Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv

75 Jahre Kreisauer Kreis (Teil 1)
Die Rolle der Religion beim NS-Widerstand

1940 formierte sich im Kreisauer Kreis eine Widerstandsgruppe gegen Hitler. Köpfe der Bewegung waren Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck zu Wartenberg. Ihnen gelang es, Anhänger des christlichen Humanismus, des protestantischen Sozialismus und der katholischen Soziallehre für ihre Vision eines neuen Deutschlands zu begeistern.

Matthias Kroeger im Gespräch mit Rüdiger Achenbach | 17.02.2015
    Helmuth James Graf von Moltke am 11.03.1907 geboren. Moltke wurde am 23.01.1945 von den Nazis in Plötzensee in Berlin hingerichtet. Der Herrensitz Gut Kreisau in Schlesien, Polen, aufgenommen 1985. Dort wurde der deutsche Widerstandskämpfer Helmuth James
    Das Gut von Helmuth James Graf von Moltke wurde zum Treffpunkt der NS-Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis. (picture-alliance/ dpa / DB)
    Rüdiger Achenbach: Herr Kroeger, wie ist denn der Kreisauer Kreis zustande gekommen? Es war ja wohl keine Gruppe von Verschwörern, die ein Attentat auf Hitler planten, um seiner Herrschaft dadurch ein Ende zu setzen.
    Matthias Kroeger: Nein, es war genau anders herum. Das waren zwei Männer vorrangig – Peter Graf Yorck von Wartenburg und Helmuth James Graf von Moltke, die in lockerer Verbindung schon länger gewesen waren, die aber im Jahre 1940 aus bestimmten Anlässen sich wieder näher trafen und einen Briefwechsel begannen und sagten: Gerade jetzt, wo Deutschland im Rausch des Glücks und Sieges über Frankreich und Polen schwebt, wollen wir in dem Sumpf dieses Wohlbehagens und Glücks nicht mitspielen.
    Sie haben nicht erst angefangen, den Widerstand zu planen, als es abwärts ging mit der Nazi-Herrschaft. Nein, gerade als er auf dem Höhepunkt ihrer Durchsetzung und Anerkennung war, da haben sie gesagt, das müssen wir zu durchschauen lernen, dass eben hier in Sieg und Glück das Unheil beginnt, und haben einen Briefwechsel begonnen, wie müsste denn ein Staat aussehen, der diesen Versuchungen nicht erliegt.
    Dieser Briefwechsel ist die Ursprungszelle der Gespräche und später der Dokumente des sogenannten Kreisauer Kreises. Der hat seinen Namen daher, dass einer dieser beiden Protagonisten – James von Moltke – in Schlesien ein Gut besaß. Und das wurde zum Ort, an dem der – dann schließlich erweiterte Kreis – das sind dann so Personen von 17 bis 19 ungefähr – getroffen hat. Die haben sich in vielen kleinen Gruppen in der Wohnung Yorcks und Moltkes in Berlin getroffen, aber insgesamt dreimal zu größeren Treffen auf diesem Kreisauer Gut in Schlesien. Davon haben die ihren Namen durch die SS-Behörden, durch die Untersuchungsbehörden damals bekommen.
    "Die Mitgliederzahl dieser Gruppe ist schwimmend"
    Achenbach: War dieser Kreis denn auch vernetzt mit anderen Oppositionskreisen?
    Kroeger: Die Mitgliederzahl dieser Gruppe ist schwimmend. Man geht von 17 bis 19 relativ festen Mitgliedern aus. Es waren aber auch immer welche mit einbezogen, die nicht dabei blieben, die aber doch die Funktion hatten, dass sie den Kontakt zu anderen hielten – zu den Gewerkschaften. Oder zum Beispiel Schulenburg, der nicht zu dem Kreis gehörte, aber verwandtschaftlich mit einigen verbunden war, der hat den Kontakt zu den Militärs hergestellt, die die Ermordung Hitlers zum 20. Juli geplant hatten, was der Kreisauer Kreis dezidiert nicht wollte. Der hatte eine ganz andere Zielsetzung.
    Achenbach: Es war sozusagen ein harter Kern mit fließenden Rändern. Kann man sich das Bild so vorstellen?
    Kroeger: Ja, das kann man so sagen.
    "Moltke war der Kopf und Yorck war das Herz des Kreises"
    Achenbach: Helmuth James vom Moltke galt nun als Kopf dieses Kreises.
    Kroeger: Man hat auf eine sehr plastische Weise gesagt, Moltke war der Kopf und Yorck war das Herz des Kreises. Moltke war ausgebildeter Jurist. Er hatte nämlich in Südafrika Vorfahren, die dort der Emanzipationsbewegung und dem Versuch, einen Rechtsstaat in Südafrika herzustellen, verbunden waren.
    Von daher hatte er eine alte rechtlich, liberale – im Übrigen auch erstaunlicherweise sozialistische Einstellung. Er hat zum Beispiel bei der Präsidentenwahl Thälmann gewählt, also einen Kommunisten, weil er den nationalistischen Tendenzen in Deutschland entgegen wirken wollte. Diese Grundfiguration einer liberalen anti-nationalistischen – damals in den Anfängen übrigens vollkommen unreligiösen – Auffassung des Widerstands und des Staates kennzeichnet ihn. Während sein Freund Yorck ein ganz anderes Kolorit an sich hatte. Er stammte aus einer dezidiert einer in klassischer Antike und deutscher Klassik gebildeten Familie, gleichzeitig sehr bewusst – nicht konfessionell – aber sehr bewusst christlich.
    "Wir dienen Gott im Staate"
