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Zwischen Vertrauen und Skepsis

Der Plan von US-Präsident George W. Bush, Georgien und die Ukraine in die NATO zu integrieren, stößt in Russland auf heftige Ablehnung. Und die nächste Runde der NATO-Osterweiterung ist nur ein Punkt in einer langen Reihen von russischen Kritikpunkten an der Politik des Westens. Robert Baag berichtet.

    Das Leitmotiv ist vergleichsweise betagt, zieht sich durch die letzten Monate und Jahre und wiederholt sich als axiomhaftes Bekenntnis russischer Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber dem Westen, speziell gegenüber der westlichen Allianz: Eine neue Runde der NATO-Osterweiterung - diesmal unter Einschluss der ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine und Georgien - ist für den Kreml nicht akzeptabel, denn - so jüngst noch einmal Russlands Außenminister Sergej Lavrov:

    "Natürlich haben wir registriert, dass auf den Territorien der neuen NATO-Mitgliedsstaaten neue militärische Infrastrukturen entstehen, sich Patrouillenflüge der Luftstreitkräfte intensivieren, neue Flugplätze gebaut werden, ausländische Militärbasen entstehen. Zwar hören wir, dass die NATO-Erweiterung nicht gegen Russland gerichtet sei, und was die heutigen Politiker im Westen angeht, glauben wir das auch. Aber ich darf an das Bismarck-Zitat erinnern: "Bei der Militärpolitik zählt nicht die Absicht sondern das Potential!""

    Und hier ist die Liste inzwischen lang, über die sich die russischen Außen- und Verteidigungspolitiker beklagen. Im vergangenen Jahr, geprägt durch die russischen Duma- und Präsidentschaftswahlen, waren das in Mittelost-Europa geplante US-Raketen-Abwehrsystem, die vom Westen betriebene Anerkennung des Kosovo gegen den Widerstand Moskaus, das einseitig verkündete russische Moratorium beim KSE-Vertrag, der die Obergrenzen bei Konventionellen Streitkräften regelt, nicht zuletzt jedoch die nächste "NATO-Ost-Erweiterungsrunde" stets wiederkehrende Anlässe zu gereizten Wortwechseln mit dem Westen.

    Pavel Zolotarjov, Generalmajor der Reserve und heute stellvertretender Direktor des USA- und Kanada-Instituts bei der Russischen Akademie der Wissenschaften skizziert, wie er sich deshalb eine künftige militärpolitische Zusammenarbeit zwischen der NATO und Russland vorstellen könnte:

    "Außerhalb des kollektiven Verteidigungssystems muss Russland bei einem Entscheidungsprozess idealerweise auf Augenhöhe mit den anderen NATO-Mitgliedern beteiligt sein. In jenem Zimmer, in dem die eigentliche NATO-Militärplanung stattfindet, haben wir nichts verloren, genauso wie die NATO in dem entsprechenden Zimmer unseres Generalstabs nichts zu suchen hat. Zweitens: Es sollte nicht nur um das Verhältnis Russland - NATO gehen, sondern um eine vollwertige Zusammenarbeit der NATO mit der OKDB, der Organisation für die kollektive Sicherheit, innerhalb der GUS, also der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten auf dem postsowjetischen Territorium, auch wenn die ODKB zwar noch nicht völlig funktionsfähig sein mag, in diesem Raum aber notwendig ist."

    Nüchterner hingegen beurteilt der Moskauer Politologe Mark Urnov die Einflussmöglichkeiten, über die Russland verfügt, um die Politik des Westens gemäß den Kreml-Wünschen zu gestalten. Lautstark vorgetragene Negativ-Mythen seien dabei zwecklos. Etwa, so Urnov, nach der Tonart:

    "Die NATO ist schon dabei und plant, gegen uns vorzugehen... - Ach, kommen Sie, die Militärs auf beiden Seiten wissen doch, wie es wirklich aussieht: Weder für die USA, noch für die EU, noch für die NATO ist Russland heute ein strategischer Gegner; Russland besitzt Atomwaffen, ist immer noch nicht sehr berechenbar und stabil, seine territoriale Integrität steht im Süden und Osten unter einem großen Fragezeichen. Das sind die Realitäten, von denen die NATO ausgeht!"

    "Diplomatie per Megaphon ist kontraproduktiv", stimmt Isabelle Francois zu, Leiterin des Moskauer NATO-Informations-Büros. - "Dröhnende Botschaften über die Medien spiegeln nämlich oft nicht das Niveau vorangehender Gespräche hinter geschlossenen Türen wieder!"

    Kaum bekannt sei, dass die NATO und Russland bereits in vielen Bereichen vertrauensvoll zusammenarbeiteten, fügt Isabelle Francois hinzu. Über den NATO-Russland-Rat koordiniere man zum Beispiel Aktionen im Kampf gegen den Internationalen Terrorismus, gegen den Rauschgift- und Waffenhandel oder auch beim Katastrophen- und Umweltschutz. - Klar sei aber auch, sagt sie, dass Russland kein Vetorecht bei der Aufnahme neuer Mitglieder in die Allianz zustehe. Ob es beim heute beginnenden Bukarester NATO-Gipfel die von Russland heftig bekämpfte Empfehlung geben werde, der Ukraine und Georgien eine konkrete Aufnahme-Perspektive zu geben, sei noch völlig offen und werde wohl erst auf dem Gipfel selbst entschieden.