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2. November 1931
Geschichten aus dem Wiener Wald uraufgeführt

Ein Volksstück zur bösartigen Groteske gedreht: wutschnaubend zerriss die rechte Presse Ödön von Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" nach der Uraufführung am 2. November 1931 in Berlin. Und bald wurde der Autor selbst als "zersetzender Literat" ins Exil getrieben.

Von Beatrix Novy | 02.11.2021
    Die Schauspieler Helmut Qualtinger als Oskar, Johanna Matz als Marianne und Hans Moser als Vater in einer Inszenierung von Ödön von Horáths "Geschichten aus dem Wiener Wald" 1961
    "Man soll es schon mit Wienern spielen.": Helmut Qualtinger als Oskar, Johanna Matz als Marianne, Hans Moser als Vater in einer Inszenierung der "Geschichten aus dem Wiener Wald" 1961 (Picture-alliance / Imagno ( Austrian Archives )
    "Geschichten aus dem Wiener Wald", eigentlich war alles drin, was ein wienerisches Volksstück mit diesem Titel verspricht: süßes Mädel, ridiküle Kleinbürger und Rittmeister, Alt-Wiener Kulisse, Musik.
    Aber am 2. November 1931 bei der Uraufführung am Deutschen Theater in Berlin durfte das großstädtische Publikum von einem Autor wie Ödön von Horváth, von berühmten Schauspielern wie Carola Neher oder Peter Lorre und vom namhaften Regisseur Heinz Hilpert etwas Zeitgemäßeres erwarten. Und tatsächlich wussten viele die Verzerrung herzwärmender Wiener Gemütlichkeit ins überrealistisch Bösartige zu schätzen. Erich Kästner zum Beispiel lobte den talentierten jungen Autor für dieses "Wiener Volksstück gegen das Wiener Volksstück":
    "Er zerstörte nicht nur das überkommene Wiener Figurenpanoptikum, er gestaltete ein neues, echteres außerdem. Er verspottete nicht nur die herkömmliche, landläufige Anschauung; er führte das Theaterpublikum hinter die Fassade."

    Volkstheater als Sozialkritik

    Ödön von Horváth, Diplomatensohn, geboren 1901 in Fiume, dem heutigen Rijeka, weit herumgekommen und bereits Träger des Kleist-Preises, politisierte sich wie so viele in den Zwanzigerjahren. Arbeitslosigkeit und Elend, Arroganz der Besitzenden, Verrohung der Armen - um die Schicksale des Volkes darzustellen, entdeckte er unter anderem das Volkstheater, ein idealerweise so unterhaltsames wie kritisches Genre.

    Wo bleibt das "Gold'ne Wienerherz"?

    "Geschichten aus dem Wiener Wald" erzählt Alltägliches: Der Fleischer Oskar will die junge Marianne heiraten, diese verliebt sich in den Taugenichts Alfred, dieser macht ihr ein Kind und lässt sie sitzen. Aber es geht alles gut aus: Das störende Kind stirbt mit Beihilfe der klugen Großmutter, die Rivalen verbrüdern sich, Oskar nimmt Marianne großmütig zurück. Selten endete ein Volksstück beklemmender.
    "Oskar: Ich hab dir einmal gesagt, Mariann‘: du wirst meiner Liebe nicht entgehen."
    Mariann: "Jetzt kann ich nicht mehr! Jetzt kann ich nicht mehr."
    Oskar: "Dann komm!"
    Mit seiner Attacke gegen die Lüge vom "Gold'nem Wienerherz" stand Horváth in einer langen, über ihn hinausreichenden Kritiktradition: von Karl Kraus, der schonungslos aufdeckte, dass auch Alt-Wien mal neu gewesen war, bis zu Helmut Qualtinger, Thomas Bernhard und vielen anderen.

    Vom Heurigen ins Großdeutsche Reich

    Methodisch führt Horváths Drama alles Klischeeverkleisterte zusammen: Orte, Sprechhaltungen, Musik. Zu einer Groteske der Allgemeinplätze. Die Protagonisten begeben sich an die selbstverständlich schöne blaue Donau und nach draußen in die Wachau zum Heurigen oder auch, ahnungsvoll, ins Großdeutsche Reich.
    Marie Burchard (vorn von hinten, als Adele), Hans-Jochen Wagner (dahinter, als Stadtrat) und Ensemble während der Fotoprobe zu "Italienische Nacht" von Ödön von Horvath in der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin. Premiere ist am 23. November 2018. Regie führt Thomas Ostermeier.
    Horváth-Inszenierung in Berlin - Linke Luschis gegen rechte Radikale
    Neoonazis marschieren grölend durch die Straßen, während sich die politische Linke intern selbst zerlegt. Ödön von Horváths 1931 geschriebenes Stück "Italienische Nacht" liest sich wie ein politischer Tageskommentar.

    Aufführungsverbote ab 1933

    Die Faschisierung der im ideologischen Stellungskrieg polarisierten Gesellschaft hält im "Wiener Wald" Einzug mit Erich, dem schnarrenden Sprachrohr der Nazis. Die Eriche sollten Horváth binnen kurzem aus Deutschland vertreiben. Seine "Geschichten aus dem Wiener Wald" hatte die rechte Presse wütend zerrissen. Sein nächstes Volksstück "Kasimir und Karoline", das auf dem Münchner Oktoberfest spielt, erreichte die Wirkung des Wiener Wald-Stücks nicht; "Glaube Liebe Hoffnung" durfte 1933 in Deutschland gar nicht erst gespielt werden
    Horváth, der 1938 im Pariser Exil von einem herabfallenden Ast erschlagen wurde, konnte nicht erleben, wie seine Stücke nach dem Krieg - ziemlich spät - wiederentdeckt wurden. Anfangs gab es Zweifel, ob ein Stück wie "Geschichten aus dem Wiener Wald" überhaupt exporttauglich war.
    Der Schriftsteller und Dramatiker Ödön von Horvath mit Hut.
    Eine Lange Nacht über Ödön von Horváth - Sonnenuntergang im Wienerwald
    "Geschichten aus dem Wienerwald" ist wohl das bekannteste Theaterstück des österreichisch-ungarischen Schriftstellers Ödön von Horváth: Der Dramaturg thematisierte immer wieder die Welt der kleinen Leute – und wurde durch seine Arbeit zur unerwünschten Person in der NS-Diktatur.
    "Man soll es schon mit Wienern spielen", behauptete Regisseur Otto Schenk 1967. Sein Kollege Max Peter Amann war risikofreudiger: "Es ist ein Stück, das nicht milieugebunden sein darf, nicht zeitgebunden, weil es internationale Aspekte aufweist." Und so kam es ja auch.