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Zwischen vier Augen oder zwischen Tür und Angel?

    Forscher von der Ruhr-Uni Bochum haben im vergangenen Jahr erstmals die Rolle von Sprechstunden, die Lehrende ihren Studierenden anbieten, im Rahmen einer Studie untersucht. Die Ergebnisse haben die Betreuer der Studie "Sprechstundengespräche an der Hochschule" Professor Wolfgang Boettcher und Dr. Dorothee Meer jetzt in einem Buch zusammengetragen. Für Studierende ist die Sprechstunde ein wertvolles Gut, das leider viel zu knapp ist. Das sei ein echtes Problem, meint Dorothee Meer: "Viele merken es erst in der Examensphase, wenn es wirklich hart auf hart geht, aber dieses Problem existiert natürlich schon während des Studiums, zumindest in den großen Fächern." Die Sprechstunde ist in den Massenfächern die einzige echte Kontaktmöglichkeit zwischen Studierenden und Lehrenden. In Vorlesungen oder Seminaren seien die Studierenden eher in einer rezeptiven Rolle, so Meer: "Man kann sich zwar vereinzelt zu Wort melden, aber das ist nicht das Entscheidende. Der einzelne Student geht da unter." Zwar halten die Hochschulen die Professoren dazu an, Sprechstunden anzubieten, rechtliche Festlegungen, in welchem Umfang und welcher Form das geschehen muss, gibt es allerdings nicht. "In der großen Mehrzahl der Fälle, so sind unsere Ergebnisse in vier Fakultäten, kann man sagen, dass die angebotene Zeit schlicht und ergreifend nicht ausreicht." Ein bis zwei Stunden opferten die Lehrenden in der Regel für Sprechstunden, und viele empfinden das tatsächlich als ein Opfer. "Man gibt etwas von seiner Arbeitszeit ab, was eher als Geschenk oder Angebot empfunden wird, und nicht als eine berufliche Verpflichtung, die mit dem Beruf und der damit verbundenen Position zusammenhängt."

    Eines der wenigen positiven Ergebnisse der Studie: In einzelnen Fächern gibt es ein größeres Interesse an Studierenden. "Das scheint für die Ingenieurswissenschaften der Fall zu sein", fand Meer heraus. "Das hat zwei Gründe: Erstens ist hier die Studierenden-Lehrenden-Relation wesentlich günstiger als in den meisten anderen Fächern. Dazu kommt, dass es im Bereich der Ingenieurswissenschaften die Praxis gibt, Studierende bereits auf Forschungsprobleme anzusetzen." Da sei natürlich auch das Interesse der Lehrenden an den Ergebnissen der Studierenden groß, weil es für ihre eigene Arbeit relevant ist.

    Mögliche Verbesserungen sehen die Autoren der Studie unter anderem in einem Umstrukturieren von Betreuungsangeboten. Viele organisatorische Fragen, die in Sprechstunden immer wieder auftauchen, ließen sich auslagern. "Das Zeitproblem lässt sich auf diesem Weg aber sicherlich nicht lösen", so Meer. Hier führe kein Weg an einer Ausdehnung der Angebote vorbei. In einem Folgeprojekt werden an der Ruhr-Universität nun Wege entwickelt, wie man Lehrende im Umgang mit Sprechstunden besser schulen kann. Abschließend soll aus den gesammelten Erkenntnissen ein "Handbuch Sprechstunde" entstehen, das sich an Lehrende und Studierende richtet.

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    Die Untersuchungsergebnisse sind in folgendem Band zusammengestellt: Boettcher, Wolfgang / Meer, Dorothee (Hrsg.): "Ich hab nur ne ganz kurze Frage" - Umgang mit knappen Ressourcen. Sprechstundengespräche an der Hochschule. Reihe Hochschulwesen - Wissenschaft und Praxis. Neuwied, Kriftel. Luchterhand 2000. ISBN: 3-472-04327-X