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Zwölf Monate in 13 Teilen

Anfang Februar, wenn das neue Jahr längst nicht mehr neu ist, gibt es sie im Ausverkauf: Taschen-, Tisch-, Wand- und sonstige Kalender kosten nur noch die Hälfte. Wer noch nicht versorgt ist, sollte spätestens jetzt zugreifen - denn der Schreibwarenhändler möchte schließlich Platz in seinen Regalen schaffen.

Von Maja Ellmenreich | 04.02.2007
    Der musikalische Jahresüberblick von Fanny Hensel (geborene Mendelssohn), er ist zwar ein immerwährender Kalender, aber auch ihn bringt man am Besten zum Jahresbeginn auf den Markt. Sony Classical hat das vor kurzem getan. Die Neueinspielung des Klavierzyklus' "Das Jahr" möchte ich Ihnen heute Morgen vorstellen. Es spielt die junge Pianistin Lauma Skride.

    " Musikbeispiel: Fanny Mendelssohn-Hensel: Februar aus "Das Jahr" "

    Der italienische Karneval spukte durch Fanny Hensels Kopf, als sie den "Februar" komponierte. Dabei war Hochsommer, und sie in Berlin! Im August 1841 begann sie, ihre Reiseerinnerungen in Noten niederzuschreiben. Ein musikalischer Rückblick auf ein ganz besonderes Jahr sollte es werden, ein Rückblick auf ihr glücklichstes Jahr vielleicht.

    Fanny Hensel, geborene Mendelssohn, hatte sich 1839 mit Ehemann und Sohn eine Auszeit genommen. Heute würde man von einem Sabbatjahr sprechen, damals war es wohl eher eine ausgedehnte Bildungsreise für den Maler und die Komponistin bzw. Pianistin. In Mailand, Venedig, Florenz, Rom und Neapel hatten sie Station gemacht und die Eindrücke auf sich wirken lassen: Das Licht, die Farben, die Klänge und die Sprache - alles war anders als in der preußischen Heimat und war Erholung und Inspiration zugleich.

    Neu war für Fanny Hensel auch die Erfahrung, von anderen Komponisten als ebenbürtig anerkannt zu werden. In ihrer deutschen Heimat war sie - bei aller Begabung und Kreativität - doch stets die komponierende Ehefrau von Wilhelm Hensel oder die Klavier spielende Schwester von Felix Mendelssohn geblieben. In Rom aber achtete und ehrte man sie wegen ihres Talents. Besonders die Bewunderung durch den französischen Komponisten Charles Gounod genoss sie in vollen Zügen.
    Das stärkte ihr Selbstbewusstsein und ihre Kreativität.

    "Oh, du schönes Italien! Wie reich bin ich innerlich durch Dich geworden. Welch einen unvergleichlichen Schatz trag' ich im Herzen zu Haus! Werde ich so lebhaft behalten, wie ich empfunden?"

    Noch während sie in Italien war, fürchtete Fanny Hensel schon, dass die Intensität ihrer Erinnerungen verblassen würde.

    Doch nach ihrer Rückkehr dauerte es noch fast ein Jahr, bis sie ihr "musikalisches Tagebuch", den Klavierzyklus "Das Jahr" zu schreiben begann.

    " Musikbeispiel: Fanny Mendelssohn-Hensel: September aus "Das Jahr" "

    Wehmut klingt im "Jahr" von Fanny Mendelssohn Hensel nicht nur im "September" durch. In den 13 Klavierstücken - Januar bis Dezember plus Epilog - in den rund 50 Minuten Musik ist viel Platz für Melancholie. Das Jahr, das zwischen Rückkehr und Komposition lag, hat Fanny Hensels Sehnsucht nach Italien wohl nur noch verstärkt. So konkret die Bezüge zu einzelnen Orten und Ereignissen gelegentlich auch sind, so legitim ist es sicher auch, diesen Klavierzyklus als abstrakten Gefühlsausdruck einer Künstlerin anzusehen. Wer "Das Jahr" von Fanny Hensel nicht in- und auswendig kennt und nur von der Musik auf einen Monat zu schließen versucht, der gerät schnell ins Grübeln. Beim wechselhaften April mit seinen Wetter- bzw. Tempolaunen oder dem Dezember mit seinen Anklängen an den Choral "Vom Himmel hoch" - da ist es noch vergleichsweise einfach, beim Rest aber manchmal schier unmöglich. Fanny Hensel hat sich in den 13 Charakterstücken regelrecht ausgetobt und über uns Zuhörern die ganze Fülle ihrer Fertigkeiten ausgeschüttet. In jedem einzelnen Monat zeigt sich die Komponistin von einer anderen Seite - mal als stürmisch-überbordende Romantikerin, mal als ausgefuchste Technikerin, deren Virtuosität keine Grenzen kennt, dann als humorvolle Volksliedbearbeiterin, die es zu verhindern weiß, ins Derb-Komische abzugleiten und mehrfach auch als Kirchenmusikkennerin, die Choräle in ihre Musiksprache übersetzen kann.

