Gudula Geuther: Frau Zypries, Sie haben in dieser Woche ein Konzept vorgelegt, wann Telefone abgehört werden dürfen - mit einigen Neuerungen, und ein Aufschrei von Unionsseite ist bisher ausgeblieben. Sie haben mitgearbeitet am Entwurf für eine Anti-Terror-Datei, das Modell, das jetzt diskutiert wird, wird sogar Ihnen zugeschrieben. Rechtsstaat in Zeiten terroristischer Bedrohung, das scheint in der Großen Koalition eine recht geräuschlose Angelegenheit zu sein.
Brigitte Zypries: Na ja - ob das so ganz geräuschlos werden wird, das müssen wir mal sehen. Fakt ist wenigstens, dass bei der Anti-Terror-Datei gute datenschutzrechtliche Ergebnisse erzielt wurden und wir ja auch bei unserem Entwurf jetzt der TKÜ, also der Telefonüberwachung, der Kommunikationsüberwachung, einen sehr niedrigen Maßstab angelegt haben.
Geuther: Trotzdem, vor ein paar Jahren hätten solche Weichenstellungen, egal in welche Richtung, noch erbitterte Diskussionen ausgelöst. Ist die SPD hier nach rechts gerückt, ist die Union nach links gerückt?
Zypries: Weder das eine noch das andere, glaube ich, ist richtig. Wir versuchen in Anbetracht der Bedrohungslage, die wir haben, und den Notwendigkeiten zum Datenaustausch und zur Ermittlung von Daten, ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen, aber gleichzeitig eben auch den Datenschutz der Menschen in höchstem Maße zu gewährleisten und da, wo wir ihn nicht von vorneherein gewährleisten können, wie zum Beispiel bei der Telefonüberwachung, sofortige Benachrichtigungsfristen mit Rechtsschutzmöglichkeiten vorzusehen.
Geuther: Es gibt aber in jedem Fall durch die Datei Eingriffe in den Datenschutz. Gleichzeitig werden Otto Schilys Gesetze zur Terrorismusbekämpfung gerade verlängert und verschärft, und das öffentliche Echo ist vergleichsweise gering. Was meinen Sie, warum ist das so? Steckt da Angst vor dem Terror dahinter, ist das Desinteresse, ist das einfach ein vernünftiger Zugang?
Zypries: Ich persönlich bin ja der Auffassung, dass sich das Bewusstsein der Menschen für den Datenschutz in diesem Lande sehr stark geändert hat. Es wird längst nicht mehr als so problematisch empfunden. Das gilt sowohl für staatliche Überwachungsmaßnahmen, nehmen Sie das Beispiel Videoüberwachung - was ja im Grunde die Menschen fordern -, und nehmen Sie vor allen Dingen den ganzen privatrechtlichen Bereich, diese ganzen Rabattkarten, die es gibt in großen Kaufhäusern. Das wird ja alles gemacht, und jeder nimmt damit in Kauf, dass die Wirtschaft ein Bewegungsbild und ein Einkaufsverhaltensbild von jeder Person bekommt. Das wäre doch zu Zeiten der Volkszählung völlig undenkbar gewesen.
Geuther: Was bedeutet das für politische Umsetzung? Kann man sich mit Bürgerrechten derzeit überhaupt irgendwie profilieren, oder spielt die Musik beim Arbeitslosengeld I oder II, beim Mindestlohn, bei der Unternehmenssteuer, das heißt also in der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozialpolitik?
Zypries: Ich bemühe mich schon seit einer ganzen Zeit, wieder so ein gewisses Bewusstsein für den Datenschutz zu erwecken und problematisiere auch das Verhalten der Menschen im privatrechtlichen Bereich häufiger. Aber es gibt da wenig Resonanz. Wiederum glaube ich, das ist eine Frage der Zeit, wann das dann mal wieder anhand eines Falles hochkommt und sich kristallisiert und dann auch wieder besser artikuliert werden kann.
Geuther: Man könnte das für Sie ja auch positiv drehen. Ist das vielleicht auch eine Nische, ein Freiraum, in dem Sie froh sind, in Ruhe arbeiten zu können?
Zypries: Ja also ich sage mal so: Mir persönlich wäre es lieber, das Datenschutzbewusstsein wäre insgesamt ein anderes.
Geuther: Dann kommen wir doch nochmal auf das Abhören zurück. Der Ausgangspunkt war ja einmal: Es wird immer mehr abgehört. Deshalb hatte Ihre Vorgängerin, Frau Däubler-Gmelin, ja schon vor acht Jahren ein Gutachten in Auftrag gegeben, auf das Sie sich jetzt auch gestützt haben. Im letzen Jahr wurden 42.500 Anschüsse abgehört, das ist wieder fast ein Viertel mehr als im Jahr zuvor. Wird sich daran irgend etwas ändern, wenn Ihr Entwurf Gesetz wird?
Zypries: Man muss dazu wissen, dass die Steigerungszahlen bei der Telefonüberwachung nicht daher resultieren, dass mehr Menschen abgehört werden, sondern dass ein Einzelner mehr Telefone hat. Wir brauchen nach unserem deutschen System für jedes abgehörte Handy eine extra Anordnung. Und deswegen ist es so, dass die Zahlen so stark nach oben gehen, was aber daran liegt, dass im eklatantesten Fall, den wir hatten, ein mutmaßlicher Täter 70 verschiedene Handys in Betrieb hatte und dementsprechend für eine Person 70 verschiedene Anordnungen nötig waren.
Geuther: Jetzt war ja ein wesentlicher Punkt, den die Gutachter am Max-Plank-Institut in diesem Gutachten kritisiert hatten, dass jemand, der abgehört wurde, viel zu selten davon erfährt. Und das ist ja einer der wesentlichen Punkte, die Sie ändern wollen.
Zypries: Das ist richtig. Wir haben mit unserem Gesetzentwurf die Konsequenz gezogen aus dieser Kritik des Gutachtens und haben vorgesehen, dass künftig jeder informiert werden muss, sobald die Abhörmaßnahme beendet ist. Und wenn aus irgendwelchen Gründen diese Information nicht erfolgen kann, dann muss ein Gericht darüber entscheiden, dass die Information noch ausgesetzt wird. Damit wollen wir sicherstellen, dass auch wirklich in jedem Fall künftig informiert wird. Das ist in der Vergangenheit offenbar häufiger vergessen worden oder aus anderen Gründen nicht getan worden.
Geuther: Das ist der Punkt der Information. Der andere Punkt ist eben die Frage, ob überhaupt abgehört wird. Ein Problem, das immer wieder kritisiert wird dabei, ist ja, dass ein Richter, der diese Maßnahme anordnet, kaum beurteilen kann, was er da eigentlich unterschreibt. Er bekommt eine dünne Akte, und im Prinzip muss er glauben, was die Ermittler sagen. Sie wollen jetzt, dass weniger, das heißt also auch spezialisiertere Ermittlungsrichter zuständig sind. Aber die werden doch nach wie vor dasselbe Problem haben.
Zypries: Da bin ich mir nicht sicher. Wenigstens sage ich mal positiv, wir erhoffen uns von der Tatsache, dass wir sagen, künftig soll immer der Richter bei der ermittelnden Staatsanwaltschaft die Entscheidung fällen, dass da ein anderer Kontakt gegebenenfalls besteht und Richter und Staatsanwalt sich auch noch einmal darüber auseinandersetzen, ob es denn nun wirklich erforderlich ist. Denn wir haben ja die ganze Überwachungsmaßnahme ausgestaltet quasi als ultima ratio der Überwachungsmaßnahmen. Wir sagen: Erst dann, wenn alle anderen Ermittlungsmaßnahmen nicht zum Erfolg geführt haben, erst dann darf man zur Telefonüberwachung greifen. Und das muss dann natürlich auch gegebenenfalls im Gespräch zwischen Richter und Staatsanwalt erörtert werden, ob wirklich alles getan wurde, damit der Richter eben die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs prüfen kann.