    Achenbach: in Rahmen des politischen Luthertums.
    Kroeger: Das ist ein Stichwort, ja. Der Großvater von Peter Yorck hat das in die Debatte gebracht: Wir sind politisches Luthertum und das heißt, wir dienen Gott im Staate.
    Das war nicht primär, wir dienen Gott in Jesus oder in der Kirche, sondern das war, wir diesen Gott im Staate. Deswegen ist das staatlich Sein und im Staat Verantwortung tragen für uns die zentrale Motivation. Das hat bei Peter Yorck zum Beispiel, aber auch bei seinem Vater als Gutsbesitzer schon dazu geführt, dass sie sich primär ihren Arbeitern verpflichtet fühlten, weil sie sagten, die sind diejenigen, die in den Umbrüchen der Zeit seit 1918 am meisten Schaden genommen haben, auch von den Nazis betrogen worden sind. Sie sind die erste Personengruppe, die wieder in ihr Recht gesetzt werden muss.
    Deswegen haben die Yorcks auf ihrem Gut Wohnungen für Arbeiter gebaut – in einem Umfang, der sonst ganz ungewöhnlich war in Klein-Oels. Das ist eine ganz andere – eher konservative Note. Die Frau von James Moltke, Freya von Moltke, die hat mal gesagt, in Peter Yorck haben wir den ersten und wirklich überzeugenden Konservativen kennengelernt.
    Moltke war von Anfang an "ein leidenschaftlicher Anti-Nazionalist"
    Achenbach: Moltke und Yorck hatten ja unterschiedliche politische Ausgangspunkte. Das haben Sie gerade deutlich gemacht. Wie sah es denn ja aus im Blick auf das Verhältnis des einzelnen Bürgers zum Staat?
    Kroeger: Yorck gehörte einem Gesprächskreis an, den man später den sogenannten Grafenkreis genannt hat. In dem hat er durchaus selber eine Zeit, in der er gedacht hat, dass die nationalsozialistische Lösung Hitlers hilfreich sein könnte. Aber er war in dem Kreis der Einzige, der sich geweigert hat, in die NSDAP einzutreten. Alle anderen dort sind eingetreten.
    Während Moltke von Anfang an leidenschaftlicher Anti-Nationalsozialist war – mit sozialistischen Tendenzen, wie ich schon sagte, und deswegen eine ganz andere Auffassung vom Staat hatte. Der Staat muss ein Heide sein, er darf sich mit religiösen Fragen nicht beschäftigen. Während Peter Yorck sagte, es gibt keinen Staat, ohne dass die göttliche Gerechtigkeit dem zugrunde gelegt wird, denn sonst gibt es kein haltbares Fundament, auf dem man die Menschen stützen kann.
    Achenbach: Also er geht von festen göttlichen Ordnungen aus.
    Kroeger: Ja, zum Beispiel er hat die Weimarer Verfassung anerkannt – im Gegensatz zu sehr vielen der NVP orientierten, also nationalistische orientierten Leuten. Er hat die Verfassung als notwendigen Schritt voran anerkannt.
    Feste göttliche Ordnungen
    Achenbach: Also damit auch die Demokratie.
    Kroeger: Absolut. Er hat die Demokratie anerkannt und hat nur gesagt, der Staat muss davor geschützt werden, dass er missbraucht wird, damit er nicht nur die Freiheiten, sondern auch die Verpflichtungen der Menschen darlegt.
    Während Moltke immer betont hat, der Staat ist dafür da, um die Freiheit der Menschen zu schützen. Das war ihr erster Gesprächsgang in diesem Briefwechsel. Gibt es nur Freiheit. Oder Freiheit und Selbstverpflichtung der Beteiligten, das erst schützt die Freiheit vor Missbrauch, das war mehr die Position Yorcks, in der sie sich dann in diesem Punkte gut geeinigt haben.
    Achenbach: Also Moltke mit seiner liberalen Einstellung, mit seinem liberalen Verständnis und auf der anderen Seite Yorck – national-konservativ.
    Kroeger: Kann man so sagen.
    Achenbach: Wie dachten dann die beiden in der Beurteilung des Verhältnisses von Staat und Religion? Da gab es ja auch Differenzen.
    Kroeger: Die sich aber zunehmend eingeebnet haben, aber am Anfang in der Tat waren sie da. Und zwar hängt das damit zusammen, dass Moltke in einer sehr liberalen, ich möchte fast sagen kindlichen naiven Form von seiner Mutter religiös erzogen war. Aber er hatte in seinem Selbstverständnis keinen wirklich ausgeprägt religiösen Akzent.
    "Ethik ist auf vielerlei Weise begründbar"
    Achenbach: Er war auch nicht kirchlich gebunden?
    Kroeger: Nein, war er nicht. Ich sagte vorhin schon, dieses Zitat "Der Staat muss ein Heide sein" – er darf nicht religiös konterminiert sein, das muss frei bleiben.
    Achenbach: Das heißt ja auch, Ethik ist nicht aus der Religion abzuleiten.
    Kroeger: Richtig. Darauf hat er absolut bestanden. Ethik ist auf vielerlei Weise begründbar. Humanistisch, sozialistisch und religiös – keineswegs nur das, nur im religiösen Sinn. Während im Unterschied zu Moltke war Yorck der Meinung, es muss ein religiöses Fundament in der Begründung der Staatstheorie geben, denn sonst geht alles letztlich zu Bruch. Und merkwürdigerweise ist diese Formulierung aus dem frühen Briefwechsel der beiden – diese Formulierung von Yorck – ist nachher in den Kreisauer Dokumenten eingebaut worden. Dort steht diese Formulierung auch drin.