Einkauf im Supermarkt. Ein paar Nahrungsmittel, Kosmetik - und vielleicht ein Putzmittel. Der Blick in den Einkaufskorb genügt, um zu sehen. Ohne Chemie ist unser Alltag nicht mehr denkbar. Das Putzmittel. Chemisch hergestellt. Der Joghurt-Becher: Ein chemisches Produkt. Sogar viele Lebensmittel kommen ohne Chemie nicht aus. Farbstoffe oder künstliche Aromen sind heute nichts Ungewöhnliches.
Die Chemie ist gleichzeitig das Rückgrat der Wirtschaft. Viele tausend Substanzen werden in den Kesseln der Chemiefabriken hergestellt - eine Vielzahl von Firmen nutzen diese Rohstoffe, um daraus Farben, Lacke, Klebstoffe oder Schmieröle herzustellen und auch Computer, T-Shirts und andere Alltagsprodukte.
Doch die Chemie hat zwei Seiten. Zum einen basiert der Wohlstand der westlichen Welt zu einem großen Teil auf den Innovationen der Chemiefabriken. Die andere Seite: Viele Stoffe sind gefährlich und können den Menschen und die Umwelt schädigen. Einige können brennen, ätzen, manche Krebs auslösen. Ein Problem für Verbraucher, aber auch für die Wirtschaft: Über viele Stoffe ist viel zu wenig bekannt!
" Denn die einen sind im Dunkeln,
Und die anderen sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte.
Die im Dunkeln sieht man nicht! "
Moritat aus der Dreigroschenoper - Lotte Lenya
Befindet sich ein Stoff im Licht - weiß man also, welche Eigenschaften er hat, dann kann man in der Regel sicher mit ihm umgehen.
Viele Chemikalien befinden sich jedoch - bildlich gesprochen - im Dunkeln. Von ihnen ist nicht oder nur teilweise bekannt, welche Eigenschaften sie haben. Würde ein solcher Stoff etwa Allergien auslösen, könnte sich niemand davor schützen, da es niemand weiß, betont Stefan Scheuer vom Europäischen Umweltbüro, dem Dachverband europäischer Umweltverbände mit Sitz in Brüssel.
" Die größte Gefahr ist das Unwissen: nicht zu wissen, was die Chemikalien machen können, wenn sie mal freigesetzt sind. Und letztendlich werden fast alle Chemikalien irgendwann freigesetzt. Und die Folgen können gravierend sein, wie wir ja in den Fällen Asbest, DDT gesehen haben. Und mittlerweile gibt es auch Effekte, die sehr überraschend sind, kleinste Mengen von Stoffen, die hormonell wirksam sind, können große Schäden zum Beispiel an Embryonen erzeugen, die dann unfruchtbar sind. Das sind Folgen, irreversible Folgen. Und da wissen wir sehr wenig. "
Das soll sich ändern. Zwar gibt es auch jetzt schon nationale und europäische Chemikaliengesetze, aber die reichen der EU nicht aus. Deshalb beauftragten die Umweltminister im Jahr 1999 die Europäische Kommission damit, ein besseres Chemikaliengesetz zu schreiben.
Herausgekommen ist 'REACH'. Die Abkürzung steht für Verordnung zur Anmeldung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe. Letzte Woche haben sich Vertreter des Europaparlaments und des Ministerrat in Brüssel über die letzten strittigen Punkte geeinigt. Stimmt das Europaparlament kommende Woche dieser Einigung zu, können die neuen Regeln zum Umfang mit Chemikalien im Frühjahr 2007 in Kraft treten.
Worauf hat sich die Politik geeinigt? Was versteckt sich hinter REACH? Andreas Ahrens von Ökopol, dem Hamburger Institut für Ökologie und Politik, kennt REACH in und auswendig.
" Es gibt im Grunde zwei revolutionäre Neuerungen. Das eine, was an REACH wirklich neu ist, dass man sagt, man will über jeden Stoff, der auf den europäischen Markt kommt, ein Mindestbestand an Informationen haben. "
Eine Herkulesaufgabe! Innerhalb von elf Jahren müssen Hersteller und Importeure rund 30.000 Altstoffe überprüfen. Das heißt: Alle Stoffe, die seit mehr als 25 Jahren vermarktet werden und von denen eine Firma heute mehr als eine Tonne in der EU herstellt oder in die EU einführt. Hier gilt das Prinzip: Je mehr eine Firma von einer Substanz herstellt oder einführt, desto mehr muss sie über die Eigenschaften dieses Stoffs bekannt geben. REACH wird diese Stoffe schrittweise beleuchten.