Geuther: Stichwort Überwachung und Stichwort ultima ratio: Der Bundestag hatte das Maut-Gesetz ja einmal erlassen mit der Maßgabe, dass die erhobenen Daten auch wirklich zu nichts anderem verwendet werden als nur für die Maut. Jetzt steht eben doch im Raum, die Daten für die Verbrechensaufklärung zu nutzen. Wie sieht das da aus mit dem Vertrauen in Beständigkeit von Politik?
Zypries: Das ist ein schwieriges Thema, weil schon sehr viele Menschen sich darauf verlassen haben, gleichzeitig aber auch sofort nach diesem ersten Fall eines mutmaßlichen Täters, der da mit dem LKW unterwegs war und eine Vergewaltigung begangen hat, die Menschen gesagt haben: Ja, das kann doch nicht sein, ihr erhebt hier die Daten und nutzt sie aber nicht zur Strafverfolgung. Sie sehen auch an diesem Beispiel, dass die Debatte, welche Daten soll man nutzen oder nicht, doch sehr stark von pragmatischen Erwägungen geprägt wird. Und wir prüfen im Moment im politischen Raum die rechtlichen Bedingungen, die notwendig sind, um eine solche Datennutzung zu ermöglichen, und wir prüfen vor allen Dingen die tatsächlichen. Denn im Moment wird ja überwiegend sofort gelöscht. Das heißt dann, es wären gar keine Daten da, die man nutzen könnte.
Geuther: Im Moment reden wir ja bei diesen Maut-Daten vor allem über die Aufklärung von Mord. Kritiker sagen, wenn man erst mal anfängt, werden weitere Delikte folgen. Sie haben eben schon das Stichwort Sexualverbrechen genannt. Wo verläuft die rote Linie?
Zypries: Es gibt keine festliegende rote Linie, sondern es gibt immer wieder ein Austarieren zwischen "Wie hoch ist das Bedürfnis nach Sicherheit und Ermittlung von Tätern?" und "Wie stark ist die Eingriffsschwelle?". Und da kann man sehr gut zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Also, man muss sich die Frage stellen beispielsweise, ob es erforderlich ist, alle erhobenen Daten beim Maut-System zu speichern, wenn man vielleicht nur einmal im Jahr oder alle zwei Jahre diese Daten braucht, um tatsächlich einen Kriminellen zu ermitteln, weil die Straftatenbegehung eben an der Autobahn hinreichend selten ist. Also, das sind alles Abwägungen, die man treffen muss, und ich plädiere ja deshalb auch immer sehr stark dafür, dass man zunächst einmal eine Erhebung des faktischen Materials macht und sagt, was brauchen wir denn eigentlich? Wo ist das Bedürfnis von Sicherheitsbehörden, an diese Daten zu kommen? Erst wenn das klar ist, finde ich, kann man dann eben auch beurteilen.
Geuther: Also wenn es nach Ihnen geht, kommt das so schnell nicht mit der Maut?
Zypries: Ich sehe das skeptisch. Und wir sind da in einem produktiven Diskussionsprozess. Wie das genau endet, weiß ich noch nicht, weil es eben auch viel von technischen Voraussetzungen abhängt.
Geuther: Ein anderes Thema: Die Öffentlichkeit bewegt haben in den vergangenen Wochen die Nachrichten über Kinder, die grausam zu Tode gekommen sind durch Misshandlungen, durch Vernachlässigung. Kevin aus Bremen, Jessica aus Hamburg sind die bekannten Namen. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen gefordert, Bundesfamilienministerin von der Leyen will ein Frühwarnsystem. Hat der Staat bisher zu sehr weggeschaut?
Zypries: Der Staat kann vielleicht noch aufmerksamer hinschauen. Besser gesagt meine ich, dass es nötig ist, dass die verschiedenen Instanzen, die mit diesen Kindern oder Familien zu tun haben, sich besser verzahnen. Ich habe deshalb gesagt, Frau von der Leyen ist auf dem richtigen Weg für meine Begriffe. Es geht um praktische Arbeit vor Ort. Und deshalb habe ich auch vor einem halben Jahr schon eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die jetzt ihre Ergebnisse vorstellt und die auch zu dem Befund kommt, dass es besser ist, die verschiedenen Instanzen wie Sozialarbeiter, Bewährungshelfer, Schule, Kindergarten, Jugendgerichtshilfe und andere mehr quasi an einen Runden Tisch zu bringen in der Gemeinde, dass sie sich austauschen über die Problemfälle und insbesondere, dass auch das Familiengericht eher eingeschaltet wird und die Möglichkeit besteht, auch niedrigschwelligere Auflagen für Familien zu machen, also konkret gesagt, dass das Gericht sagt, Ihr kriegt jetzt jemanden beigeordnet, der dreimal die Woche vormittags kommt, oder ihr müsst mit eurem Kind in den Kindergarten gehen, oder ihr müsst mit eurem Kind zu einer Gesundheitsuntersuchung gehen, oder ihr müsst dieses oder jenes tun, also, bevor es überhaupt so weit kommt, dass erhebliche Vernachlässigungstendenzen da sind, einzugreifen und zu sagen: Hier müssen wir jetzt mal Flagge zeigen.
Geuther: Und Vorsorgeuntersuchungen?
Zypries: Verfassungsrechtlich gesehen sind die Länder dafür zuständig. Sie sollten es tun. Die Bayern haben nun gerade auch ihre Schuleingangsuntersuchung abgeschafft, was ich besonders eigenwillig finde, wenn man dann eine generelle Pflichtuntersuchung fordert. Ich halte auch nichts davon. Ich meine, man muss einfach sehen, dass, ich sage mal, über den Schnitt gepeilt 98 Prozent aller Menschen ihre Kinder gut und verantwortungsvoll erziehen und regelmäßig mit ihnen zum Arzt gehen und alle Untersuchungen machen. Also wir müssen ja jetzt hier nicht so tun, als sei Deutschland ein Volk von Kinderschändern. Sondern es geht einfach darum, die Fälle, von denen wir wissen und wo wir wissen, es sind prekäre Verhältnisse, dass man da rechtzeitig reingeht und Hilfe gibt. Das ist die Aufgabe und die kann nur vor Ort gelöst werden.
Geuther: Ein anderes Thema, das gerade in dieser Woche besonders die Öffentlichkeit bewegt hat. Wir haben alle im Fernsehen verfolgen können oder eher müssen, wie ein wegen vielfacher Vergewaltigung Angeklagter, an einer 14-Jjährigen, die Justiz stundenlang auf Trab gehalten hat. Obwohl er vorher schon im Gerichtssaal randaliert hatte, konnte er auf das Dach der Justizvollzugsanstalt entkommen. Sie könnten jetzt natürlich sagen, der Fall selbst betrifft Sie nicht, sondern den sächsischen Justizminister. Aber lassen Sie uns kurz allgemein über mögliche Schlussfolgerungen reden. Rupert Scholz etwa, CDU-Rechtspolitiker, der nimmt diesen Fall zum Anlass, um zu beklagen, dass Täter im Vergleich zu den Opfern zu sehr geschützt würden. Hat er da Recht?