    Solch eine Bandbreite verlangt nach einer adäquaten Interpretin. Die junge lettische Pianistin Lauma Skride ist nicht die erste, die Fanny Hensels Klavierzyklus "Das Jahr" eingespielt hat - aber ihre Interpretation ist eine der überzeugendsten. Hochmusikalisch, energisch, wohlüberlegt hat sie die 13 Stücke in Angriff genommen. Und besonders bemerkenswert ist, dass sie sich Zeit genommen hat. Lauma Skride hetzt nicht mit hängender Zunge durch die Noten, sondern besitzt mit gerade mal Mitte 20 den bewundernswerten Mut, Dinge auch mal ruhig anzugehen. Da verzeiht man es ihr dann auch, dass ihre Muskelkraft gelegentlich zu wünschen übrig lässt. So manch ein Griff in die Tasten hätte zupackender sein können.

    " Musikbeispiel: Fanny Mendelssohn-Hensel: Oktober aus "Das Jahr" "

    Sind Sie nicht die Schwester von ...? In gewisser Weise teilen Lauma Skride und Fanny Mendelssohn Hensel ein Schicksal, das nicht das einfachste ist. Die Schwester von jemandem zu sein, von dem genialen, arbeitswütigen Felix Mendelssohn Bartholdy bzw. von der hochbegabten, zudem noch überaus charmanten Geigerin Baiba Skride - das ist noch lange kein Garant für eigenen Erfolg.

    In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war er - Bruder hin oder her - Fanny Hensel einfach nicht vergönnt. "Nur Zierde, niemals Grundbass" sollte ihr die Musik sein - so der viel zitierte Wille von Vater Mendelssohn.

    Bei Lauma Skride ist die Situation selbstverständlich eine völlig andere: Als jüngste Tochter einer Musikerfamilie hat sie von frühester Kindheit an alle erdenkliche Förderung erhalten - der Weg zur Profimusikerin war beinahe vorprogrammiert. Zuerst studierte sie im heimatlichen Riga, anschließend bei Volker Banfield an der Musikhochschule in Hamburg. Konzertreisen und Wettbewerbe, Auszeichnungen und Auftritte schmücken ihre Vita. Die Verwandtschaft zu Baiba Skride hat ihr mit Sicherheit so manch eine Tür geöffnet, so manch ein Engagement verschafft - und auch das knallhart kalkulierende Major-Label Sony Classical hat ihr das CD-Debüt nicht aus purer Großherzigkeit geschenkt. Gleichzeitig aber steht Lauma Skride auch stets unter besonderer Beobachtung: Heißt sie nur Skride, oder kann sie auch was? Diesen Fragen muss sie mit ihrem Können standhalten. Auf ihrer ersten CD gibt sie eine deutliche Antwort: Ja, sie kann!

    " Musikbeispiel: Fanny Mendelssohn-Hensel: April aus "Das Jahr" "

    Lauma Skride hat ihr CD-Debüt gegeben: mit Fanny Hensels Zyklus "Das Jahr". Die CD ist eine Koproduktion zwischen dem Norddeutschen Rundfunk und Sony Classical.


    Titel: Fanny Mendelssohn-Hensel: "Das Jahr"
    Solistin: Lauma Skride, Klavier
    Label: Sony Classical
    Labelcode: LC 06868
    Bestell-Nr.: 88697030162