" Und man siehet die im Lichte ... "
Und die zweite grundlegende Neuerung:
" Der Hersteller des Stoffes soll sich darauf festlegen, für welche Zwecke sein Stoff geeignet ist. Und zwar nicht nur in technischer Hinsicht - das macht jeder Betrieb, das er in seine technischen Merkblätter rein schreibt, wofür man den Stoff einsetzen kann -, sondern dass künftig auch unter Umwelt- und Gesundheitsgesichtspunkten die Hersteller von Stoffen schlichtweg sagen müssen, für die und die Anwendung glauben wir, dass der Stoff sicher handhabbar ist und bei der und der Anwendung halten wir den Stoffe für nicht sicher anwendbar und deshalb vermarkten wir ihn in diese Bereiche auch nicht mehr hinein. "
Ein Beispiel: Eine Chemiefabrik registriert einen Stoff und gibt als Verwendungszweck an: 'Einsetzbar in Farben im Außenbereich'. Jetzt darf ein Farbenhersteller, der eine Innenfarbe herstellt, diese Substanz nicht mehr verwenden - außer er übernimmt selber die Verantwortung für die sichere Anwendung dieses Stoffes in Kellern, Küchen und Wohnzimmern. Und prüft, ob die Belastung in Innenräumen ungefährlich ist.
Alles zusammen führt aus Sicht von Andreas Ahrens zu einer dritten grundlegenden Änderung in der Chemikalienpolitik.
" Dass nämlich die chemische Industrie und auch die Anwender die Verantwortung für die Produktsicherheit übernehmen. Bisher ist diese Verantwortung für 99 Prozent der Chemikalien, die sich auf dem Markt befinden, nicht gegeben. Das heißt, für 99 Prozent ist bisher der Staat zuständig zu bewerten, ob die Stoffe ein Risiko machen oder nicht. Und das wird sich ändern. REACH sagt, diese Verantwortung soll künftig die Wirtschaft selber übernehmen. "
Diese neue Verantwortlichkeit war einer der Gründe dafür, dass Wirtschaftsvertreter in den letzten Jahren Sturm gelaufen sind gegen die neuen Regeln.
" ... weil natürlich plötzlich das bisher relativ einfache Spiel, zu sagen, der Staat bewertet und wir produzieren und verdienen das Geld, so nicht mehr funktionieren wird. Das heißt, zukünftig muss ich sagen, für den Stoff, mit dem ich Geld verdiene, da übernehme ich auch die Verantwortung, dass er sicher eingesetzt wird, also sicher hergestellt, verarbeitet und eingesetzt wird. "
REACH verändert also die Chemikalienpolitik. Das bringt Vor- und Nachteile, erklärt Gerd Romanowski vom Verband der Chemischen Industrie:
" Die Behörden werden in Zukunft wissen, welche Stoffe in Europa produziert werden, welche nach Europa importiert werden, welche Eigenschaften diese Produkte haben, für welche Verwendungen sie vorgesehen sind und welche Expositionen von ihnen ausgehen. Das wird also schon die Informationslage bei den Behörden verbessern und damit bringt REACH auch gewisse Fortschritte in Sicherheit und Umweltschutz. "
Auch eine mittelständische Firma wie der Kölner Lackhersteller Bollig & Kemper sieht Vorteile durch REACH. Geschäftsführer Heinrich Kemper:
" Dass wir sicher sein können, dass wir Rohstoffe einsetzen, die kein Gefährdungspotential betreffen, dass wir Rohstoffe haben, die zugelassen sind. Dass wir unseren Kunden gegenüber sicher auftreten können und sagen können, unsere Produkte beinhalten nur registrierte Rohstoffe. Das ist natürlich ein schönes Gefühl und gibt eine gewisse Sicherheit. Von der Seite begrüßen wir natürlich REACH. "
Doch das Mehr an Informationen hat eine Kehrseite. Eigenschaften von Chemikalien zu testen und in Erfahrung zu bringen, in welchem Umfang ein Stoff Mensch und Umwelt belastet, kostet natürlich Geld, sagt Gerd Romanowski.
" Wir rechnen in der Chemieindustrie beispielsweise allein mit Test- und Registrierkosten in der Größenordnung von zwei Milliarden Euro. Dazu kommen bürokratische Anforderungen, Formulare, technische Leitfäden, die eingehalten werden müssen. Und die auch zu Belastungen in noch unbekannter Höhe führen werden. "
Der Preis für einige Chemikalien kann also steigen. Und ...
" Was auch nicht vernachlässigt werden darf, ist, dass indirekt durch REACH auch die Abnehmer der chemischen Industrie belastet werden dadurch, dass bestimmte Stoffe in Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen werden und deswegen Rezepturen neu entwickelt werden müssen. Das wird Kosten verursachen, deren Höhe wir aber nicht genau kennen. "
Diese Kosten werde gerade kleinere Betriebe belasten. Heinrich Kemper.
" Wir haben geschätzt für die Größe unseres Unternehmens - wir sind 190 Mitarbeiter -, dass pro Jahr etwa 300.000 Euro Mehrkosten auf uns zukommen, die sich auf der einen Seite zusammensetzen aus den Rohstoffkosten, den Mehrkosten, der Verwaltungsarbeit, das Kontrollieren, ob wir Rohstoffe einsetzen, die registriert sind. Und auf der anderen Seite das Thema, dass wir unseren Kunden zur Verfügung stehen, um die Information weiterzugeben, was passiert mit unserem Produkt beim Kunden. "
Denn auch eine Lackfabrik steht durch REACH in der Pflicht. Sie muss ihre Kunden über die sichere Anwendung ihrer Produkte informieren.