Zypries: Nein, für meine Begriffe nicht mehr. Wir haben gerade beim Opferschutz eine Menge gemacht in den letzten Jahren, verschiedene Gesetze. Wir haben auch jetzt wieder welche im Verfahren, wo wir schrittweise den Opfern immer mehr Rechte geben. Und wir müssen ja auch sehen, dass der Staat an und für sich den Täter aburteilen muss. Deswegen glaube ich, dass das in diesem Fall nicht zu einer Verminderung von Rechten von Tätern führen kann. Man muss einfach nur sagen, da hätte man vielleicht besser aufpassen müssen. Aber das kann ich auch nicht beurteilen, weil es tatsächlich eben ein Einzelfall ist, der den sächsischen Justizminister betrifft und nicht mich.
Geuther: Und zum besseren Aufpassen: Für die Gewerkschaft der Polizei zeigt dieser Fall etwas ganz anderes, nämlich dass die Justizvollzugsanstalten unterfinanziert sind und unterbesetzt.
Zypries: Das ist seit vielen Jahren ein Problem, dass die Bediensteten im Justizvollzug zu schlecht bezahlt werden. Das Problem ist bekannt, die Länder wissen das auch. Und man müsste da vielleicht sich doch noch mal allgemein jetzt im Zusammenhang mit dem Übergang der Zuständigkeit für den Strafvollzug auf die Länder gemeinsam zusammensetzen auf Länderseite und gucken, wie sind wir eigentlich ausgestattet? Müssen wir da Standards heben und müssen wir nicht vielleicht auch mal die schlechte Bezahlung der Bediensteten im Justizvollzug anheben?
Geuther: Wir wird es da weiter gehen? Das ist ja seit gut zwei Monaten der Fall, dass nicht nur der Strafvollzug in Länderhand ist, sondern auch die Gesetzgebung dazu. Kritiker hatten da einen Wettlauf der Schäbigkeit befürchtet. Sie waren auch nicht gerade begeistert von diesem Punkt der Föderalismusreform. Gibt es schon erste Ergebnisse? Zeigt es sich schon, wie die Länder umgehen werden mit den neuen Kompetenzen?
Zypries: Also, für mich muss ich ehrlich sagen, zeigt sich zweierlei: zum einen, dass die Länder eben diese Kompetenz nicht nutzen zum Wettbewerb um den besten Strafvollzug, was sie tun sollten für meine Begriffe, sondern dass sie sich in einer großen Zahl - ich glaube, es sind zehn oder zwölf Länder, die sich jetzt zusammengetan haben und sagen, wir machen ein einheitliches Strafvollzugsgesetz. Da habe ich immer gesagt, dann kann es auch der Bund tun. Aber gut, das ist nun so. Und das andere, was ich zu meinem Erstaunen gehört habe, ist, dass einige Länder sagen, sie wollten erst Mitte nächsten Jahres einen Gesetzentwurf für den Jugendstrafvollzug vorlegen. Das ist für meine Begriffe zu spät, denn die Länder müssen bis Ende nächsten Jahres ein Gesetz verabschiedet haben. Und dafür nur ein halbes Jahr anzusetzen für diesen Diskussionsprozess in den Landesparlamenten ist ambitioniert.
Geuther: Frau Zypries, zu einem anderen Punkt: Bundespräsident Horst Köhler hat im vergangenen Monat ein Gesetz nicht unterschrieben, für ihn eine Premiere. Er hält die Privatisierung der Flugsicherung, wie sie geplant war, für verfassungswidrig. Haben Sie da etwas übersehen?
Zypries: Nein. Das Innenministerium und das Justizministerium sind beide zu der Auffassung gekommen, dass dieses Gesetz mit der Verfassung vereinbar ist. Es ist richtig, dass es in der Literatur unterschiedliche Stimmen dazu gibt. Und es entsprach bisher immer den Usancen des Bundespräsidenten, dann zu unterschreiben und zu sagen, möge das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit prüfen.
Geuther: Theoretisch könnte ja auch jetzt noch das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit prüfen. Müssen Sie das so hinnehmen? Muss das Parlament das so hinnehmen?
Zypries: Na ja, das wäre nur möglich, wenn das Parlament den Bundespräsidenten verklagt. Das ist ganz offenbar nicht gewollt.
Geuther: Noch am selben Tag, als der Bundespräsident bekannt gegeben hat, dass er das Gesetz nicht unterschreiben wird, kam der Vorschlag, das Grundgesetz zu ändern. Sehen Sie da ein Problem? Kann man so mit der Verfassung umgehen?
Zypries: Ja, selbstverständlich. Ich meine, das ist das gute Recht des Parlaments. Genau so, wie wenn der Bundesgerichtshof sagt, ein Gesetz wende ich so nicht an oder lege ich anders aus, als es der Gesetzgeber gewollt hat, dann kann der Gesetzgeber das Gesetz ändern. Und so ist es hier eben auch. Wenn der Bundespräsident sagt, ich unterschreibe das Gesetz nicht, das Parlament in seiner ganz großen Mehrheit aber diese Rechtsfolge will, dann kann das Parlament selbstverständlich die Verfassung ändern. Da würde ich gar kein Problem drin sehen. Man muss sich nur überlegen, ob es denn dann wirklich gewollt ist. Und da gibt es ja jetzt auch viele Stimmen, die das anders sehen.
Geuther: Und apropos Verfassungsänderung: Eine steht Ihnen noch bevor, mindestens eine. Das Bundesverfassungsgericht hat bekanntlich das Luftsicherheitsgesetz kassiert, das der Bundeswehr den Abschuss von Flugzeugen erlaubt hätte, die von Terroristen als Waffen benutzt werden. Sie wollen das, was nach der Entscheidung für solche konkreten Fälle überhaupt geregelt werden kann, regeln, das heißt also, einen Einsatz der Bundeswehr mit militärischen Mitteln im Innern bei Angriffen aus der Luft oder von See. Sie scheinen da mit der Union noch ziemlich weit auseinander zu liegen. Wird das was?
Zypries: Na ja, in dem Fall, den Sie eben genannt haben, bin ich mir mit der Union einig. Wir wollen die Möglichkeit schaffen, dass die Bundeswehr quasi als Unterstützung der Polizei tätig werden kann. Die Polizei ist zuständig für die Gefahrenabwehr. Und wenn ein Flugzeug kommt, das unbemannt ist oder das nur mit Terroristen besetzt ist, dann soll der Abschuss möglich sein. Und da die Polizei keine Flugabwehrraketen hat, muss das dann die Bundeswehr tun, also quasi zur Unterstützung der Polizei. Da sind wir uns einig, dass das möglich sein muss. Insofern haben Sie Recht.
Geuther: Aber Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble stellte sich ja an sich eine weitere Formulierung vor und wollte an sich auch der Bundeswehr selbstständig aus eigenem Recht das Handeln ermöglichen.
Zypries: Ja, Bundesinnenminister Schäuble wollte gerne den generellen Einsatz der Bundeswehr im Inneren ermöglichen, auch zu zahlreichen anderen Aufgaben wie zum Beispiel der Objektbewachung oder Terrorismusabwehr oder ähnlichem mehr. Das war nicht so ganz klar, was er sich da genau vorstellte, aber wenigstens deutlich mehr. Davon ist er aber jetzt, so weit ich das mitbekommen habe, inzwischen abgerückt.
Geuther: Das heißt, es kommt die Verfassungsänderung, und die Verfassungsänderung kommt unter der Ägide der Polizei?
Zypries: Ja, das ist wenigstens das, was mit Sicherheit kommt. Ob darüber hinaus noch irgend etwas kommt, vermag ich im Moment nicht zu sehen. Aber das ist auch etwas, was ich natürlich nicht alleine entscheiden werde. Da diskutiere ich im Moment mit dem Innenministerium, aber das muss natürlich von der Parteispitze der SPD entschieden werden. Das ist nichts, was die Justizministerin alleine verantwortet.
