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20 Jahre Baba Zula
Oriental Dub gegen die Angst

Die wahrscheinlich bekannteste türkische Band in westlichen Kreisen sind Baba Zula. Die inzwischen zum Duo geschrumpfte Underground-Kultband gibt es nun schon seit 20 Jahren. Gefeiert wird das mit dem Doppelalbum "XX".

Von Florian Fricke | 24.01.2017
    Die Band Baba Zula posiert im Jahr 2010 in einer Gecekondu (türkisch Bezeichnung für informell) -Siedlung in Istanbul. Die psychedelischen Folkrocker Baba Zula verschmelzen Tradition und Moderne.
    Die Band Baba Zula (2010). (dpa / Alper Ertug / essay recordings)
    "Immer wenn ich einen Text schreibe, denke ich gleichzeitig daran, wie ich ihn vor Gericht verteidigen könnte."
    Murat Ertel, Mitbegründer und Mastermind von Baba Zula, spricht offen über die Schere im Kopf. Baba Zula versteht sich als eine Band mit politischem Gewissen. Ihre Texte handeln von alltäglichen Begebenheiten, aber auch von sozialen und politischen Themen wie Armut oder dem osmanischen Erbe. Seit Gründung der Band dürfen im türkischen Radio allerdings nur ihre Liebeslieder gespielt werden, weil sie unverfänglich sind. Als Recep Tayyip Erdoğan 2003 der erste Mal zum türkischen Ministerpräsidenten gewählt wird, ahnt Murat Ertel bereits, was kommt.
    "Die Regierung gab vor, gute Beziehungen mit der EU eingehen zu wollen, ihr vielleicht sogar beizutreten und mehr Demokratie zu wagen. Natürlich war das nicht die Wahrheit – aber viele Künstler und Journalisten glaubten ihm. Und das war das Schlimmste, was passieren konnte."
    Einfluss vom psychedelischen Folk-Rock der 60er- und 70er-Jahre
    Ertel, Jahrgang 1964, kam schon früh intensiv mit türkischer Folkmusik in Berührung, einer der Grundpfeiler der Musik von Baba Zula. Er stammt aus einer Istanbuler Künstlerfamilie, im Haus seiner Eltern gingen Künstler, Schriftsteller und Akademiker ein und aus – so auch Ruhi Su, ein armenisch-stämmiger Sänger und Musiker. Ruhi Su war Pionier in der Erforschung der türkischen Folk-Traditionen. Auf seinen Streifzügen in die anatolischen Dörfer nahm er unzählige Volkslieder auf, die er dann auf Schallplatte veröffentlichte.
    "Mein Vater hatte die Aufgabe, die Cover für diese LPs zu gestalten. Er überspielte sie auf Tonband und hörte sie sich immer wieder an. Er mochte auch Bob Dylan, obwohl er kein Englisch konnte, hörte Jazz und afrikanische Musik."
    Der vielleicht größte Einfluss auf die Musik von Baba Zula hat aber der psychedelische Folk-Rock der 60er- und 70er-Jahre, der damals in der Türkei sehr populär war. Aber anders als ihre Vorbilder spielen Baba Zula nicht mit E-Gitarren und E-Bass, die sie mit akustischen türkischen Instrumenten mischen. Kern ihrer Musik ist die von Murat gespielte elektronisch verstärkte Saz, die türkische Laute.
    Bekannt durch den Dokumentarfilm "Crossing the Bridge"
    Baba Zula gründen sich 1996 im Rahmen eines Filmprojekts, für das sie die Musik beisteuern sollen. In der Folge stoßen sie ein kleines Psychedelic-Revival in der Türkei an. Das bewegt sich aber in einem bescheidenen subkulturellen Rahmen, denn viele Türken – selbst in Istanbuler Kreisen – können mit einer elektronisch verstärkten Saz wenig anfangen und bevorzugen westliche Musik. Internationale Bekanntheit erlangen Baba Zula 2005 mit dem Dokumentarfilm "Crossing the Bridge" des deutschen Regisseurs Fatih Akin, der die Istanbuler Musikszene in all ihren Facetten porträtiert. Seitdem sind sie auch in Deutschland ein gern gesehener Gast, aber auch in Japan, Australien und selbst beim historischen Erzfeind Griechenland. Nun erscheint zum 20-jährigen Jubiläum das Doppelalbum XX – eine Compilation.
    "Wir haben so viele Aufnahmen aus allen Perioden gefunden, dass wir beschlossen, daraus eine Art Eintopf zu machen. Aber Grundbedingung war, dass nur unveröffentlichte Versionen auf dem Album landen, also ein Remix, eine Kollaboration, eine alternative Aufnahme oder ein Outtake."
    "Ich glaube, dass ich der Türkei etwas schulde"
    Manche Stücke erreichen eine epische Länge, eins dauert fast 20 Minuten. Aber gerade diese rohen Stücke vermitteln einen Eindruck von der hypnotischen und schamanischen Kraft, die Baba Zula auf der Bühne verbreiten. Auf dem zweiten Album befinden sich amtliche Dub-Versionen ihrer Stücke, die ihren orientalischen Ursprung unterstreichen. An den Reglern war auch Großmeister Mad Professor, einer ihrer langjährigen Produzenten. Insgesamt ist "XX" also ein ungewöhnliches Doppelalbum, das die 20-jährige Bandgeschichte adäquat abbildet. Dabei hatten Baba Zula nicht im Traum daran gedacht, so lange zu bestehen, und wie lange es die Band noch geben wird, kann angesichts der aktuellen politischen Situation niemand vorhersehen. Viele Künstler sind schon ins Exil gegangen und viele werden folgen. Die Angst geht um, auch in Istanbul, der weltlichen und multikulturellen Metropole der Türkei.
    "Aber ich will meine Heimat nicht verlassen. Ich fühle mich der Türkei sehr verbunden, und ich glaube, dass ich ihr etwas schulde. Von meiner Familie habe ich dieses künstlerische Erbe übernommen, und ich liebe diese Kultur. Und das macht Baba Zula so einzigartig."