Doch trotz der zusätzlich anfallenden Kosten für die Wirtschaft werde sich REACH volkswirtschaftlich rechnen, betont Andreas Troge, Präsident vom Umweltbundesamt in Berlin.
" Im Vergleich dazu - und das ist ein wichtiges Argument: Allein im Arbeitsschutzbereich lassen sich durch die Europäische Chemikalienpolitik 30 Milliarden Euro bis 2030 sparen, im Gesundheitsschutz etwa 5 Milliarden bis 2020. Zur Umwelt haben wir noch gar keine Angaben. Das heißt, die Rendite der Politik an sich ist deutlich positiv. "
REACH ist aber mehr als eine Datensammelmaschinerie. Mit den neuen Chemikalienregeln richtet die EU ihr Augenmerk auf die Verwendung von besonders besorgniserregenden Chemikalien. Das heißt, bevor eine Firma etwa einen Stoff einsetzen darf, der Krebs auslösen könnte oder die Fruchtbarkeit von Mensch oder Tier beeinflussen, muss die EU-Kommission zustimmen. Das war der letzte große Streitpunkt auf der politischen Bühne:
Wie stark wird der Gesetzgeber der Wirtschaft vorschreiben, auf solche Stoffe zu verzichten und sie durch andere zu ersetzen? Hier gibt es zwei unterschiedliche Ansätze. Umweltschützer wie Stefan Scheuer vom Europäischen Umweltbüro fordern, solche Stoffe grundsätzlich zu ersetzen, also vom Markt zu nehmen.
" Die Substitution von besonders gefährlichen Stoffen mit irreversiblen Folgen muss verpflichtend festgeschrieben sein. Diese Stoffe müssen mit sicheren - also nicht Stoffen, die diese irreversiblen Folgen haben können oder nicht-chemikalischen Alternativen - ersetzt werden. Wenn das fest verankert ist und wenn das auch in den Köpfen der Industriebosse und derjenigen, die die Stoffe einsetzen, herstellen und so weiter, verankert ist, dann haben wir die Chance, dass diese De-Selektion auch wirklich in die richtige Richtung geht und damit auch den positiven Effekt erzielt, dass unsere Zukunft sicherer wird. "
Die Wirtschaft lief dagegen Sturm. Solch strenge Vorschriften zum Ersatz von Chemikalien hätten dramatische Folgen, meint Gerd Romanowski vom Verband der Chemischen Industrie.
" Für eine ganze Reihe von Produkten würde kein Unternehmen mehr eine längerfristige oder größere Investition planen, wenn es nicht sicher sein könnte, dass die Zulassung zunächst mal unbefristet erteilt wird. "
Denn jeder Aus- oder Neubau einer Chemieanlage ist eine Investition in die Zukunft, die sich oft erst nach mehreren Jahren rechnet. Aus Sicht der Chemieindustrie sind solch strenge Regeln nicht notwendig: Sie verweist auf ihr langjähriges Wissen, gefährliche Chemikalien sicher zu handhaben.
Der Kompromiss zwischen beiden Positionen: In Brüssel haben sich Vertreter des Europaparlaments und des Ministerrats darauf geeinigt, dass die Wirtschaft über Alternativen nachdenken muss, wenn es sich etwa um einen sehr langlebigen Stoff handelt. Das kann heißen, einen ungefährlichen Stoff einzusetzen oder einen Weg zu suchen, etwa eine andere technische Lösung zu finden.
Doch allein schon, dass es ein aufwendiges Zulassungsverfahren für besonders besorgniserregende Stoffe gibt, wird Folgen haben, meint Gerd Romanowski:
" Die Unternehmen werden sehr kritisch prüfen, welche Stoffe sie ins Zulassungsverfahren bringen - und das wird dazu führen, dass manche Stoffe, die ohnehin wirtschaftlich auf der Kippe stehen, die vielleicht schon am Rande von roten Zahlen sind, dann im Zweifelsfall eher zurückgezogen als weiter angeboten werden. "
Das müsse aber nicht unbedingt schwerwiegende Folgen haben - meint jedenfalls Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes.
" Wir haben aus allen Chemikalienregulierungen gelernt bei Einzelstoffen, dass sich über die Zeit hin - und zwar binnen weniger Jahre - die Industrie sehr schnell anpasst. Es gibt gewisse Anpassungskosten. Damit werden aber neue Märkte erschlossen. "
Ein Beispiel aus der Vergangenheit:
" Der Ersatz der Fluorchlorkohlenwasserstoffe - Stichwort FCKW, stratosphärische Ozonschicht - seit Beginn der 90er Jahre hat im Grunde dazu geführt, dass wir Ersatzstoffe bekommen haben, die wesentlich weniger ozonschädlich sind. Und wir gehen jetzt den Pfad, diese Ersatzstoffe, die wiederum Treibhauscharakter haben, auch sukzessive zu ersetzen. "
... durch für das Klima noch unschädlichere Chemikalien. Auch REACH könne solch eine Erfolgsstory werden, meint Andreas Troge. Und REACH kommt und wird wohl im Frühjahr 2007 in Kraft treten.
