Fischer: Annemarie Schimmel, die größte Grande Dame der Orientalistik ist tot. Sie war ihrem Forschungsgebiet sehr leidenschaftlich zugetan. Hundert Bücher, unzählige Preise, die Kenntnis von 22 Sprachen und Lehrstühle, unter anderem in Ankara, Bonn, Harvard, New York und London, zeugen davon. Sie war sicherlich eine der ersten Frauen, die sich diesem männlich dominierten Wissenschaftszweig und gleichzeitig einer männlich dominierten Kultur verschrieben hat. Und doch war das nicht ganz erstaunlich, denn die Sache mit dem Orient war ihr gewissermaßen in die Wiege gelegt. Ihre Mutter stammte aus einer Seefahrerfamilie und ihr Vater interessierte sich für orientalische Philosophie. Frage an meinen Kollegen und Islam-Experten, Christoph Burgmer: Was war denn aber das Besondere an der Orientalistin Annemarie Schimmel?
Burgmer: Na, da muss man ziemlich weit zurückgehen, vor allen Dingen in der Wissenschaftsgeschichte. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war es überhaupt nicht üblich, dass Islam-Wissenschaftler, wenn sie denn den Orient zum Gegenstand ihrer Forschung machten, selbst in den Orient reisten, um dort vor Ort zusammen mit den Einheimischen über Kultur, Religion, Geschichte und auch Literatur in den verschiedenen islamischen Gebieten zu forschen. Man hatte sich angewöhnt, den Orient aus einem elitär europäischen Verständnis, das den Orient in seiner Kultur und Geschichte im Mittelalter im Vordergrund sah. Also, die Hochzeit des Orients sollte das Mittelalter sein und die Gegenwart des Orients, also die Gegenwart nach dem Zweiten Weltkrieg, war sozusagen die Dekadenz dieser Religion, und man sah es eigentlich als gar nicht für nötig an, vor Ort zu forschen. Annemarie Schimmel ist eine der Ersten gewesen, die 1953 in die Türkei gegangen sind und dort einen Lehrstuhl angenommen haben.
Fischer: Das heißt, sie hat von Anfang an auch gegen den Eurozentrismus in der Wissenschaft gearbeitet?
Burgmer: So direkt politisch würde ich es nicht sagen. Sie hat es einfach aus einem Selbstverständnis heraus getan. Ein Selbstverständnis, das sie auch als Person charakterisiert. Sie ist den Menschen immer in direkter Art und Weise begegnet. Für sie war nicht das Politische oder das Ideologische entscheidend, sondern entscheidend für sie war immer der direkten Kontakt mit den Menschen. Es lag nahe, es war selbstverständlich für sie, dass sie, wenn sie sich mit dieser Region beschäftigt, sich auch mit den Menschen vor Ort auseinandersetzt und sich auch von dem, was die Menschen dort in der Gegenwart denken, über ihre eigene Geschichte inspirieren ließe.
Fischer: Was hat sie gemacht? Was zeichnet ihre Forschungsarbeit aus? Was waren ihre Themen?
Burgmer: Die Themen waren sehr vielfältig. Sie hat in den 50er Jahren sehr viel über Literatur, über Poesie und über Sophismus geforscht. Sie hat sich in den 60er Jahren stark mit Kunst und Kunstgeschichte auseinandergesetzt. In den 70ern und dann in den 80ern hat sie sich mehr und mehr darauf beschränkt zu übersetzen, Poesie zu recherchieren und aus den verschiedenen Sprachen ins Deutsche zu übersetzen.
Fischer: Sie hatten öfters Gelegenheit, Annemarie Schimmel zu besuchen. Sie war, so sagte man, eine Wissenschaftlerin des alten Schlages. Was meint man damit?
Burgmer: Wenn man eine Idee davon bekommen wollte, was eine Universalgelehrte oder ein Universalgelehrter ist, dann kann man sich Annemarie Schimmel vorstellen: weltgewandt, gebildet. Sie war inspiriert davon, dass Verständnis zwischen Kulturen nur über den Austausch - den literarischen Austausch - funktionieren kann, das heißt, nur wenn man sich die Gedichte, die Poesie, den Sophismus des jeweils kulturell Anderen aneignet und nachvollzieht.
