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Zwischen Zeilen und Sprachen

Auf einem internationalen Symposium in Saarbrücken haben Sprach- und Übersetzungswissenschaftler darüber diskutiert, dass zu übersetzen mehr ist als von einer Sprache in eine andere zu übertragen. Außerdem ging es um die Veränderungen innerhalb einer Sprache, die Übersetzungen nach sich ziehen.

Von Tonia Koch |
    "Das ist oft ein Problem des Textaufbaues in der Originalsprache, in der Muttersprache. Viele Gebrauchsanweisungen werden unter großem Zeitdruck oder mit sehr geringen Mitteln erstellt. Da ist zum Beispiel die Text-Bild-Integration ein großes Problem. In der Forschung gibt es tolle Modelle, die man anwenden könnte. Aber dann kostet die Textproduktion eine Menge Geld, das die Firmen nicht bereit sind, auszugeben."

    Vier Jahre lang hat Silvia Hansen Schirra, gemeinsam mit Kollegen der Universität des Saarlandes, das Sprachenpaar Deutsch-Englisch untersucht. Sie haben zum Beispiel literarische Texte, Tourismusbroschüren und Wirtschaftskorrespondenz ausgewertet. Entstanden ist durch diese empirische Untersuchung eine Datenbank, die Übersetzern die Arbeit zukünftig erleichtern soll. Der Vorteil dieser Datenbank gegenüber einem herkömmlichen Wörterbuch liege darin - so die Sprachexpertin -dass dort auch Beispiele aufgeführt seien, wie die Redewendung in den Text eingebaut werden könne. Von besonderer Bedeutung sei dies, wenn folgendes Problem auftauche:

    "Kontrastive Lücken in der Zielsprache"

    Der Laie stutzt bei dieser Formulierung. Aber keine Sorge, Silvia Hansen Schirra versteht ihr Handwerk.

    "Wenn das Englische eine Konstruktion aufweist, die das Deutsche nicht hat, dann hat man als Übersetzer ein Problem. Dann muss man diese Lücke irgendwie kompensieren. Und diese Beispiele kann man in unserer Datenbank automatisch auffinden und sich Anregungen für die Übersetzung suchen."

    Übersetzer lesen zwischen den Zeilen, interpretieren und fügen Begriffe hinzu, wenn es dem Verständnis dient. Auf diese Weise veränderten Übersetzungen eine Sprache. Ein gutes Beispiel dafür sei die englische Fachsprache, die inzwischen stark von deutschen Einflüssen geprägt sei, sagt Silvia Hansen Schirra:

    "Heutzutage wird sehr viel in englischer Sprache publiziert, das heißt, deutsche Autoren schreiben auf Englisch. Dadurch wird das Englische sehr viel nominaler,als es ein Muttersprachler schreiben würde."

    Vielfach werden diese Texte - von deutschen Autoren auf Englisch verfasst - erneut ins Deutsche oder auch in andere Sprachen übertragen. Das verstärke den Trend, dass die Fachsprache zunehmend von Substativen geprägt werde. Ein Grund zur Sorge sei dies jedoch nicht, sagt die Norwegerin Catherine Fabricius Hansen, Sprachwissenschaftlerin an der Universität Oslo:

    "Das sind Tendenzen, die entstehen - genau wie in der Mode. Wie in anderen Bereichen gibt es das auch in der Sprache."

    Keine allzu großen Sorgen müssten die Menschen davor haben, dass zu viele englische Begriffe in den deutschen Sprachgebrauch einfließen. Die Experten sind sich einig, dass dies ein normaler Prozess ist, der nicht negativ zu bewerten ist, denn er zeuge auch davon, dass das Deutsche eben noch eine lebendige Sprache sei. Elke Teich vom Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft an der Technischen Universität Darmstadt:

    "Es liegt in der Natur des Prozesses. Da braucht man nicht jammern, weil das Deutsche 'verenglischt' wird oder so. Das sind natürlich Prozesse in der Sprachentwicklung. Im Gegenteil: Wir sollten froh sein, dass in unsere Sprache viel übersetzt wird. Denn es gibt Sprachen, in die wird kaum noch übersetzt, und die sind vom Aussterben bedroht."

    Mitunter bedienten sich zum Beispiel Unternehmen in ihrer Kommunikation nach außen wie nach innen englischer Begriffe, um unangenehme Wahrheiten zu beschönigen. Die Rede ist zum Beispiel von "desinvestieren" statt von verkaufen oder schließen. Das klingt viel harmloser, ist interpretationsfähig und hat mitunter gehörige Rückwirkungen auf die Belegschaften. Nicht selten bedeutet Desinvestieren den Verlust von Arbeitsplätzen. Johann Haller, Professor für maschinelles Übersetzen an der Universität des Saarlandes:

    "Es wird eben 'fusioniert' und es werden 'Synergieeffekte erzielt', das bedeutet auch, dass eine Menge von Leuten ihren Arbeitsplatz verlieren oder es wird fusioniert, damit die 'Effizienz der Produktion gesteigert' werden kann - noch ein Euphemismus für Personalabbau."

    In Geschäftsberichten deutscher Unternehmen sind die nett klingenden Umschreibungen allgegenwärtig, und Übersetzter können und dürfen ihnen nur selten zu Leibe rücken, denn sie sind ihren Auftraggebern verpflichtet. Professor Johann Haller.

    "Er muss kundenorientiert arbeiten. Ein Übersetzer wird dafür bezahlt, dass er solche Dinge so rüber bringen kann, dass sie keinen Skandal machen und verdaulich sind. Wobei es zwei Übersetzter gibt: Den einen, der die nackten Zahlen in die nette Sprache übersetzt und den eigentlichen Übersetzter, der das in einer anderen Sprache ausdrückt."

    In ihrer vergleichenden Untersuchung haben die Wissenschaftler festgestellt, dass bei Mitteilungen, die Unternehmen an ihre Aktionäre versenden, eine englische Originalfassung noch immer vager abgefasst wird, als eine deutsche Übersetzung.
    Stella Neumann:

    "Während Sprecher des Englischen eher dazu neigen, gewisse Dinge etwas zu kaschieren, ist man im Deutschen direkter. Und da finden wir durchaus in den Übersetzungen, dass Dinge klarer ausgedrückt werden, dass mehr auf die Krise hingewiesen wird."

    In der Tendenz - so die Ergebnisse der Untersuchung - werden geschäftliche Mitteilungen jedoch zunehmend standardisierter, damit zunehmend ähnlicher und immer unverbindlicher, das heißt sie orientieren sich vermehrt an der Erwartung des Adressaten. Sträflich vernachlässigt wird der Kunde in Tourismusbroschüren. Ob bei Hotelangeboten, Beschreibungen von Wanderwegen oder anderen touristischen Angeboten werde der Grundsatz: "Übersetzt wird in die Muttersprache", längst nicht mehr eingehalten. In diesem Bereich seien kaum noch Profis am Werk, sagt Stella Neumann.

    "Also in dem Fall würde ich ganz sicher sagen, vor Ort werden die Leute in Tourismusbüros daran gesetzt, selbst ihre Texte zu übersetzten."

    An dieser Stelle, so Neumann, werde eisern gespart.