" Denn die einen sind im Dunkeln, und die anderen sind im Licht. "
Damit endet aber nicht die Geschichte von REACH, damit beginnt sie erst. Denn jetzt stehen die Firmen in der Pflicht. Was sie tun müssen, steht auf mehr als 1.000 Seiten, in rund 130 Artikeln und 20 erläuternden Anhängen. Das alles durchzulesen und vollständig zu verstehen, das wird von keiner kleineren Firma erwartet. Für sie gibt es Hilfe:
" Guten Tag, Sie sind verbunden mit dem HelpDesk von REACH "
Guten Tag. Ich habe ein paar Fragen zu REACH. Bin ich bei Ihnen richtig?
" Jawohl, da sind Sie bei uns richtig "
Mir geht es um Lacke, die ich herstelle. Ich verwende da zwei spezielle Chemikalien. Muss ich diese Stoffe registrieren lassen?
" Das ist eine Frage, die kann ich Ihnen jetzt direkt am Telefon nicht beantworten. Ich würde die Frage für Sie aufnehmen. Und in unser System eingeben und innerhalb von zwei, drei Tagen bekommen Sie die Antwort aus unserem Expertensystem zurück. "
So oder ähnlich könnte ein Telefongespräch mit Klaus Nolting, einem Fachmann von REACH-Net, der neuen nordrhein-westfälischen Auskunftsstelle für Chemikalien, beginnen. Die Zielgruppe für dieses Serviceangebot sind vor allem kleinere Firmen, die chemische Mischungen wie Farben, Schmieröle oder Klebstoffe herstellen oder anwenden. Zu diesen Firmen zählt der Kölner Lackhersteller Bollig & Kemper, der REACH-Net im Herbst getestet hat. Geschäftsführer Heinrich Kemper ist davon begeistert:
" Es hat uns erstens direkt von Anfang an die richtigen Informationen gebracht. Wir waren maßgeblich beteiligt bei diesem Test zu REACH-Net. Das heißt, die gesamte Industrie hat die Möglichkeit, die Fragen, die einen betreffen, was ist REACH, was kommt auf mich zu, was muss ich tun, dort sehr schnell und sehr kompetent beantwortet werden. Und somit jedem Unternehmen die Möglichkeit geben, sich mit dem Thema zu beschäftigen mit kompetenten Ansprechpartnern. "
Dieses Angebot besteht aus zwei Teilen. Einfache Fragen - also etwa, wie funktioniert REACH eigentlich - lassen sich auf einer Webseite klären oder durch einen Anruf in einem Call Center. Aber schon die Frage eines Lackherstellers, ob er diese oder jene Substanz weiter seinem Lack zumischen darf, kann schwierig zu beantworten sein. Solche Fragen werden an kompetente Fachleute weitergeleitet. Sie kommen aus Bundes- und Landesbehörden und aus kleineren und größeren Firmen. Und jede Antwort wird von mindestens zwei Fachleuten geprüft.
" Und wir werden dann den Fragesteller nicht mit irgendwelchem Expertenkauderwelsch überwerfen, sondern wir werden die Antwort so aufbereiten, dass er die Antwort auch versteht. Und dass er genau weiß, für meine ganz spezielle Situation muss ich das und das befolgen, um dann wirklich die REACH-Verordnung umsetzen zu können. "
Die Experten aus Verwaltung und Industrie arbeiten für die Auskunftsstelle kostenlos. Und es gibt noch mehr Anlaufstellen. So bietet die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin einen ähnlichen Service an. Und viele Wirtschaftsverbände und auch die Industrie- und Handelskammern vor Ort geben Auskunft.
Und in welchem Umfang mit REACH die Belastung von Mensch und Umwelt mit gefährlichen Chemikalien abnimmt, hängt auch vom Interesse des Einzelnen ab. Denn die Verbraucher erhalten mit REACH die Möglichkeit, in jedem Kaufhaus zu fragen, ob dieser Computer oder jenes T-Shirt sehr gefährliche Stoffe oberhalb einer gewissen Mengenschwelle enthält. Diese Auskunft gibt ihm dann die Möglichkeit, ein Produkt zu wählen, das ihm sicherer erscheint.
Und viele Handelsunternehmen werden aktiv werden, meint der REACH-Fachmann Andreas Ahrens. Sie werden nicht darauf warten, bis Kunden beziehungsweise Umwelt- oder Verbraucherschutzorganisationen nach schadstoffarmen Produkten fragen:
" Die sagen, jeder Schadstoffskandal wie beispielsweise TBT in Sporttrikots oder bestimmte schädliche Stoffe in Windeln oder in Kosmetika oder wo auch immer. Wenn ein Markenname so einen Schadstoffskandal am Hals hat, weiß er ganz genau, dass es einen Wertverlust an der Börse gibt, dass es möglicherweise Produkteinbrüche gibt und dass möglicherweise das Markenimage beschädigt wird. Also Lipobay-Skandal, Bayer, ist ein schönes Beispiel dafür. "
Das heißt: Die Politik schafft zurzeit mit REACH ein Mehr an Wissen über Chemikalien. Dies stetig zunehmende Wissen wird Wirkung zeigen: Manche Unternehmen werden freiwillig darauf verzichten, gefährliche Stoffe einzusetzen - andere werden erst reagieren, wenn sie Produkte mit gefährlichen Stoffen nicht mehr verkaufen können. Aber es scheint, als könnte REACH schrittweise das Risiko für Mensch und Umwelt senken.
