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Zwischen Wein und Dezibel

Da wo der Rhein am schönsten ist, rattern 120 Güterzüge jede Nacht alleine auf der rechtsrheinischen Strecke durchs enge Mittelrheintal. Sieben Mal jede Nacht werden die Menschen dort durchschnittlich aus dem Schlaf gerissen. Die gesundheitsgefährdenden Werte werden laut einer Studie teilweise um das 250-fache überschritten - jetzt soll es Konsequenzen geben.

Von Ludger Fittkau | 28.02.2012
    Einen eindrucksvollen Vergleich zog in Bingen Philipp Wälterlin vom Schweizerischen Bundesamt für Verkehr. Er stellte das Foto eines Volkswagens aus der Nachkriegszeit neben das eines Güterwaggons aus derselben Zeit. Der Unterschied sei: Der VW der ersten Stunde sei längst im Museum, der 70 Jahre alte Güterwaggon rattert immer noch weitgehend unverändert auf Europas Schienen:

    "Der Fracht ist es egal, wie laut sie transportiert wird. Die Bahn lebt von einem Umweltbonus, der zumindest im Bereich Lärm nicht gerechtfertigt ist, höchstens bei der Luftreinhaltung."

    Die Schweiz gilt hierzulande inzwischen als europäisches Vorbild bei der Bahnlärmbekämpfung. In der Alpenrepublik sollen aus Lärmschutzgründen bis 2020 alle alten und besonders lauten Güterzüge von den Gleisen verschwinden. Das wollen die Umweltministerinnen von Hessen und Rheinland-Pfalz, Lucia Puttrich (CDU) und Ulrike Höfken (Bündnis 90/ Die Grünen), nun auch für das Mittelrheintal durchsetzen - gemeinsam:

    Puttrich: "Ich bin, als ich eben rein kam, gefragt worden, ob das nicht unüblich sei, das Rheinland-Pfalz und Hessen, unterschiedlich politisch regiert, gemeinsam ein Thema vertreten würden. Und da sage ich einfach: Es wäre schlimm, wenn das nicht normal wäre, das zu tun, weil Bahnlärm schlicht und einfach nicht an den Landesgrenzen aufhört."

    Höfken: "Ich bin ja nun etwas neuer in diesem Amt und muss feststellen, es ist der Lärm – und auch Erschütterungsbereich ein Themenfeld, das politisch unglaublich vernachlässigt worden ist. In Brüssel, Herr Wälterlin war auch dort, haben wir eine Veranstaltung mit der EU-Kommission gemacht und feststellen müssen, wir waren das erste Bundesland oder Land überhaupt, das eine Veranstaltung zum Thema Lärm gemacht hat. Es gibt für alles Grenzwerte, für Lärm gibt es das nicht."

    Die nun vorgelegte wissenschaftliche Studie bildet die Grundlage für einen sogenannten "Bahnlärm-Index" für das Mittelrheintal, in dem minutiös für 31 Gemeinden mit insgesamt 137.000 Einwohnern die Lärmbelastungen festgehalten werden. Die Verfasser der Studie, Wissenschaftler der Fachhochschule Trier und des Hagener Umweltforschungsinstituts "ZEUS", haben dabei errechnet, dass mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung der Güterzüge auf maximal Tempo 70 knapp ein Fünftel der Höchstbelasteten im Mittelrheintal spürbar entlastet würde. Die rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken griff in der Diskussion diesen Punkt auf und forderte von den anwesenden Vertretern der Bahn AG eine Stellungnahme:

    "Ich denke, es ist auch hilfreich, wenn sich da Maßnahmen rauskristallisieren, die ja gar nicht so viel Geld kosten. Eine Kilometerbeschränkung, ich habe aufgrund des Gutachtens die Daten herangezogen der Uni Trier. Aber das wäre ja, da bin ich gespannt, was die Bahn antwortet oder vielleicht beiträgt, durchaus realisierbar."

    Udo Wagner, Konzernbevollmächtigter der Deutsche Bahn AG für die Länder Rheinland-Pfalz und Saarland verwies den Vorschlag des Tempolimits für Güterzüge gleich an den Bund weiter, der folgende Fragen beantworten müsse:

    "Was heißt eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 50 km/h, oder 70 km/h, die hier angesprochen worden ist? Welche Auswirkungen hat das zwangsläufig auf die Infrastruktur und die daraus abzuleitenden Maßnahmen? Stichwort: Neue Infrastruktur schaffen. Das sind Fragen, die sich für mich heute erst einmal daraus stellen."

    Der Schweizer Bahnexperte Philipp Wälterlin gab den Vertretern von Bahn und Politik am Ende der Binger Bahnlärm-Veranstaltung noch einmal einen schlichten Rat mit auf den Nachhauseweg: Bei allen wirtschaftlich noch so wichtigen Bahnprojekten dürfe man die Interessen der Bevölkerung nicht aus dem Auge verlieren:

    "Der Ausbau der Bahninfrastruktur gelingt nur, wenn die Bevölkerung nicht auf die Barrikaden steigt. Und die Bevölkerung gewinnt man nur, wenn man sie auch schlafen lässt."