Geuther: Jetzt ist das Luftsicherheitsgesetz ja nicht das einzige, bei dem das Verfassungsgericht in letzter Zeit der Terrorismusbekämpfung Grenzen gesetzt hat, Stichwort Rasterfahndung, Großer Lauschangriff. Vor allem von Unionspolitikern ist da immer wieder ein Grummeln zu hören, Karlsruhe mangele es an Realitätssinn. Von Ihnen nicht?
Zypries: Nein. Ich respektiere vollständig die Aufgabe des Gerichts und auch, wie das Gericht seine Aufgabe wahrnimmt. Da mag man dann im Ergebnis mal anderer Ansicht sein, das kann ja sein. Aber trotzdem ist es völlig in Ordnung, dass aus der Distanz betrachtet - und ich glaube, insofern ist es gut gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht nach Berlin gezogen ist, sondern in Karlsruhe blieb - manchmal doch etwas unaufgeregter aussieht als im politischen Tagesgeschäft, und wenn man dazu dann eben noch die Verfassungslage betrachtet, die Mütter und Väter der Verfassung sich auf alle Fälle viele Dinge nicht vorgestellt haben. Das sehe ich auch so.
Geuther: Jetzt ist ja Rechtspolitik sehr viel mehr als Sicherheit und Strafrecht. Sie haben ein neues Unterhaltsrecht auf den Weg gebracht. Derzeit laufen die Anhörungen für ein neues Urheberrecht. Also nur zwei prominente Beispiele. Wo sehen Sie denn Ihren Schwerpunkt bisher in dieser Legislatur?
Zypries: Das Urheberrecht ist ein erheblicher Schwerpunkt, insbesondere, was die Arbeitsbelastung anbelangt, weil es große Gesprächsrunden voraussetzt und die Vermittlung dieses Projektes in die Gesellschaft. Das ist mit Sicherheit das Projekt, was am meisten umstritten ist zwischen den jeweilig Beteiligten. Einen anderen Schwerpunkt sehe ich im Familienrecht. Sie haben das Unterhaltsrecht schon genannt. Wir werden aber auch das Erbrecht voraussichtlich ändern und prüfen, was wir ansonsten noch im Familienrecht tun müssen neben der von uns auch geplanten Reform das Verfahrens. Wir wollen ja das sogenannte Große Familiengericht einführen und damit die Möglichkeit geben, dass sämtliche familiengerichtlichen Verfahren vor einem Gericht entschieden werden und das auch schnell. Wir werden da auch Fristen setzen, dass gerade Sorgerechtsstreitigkeiten und Umgangsstreitigkeiten schnell entschieden werden können.
Geuther: Die Reform des Unterhaltsrechts war ja nicht nur eine technische Reform, sondern dahinter stand ja auch ein gewandeltes Familienbild. Es gibt mehr Patchworkfamilien, es gibt mehr Alleinerziehende, es gibt mehr arbeitende Frauen. Ihren Entwurf mussten Sie in der Großen Koalition ja kaum ändern gegenüber dem, was Sie in rot-grünen Zeiten vorgelegt hatten. Hat Sie das gewundert, dass die Union da so mit macht?
Zypries: Wir hatten da nur Eckpunkte diskutiert, und es war mit der Union schon sehr kontrovers. Also, so ist es nicht. Wir haben da schon mehrere Runden hart diskutiert, und ich habe auch eine Änderung aufgenommen auf Bitten der Union, die sich darauf bezieht, dass Mütter von Kindern unter drei Jahren nicht notwendig arbeiten gehen müssen. Das war von uns so gemeint, und wir haben es jetzt aber ausdrücklich ins Gesetz geschrieben, dass es da auch gar keinen Dissens oder keinen Zweifel geben kann. Ansonsten ist es von der Union akzeptiert worden. Und ich glaube, das ist auch richtig, weil natürlich die Union zwar diesem tradierten Familienbild mehr verpflichtet ist, aber gleichzeitig natürlich auch die Realitäten anerkennen muss. Und die Realitäten heißen eben auch oft Zweitfamilie.
Geuther: Zum Familienrecht hatten Sie in rot-grünen Zeiten einmal die Vorstellung, das Lebenspartnerschaftsgesetz um einen zweiten Teil zu erweitern. Da geht es um die Hinterbliebenenversorgung, um eheliches Güterrecht und - wenn man die ganz kontroversen Punkte auspacken will - auch noch um die Adoption. Steht das noch auf der Agenda?
Zypries: Bei mir schon, ja. Also, ich halte es für unbedingt notwendig, dass wir von homosexuellen Paaren nicht nur erwarten, dass sie sich gegenseitig unterstützen und füreinander eintreten und sich immer den anderen anrechnen lassen, wenn es um den Anspruch von staatlichen Leistungen geht, sondern dass wir ihnen dann auch umgekehrt die Vergünstigungen geben, die wir ja auch Ehepartnern geben. Deswegen trete ich dafür ein, dass Homosexuelle auch im Steuerrecht gleichgestellt werden, dass sie dann auch am Ehegattensplitting teilnehmen können, dass sie im Beamtenrecht die selben Rechte haben wie heterosexuelle Paare. Das ist so, ja, das mache ich, da kämpfe ich auch an jeder einzelnen Stelle immer wieder dafür. Aber das ist natürlich mit der Union ein ganz schwieriges Thema.
Geuther: Werden Sie das noch konkret vorlegen?
Zypries: Wir legen verschiedene Einzelprojekte vor, insgesamt ein großes zweites Werk wenigstens in absehbarer Zeit nicht. Denn da muss sich jetzt erst einmal der ganze Groll über das Antidiskriminierungsgesetz setzen und dann kann man das, glaube ich, wieder aufrufen. Das dauert noch einen Moment.
Geuther: Nun sind Sie ja nicht nur Ministerin, sondern auch in Darmstadt direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für die SPD. In jedem Fall wird, wie gerade entschieden wurde, Ende Januar 2008 in Hessen gewählt, gleichzeitig mit Niedersachsen. Das heißt, spätestens mit diesen Wahlkämpfen dürfte die Arbeit der Koalition schwierig werden. Ihnen bliebe demnach noch knapp ein Jahr. Wie wollen Sie das nutzen?
Zypries: Also, zunächst einmal bin ich ja eine absolute Verfechterin des Durchsetzens der Ergebnisse der Föderalismusreform. Und das heißt ganz konkret, ich meine auch, wir sollten jetzt sagen, der Bund hat mehr Kompetenzen ohne die Länder bekommen und die Länder haben ihre eigenen Kompetenzen mehr bekommen. Und nun sollten wir das auch einmal auseinander dividieren und sollten nicht immer sagen, dass der Bund politisch quasi lahmgelegt wird, wenn irgendwo im Lande ein Landtagswahlkampf ist. Also, das, meine ich, geht gar nicht. Die Länder sollen sich mal um das ihre kümmern und sollen mal sehen, ob die Hessen dann bis dahin einen Gesetzentwurf vorgelegt haben zum Jugendstrafvollzug. Das könnte ein schönes Thema für den Landtagswahlkampf sein. Wir könnten auch mal sehen, was sie bisher bei der Beamtenbesoldung gemacht haben, für die sie ja jetzt zuständig sind. Das ist auch ein schönes Thema für den Landtagswahlkampf. Das sind alles Themen für Landtagswahlkämpfe, die man schön vor Ort thematisieren kann und die mit der Bundespolitik dann erst mal gar nichts zu tun haben. Und da muss ich jetzt mal Wert drauf legen, dass wir mal versuchen, das auch wirklich mal durchzuhalten. Denn diese ganze Föderalismusreform nützt uns doch sonst gar nichts, wenn wir das alles gerade so weiter führen, wie in der Vergangenheit.