Die Chemie ist gleichzeitig das Rückgrat der Wirtschaft. Viele tausend Substanzen werden in den Kesseln der Chemiefabriken hergestellt - eine Vielzahl von Firmen nutzen diese Rohstoffe, um daraus Farben, Lacke, Klebstoffe oder Schmieröle herzustellen und auch Computer, T-Shirts und andere Alltagsprodukte.
Doch die Chemie hat zwei Seiten. Zum einen basiert der Wohlstand der westlichen Welt zu einem großen Teil auf den Innovationen der Chemiefabriken. Die andere Seite: Viele Stoffe sind gefährlich und können den Menschen und die Umwelt schädigen. Einige können brennen, ätzen, manche Krebs auslösen. Ein Problem für Verbraucher, aber auch für die Wirtschaft: Über viele Stoffe ist viel zu wenig bekannt!
" Denn die einen sind im Dunkeln,
Und die anderen sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte.
Die im Dunkeln sieht man nicht! "
Moritat aus der Dreigroschenoper - Lotte Lenya
Befindet sich ein Stoff im Licht - weiß man also, welche Eigenschaften er hat, dann kann man in der Regel sicher mit ihm umgehen.
Viele Chemikalien befinden sich jedoch - bildlich gesprochen - im Dunkeln. Von ihnen ist nicht oder nur teilweise bekannt, welche Eigenschaften sie haben. Würde ein solcher Stoff etwa Allergien auslösen, könnte sich niemand davor schützen, da es niemand weiß, betont Stefan Scheuer vom Europäischen Umweltbüro, dem Dachverband europäischer Umweltverbände mit Sitz in Brüssel.
" Die größte Gefahr ist das Unwissen: nicht zu wissen, was die Chemikalien machen können, wenn sie mal freigesetzt sind. Und letztendlich werden fast alle Chemikalien irgendwann freigesetzt. Und die Folgen können gravierend sein, wie wir ja in den Fällen Asbest, DDT gesehen haben. Und mittlerweile gibt es auch Effekte, die sehr überraschend sind, kleinste Mengen von Stoffen, die hormonell wirksam sind, können große Schäden zum Beispiel an Embryonen erzeugen, die dann unfruchtbar sind. Das sind Folgen, irreversible Folgen. Und da wissen wir sehr wenig. "
Das soll sich ändern. Zwar gibt es auch jetzt schon nationale und europäische Chemikaliengesetze, aber die reichen der EU nicht aus. Deshalb beauftragten die Umweltminister im Jahr 1999 die Europäische Kommission damit, ein besseres Chemikaliengesetz zu schreiben.
Herausgekommen ist 'REACH'. Die Abkürzung steht für Verordnung zur Anmeldung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe. Letzte Woche haben sich Vertreter des Europaparlaments und des Ministerrat in Brüssel über die letzten strittigen Punkte geeinigt. Stimmt das Europaparlament kommende Woche dieser Einigung zu, können die neuen Regeln zum Umfang mit Chemikalien im Frühjahr 2007 in Kraft treten.
Worauf hat sich die Politik geeinigt? Was versteckt sich hinter REACH? Andreas Ahrens von Ökopol, dem Hamburger Institut für Ökologie und Politik, kennt REACH in und auswendig.
" Es gibt im Grunde zwei revolutionäre Neuerungen. Das eine, was an REACH wirklich neu ist, dass man sagt, man will über jeden Stoff, der auf den europäischen Markt kommt, ein Mindestbestand an Informationen haben. "
Eine Herkulesaufgabe! Innerhalb von elf Jahren müssen Hersteller und Importeure rund 30.000 Altstoffe überprüfen. Das heißt: Alle Stoffe, die seit mehr als 25 Jahren vermarktet werden und von denen eine Firma heute mehr als eine Tonne in der EU herstellt oder in die EU einführt. Hier gilt das Prinzip: Je mehr eine Firma von einer Substanz herstellt oder einführt, desto mehr muss sie über die Eigenschaften dieses Stoffs bekannt geben. REACH wird diese Stoffe schrittweise beleuchten.
" Und man siehet die im Lichte ... "
Und die zweite grundlegende Neuerung:
" Der Hersteller des Stoffes soll sich darauf festlegen, für welche Zwecke sein Stoff geeignet ist. Und zwar nicht nur in technischer Hinsicht - das macht jeder Betrieb, das er in seine technischen Merkblätter rein schreibt, wofür man den Stoff einsetzen kann -, sondern dass künftig auch unter Umwelt- und Gesundheitsgesichtspunkten die Hersteller von Stoffen schlichtweg sagen müssen, für die und die Anwendung glauben wir, dass der Stoff sicher handhabbar ist und bei der und der Anwendung halten wir den Stoffe für nicht sicher anwendbar und deshalb vermarkten wir ihn in diese Bereiche auch nicht mehr hinein. "
Ein Beispiel: Eine Chemiefabrik registriert einen Stoff und gibt als Verwendungszweck an: 'Einsetzbar in Farben im Außenbereich'. Jetzt darf ein Farbenhersteller, der eine Innenfarbe herstellt, diese Substanz nicht mehr verwenden - außer er übernimmt selber die Verantwortung für die sichere Anwendung dieses Stoffes in Kellern, Küchen und Wohnzimmern. Und prüft, ob die Belastung in Innenräumen ungefährlich ist.