Fischer: Sie ist dann ins Licht der politischen Öffentlichkeit gerückt, als es den Konflikt um ihre Wahl zur Friedenspreisträgerin des deutschen Buchpreises gab. Sie hat, wie sie es eigentlich immer getan hast, im Fall Rushdi, die Perspektive der Muslime eingenommen und damit, was nicht stimmt, für viele der Fatwa gegen Rushdi zugestimmt. Was lernen wir denn aus dieser Geschichte?
Burgmer: Wie soll man das formulieren? Man müsste sagen, sie ist in die Falle ihrer eigenen Gelehrtheit getappt, denn es ist sehr schwierig sich nach der Unabhängigkeit der verschiedenen islamischen Staaten mit dieser Gegend zu beschäftigen ohne sich mit dem politischen zu beschäftigen, und dieses aktuell Politische, das hat sie wesentlich nicht interessiert. Man kann daraus lernen, dass ein Universalgelehrter heutzutage überhaupt nicht mehr Platz hat in dieser Welt, in der alles so schnell und spontan passiert. Ich habe Sie damals bei ihr zu Hause getroffen und habe mit ihr über dieses Thema gesprochen uns sie hat mir gesagt, dass es ihr überhaupt nicht klar gewesen wäre, welche Auswirkungen einfach eine Antwort in einer Veranstaltung auf die politische Gegenwart und auf die politische Interpretation dessen, was sie gesagt hat, gehabt hätte.
Fischer: Wenn wir sie heute als Wissenschaftlerin würdigen wollen, wo würden Sie denn ihr größtes Verdienst sehen? Bei den Forschungsschwerpunkten, die sie sich selbst gesetzt hat oder bei ihrer Funktion als Wegbereiter eines Dialoges mit der islamischen Welt, der, wie Sie gerade beschrieben haben, auch ein besonderer war, der heute ja notwendiger denn je zu sein scheint?
Burgmer: Also, das Besondere an ihr ist wahrscheinlich in der Rezeption der Muslime selbst zu sehen. Innerhalb der muslimischen Welt ist sie eigentlich ein Anwalt geworden für Europäer. Sie beschreibt den Typus von Gelehrten, den man in der islamischen Welt am allerliebsten sieht, wenn man nach Europa schaut.
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Burgmer: Na, da muss man ziemlich weit zurückgehen, vor allen Dingen in der Wissenschaftsgeschichte. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war es überhaupt nicht üblich, dass Islam-Wissenschaftler, wenn sie denn den Orient zum Gegenstand ihrer Forschung machten, selbst in den Orient reisten, um dort vor Ort zusammen mit den Einheimischen über Kultur, Religion, Geschichte und auch Literatur in den verschiedenen islamischen Gebieten zu forschen. Man hatte sich angewöhnt, den Orient aus einem elitär europäischen Verständnis, das den Orient in seiner Kultur und Geschichte im Mittelalter im Vordergrund sah. Also, die Hochzeit des Orients sollte das Mittelalter sein und die Gegenwart des Orients, also die Gegenwart nach dem Zweiten Weltkrieg, war sozusagen die Dekadenz dieser Religion, und man sah es eigentlich als gar nicht für nötig an, vor Ort zu forschen. Annemarie Schimmel ist eine der Ersten gewesen, die 1953 in die Türkei gegangen sind und dort einen Lehrstuhl angenommen haben.
Fischer: Das heißt, sie hat von Anfang an auch gegen den Eurozentrismus in der Wissenschaft gearbeitet?
