dass das von vornherein zur Erfolglosigkeit verdammt ist."
Die Aufgabe des öffentlich rechtlichen Fernsehens sollte darin bestehen, demokratische Prozesse besser zu erklären, eine demokratische Ordnung als Anforderung an jeden Einzelnen darzustellen. Als etwas, was jeden angeht und was immer wieder verteidigt werden muss.
"Was mich etwas stört, ist, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen gerade die Rolle, die sie selbst beanspruchen, nämlich so ein zentrales Medien einer gehobenen öffentlichen Meinungsbildung zu sein in der Form sicherlich nicht wahrnimmt. Das gilt sicherlich noch fürs Radio aber es gilt sicherlich nicht mehr fürs Fernsehen. Sondern da muss man immer beides sein. Erfolgreich einerseits und andrerseits eben anspruchsvoll. Und die Mischung klappt nicht. Und da sehe ich schon auch ein Problem, weil da eigentlich ein politischer Prozess mit Beteiligten, die alle gar nicht so schlecht sind, weit unter seinen Möglichkeiten bleibt in dem, wie er sich selbst verkauft."
Ob die Konkurrenz in der Medienlandschaft es zukünftig erlauben wird, dass das öffentlich rechtliche Fernsehen seine Rolle als Medium der gehobenen Meinungsbildung besser ausfüllt und anspruchsvollere Formate entwickelt, bleibt abzuwarten. Die vielfältigen Informationsmöglichkeiten des Internets sind jedenfalls noch längst nicht ausgeschöpft.
Die Komikerin und Moderatorin Anke Engelke beschwerte sich unlängst in einem Spiegel-Interview:
Bei den meisten Politikerauftritten spüre ich doch, dass die nicht gekommen sind, um mir etwas klarer zu machen. Sie dreschen einfach ihre Meinung durch und ich bin hinterher nicht klüger als vorher. Die wollen mich gar nicht erreichen. Dabei sollten Politiker eigentlich Menschen sein, die für etwas brennen.
Den Schriftsteller, Publizisten und Moderator Roger Willemsen verwundert das nicht. Im Grunde blättere eine Talkshow einen Katalog von nummerierten Argumenten auf und kombiniere althergebrachte Standpunkte miteinander, sagt er.
"Es kommt dazu, dass das Ganze vorgetragen wird mit einer Form von emotionaler Überwärmung, die uns andeuten soll, es sei der Ernstfall. Es sei höchst wichtig und der Politiker sei unglaublich beteiligt. Im Grunde genommen sitzt der Politiker in der Regel innerlich zurückgelehnt, ist relativ kalt dem gegenüber, was er vertritt und muss Emotionalität nur als Verabreichungsform anbieten."
Roger Willemsen hat selber jahrelang mit Politikern getalkt. Seine Erfahrung wirkt ernüchternd.
"Der Politiker von heute hat sich daran gewöhnt, dass selten die politische Information wichtig ist. Es ist wichtig, ob er sympathisch wirkt. Deshalb ist für den Politiker unserer Zeit der Auftritt in einer Talk Show, weil er Psychologie zeigen darf, weil er sich als reizender Vater und Ehemann zeigen darf. Interessanter als die politische Tribüne. Auf der politischen Tribüne wird geleitartikelt. Da werden die Gedanken und Konzepte auf langweiligste Weise ausgebreitet und daran kann man sich im Grunde kaum mehr politisch orientieren."
Was der wortgewaltige Kulturschaffende besonders kritisiert ist die mangelnde Vielfalt der Eingeladenen in den Polit-Talkshows.
"Als gäbe es so ein schmales Meinungsspektrum wie es sich in den Fragen abbildet und wie es sich in den Charakteren abbildet."
Beispiel der FDP-Parteivorsitzende Guido Westerwelle. Schon im Jahr 2000 war er derjenige, der am häufigsten in Talkshows zu Gast war. Jetzt wurde die FDP die große Siegerin bei den Europawahlen. Und das, so Roger Willemsen, obwohl die neoliberale Wirtschaftspolitik der FDP in die Wirtschaftskrise geführt habe.
"Es geht zunächst mal um Präsenz. Guido Westerwelle wird ja nicht für seine Ideen, wenn er denn welche hat, befragt und gewählt. Sondern er wird für seine Ausstrahlung und für seine Omnipräsenz belohnt. Im Grunde weiß doch keiner, was Guido Westerwelle will."
Die Glaubwürdigkeit der Politiker war noch nie so gering wie heute. Das liegt nicht zuletzt an einer Gesellschaft, die in die Glotze guckt.
So formulierte es Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Und weiter:
Die Politiker reden nur oberflächliches Zeug in Talkshows, weil sie meinen, es sei die Hauptsache, man präge sich ihr Gesicht ein.
Roger Willemsen stimmt dem zu. Das Schlimme sei: die Wähler würden tatsächlich in diese Falle laufen.
"Wenn ich ein Plakat mit Silvana Koch-Mehrin sehe und auf diesem Plakat steht: für Deutschland in Europa, dann sage ich, was wäre eigentlich, wenn jemand titeln würde: für München in Bayern. Da würde man sagen, das ist gaga, das ist Dadaismus. Deutschland liegt nun mal in Europa. Trotzdem ist sie die große Gewinnerin der Europawahl gewesen. Also man möchte wirklich fatalistisch werden angesichts der Gründe aus denen Personen gewählt werden und der Argumente, auf denen sie sitzen."
Insgesamt, sagt der Publizist, habe sich politische Meinungsbildung heute aus der Arbeit des Parlaments, aus den Talkshows und den Leitartikeln der Zeitungen zurückgezogen. Die Deutschen wählten sorgfältiger ihr Waschmittel aus als die Partei, die sie in den nächsten Jahren regieren soll.
"Zugleich kann man jedem Wähler, jeder Wählerin empfehlen, geht ins Internet, nehmt den Wahl-o-maten, da werden Euch bestimmte Positionen angeboten, da kann man ankreuzen, welche Position man für richtig hält. Und dann kriegt man danach gesagt, welche Partei die meiste Übereinstimmung mit den Positionen hat, die man angekreuzt hat. Das ist erstaunlich. Denn da stellen viele Leute fest, dass sie eigentlich längst die Linkspartei wählen müssten, was sie aber nicht tun, weil die ihnen irgendwie unheimlich ist. Und da sind wir wieder bei den Argumenten, die nichts mit dem Politischen zu tun haben."
Für den Frankfurter Kulturanthropologen Manfred Faßler stellt sich die Frage anders. Eine kompetente Gesellschaft muss eine neue Organisationsform finden, sich politisch einbringen zu können.
"Wie sieht die Politik für eine Wissensgesellschaft aus? Wie sind die Menschen mit einbezogen, die wissen? Die hoch qualifiziert sind. Das ist für mich eine Riesenfrage. Die kann ich nicht mehr im klassischen Muster von Parteienparlamenten definieren."