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Zwölfspurig im Perma-Stau

In Abu Dhabi errichtete Frank O. Gehry eine Guggenheim-Filiale, Zaha Hadid ein Opernhaus und Jean Nouvel einen Louvre-Neubau. Und schon will auch das Nachbar-Scheichtum Dubai nachziehen. Ein aus Berlin eingeflogener Opern-Experte soll sich um das Konzept für einen funkelnagelneuen Kultur-Archipel kümmern: Michael Schindhelm schmiedet Pläne im Wüstensand.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Sama heißt: "den Himmel erreichen". Sama heißt eine der größten Baufirmen in Dubai. Sie befindet sich im Besitz der Herrscherfamilie Al Maktoum und baut Wolkenkratzer. Im Hauptquartier der Firma Sama, in einem der beiden 56 Stockwerke hohen Emirate Towers, ganz genau im sechsten Stock, hat Michael Schindhelm sein Büro. Schindhelm, der neue Kulturbeauftragte von Dubai, ist in Wirklichkeit Angestellter einer Baufirma.

    Was einem europäischen Besucher sonderbar vorkommt, macht in Dubai Sinn. Der Stadtstaat am Persischen Golf wird nicht nur wie eine Firma regiert; er ist im wesentlichen eine. Und da Schindhelm etwas bewegen soll, hat man ihn da hin gesetzt, wo das Geld ist. Es handelt sich um Beträge, die ebenso schwindelerregend hoch sind wie die geplanten Gebäude. Zum Beispiel die Dubai Towers. Sie entstehen in einem auf 14 Milliarden Euro veranschlagten Stadtentwicklungsprojekt namens "The Lagoons" - ein paar Kilometer von der Küste weg am Ende eines Meeresarms.

    Dort, wo es bis jetzt nur Wüste, Mangrovenwälder und Flamingokolonien gibt, soll ein Wohngebiet für 200.000 Menschen, aber auch ein Geschäftszentrum mit flammenartig züngelnden Hochhäusern, ein Naturpark sowie ein Kulturviertel mit Museen, Theatern und einem Opernhaus entstehen.

    "Aber was das konkret heißt, ist noch gar nicht klar. Es gibt erst mal Stichworte, und das Schöne ist - und auch das für Europa schwer Vorstellbare ist: Ich bin ja hier eingeladen worden, um erst mal zu definieren, was ich eigentlich machen soll."

    Seit einem Monat ist Schindhelm dort, und in vier Wochen wird er dem Herrscher von Dubai, Scheich Mohammed Bin Raschid al Maktoum, seine Pläne unterbreiten. Wenn es gut geht, und der Scheich daran Gefallen findet, dann hat Schindhelm allerdings ein Problem: Es wird von ihm erwartet, dass das Opernhaus auch ruckzuck da steht, inklusive Klangkörper von Weltrang. Denn obwohl eigentlich Langsamkeit zur Beduinenkultur gehört, befindet sich Dubai in einem weltgeschichtlich wohl einmaligen Geschwindigkeitsrausch: In nur vierzig Jahren entwickelte sich die Gegend von einem der ärmsten zu einem der reichsten Flecken auf der Erde, und jetzt wächst die Millionenstadt pro Jahr um 300.000 Einwohner. Da muss alles von Grund auf neu gedacht und gebaut werden: zum Beispiel ein öffentliches Transportsystem, denn auf den zwölfspurigen Autobahnen herrscht mittlerweile Dauerstau. Natürlich wird die künftige S-Bahn auch gleich eine Haltstelle am Opernhaus bekommen.

    "Es ist auch so, dass es meiner Meinung nach gar nicht überraschend ist, dass man, bevor man die Künstler hierher geholt hat, erst mal die Kaufleute geholt hat. Das ist ja fast immer so. Am Anfang wird eine Stadt gebaut. Die Städtebauer sind zuerst da. Und wenn die Städtebauer da sind, dann haben sie irgendwann einen Marktplatz errichtet und auf dem wird Handel getrieben. Das ist das zweite Kapitel der Entstehung einer städtischen Gesellschaft. Und dann erst kommt die Reflexion, dann erst kommt der Spiegel, dann kommt erst das Nachdenken über sich selbst - und an dem Punkt ist vielleicht Dubai innerhalb kürzester Zeit tatsächlich angekommen. Vielleicht auch nicht. Vielleicht ist es auch ein Missverständnis. Ich weiß es auch noch nicht. Aber im besten Falle wäre es das."

    Deshalb reicht es keineswegs, auf dem internationalen Kulturmarkt shoppen zu gehen. Das weiß Schindhelm sehr gut. Seine Kulturarbeit wird sich nicht darin erschöpfen, Simon Rattle, Daniel Barenboim oder Ableger des Festivals von Cannes oder des Pergamon-Museums nach Dubai zu holen, sondern er möchte die ontologische Beschleunigung, die Dubai gerade erfährt, selbst zum Gegenstand kultureller Befassung machen. Wie das genau aussehen soll, ist noch völlig offen. Derzeit steht noch nicht einmal fest, wer das Opernhaus bauen wird. Zaha Hadid hat zwar einen Entwurf geliefert, aber dass die irakisch-britische Architektin gerade für das neue Kulturzentrum im benachbarten Abu Dhabi, anderthalb Autostunden von Dubai entfernt, engagiert wurde, findet Schindhelm unglücklich. Die beiden Emirate sind nämlich in Bezug auf ihre kulturelle Weltgeltung durchaus Konkurrenten.

    "Es ist ein bißchen wie in Europa vielleicht vor 200, 300 Jahren, wo die Fürsten ja auch alle miteinander im Wettstreit standen und sich dementsprechend aufgestellt haben, einer bestimmte Repräsentationskultur zu haben. Das passiert jetzt hier möglicherweise auch."

    Diese Geschichtsperspektive hilft auch, die abendländische Arroganz, mit der viele Feuilletonisten derzeit auf die arabischen Emirate blicken, als das zu entlarven, was sie ist: nämlich Ignoranz. Schließlich hat es auch bei uns Phasen extrem rascher Aufschwünge gegeben, ausgelöst durch plötzlichen Reichtum. Das gilt für Venedig wie für San Francisco, und immer war es die Kultur, die dann folgte und für Nachhaltigkeit sorgte. Es ist schon fabelhaft, dass selbst die Wüstenscheichs zu wissen scheinen, dass man die Kultur braucht, um den Himmel zu erreichen.