Alles zusammen führt aus Sicht von Andreas Ahrens zu einer dritten grundlegenden Änderung in der Chemikalienpolitik.
" Dass nämlich die chemische Industrie und auch die Anwender die Verantwortung für die Produktsicherheit übernehmen. Bisher ist diese Verantwortung für 99 Prozent der Chemikalien, die sich auf dem Markt befinden, nicht gegeben. Das heißt, für 99 Prozent ist bisher der Staat zuständig zu bewerten, ob die Stoffe ein Risiko machen oder nicht. Und das wird sich ändern. REACH sagt, diese Verantwortung soll künftig die Wirtschaft selber übernehmen. "
Diese neue Verantwortlichkeit war einer der Gründe dafür, dass Wirtschaftsvertreter in den letzten Jahren Sturm gelaufen sind gegen die neuen Regeln.
" ... weil natürlich plötzlich das bisher relativ einfache Spiel, zu sagen, der Staat bewertet und wir produzieren und verdienen das Geld, so nicht mehr funktionieren wird. Das heißt, zukünftig muss ich sagen, für den Stoff, mit dem ich Geld verdiene, da übernehme ich auch die Verantwortung, dass er sicher eingesetzt wird, also sicher hergestellt, verarbeitet und eingesetzt wird. "
REACH verändert also die Chemikalienpolitik. Das bringt Vor- und Nachteile, erklärt Gerd Romanowski vom Verband der Chemischen Industrie:
" Die Behörden werden in Zukunft wissen, welche Stoffe in Europa produziert werden, welche nach Europa importiert werden, welche Eigenschaften diese Produkte haben, für welche Verwendungen sie vorgesehen sind und welche Expositionen von ihnen ausgehen. Das wird also schon die Informationslage bei den Behörden verbessern und damit bringt REACH auch gewisse Fortschritte in Sicherheit und Umweltschutz. "
Auch eine mittelständische Firma wie der Kölner Lackhersteller Bollig & Kemper sieht Vorteile durch REACH. Geschäftsführer Heinrich Kemper:
" Dass wir sicher sein können, dass wir Rohstoffe einsetzen, die kein Gefährdungspotential betreffen, dass wir Rohstoffe haben, die zugelassen sind. Dass wir unseren Kunden gegenüber sicher auftreten können und sagen können, unsere Produkte beinhalten nur registrierte Rohstoffe. Das ist natürlich ein schönes Gefühl und gibt eine gewisse Sicherheit. Von der Seite begrüßen wir natürlich REACH. "
Doch das Mehr an Informationen hat eine Kehrseite. Eigenschaften von Chemikalien zu testen und in Erfahrung zu bringen, in welchem Umfang ein Stoff Mensch und Umwelt belastet, kostet natürlich Geld, sagt Gerd Romanowski.
" Wir rechnen in der Chemieindustrie beispielsweise allein mit Test- und Registrierkosten in der Größenordnung von zwei Milliarden Euro. Dazu kommen bürokratische Anforderungen, Formulare, technische Leitfäden, die eingehalten werden müssen. Und die auch zu Belastungen in noch unbekannter Höhe führen werden. "
Der Preis für einige Chemikalien kann also steigen. Und ...
" Was auch nicht vernachlässigt werden darf, ist, dass indirekt durch REACH auch die Abnehmer der chemischen Industrie belastet werden dadurch, dass bestimmte Stoffe in Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen werden und deswegen Rezepturen neu entwickelt werden müssen. Das wird Kosten verursachen, deren Höhe wir aber nicht genau kennen. "
Diese Kosten werde gerade kleinere Betriebe belasten. Heinrich Kemper.
" Wir haben geschätzt für die Größe unseres Unternehmens - wir sind 190 Mitarbeiter -, dass pro Jahr etwa 300.000 Euro Mehrkosten auf uns zukommen, die sich auf der einen Seite zusammensetzen aus den Rohstoffkosten, den Mehrkosten, der Verwaltungsarbeit, das Kontrollieren, ob wir Rohstoffe einsetzen, die registriert sind. Und auf der anderen Seite das Thema, dass wir unseren Kunden zur Verfügung stehen, um die Information weiterzugeben, was passiert mit unserem Produkt beim Kunden. "
Denn auch eine Lackfabrik steht durch REACH in der Pflicht. Sie muss ihre Kunden über die sichere Anwendung ihrer Produkte informieren.
Doch trotz der zusätzlich anfallenden Kosten für die Wirtschaft werde sich REACH volkswirtschaftlich rechnen, betont Andreas Troge, Präsident vom Umweltbundesamt in Berlin.
