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Zwischen Tradition und Neuanfang

In Krakau lebten vor der Barbarei der Nazis 50.000 Juden, die maßgeblich zum Charakter der Stadt beitrugen - heute sind es noch knapp 150. An die jüdische Tradition Krakaus erinnert seit 1988 das Jüdische Kulturfestival. Doch das Festival verharrte lange in betulicher Klezmerseligkeit. Seit einiger Zeit ist das bemerkenswert anders.

Von Barbara Bogen |
    Am Rand des Plac Novy in Kazimierz, dem ehemaligen jüdischen Zentrum von Krakau, steht groß ein Hinweispfeiler. Diverse Aufschriften zeigen in verschiedene Himmelsrichtungen und weisen auf die heiligen Orte von einst: die "Stara boznica", die alte Synagoge, "Postepowa", die weltliche Synagoge, Remu-, Isaak-Synagoge, sieben Synagogen stehen hier in Kazimierz bis heute haben die Vernichtungstollwut der Nazis wie ein Wunder überstanden. Die, die hier einst beteten oder ihre Feste feierten, waren zerbrechlicher als die Steine. Als die Nazis in Polen einrückten ersetzten sie eine lebendige, acht Jahrhunderte währende reiche jüdische Tradition durch blinde Barbarei.

    Heute ist dieses Kazimierz die Krakauer Touristenattraktion schlechthin. "Where are the synagogues?" rufen amerikanische Touristen laut über die Krakaowska-Straße. Überall werden kleine chassidische Rabbis aus Holz zu Billigpreisen angeboten und für "koscher food" Hoechstpreise erzielt.

    Als der polnische Katholik Janusz Makuch im Jahr 1988, noch in spätsozialistischer Zeit, das erste Jüdische Kulturfestival in Kazimierz ins Leben rief, hatte dieser Hype noch nicht eingesetzt. Einer wie Makuch meinte es ernst, wollte wahrhaft aufklären über verlorene jüdische Kultur. Aber sein Festival verharrte lange in bloß betulicher Klezmerseligkeit. Seit einiger Zeit ist das bemerkenswert anders. Podiumsdiskussionen, Vorträge ergänzen das Konzertprogramm, liefern reiche Einblicke in aktuelles jüdisches Leben, etwa, wenn im neu eingerichteten Galizischen Museum über junges jüdisches Selbstverständnis reflektiert wird. Und das wächst beständig. Zunehmend bekennen sich junge Juden zu ihrer jüdischen Identität, fragen nach Wurzeln und Geschichte, besuchen die Synagogen. In Krakau selbst hat sich sogar eine junge jüdische Organisation namens "Czulent" ausgebildet. Hier diskutiert man oder bespricht jüdische Rezepte, wie Czulent eben.

    Wenn aber der große israelische Autor Aharon Appelfeld in der kleinen Kupa-Synagoge von der kindlichen Flucht durch bukowinische Wälder erzählt oder wenn der 90-jährige Amerikaner Mayer Kirschenblatt seine Zeichnungen des galizischen Stetl-Lebens vorstellt, die er aus dem Gedächtnis entwarf, dann entstehen Momente einer anrührenden, über jeglichen Kitsch erhabenen, beinahe mystischen Intensität.

    Die polnische Historikerin und Autorin zahlreicher Bücher über die Geschichte der Krakauer Juden Katarzyna Zimmerer benennt aber noch einen anderen Aspekt.

    " Ich denke, das ist viel wichtiger, dass damit ein Raum geschaffen wurde, in dem man frei über das Judensein in Polen auch miteinander reden kann, und je mehr wir offener wir darüber reden, desto mehr wir polnische Juden wir uns auch sicherer in diesem Land fühlen. Es ist schon so, dass Judentum oder auch Judensein jahrelang ein Tabu war. "

    Es gäbe so gut wie keinen Antisemitismus heute in Polen, betonte dieser Tage der israelische Botschafter David Peleg auf dem Festival. Eine durchaus verstörende Theorie, sorgte doch Anfang des Jahres das Buch des amerikanisch-polnischen Publizisten Jan Tomasz Groß für eine große neue Antisemitismus-Debatte in Polen. Sein Buch "Strach" "Angst" schlug ein wie eine Bombe, 25.000 Exemplare wurden binnen einer Woche verkauft, beschäftigte es sich doch mit den lang tabuisierten Pogromen durch die polnische Bevölkerung auf jüdische Familien in den Jahren 1945/1946 in Kielce und Krakau und belichtete unweigerlich auch den polnischen Antisemitismus der Gegenwart. Katarzyna Zimmerer:

    " Der polnische Antisemitismus existiert und dem geht es eigentlich ganz gut oder sogar immer besser, würde ich sagen. Vor ein paar Jahren ist ein anderes Buch von Jan Tomasz Groß entstanden über den Mord in Jedwabne, und das löste auch eine sehr gewaltige Diskussion, und da hat man dann soziologische Untersuchungen gemacht, und es stellte sich heraus, dass der Antisemitismus gewachsen ist nach dem Buch wie auch gleichzeitig die "Anti-Antisemitismus"-Einstellung, also das wächst irgendwie parallel und das ist wieder so jetzt nach dem zweiten Buch von Tomasz Groß wieder gewachsen. Der Antisemitismus ist sogar gewaltiger geworden, aber gleichzeitig diese anti-antisemitische Einstellung ist immer größer, immer tiefer, ist immer bewusster, ist auch ganz wichtig für junge Menschen. "

    Jedes Jahr im März wird in Krakau ein Gedächtnismarsch veranstaltet anlässlich der Vernichtung des Ghettos in Podgorze. Am Anfang beteiligten sich hier nur wenige. Doch von Jahr zu Jahr werden es mehr. In diesem Jahr folgten dem Marsch Scharen von Jugendlichen.

    Umso bedauerlicher, dass seit diesem Jahr einige der Veranstaltungen des sonst stets friedlich verlaufenen Jüdischen Kulturfestivals von antijüdischen und anti-israelischen Demonstrationen der nationalistischen Partei NOP begleitet sind und von Polizei und Bodyguards bewacht.