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Zwischen Tradition und Moderne

Kunst aus Saudi-Arabien wurde einem größeren westlichen Publikum durch die Ausstellung "Edge of Arabia" bekannt. Im Juli war Saudi-Arabien Ehrengast der Kunstmesse in Beirut. Und jetzt kommt die Kunst aus dem konservativen Königreich im Südwesten hinzu.

Von Kersten Knipp |
    Linien, die Quadrate bilden, die sich wiederum miteinander verschränken und abstrakte geometrische Formen ergeben. Reine Formen, die sich doch lesen lassen, in ihrer äußersten Abstraktion das Wort "Allah", "Gott" mehr andeuten als eindeutig ausbuchstabieren. Ein Werk der saudiarabischen Künstlerin Lulwah al Homoud, die darin direkt an die Tradition des Islam anschließt.
    "Die arabische Kalligradie drückt das geistige Leben aus - also nicht die äußere Existenz, sondern die innere. Natürlich ist die Kalligradie auch mit dem Islam verbunden - sie hat ihren Ursprung in Mekka. Von dort breitete sie sich aus - nach Indien, nach Persien, nach Europa. Auf diese Weise hat sie sich der Welt geöffnet. Diese Öffnung zur Welt möchte auch ich ausdrücken."

    Zeitgenössische arabische Kalligradie präsentiert sich heute in sehr reduzierter Form. Sie widmet sich nicht mehr nur ganzen Texten, sondern gestaltet vor allem einzelne Buchstaben - als Zeichen, die wie bei Lulwah al Homoud ohnehin eine recht abstrakte Bedeutung haben.

    "Ich selbst achte die Religion und die Traditionen. Sie sind ein Teil unserer Gesellschaft. Ich fühle mich als Teil meines Landes und seiner Tradition, und drücke dies auch in meiner Kunst aus - allerdings auf moderne, zeitgenössische Weise. Denn ich lebe ja auch in einer anderen Welt, nämlich in London, und dies seit 20 Jahren. Man kann andere Kulturen bewundern und nutzen aus ihnen ziehen, ohne seine Wurzeln zu verlieren. "

    Zugleich steht diese Abstraktion auch unter dem Einfluss der modernen westlichen Kunst. Die hielt in Saudi-Arabien relativ spät Einzug, berichtet Hamza Serfai, Direktor der Gallery ATHR - zu einer Zeit, als sie ihre darstellerische Unschuld schon längst verloren und sich der Abstraktion verschrieben hatte.

    "Erstmals konnte man moderne Kunstwerke in Saudi-Arabien vor ungefähr 60 Jahren sehen. Sie stammten von saudischen Künstlern, die in Europa studiert hatten. Zurück in Saudi Arabien, verbanden sie die westliche mit saudischen Traditionen. Das war der Beginn der modernen Kunst in Saudi Arabien."

    Zur darstellenden Kunst hatte das konservative Saudi-Arabien lange Zeit ein zwiespältiges Verhältnis, berichtet der Kritiker Abdulaziz Ashour. Und doch: Schon 1957 wurde Kunst als eigenständiges Fach in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen Doch es ist nicht ohne Ironie, dass die Vorbehalte gegen sie zuletzt vor allem durch diejenigen unterlaufen wurde, von denen man eigentlich besonders starke Vorbehalte gegen sie erwarten sollte: den religiösen Konservativen oder Ultrakonservativen. Doch gerade sie haben dazu beigetragen, dass sich das Bilderverbot aufgelöst hat, berichtet Abdulaziz Ashour.

    "Das ist ganz bestimmt vorbei, das gibt es nicht mehr. Im Gegenteil, nach dem 11. September sind Islamisten dazu übergegangen, religiöse Programme zu moderieren. Darüber haben sie verstanden, wie wichtig die Bildersprache ist. Es gibt 30, 40 Programme dieser Art, in Saudi-Arabien ebenso wie anderswo in der arabischen Welt. Darum ist das Bild seit ungefähr 20 Jahren nicht mehr verboten."

    Was will Kunst? Will sie einen Ort des Rückzugs bieten, der dem Alltag enthoben. Diesem recht romantischen steht ein anderes gegenüber, dem zufolge die Kunst die Gegenwart reflektieren, die Mechanismen der Gesellschaft abbilden, verfremden und darüber in Frage stellen will. In Saudi-Arabien ist jedenfalls die Moderne eingezogen, in ihren kontruktiven ebenso wie in ihren zerstörerischen, vulgären Formen. Auf beide Entwicklungen reagiert die Kunst, bezieht Stellung in einem Land, in dem seit Beginn des Ölbooms vor über 70 Jahren mit orientalischen Idyllen nicht mehr zu rechnen ist.