" Im Vergleich dazu - und das ist ein wichtiges Argument: Allein im Arbeitsschutzbereich lassen sich durch die Europäische Chemikalienpolitik 30 Milliarden Euro bis 2030 sparen, im Gesundheitsschutz etwa 5 Milliarden bis 2020. Zur Umwelt haben wir noch gar keine Angaben. Das heißt, die Rendite der Politik an sich ist deutlich positiv. "
REACH ist aber mehr als eine Datensammelmaschinerie. Mit den neuen Chemikalienregeln richtet die EU ihr Augenmerk auf die Verwendung von besonders besorgniserregenden Chemikalien. Das heißt, bevor eine Firma etwa einen Stoff einsetzen darf, der Krebs auslösen könnte oder die Fruchtbarkeit von Mensch oder Tier beeinflussen, muss die EU-Kommission zustimmen. Das war der letzte große Streitpunkt auf der politischen Bühne:
Wie stark wird der Gesetzgeber der Wirtschaft vorschreiben, auf solche Stoffe zu verzichten und sie durch andere zu ersetzen? Hier gibt es zwei unterschiedliche Ansätze. Umweltschützer wie Stefan Scheuer vom Europäischen Umweltbüro fordern, solche Stoffe grundsätzlich zu ersetzen, also vom Markt zu nehmen.
" Die Substitution von besonders gefährlichen Stoffen mit irreversiblen Folgen muss verpflichtend festgeschrieben sein. Diese Stoffe müssen mit sicheren - also nicht Stoffen, die diese irreversiblen Folgen haben können oder nicht-chemikalischen Alternativen - ersetzt werden. Wenn das fest verankert ist und wenn das auch in den Köpfen der Industriebosse und derjenigen, die die Stoffe einsetzen, herstellen und so weiter, verankert ist, dann haben wir die Chance, dass diese De-Selektion auch wirklich in die richtige Richtung geht und damit auch den positiven Effekt erzielt, dass unsere Zukunft sicherer wird. "
Die Wirtschaft lief dagegen Sturm. Solch strenge Vorschriften zum Ersatz von Chemikalien hätten dramatische Folgen, meint Gerd Romanowski vom Verband der Chemischen Industrie.
" Für eine ganze Reihe von Produkten würde kein Unternehmen mehr eine längerfristige oder größere Investition planen, wenn es nicht sicher sein könnte, dass die Zulassung zunächst mal unbefristet erteilt wird. "
Denn jeder Aus- oder Neubau einer Chemieanlage ist eine Investition in die Zukunft, die sich oft erst nach mehreren Jahren rechnet. Aus Sicht der Chemieindustrie sind solch strenge Regeln nicht notwendig: Sie verweist auf ihr langjähriges Wissen, gefährliche Chemikalien sicher zu handhaben.
Der Kompromiss zwischen beiden Positionen: In Brüssel haben sich Vertreter des Europaparlaments und des Ministerrats darauf geeinigt, dass die Wirtschaft über Alternativen nachdenken muss, wenn es sich etwa um einen sehr langlebigen Stoff handelt. Das kann heißen, einen ungefährlichen Stoff einzusetzen oder einen Weg zu suchen, etwa eine andere technische Lösung zu finden.
Doch allein schon, dass es ein aufwendiges Zulassungsverfahren für besonders besorgniserregende Stoffe gibt, wird Folgen haben, meint Gerd Romanowski:
" Die Unternehmen werden sehr kritisch prüfen, welche Stoffe sie ins Zulassungsverfahren bringen - und das wird dazu führen, dass manche Stoffe, die ohnehin wirtschaftlich auf der Kippe stehen, die vielleicht schon am Rande von roten Zahlen sind, dann im Zweifelsfall eher zurückgezogen als weiter angeboten werden. "
Das müsse aber nicht unbedingt schwerwiegende Folgen haben - meint jedenfalls Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes.
" Wir haben aus allen Chemikalienregulierungen gelernt bei Einzelstoffen, dass sich über die Zeit hin - und zwar binnen weniger Jahre - die Industrie sehr schnell anpasst. Es gibt gewisse Anpassungskosten. Damit werden aber neue Märkte erschlossen. "
Ein Beispiel aus der Vergangenheit:
" Der Ersatz der Fluorchlorkohlenwasserstoffe - Stichwort FCKW, stratosphärische Ozonschicht - seit Beginn der 90er Jahre hat im Grunde dazu geführt, dass wir Ersatzstoffe bekommen haben, die wesentlich weniger ozonschädlich sind. Und wir gehen jetzt den Pfad, diese Ersatzstoffe, die wiederum Treibhauscharakter haben, auch sukzessive zu ersetzen. "
... durch für das Klima noch unschädlichere Chemikalien. Auch REACH könne solch eine Erfolgsstory werden, meint Andreas Troge. Und REACH kommt und wird wohl im Frühjahr 2007 in Kraft treten.