Burgmer: So direkt politisch würde ich es nicht sagen. Sie hat es einfach aus einem Selbstverständnis heraus getan. Ein Selbstverständnis, das sie auch als Person charakterisiert. Sie ist den Menschen immer in direkter Art und Weise begegnet. Für sie war nicht das Politische oder das Ideologische entscheidend, sondern entscheidend für sie war immer der direkten Kontakt mit den Menschen. Es lag nahe, es war selbstverständlich für sie, dass sie, wenn sie sich mit dieser Region beschäftigt, sich auch mit den Menschen vor Ort auseinandersetzt und sich auch von dem, was die Menschen dort in der Gegenwart denken, über ihre eigene Geschichte inspirieren ließe.
Fischer: Was hat sie gemacht? Was zeichnet ihre Forschungsarbeit aus? Was waren ihre Themen?
Burgmer: Die Themen waren sehr vielfältig. Sie hat in den 50er Jahren sehr viel über Literatur, über Poesie und über Sophismus geforscht. Sie hat sich in den 60er Jahren stark mit Kunst und Kunstgeschichte auseinandergesetzt. In den 70ern und dann in den 80ern hat sie sich mehr und mehr darauf beschränkt zu übersetzen, Poesie zu recherchieren und aus den verschiedenen Sprachen ins Deutsche zu übersetzen.
Fischer: Sie hatten öfters Gelegenheit, Annemarie Schimmel zu besuchen. Sie war, so sagte man, eine Wissenschaftlerin des alten Schlages. Was meint man damit?
Burgmer: Wenn man eine Idee davon bekommen wollte, was eine Universalgelehrte oder ein Universalgelehrter ist, dann kann man sich Annemarie Schimmel vorstellen: weltgewandt, gebildet. Sie war inspiriert davon, dass Verständnis zwischen Kulturen nur über den Austausch - den literarischen Austausch - funktionieren kann, das heißt, nur wenn man sich die Gedichte, die Poesie, den Sophismus des jeweils kulturell Anderen aneignet und nachvollzieht.
Fischer: Sie ist dann ins Licht der politischen Öffentlichkeit gerückt, als es den Konflikt um ihre Wahl zur Friedenspreisträgerin des deutschen Buchpreises gab. Sie hat, wie sie es eigentlich immer getan hast, im Fall Rushdi, die Perspektive der Muslime eingenommen und damit, was nicht stimmt, für viele der Fatwa gegen Rushdi zugestimmt. Was lernen wir denn aus dieser Geschichte?
Burgmer: Wie soll man das formulieren? Man müsste sagen, sie ist in die Falle ihrer eigenen Gelehrtheit getappt, denn es ist sehr schwierig sich nach der Unabhängigkeit der verschiedenen islamischen Staaten mit dieser Gegend zu beschäftigen ohne sich mit dem politischen zu beschäftigen, und dieses aktuell Politische, das hat sie wesentlich nicht interessiert. Man kann daraus lernen, dass ein Universalgelehrter heutzutage überhaupt nicht mehr Platz hat in dieser Welt, in der alles so schnell und spontan passiert. Ich habe Sie damals bei ihr zu Hause getroffen und habe mit ihr über dieses Thema gesprochen uns sie hat mir gesagt, dass es ihr überhaupt nicht klar gewesen wäre, welche Auswirkungen einfach eine Antwort in einer Veranstaltung auf die politische Gegenwart und auf die politische Interpretation dessen, was sie gesagt hat, gehabt hätte.
Fischer: Wenn wir sie heute als Wissenschaftlerin würdigen wollen, wo würden Sie denn ihr größtes Verdienst sehen? Bei den Forschungsschwerpunkten, die sie sich selbst gesetzt hat oder bei ihrer Funktion als Wegbereiter eines Dialoges mit der islamischen Welt, der, wie Sie gerade beschrieben haben, auch ein besonderer war, der heute ja notwendiger denn je zu sein scheint?
Burgmer: Also, das Besondere an ihr ist wahrscheinlich in der Rezeption der Muslime selbst zu sehen. Innerhalb der muslimischen Welt ist sie eigentlich ein Anwalt geworden für Europäer. Sie beschreibt den Typus von Gelehrten, den man in der islamischen Welt am allerliebsten sieht, wenn man nach Europa schaut.
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