Archiv

200. Geburtstag von Ernst Litfaß
König der Reklame

Ernst Litfaß war Drucker, Schauspieler, Event-Manager, Werbefachmann und Zeitungsherausgeber - doch vor allem der Erfinder der Litfaßsäule. Ihm ist es gelungen, dass ein Werbeinstrument bis heute neugierige Blicke auf sich zieht. Die zunehmende Digitalisierung macht seine Erfindung keineswegs ersetzbar.

Von Joachim Hildebrand |
    Leuchtspuren von Autos sind neben einer Litfaßsäule am Abend des 08.02.2016 in Frankfurt/Oder) (Brandenburg) zu sehen (Aufnahme mit Langzeitbelichtung). Ernst Litfaß (1816 - 1874) gilt auch 200 Jahre nach seinem Geburtstag als König der Reklame: Der Buchdrucker stellte im Juli 1855 in Berlin-Mitte die erste Säule für Annoncen auf. Menschen mit wenig Geld konnten sich im 19. Jahrhundert keine Zeitung leisten: Sie liefen zur nächsten Litfaß-Säule, um sich zu informieren. Die Berliner nannten Litfaß, der am 11. Februar 1816 geboren wurde, liebvoll ihren «Säulenheiligen». Bald gab es in vielen größeren Städten Deutschlands Litfaßsäulen. Foto: Patrick Pleul/dpa
    Litfaßsäule in Frankfurt an der Oder (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    "Der dritte Mann" Harry Lime, alias Orson Welles, verschwindet plötzlich von einem Platz mitten in Wien. Durch die Tür einer Plakatsäule, die hinab in die Kanalisation Wiens führt. Die Litfaßsäule als letzte Rettung für Verbrecher.
    Ernst Litfaß, der Mann, nach dem das Werberund benannt wurde, soll sich am wilden Plakatieren in der Stadt gestört haben. Der Polizeipräsident - bekannt für seinen Hass auf Demokraten - freute sich über die Säulenidee. Bis dahin konnte jeder auf jede freie Fläche etwas kleben. Nun, mit preußischer Ordnung, durfte nur Litfaß öffentliche Mitteilungen und Plakate auf seiner Anschlagsäule anbringen.
    "Litfaß brachte diese Idee vermutlich aus Paris mit."
    Marlies Ebert, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Berliner Stadtmuseum.
    "Litfaß war begeistert von der Weltstadt Paris. Und er war begeistert von der Riesenreklame. In Paris hatten sie schon etwas Ähnliches, aber nicht die Litfaßsäule."
    Litfaß setzte sich 1848 für die Märzrevolution ein, gab die politisch-satirische Zeitschrift "Berliner Krakehler" heraus, doch schon bald trat er für den König ein und richtete sich nach den vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen.
    "Litfaß hat in der 1848er Revolution auch Flugschriften gedruckt. Vielleicht hat er sogar einige Texte davon selbst verfasst. Das ist heute nicht mehr eindeutig nachzuweisen.
    Litfaß war nicht nur ein Drucker und Unternehmer, der Nachrichten verbreitete, sondern immer auch ein Selbst-Darsteller. Bei der Einweihung der ersten Litfaßsäule am 1. Juli 1855 in Berlin ließ er zu seinen Ehren die bei einem ungarischen Komponisten in Auftrag gegebene "Annoncir-Polka" aufführen.
    "Litfaß hat sich das Vertrauen des Königshauses und des Polizeipräsidenten hier in Berlin im Prinzip ein bisschen auch so erkauft. Dazu kam, dass er unermüdlich war, an die Mitglieder des Königshauses Gedichte zu jeglichen Anlässen zu schreiben und zu senden. So ein bisschen anbiedernd von seiner Seite und dann seine Geschäftstüchtigkeit."
    Mit der Litfaßsäule schuf er einen NEUEN geselligen Ort. Dort kam man ins Gespräch über die bilderbuchartig angeschlagenen Nachrichten.
    1922 war die erste Persilfrau abgebildet, es folgte die Reklame für Erich Kästners Erzählung Emil und die Detektive. Die Nazis nutzten sie, um ihre Hetzschriften zu verbreiten. Das Rote Kreuz brachte Vermisstenmeldungen. Wo es Essenskarten gibt, Gesetze der Alliierten, all diese Informationen fand man später auf der Anschlagsäule.
    Mit 100 Säulen fing es vor 160 Jahren an, heute sind es allein in Berlin 3.000. Dazu gibt es multimediale Exemplare, mit Drehmotor und Beleuchtung. Selbst die digitale Litfaßsäule feiert in diesem Jahr zehnten Geburtstag. Aber wer braucht die noch, wenn jeder die Werbesäule zum telefonieren mit sich herumträgt.