Geuther: Und Sie glauben tatsächlich, das kann funktionieren?
Zypries: Ich kann Ihnen nur sagen, ich werde mein Bestes dafür tun, dass es funktioniert.
Geuther: Frau Zypries, vielen Dank für das Gespräch.
Zypries: Sehr gerne.
Brigitte Zypries: Na ja - ob das so ganz geräuschlos werden wird, das müssen wir mal sehen. Fakt ist wenigstens, dass bei der Anti-Terror-Datei gute datenschutzrechtliche Ergebnisse erzielt wurden und wir ja auch bei unserem Entwurf jetzt der TKÜ, also der Telefonüberwachung, der Kommunikationsüberwachung, einen sehr niedrigen Maßstab angelegt haben.
Geuther: Trotzdem, vor ein paar Jahren hätten solche Weichenstellungen, egal in welche Richtung, noch erbitterte Diskussionen ausgelöst. Ist die SPD hier nach rechts gerückt, ist die Union nach links gerückt?
Zypries: Weder das eine noch das andere, glaube ich, ist richtig. Wir versuchen in Anbetracht der Bedrohungslage, die wir haben, und den Notwendigkeiten zum Datenaustausch und zur Ermittlung von Daten, ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen, aber gleichzeitig eben auch den Datenschutz der Menschen in höchstem Maße zu gewährleisten und da, wo wir ihn nicht von vorneherein gewährleisten können, wie zum Beispiel bei der Telefonüberwachung, sofortige Benachrichtigungsfristen mit Rechtsschutzmöglichkeiten vorzusehen.
Geuther: Es gibt aber in jedem Fall durch die Datei Eingriffe in den Datenschutz. Gleichzeitig werden Otto Schilys Gesetze zur Terrorismusbekämpfung gerade verlängert und verschärft, und das öffentliche Echo ist vergleichsweise gering. Was meinen Sie, warum ist das so? Steckt da Angst vor dem Terror dahinter, ist das Desinteresse, ist das einfach ein vernünftiger Zugang?
Zypries: Ich persönlich bin ja der Auffassung, dass sich das Bewusstsein der Menschen für den Datenschutz in diesem Lande sehr stark geändert hat. Es wird längst nicht mehr als so problematisch empfunden. Das gilt sowohl für staatliche Überwachungsmaßnahmen, nehmen Sie das Beispiel Videoüberwachung - was ja im Grunde die Menschen fordern -, und nehmen Sie vor allen Dingen den ganzen privatrechtlichen Bereich, diese ganzen Rabattkarten, die es gibt in großen Kaufhäusern. Das wird ja alles gemacht, und jeder nimmt damit in Kauf, dass die Wirtschaft ein Bewegungsbild und ein Einkaufsverhaltensbild von jeder Person bekommt. Das wäre doch zu Zeiten der Volkszählung völlig undenkbar gewesen.
Geuther: Was bedeutet das für politische Umsetzung? Kann man sich mit Bürgerrechten derzeit überhaupt irgendwie profilieren, oder spielt die Musik beim Arbeitslosengeld I oder II, beim Mindestlohn, bei der Unternehmenssteuer, das heißt also in der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozialpolitik?
Zypries: Ich bemühe mich schon seit einer ganzen Zeit, wieder so ein gewisses Bewusstsein für den Datenschutz zu erwecken und problematisiere auch das Verhalten der Menschen im privatrechtlichen Bereich häufiger. Aber es gibt da wenig Resonanz. Wiederum glaube ich, das ist eine Frage der Zeit, wann das dann mal wieder anhand eines Falles hochkommt und sich kristallisiert und dann auch wieder besser artikuliert werden kann.
Geuther: Man könnte das für Sie ja auch positiv drehen. Ist das vielleicht auch eine Nische, ein Freiraum, in dem Sie froh sind, in Ruhe arbeiten zu können?
Zypries: Ja also ich sage mal so: Mir persönlich wäre es lieber, das Datenschutzbewusstsein wäre insgesamt ein anderes.
Geuther: Dann kommen wir doch nochmal auf das Abhören zurück. Der Ausgangspunkt war ja einmal: Es wird immer mehr abgehört. Deshalb hatte Ihre Vorgängerin, Frau Däubler-Gmelin, ja schon vor acht Jahren ein Gutachten in Auftrag gegeben, auf das Sie sich jetzt auch gestützt haben. Im letzen Jahr wurden 42.500 Anschüsse abgehört, das ist wieder fast ein Viertel mehr als im Jahr zuvor. Wird sich daran irgend etwas ändern, wenn Ihr Entwurf Gesetz wird?
Zypries: Man muss dazu wissen, dass die Steigerungszahlen bei der Telefonüberwachung nicht daher resultieren, dass mehr Menschen abgehört werden, sondern dass ein Einzelner mehr Telefone hat. Wir brauchen nach unserem deutschen System für jedes abgehörte Handy eine extra Anordnung. Und deswegen ist es so, dass die Zahlen so stark nach oben gehen, was aber daran liegt, dass im eklatantesten Fall, den wir hatten, ein mutmaßlicher Täter 70 verschiedene Handys in Betrieb hatte und dementsprechend für eine Person 70 verschiedene Anordnungen nötig waren.
Geuther: Jetzt war ja ein wesentlicher Punkt, den die Gutachter am Max-Plank-Institut in diesem Gutachten kritisiert hatten, dass jemand, der abgehört wurde, viel zu selten davon erfährt. Und das ist ja einer der wesentlichen Punkte, die Sie ändern wollen.
Zypries: Das ist richtig. Wir haben mit unserem Gesetzentwurf die Konsequenz gezogen aus dieser Kritik des Gutachtens und haben vorgesehen, dass künftig jeder informiert werden muss, sobald die Abhörmaßnahme beendet ist. Und wenn aus irgendwelchen Gründen diese Information nicht erfolgen kann, dann muss ein Gericht darüber entscheiden, dass die Information noch ausgesetzt wird. Damit wollen wir sicherstellen, dass auch wirklich in jedem Fall künftig informiert wird. Das ist in der Vergangenheit offenbar häufiger vergessen worden oder aus anderen Gründen nicht getan worden.
Geuther: Das ist der Punkt der Information. Der andere Punkt ist eben die Frage, ob überhaupt abgehört wird. Ein Problem, das immer wieder kritisiert wird dabei, ist ja, dass ein Richter, der diese Maßnahme anordnet, kaum beurteilen kann, was er da eigentlich unterschreibt. Er bekommt eine dünne Akte, und im Prinzip muss er glauben, was die Ermittler sagen. Sie wollen jetzt, dass weniger, das heißt also auch spezialisiertere Ermittlungsrichter zuständig sind. Aber die werden doch nach wie vor dasselbe Problem haben.
Zypries: Da bin ich mir nicht sicher. Wenigstens sage ich mal positiv, wir erhoffen uns von der Tatsache, dass wir sagen, künftig soll immer der Richter bei der ermittelnden Staatsanwaltschaft die Entscheidung fällen, dass da ein anderer Kontakt gegebenenfalls besteht und Richter und Staatsanwalt sich auch noch einmal darüber auseinandersetzen, ob es denn nun wirklich erforderlich ist. Denn wir haben ja die ganze Überwachungsmaßnahme ausgestaltet quasi als ultima ratio der Überwachungsmaßnahmen. Wir sagen: Erst dann, wenn alle anderen Ermittlungsmaßnahmen nicht zum Erfolg geführt haben, erst dann darf man zur Telefonüberwachung greifen. Und das muss dann natürlich auch gegebenenfalls im Gespräch zwischen Richter und Staatsanwalt erörtert werden, ob wirklich alles getan wurde, damit der Richter eben die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs prüfen kann.