" Denn die einen sind im Dunkeln, und die anderen sind im Licht. "
Damit endet aber nicht die Geschichte von REACH, damit beginnt sie erst. Denn jetzt stehen die Firmen in der Pflicht. Was sie tun müssen, steht auf mehr als 1.000 Seiten, in rund 130 Artikeln und 20 erläuternden Anhängen. Das alles durchzulesen und vollständig zu verstehen, das wird von keiner kleineren Firma erwartet. Für sie gibt es Hilfe:
" Guten Tag, Sie sind verbunden mit dem HelpDesk von REACH "
Guten Tag. Ich habe ein paar Fragen zu REACH. Bin ich bei Ihnen richtig?
" Jawohl, da sind Sie bei uns richtig "
Mir geht es um Lacke, die ich herstelle. Ich verwende da zwei spezielle Chemikalien. Muss ich diese Stoffe registrieren lassen?
" Das ist eine Frage, die kann ich Ihnen jetzt direkt am Telefon nicht beantworten. Ich würde die Frage für Sie aufnehmen. Und in unser System eingeben und innerhalb von zwei, drei Tagen bekommen Sie die Antwort aus unserem Expertensystem zurück. "
So oder ähnlich könnte ein Telefongespräch mit Klaus Nolting, einem Fachmann von REACH-Net, der neuen nordrhein-westfälischen Auskunftsstelle für Chemikalien, beginnen. Die Zielgruppe für dieses Serviceangebot sind vor allem kleinere Firmen, die chemische Mischungen wie Farben, Schmieröle oder Klebstoffe herstellen oder anwenden. Zu diesen Firmen zählt der Kölner Lackhersteller Bollig & Kemper, der REACH-Net im Herbst getestet hat. Geschäftsführer Heinrich Kemper ist davon begeistert:
" Es hat uns erstens direkt von Anfang an die richtigen Informationen gebracht. Wir waren maßgeblich beteiligt bei diesem Test zu REACH-Net. Das heißt, die gesamte Industrie hat die Möglichkeit, die Fragen, die einen betreffen, was ist REACH, was kommt auf mich zu, was muss ich tun, dort sehr schnell und sehr kompetent beantwortet werden. Und somit jedem Unternehmen die Möglichkeit geben, sich mit dem Thema zu beschäftigen mit kompetenten Ansprechpartnern. "
Dieses Angebot besteht aus zwei Teilen. Einfache Fragen - also etwa, wie funktioniert REACH eigentlich - lassen sich auf einer Webseite klären oder durch einen Anruf in einem Call Center. Aber schon die Frage eines Lackherstellers, ob er diese oder jene Substanz weiter seinem Lack zumischen darf, kann schwierig zu beantworten sein. Solche Fragen werden an kompetente Fachleute weitergeleitet. Sie kommen aus Bundes- und Landesbehörden und aus kleineren und größeren Firmen. Und jede Antwort wird von mindestens zwei Fachleuten geprüft.
" Und wir werden dann den Fragesteller nicht mit irgendwelchem Expertenkauderwelsch überwerfen, sondern wir werden die Antwort so aufbereiten, dass er die Antwort auch versteht. Und dass er genau weiß, für meine ganz spezielle Situation muss ich das und das befolgen, um dann wirklich die REACH-Verordnung umsetzen zu können. "
Die Experten aus Verwaltung und Industrie arbeiten für die Auskunftsstelle kostenlos. Und es gibt noch mehr Anlaufstellen. So bietet die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin einen ähnlichen Service an. Und viele Wirtschaftsverbände und auch die Industrie- und Handelskammern vor Ort geben Auskunft.
Und in welchem Umfang mit REACH die Belastung von Mensch und Umwelt mit gefährlichen Chemikalien abnimmt, hängt auch vom Interesse des Einzelnen ab. Denn die Verbraucher erhalten mit REACH die Möglichkeit, in jedem Kaufhaus zu fragen, ob dieser Computer oder jenes T-Shirt sehr gefährliche Stoffe oberhalb einer gewissen Mengenschwelle enthält. Diese Auskunft gibt ihm dann die Möglichkeit, ein Produkt zu wählen, das ihm sicherer erscheint.
Und viele Handelsunternehmen werden aktiv werden, meint der REACH-Fachmann Andreas Ahrens. Sie werden nicht darauf warten, bis Kunden beziehungsweise Umwelt- oder Verbraucherschutzorganisationen nach schadstoffarmen Produkten fragen:
" Die sagen, jeder Schadstoffskandal wie beispielsweise TBT in Sporttrikots oder bestimmte schädliche Stoffe in Windeln oder in Kosmetika oder wo auch immer. Wenn ein Markenname so einen Schadstoffskandal am Hals hat, weiß er ganz genau, dass es einen Wertverlust an der Börse gibt, dass es möglicherweise Produkteinbrüche gibt und dass möglicherweise das Markenimage beschädigt wird. Also Lipobay-Skandal, Bayer, ist ein schönes Beispiel dafür. "
Das heißt: Die Politik schafft zurzeit mit REACH ein Mehr an Wissen über Chemikalien. Dies stetig zunehmende Wissen wird Wirkung zeigen: Manche Unternehmen werden freiwillig darauf verzichten, gefährliche Stoffe einzusetzen - andere werden erst reagieren, wenn sie Produkte mit gefährlichen Stoffen nicht mehr verkaufen können. Aber es scheint, als könnte REACH schrittweise das Risiko für Mensch und Umwelt senken.