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Zwölf Stunden Klavier-Marathon

Der Berliner Pianist Stephan Ziron wollte ausprobieren, wie sich körperliche Anstrengung und Erschöpfung auf Musik auswirken. Deshalb hat er zwölf Stunden lang ununterbrochen Klavier gespielt. Frei improvisiert, ohne Noten und vor Publikum.

Von Friedemann Brenneis |
    "Ja, ich habe Durst, schwitze. Ich merke so ein bisschen meinen Rücken, also es ist jetzt so gerade die Zeit wo ein normales Konzert auch so zu Ende gehen würde, aber so rein von den Impulsen, Ideen und musikalisch bin ich da noch nicht am Ende, merk ich."

    Stephan Ziron sitzt, den Rücken zur Entspannung leicht nach vorne gebeugt, auf seiner Klavierbank in der Galerie des Berliner Kunst- und Kulturzentrums Brotfabrik. Umgeben von Tuschezeichnungen und Ölgemälden mit großnasigen Frauen hat er gerade zwei Stunden Klavier gespielt. Zehn Stunden liegen noch vor ihm. Ohne Noten und frei aus der Situation heraus. Stephan Ziron ist Improvisationsmusiker.

    ""Improvisation hat viel mit Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen zu tun und man muss sich trauen das zu spielen, was dort eben einfach ist."

    Optisch erkennbar ist dort im Moment nicht sonderlich viel. Der Pianist hat sein Instrument zur Wand gedreht, spielt mit dem Rücken zum Publikum, um sich nicht zu sehr vom Kommen und Gehen der Zuhörer beeinflussen zu lassen. Die sind nämlich nicht nur seinetwegen da, sondern auch wegen der Impro-Theatergruppen, die in den anderen Räumen der Brotfabrik auftreten.

    "Je später es wurde, desto mehr kamen Leute rein und raus, und das hat auch ‘ne Auswirkung, weil ich mir natürlich Gedanken mache, warum bleiben die Leute nicht, dabei ist das eigentlich totaler Quatsch, weil die Veranstaltung war ja so angelegt, aber ich mach mir als Künstler natürlich immer Gedanken, warum gehen Leute."

    Anzusehen sind Stephan Ziron diese Gedanken indes nicht. Mit geschlossenen Augen spielt er ganz in Konzentration versunken. Stunde um Stunde. Seine Musik variiert dabei langfristig. Auf eine von dunklen Akkorden und hämmernden Tastenanschlägen dominierte Phase folgt das Spiel mit einem verträumten Thema, passend zum Finale eines Liebesdramas auf einer imaginären Kinoleinwand.

    Tonhöhe, Rhythmus, Lautstärke – das sind die musikalischen Variablen, auf die Stephan Ziron beim Improvisieren spontan zurückgreift. Alle Tonarten und Varianten zusammengenommen hat er dabei rund 800 Akkorde zur Auswahl. Spiele er einen, ergebe sich der Nächste daraus ganz automatisch.

    "Ich hab dann auch die Augen zu und sehe ‘ne Mischung aus Tasten und Noten. Eigentlich sehe ich ‘ne Klaviertastatur und der Akkord, der kommt, ist hervorgehoben. Man sieht die Tasten, die man greifen muss. Das ist ein bisschen wie mein eigenes Lernsystem, was da aufleuchtet."

    Mittlerweile ist es spät geworden. Mehr als neun Stunden hat Stephan Ziron bereits Klavier gespielt, eine Schmerztablette genommen und zwei Energydrinks getrunken. Erstaunlicherweise fühle er sich zunehmend besser. Das liege vielleicht auch an den Endorphinen, weil jetzt "nur" noch zweieinhalb Stunden zu spielen sind.

    "Gegen halb eins oder so war ich irgendwie total in Krimilaune und hab ein bisschen mit diesen Krimiklischees gespielt, also mit den Harmonien, also was so an Actionfilm oder Krimi erinnert."

    Um drei Uhr morgens ist die Improvisation schließlich vorbei. Die musikalischen Ideen seien Stephan Ziron in den vergangenen zwölf Stunden nie ausgegangen. Aber das wird er noch genauer analysieren. Er hat das ganze Konzert mitgeschnitten und will es kommentiert ins Internet stellen. Das ist das Einzige, was er von vornherein geplant hatte.