Geuther: Stichwort Überwachung und Stichwort ultima ratio: Der Bundestag hatte das Maut-Gesetz ja einmal erlassen mit der Maßgabe, dass die erhobenen Daten auch wirklich zu nichts anderem verwendet werden als nur für die Maut. Jetzt steht eben doch im Raum, die Daten für die Verbrechensaufklärung zu nutzen. Wie sieht das da aus mit dem Vertrauen in Beständigkeit von Politik?
Zypries: Das ist ein schwieriges Thema, weil schon sehr viele Menschen sich darauf verlassen haben, gleichzeitig aber auch sofort nach diesem ersten Fall eines mutmaßlichen Täters, der da mit dem LKW unterwegs war und eine Vergewaltigung begangen hat, die Menschen gesagt haben: Ja, das kann doch nicht sein, ihr erhebt hier die Daten und nutzt sie aber nicht zur Strafverfolgung. Sie sehen auch an diesem Beispiel, dass die Debatte, welche Daten soll man nutzen oder nicht, doch sehr stark von pragmatischen Erwägungen geprägt wird. Und wir prüfen im Moment im politischen Raum die rechtlichen Bedingungen, die notwendig sind, um eine solche Datennutzung zu ermöglichen, und wir prüfen vor allen Dingen die tatsächlichen. Denn im Moment wird ja überwiegend sofort gelöscht. Das heißt dann, es wären gar keine Daten da, die man nutzen könnte.
Geuther: Im Moment reden wir ja bei diesen Maut-Daten vor allem über die Aufklärung von Mord. Kritiker sagen, wenn man erst mal anfängt, werden weitere Delikte folgen. Sie haben eben schon das Stichwort Sexualverbrechen genannt. Wo verläuft die rote Linie?
Zypries: Es gibt keine festliegende rote Linie, sondern es gibt immer wieder ein Austarieren zwischen "Wie hoch ist das Bedürfnis nach Sicherheit und Ermittlung von Tätern?" und "Wie stark ist die Eingriffsschwelle?". Und da kann man sehr gut zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Also, man muss sich die Frage stellen beispielsweise, ob es erforderlich ist, alle erhobenen Daten beim Maut-System zu speichern, wenn man vielleicht nur einmal im Jahr oder alle zwei Jahre diese Daten braucht, um tatsächlich einen Kriminellen zu ermitteln, weil die Straftatenbegehung eben an der Autobahn hinreichend selten ist. Also, das sind alles Abwägungen, die man treffen muss, und ich plädiere ja deshalb auch immer sehr stark dafür, dass man zunächst einmal eine Erhebung des faktischen Materials macht und sagt, was brauchen wir denn eigentlich? Wo ist das Bedürfnis von Sicherheitsbehörden, an diese Daten zu kommen? Erst wenn das klar ist, finde ich, kann man dann eben auch beurteilen.
Geuther: Also wenn es nach Ihnen geht, kommt das so schnell nicht mit der Maut?
Zypries: Ich sehe das skeptisch. Und wir sind da in einem produktiven Diskussionsprozess. Wie das genau endet, weiß ich noch nicht, weil es eben auch viel von technischen Voraussetzungen abhängt.
Geuther: Ein anderes Thema: Die Öffentlichkeit bewegt haben in den vergangenen Wochen die Nachrichten über Kinder, die grausam zu Tode gekommen sind durch Misshandlungen, durch Vernachlässigung. Kevin aus Bremen, Jessica aus Hamburg sind die bekannten Namen. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen gefordert, Bundesfamilienministerin von der Leyen will ein Frühwarnsystem. Hat der Staat bisher zu sehr weggeschaut?
Zypries: Der Staat kann vielleicht noch aufmerksamer hinschauen. Besser gesagt meine ich, dass es nötig ist, dass die verschiedenen Instanzen, die mit diesen Kindern oder Familien zu tun haben, sich besser verzahnen. Ich habe deshalb gesagt, Frau von der Leyen ist auf dem richtigen Weg für meine Begriffe. Es geht um praktische Arbeit vor Ort. Und deshalb habe ich auch vor einem halben Jahr schon eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die jetzt ihre Ergebnisse vorstellt und die auch zu dem Befund kommt, dass es besser ist, die verschiedenen Instanzen wie Sozialarbeiter, Bewährungshelfer, Schule, Kindergarten, Jugendgerichtshilfe und andere mehr quasi an einen Runden Tisch zu bringen in der Gemeinde, dass sie sich austauschen über die Problemfälle und insbesondere, dass auch das Familiengericht eher eingeschaltet wird und die Möglichkeit besteht, auch niedrigschwelligere Auflagen für Familien zu machen, also konkret gesagt, dass das Gericht sagt, Ihr kriegt jetzt jemanden beigeordnet, der dreimal die Woche vormittags kommt, oder ihr müsst mit eurem Kind in den Kindergarten gehen, oder ihr müsst mit eurem Kind zu einer Gesundheitsuntersuchung gehen, oder ihr müsst dieses oder jenes tun, also, bevor es überhaupt so weit kommt, dass erhebliche Vernachlässigungstendenzen da sind, einzugreifen und zu sagen: Hier müssen wir jetzt mal Flagge zeigen.
Geuther: Und Vorsorgeuntersuchungen?
Zypries: Verfassungsrechtlich gesehen sind die Länder dafür zuständig. Sie sollten es tun. Die Bayern haben nun gerade auch ihre Schuleingangsuntersuchung abgeschafft, was ich besonders eigenwillig finde, wenn man dann eine generelle Pflichtuntersuchung fordert. Ich halte auch nichts davon. Ich meine, man muss einfach sehen, dass, ich sage mal, über den Schnitt gepeilt 98 Prozent aller Menschen ihre Kinder gut und verantwortungsvoll erziehen und regelmäßig mit ihnen zum Arzt gehen und alle Untersuchungen machen. Also wir müssen ja jetzt hier nicht so tun, als sei Deutschland ein Volk von Kinderschändern. Sondern es geht einfach darum, die Fälle, von denen wir wissen und wo wir wissen, es sind prekäre Verhältnisse, dass man da rechtzeitig reingeht und Hilfe gibt. Das ist die Aufgabe und die kann nur vor Ort gelöst werden.
Geuther: Ein anderes Thema, das gerade in dieser Woche besonders die Öffentlichkeit bewegt hat. Wir haben alle im Fernsehen verfolgen können oder eher müssen, wie ein wegen vielfacher Vergewaltigung Angeklagter, an einer 14-Jjährigen, die Justiz stundenlang auf Trab gehalten hat. Obwohl er vorher schon im Gerichtssaal randaliert hatte, konnte er auf das Dach der Justizvollzugsanstalt entkommen. Sie könnten jetzt natürlich sagen, der Fall selbst betrifft Sie nicht, sondern den sächsischen Justizminister. Aber lassen Sie uns kurz allgemein über mögliche Schlussfolgerungen reden. Rupert Scholz etwa, CDU-Rechtspolitiker, der nimmt diesen Fall zum Anlass, um zu beklagen, dass Täter im Vergleich zu den Opfern zu sehr geschützt würden. Hat er da Recht?
Zypries: Nein, für meine Begriffe nicht mehr. Wir haben gerade beim Opferschutz eine Menge gemacht in den letzten Jahren, verschiedene Gesetze. Wir haben auch jetzt wieder welche im Verfahren, wo wir schrittweise den Opfern immer mehr Rechte geben. Und wir müssen ja auch sehen, dass der Staat an und für sich den Täter aburteilen muss. Deswegen glaube ich, dass das in diesem Fall nicht zu einer Verminderung von Rechten von Tätern führen kann. Man muss einfach nur sagen, da hätte man vielleicht besser aufpassen müssen. Aber das kann ich auch nicht beurteilen, weil es tatsächlich eben ein Einzelfall ist, der den sächsischen Justizminister betrifft und nicht mich.
Geuther: Und zum besseren Aufpassen: Für die Gewerkschaft der Polizei zeigt dieser Fall etwas ganz anderes, nämlich dass die Justizvollzugsanstalten unterfinanziert sind und unterbesetzt.
Zypries: Das ist seit vielen Jahren ein Problem, dass die Bediensteten im Justizvollzug zu schlecht bezahlt werden. Das Problem ist bekannt, die Länder wissen das auch. Und man müsste da vielleicht sich doch noch mal allgemein jetzt im Zusammenhang mit dem Übergang der Zuständigkeit für den Strafvollzug auf die Länder gemeinsam zusammensetzen auf Länderseite und gucken, wie sind wir eigentlich ausgestattet? Müssen wir da Standards heben und müssen wir nicht vielleicht auch mal die schlechte Bezahlung der Bediensteten im Justizvollzug anheben?
Geuther: Wir wird es da weiter gehen? Das ist ja seit gut zwei Monaten der Fall, dass nicht nur der Strafvollzug in Länderhand ist, sondern auch die Gesetzgebung dazu. Kritiker hatten da einen Wettlauf der Schäbigkeit befürchtet. Sie waren auch nicht gerade begeistert von diesem Punkt der Föderalismusreform. Gibt es schon erste Ergebnisse? Zeigt es sich schon, wie die Länder umgehen werden mit den neuen Kompetenzen?
Zypries: Also, für mich muss ich ehrlich sagen, zeigt sich zweierlei: zum einen, dass die Länder eben diese Kompetenz nicht nutzen zum Wettbewerb um den besten Strafvollzug, was sie tun sollten für meine Begriffe, sondern dass sie sich in einer großen Zahl - ich glaube, es sind zehn oder zwölf Länder, die sich jetzt zusammengetan haben und sagen, wir machen ein einheitliches Strafvollzugsgesetz. Da habe ich immer gesagt, dann kann es auch der Bund tun. Aber gut, das ist nun so. Und das andere, was ich zu meinem Erstaunen gehört habe, ist, dass einige Länder sagen, sie wollten erst Mitte nächsten Jahres einen Gesetzentwurf für den Jugendstrafvollzug vorlegen. Das ist für meine Begriffe zu spät, denn die Länder müssen bis Ende nächsten Jahres ein Gesetz verabschiedet haben. Und dafür nur ein halbes Jahr anzusetzen für diesen Diskussionsprozess in den Landesparlamenten ist ambitioniert.
Geuther: Frau Zypries, zu einem anderen Punkt: Bundespräsident Horst Köhler hat im vergangenen Monat ein Gesetz nicht unterschrieben, für ihn eine Premiere. Er hält die Privatisierung der Flugsicherung, wie sie geplant war, für verfassungswidrig. Haben Sie da etwas übersehen?
Zypries: Nein. Das Innenministerium und das Justizministerium sind beide zu der Auffassung gekommen, dass dieses Gesetz mit der Verfassung vereinbar ist. Es ist richtig, dass es in der Literatur unterschiedliche Stimmen dazu gibt. Und es entsprach bisher immer den Usancen des Bundespräsidenten, dann zu unterschreiben und zu sagen, möge das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit prüfen.
Geuther: Theoretisch könnte ja auch jetzt noch das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit prüfen. Müssen Sie das so hinnehmen? Muss das Parlament das so hinnehmen?
Zypries: Na ja, das wäre nur möglich, wenn das Parlament den Bundespräsidenten verklagt. Das ist ganz offenbar nicht gewollt.
Geuther: Noch am selben Tag, als der Bundespräsident bekannt gegeben hat, dass er das Gesetz nicht unterschreiben wird, kam der Vorschlag, das Grundgesetz zu ändern. Sehen Sie da ein Problem? Kann man so mit der Verfassung umgehen?
Zypries: Ja, selbstverständlich. Ich meine, das ist das gute Recht des Parlaments. Genau so, wie wenn der Bundesgerichtshof sagt, ein Gesetz wende ich so nicht an oder lege ich anders aus, als es der Gesetzgeber gewollt hat, dann kann der Gesetzgeber das Gesetz ändern. Und so ist es hier eben auch. Wenn der Bundespräsident sagt, ich unterschreibe das Gesetz nicht, das Parlament in seiner ganz großen Mehrheit aber diese Rechtsfolge will, dann kann das Parlament selbstverständlich die Verfassung ändern. Da würde ich gar kein Problem drin sehen. Man muss sich nur überlegen, ob es denn dann wirklich gewollt ist. Und da gibt es ja jetzt auch viele Stimmen, die das anders sehen.
Geuther: Und apropos Verfassungsänderung: Eine steht Ihnen noch bevor, mindestens eine. Das Bundesverfassungsgericht hat bekanntlich das Luftsicherheitsgesetz kassiert, das der Bundeswehr den Abschuss von Flugzeugen erlaubt hätte, die von Terroristen als Waffen benutzt werden. Sie wollen das, was nach der Entscheidung für solche konkreten Fälle überhaupt geregelt werden kann, regeln, das heißt also, einen Einsatz der Bundeswehr mit militärischen Mitteln im Innern bei Angriffen aus der Luft oder von See. Sie scheinen da mit der Union noch ziemlich weit auseinander zu liegen. Wird das was?
Zypries: Na ja, in dem Fall, den Sie eben genannt haben, bin ich mir mit der Union einig. Wir wollen die Möglichkeit schaffen, dass die Bundeswehr quasi als Unterstützung der Polizei tätig werden kann. Die Polizei ist zuständig für die Gefahrenabwehr. Und wenn ein Flugzeug kommt, das unbemannt ist oder das nur mit Terroristen besetzt ist, dann soll der Abschuss möglich sein. Und da die Polizei keine Flugabwehrraketen hat, muss das dann die Bundeswehr tun, also quasi zur Unterstützung der Polizei. Da sind wir uns einig, dass das möglich sein muss. Insofern haben Sie Recht.
Geuther: Aber Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble stellte sich ja an sich eine weitere Formulierung vor und wollte an sich auch der Bundeswehr selbstständig aus eigenem Recht das Handeln ermöglichen.
Zypries: Ja, Bundesinnenminister Schäuble wollte gerne den generellen Einsatz der Bundeswehr im Inneren ermöglichen, auch zu zahlreichen anderen Aufgaben wie zum Beispiel der Objektbewachung oder Terrorismusabwehr oder ähnlichem mehr. Das war nicht so ganz klar, was er sich da genau vorstellte, aber wenigstens deutlich mehr. Davon ist er aber jetzt, so weit ich das mitbekommen habe, inzwischen abgerückt.
Geuther: Das heißt, es kommt die Verfassungsänderung, und die Verfassungsänderung kommt unter der Ägide der Polizei?
Zypries: Ja, das ist wenigstens das, was mit Sicherheit kommt. Ob darüber hinaus noch irgend etwas kommt, vermag ich im Moment nicht zu sehen. Aber das ist auch etwas, was ich natürlich nicht alleine entscheiden werde. Da diskutiere ich im Moment mit dem Innenministerium, aber das muss natürlich von der Parteispitze der SPD entschieden werden. Das ist nichts, was die Justizministerin alleine verantwortet.
Geuther: Jetzt ist das Luftsicherheitsgesetz ja nicht das einzige, bei dem das Verfassungsgericht in letzter Zeit der Terrorismusbekämpfung Grenzen gesetzt hat, Stichwort Rasterfahndung, Großer Lauschangriff. Vor allem von Unionspolitikern ist da immer wieder ein Grummeln zu hören, Karlsruhe mangele es an Realitätssinn. Von Ihnen nicht?
Zypries: Nein. Ich respektiere vollständig die Aufgabe des Gerichts und auch, wie das Gericht seine Aufgabe wahrnimmt. Da mag man dann im Ergebnis mal anderer Ansicht sein, das kann ja sein. Aber trotzdem ist es völlig in Ordnung, dass aus der Distanz betrachtet - und ich glaube, insofern ist es gut gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht nach Berlin gezogen ist, sondern in Karlsruhe blieb - manchmal doch etwas unaufgeregter aussieht als im politischen Tagesgeschäft, und wenn man dazu dann eben noch die Verfassungslage betrachtet, die Mütter und Väter der Verfassung sich auf alle Fälle viele Dinge nicht vorgestellt haben. Das sehe ich auch so.
Geuther: Jetzt ist ja Rechtspolitik sehr viel mehr als Sicherheit und Strafrecht. Sie haben ein neues Unterhaltsrecht auf den Weg gebracht. Derzeit laufen die Anhörungen für ein neues Urheberrecht. Also nur zwei prominente Beispiele. Wo sehen Sie denn Ihren Schwerpunkt bisher in dieser Legislatur?
Zypries: Das Urheberrecht ist ein erheblicher Schwerpunkt, insbesondere, was die Arbeitsbelastung anbelangt, weil es große Gesprächsrunden voraussetzt und die Vermittlung dieses Projektes in die Gesellschaft. Das ist mit Sicherheit das Projekt, was am meisten umstritten ist zwischen den jeweilig Beteiligten. Einen anderen Schwerpunkt sehe ich im Familienrecht. Sie haben das Unterhaltsrecht schon genannt. Wir werden aber auch das Erbrecht voraussichtlich ändern und prüfen, was wir ansonsten noch im Familienrecht tun müssen neben der von uns auch geplanten Reform das Verfahrens. Wir wollen ja das sogenannte Große Familiengericht einführen und damit die Möglichkeit geben, dass sämtliche familiengerichtlichen Verfahren vor einem Gericht entschieden werden und das auch schnell. Wir werden da auch Fristen setzen, dass gerade Sorgerechtsstreitigkeiten und Umgangsstreitigkeiten schnell entschieden werden können.
Geuther: Die Reform des Unterhaltsrechts war ja nicht nur eine technische Reform, sondern dahinter stand ja auch ein gewandeltes Familienbild. Es gibt mehr Patchworkfamilien, es gibt mehr Alleinerziehende, es gibt mehr arbeitende Frauen. Ihren Entwurf mussten Sie in der Großen Koalition ja kaum ändern gegenüber dem, was Sie in rot-grünen Zeiten vorgelegt hatten. Hat Sie das gewundert, dass die Union da so mit macht?
Zypries: Wir hatten da nur Eckpunkte diskutiert, und es war mit der Union schon sehr kontrovers. Also, so ist es nicht. Wir haben da schon mehrere Runden hart diskutiert, und ich habe auch eine Änderung aufgenommen auf Bitten der Union, die sich darauf bezieht, dass Mütter von Kindern unter drei Jahren nicht notwendig arbeiten gehen müssen. Das war von uns so gemeint, und wir haben es jetzt aber ausdrücklich ins Gesetz geschrieben, dass es da auch gar keinen Dissens oder keinen Zweifel geben kann. Ansonsten ist es von der Union akzeptiert worden. Und ich glaube, das ist auch richtig, weil natürlich die Union zwar diesem tradierten Familienbild mehr verpflichtet ist, aber gleichzeitig natürlich auch die Realitäten anerkennen muss. Und die Realitäten heißen eben auch oft Zweitfamilie.
Geuther: Zum Familienrecht hatten Sie in rot-grünen Zeiten einmal die Vorstellung, das Lebenspartnerschaftsgesetz um einen zweiten Teil zu erweitern. Da geht es um die Hinterbliebenenversorgung, um eheliches Güterrecht und - wenn man die ganz kontroversen Punkte auspacken will - auch noch um die Adoption. Steht das noch auf der Agenda?
Zypries: Bei mir schon, ja. Also, ich halte es für unbedingt notwendig, dass wir von homosexuellen Paaren nicht nur erwarten, dass sie sich gegenseitig unterstützen und füreinander eintreten und sich immer den anderen anrechnen lassen, wenn es um den Anspruch von staatlichen Leistungen geht, sondern dass wir ihnen dann auch umgekehrt die Vergünstigungen geben, die wir ja auch Ehepartnern geben. Deswegen trete ich dafür ein, dass Homosexuelle auch im Steuerrecht gleichgestellt werden, dass sie dann auch am Ehegattensplitting teilnehmen können, dass sie im Beamtenrecht die selben Rechte haben wie heterosexuelle Paare. Das ist so, ja, das mache ich, da kämpfe ich auch an jeder einzelnen Stelle immer wieder dafür. Aber das ist natürlich mit der Union ein ganz schwieriges Thema.
Geuther: Werden Sie das noch konkret vorlegen?
Zypries: Wir legen verschiedene Einzelprojekte vor, insgesamt ein großes zweites Werk wenigstens in absehbarer Zeit nicht. Denn da muss sich jetzt erst einmal der ganze Groll über das Antidiskriminierungsgesetz setzen und dann kann man das, glaube ich, wieder aufrufen. Das dauert noch einen Moment.
Geuther: Nun sind Sie ja nicht nur Ministerin, sondern auch in Darmstadt direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für die SPD. In jedem Fall wird, wie gerade entschieden wurde, Ende Januar 2008 in Hessen gewählt, gleichzeitig mit Niedersachsen. Das heißt, spätestens mit diesen Wahlkämpfen dürfte die Arbeit der Koalition schwierig werden. Ihnen bliebe demnach noch knapp ein Jahr. Wie wollen Sie das nutzen?
Zypries: Also, zunächst einmal bin ich ja eine absolute Verfechterin des Durchsetzens der Ergebnisse der Föderalismusreform. Und das heißt ganz konkret, ich meine auch, wir sollten jetzt sagen, der Bund hat mehr Kompetenzen ohne die Länder bekommen und die Länder haben ihre eigenen Kompetenzen mehr bekommen. Und nun sollten wir das auch einmal auseinander dividieren und sollten nicht immer sagen, dass der Bund politisch quasi lahmgelegt wird, wenn irgendwo im Lande ein Landtagswahlkampf ist. Also, das, meine ich, geht gar nicht. Die Länder sollen sich mal um das ihre kümmern und sollen mal sehen, ob die Hessen dann bis dahin einen Gesetzentwurf vorgelegt haben zum Jugendstrafvollzug. Das könnte ein schönes Thema für den Landtagswahlkampf sein. Wir könnten auch mal sehen, was sie bisher bei der Beamtenbesoldung gemacht haben, für die sie ja jetzt zuständig sind. Das ist auch ein schönes Thema für den Landtagswahlkampf. Das sind alles Themen für Landtagswahlkämpfe, die man schön vor Ort thematisieren kann und die mit der Bundespolitik dann erst mal gar nichts zu tun haben. Und da muss ich jetzt mal Wert drauf legen, dass wir mal versuchen, das auch wirklich mal durchzuhalten. Denn diese ganze Föderalismusreform nützt uns doch sonst gar nichts, wenn wir das alles gerade so weiter führen, wie in der Vergangenheit.
Geuther: Und Sie glauben tatsächlich, das kann funktionieren?
Zypries: Ich kann Ihnen nur sagen, ich werde mein Bestes dafür tun, dass es funktioniert.
Geuther: Frau Zypries, vielen Dank für das Gespräch.
Zypries: Sehr gerne.