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Abarbeiten im Roten Rathaus

Björn Böhning (SPD) ist der jüngste Verwaltungschef in der Geschichte des Roten Rathauses in Berlin. Nach 100 Tagen Großer Koalition hält sein Chef, der amtierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), nach wie vor große Stücke auf ihn.

Von Claudia van Laak |
    "Böhning, wer iss´n ditte?" bellt die uniformierte Frau an der Pforte, blättert in einem dicken Ordner. Im Winter – mit der Strickmütze tief ins Gesicht gezogen – sei er manchmal gar nicht reingelassen worden, erzählt Björn Böhning und lacht. Dabei ist er doch hier der Chef.

    "Ich bin der jüngste Chef der Staatskanzleien, ich bin der jüngste Staatssekretär in Berlin, das heißt, dass da schon geguckt wird."

    33 Jahre alt ist er, seit 100 Tagen Verwaltungschef im Roten Rathaus. Das bedeutet auch: Personalverantwortung für etwa 350 Mitarbeiter, die allermeisten sind älter als er und wissen, wie das Geschäft läuft.

    "Das haben wir schon immer gemacht, oder das haben wir noch nie so gemacht, das ist ein häufiger Anwurf, ja."

    Den lässt er nicht gelten, will frischen Wind ins Rote Rathaus pusten. Der Politologe und frühere Juso-Bundesvorsitzende wirft nebenbei einen Blick auf sein Smartphone. Die digitale Verwaltung ist genauso sein Ziel wie ein Betriebskindergarten. Böhning ist vor sechs Wochen Vater geworden. Sein Büro – eher ein Salon - ist noch nicht so, wie es sein soll: weiße bodenlange Vorhänge, ein grau-blauer dicker Teppich, dunkle antike Möbel. Hier muss entrümpelt werden.

    "Ich hab schon. In der Ecke stand eine Tischuhr aus Elfenbein. Sehr antik, aber funktionierte nicht mehr. Das ganze Büro ist zu ehrwürdig für so einen jungen Typ wie mich. (lacht)"

    Klaus Wowereit hält viel von seinem neuen Senatskanzleichef. Er entspricht genau seinem Berlin-Bild: jung und modern, ein bisschen rebellisch, aber nicht zu sehr. Ehrgeizig, ein Kämpfer, ohne verbissen zu wirken. Bei der Bundestagswahl trat Björn Böhning als SPD-Direktkandidat an, ohne auf der Landesliste abgesichert zu sein. Er verlor gegen den Grünen Christian Ströbele, gewann aber dafür Respekt in der eigenen Partei. Rot-Grün in Berlin wäre Böhning lieber gewesen als eine Koalition mit der CDU, aber auch hier ist er genauso pragmatisch wie sein Chef Wowereit:

    "Man hat, das war auch der Unterschied zu den Grünen, in den Koalitionsverhandlungen sich von Anfang an daran orientiert, was machbar ist, was pragmatisch ist, was zu entscheiden ist für die Stadt, und weniger daran, was darüber hinaus noch wünschenswert ist. Das ist so ein bisschen der Grundkonsens: Wir arbeiten die Dinge ab."

    Abarbeiten - das klingt nicht nach einer Vision für Deutschlands Hauptstadt. Die Regierungserklärung Klaus Wowereits, sie war lustlos und uninspiriert, konstatierten selbst Parteifreunde. Und die Fraktionschefin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Ramona Pop, stellt fest:

    "Nachdem wir im Wahlkampf wirklich einen sehr kämpfenden Klaus Wowereit erlebt haben, der wirklich überall präsent war in der Stadt, erschlaffte dieser Kampfgeist, kaum dass er zum Regierenden Bürgermeister gewählt wurde. Er ist wieder in den Energiesparmodus der letzten Jahre zurückgefallen, und wenn man ihn im Plenum erlebt, dann denkt man, er denkt, sollen es doch lieber die anderen machen."

    Vielleicht schwingt da auch ein bisschen Neid mit in den Sätzen der grünen Oppositionschefin. Haben sich die Grünen doch die Regierungsbeteiligung selber vermasselt – mit zu viel Ideologie und zu wenig Pragmatismus. Die CDU hat es da cleverer angestellt und für die Beteiligung an der Macht einige christdemokratische Forderungen über Bord geworfen. Das macht das gemeinsame Regieren von SPD und CDU umso einfacher. Bei der 100-Tage-Pressekonferenz präsentierten sich der Regierende Bürgermeister und sein CDU-Stellvertreter Frank Henkel im Partnerlook: dunkler Anzug, weißes, offenes Hemd. Und auch sonst ging's harmonisch zu:
    Wowereit:
    "Ich glaube, dass die Arbeit im Senat sehr vertrauensvoll ist, das ist ein gutes Klima, ein gutes Arbeitsklima."

    Henkel:
    "Auch ich kann das für meinen Teil sagen, das Klima zwischen den Partnern ist weiter außerordentlich gut."

    Was vielleicht auch daran liegt, dass die vielen neuen Senatoren und Staatssekretäre noch damit beschäftigt sind, ihre eigenen Arbeitsbereiche in den Griff zu kriegen. Die CDU musste nach nur zwölf Tagen ihren Justizsenator wegen dessen dubioser Rolle bei der Beurkundung von Immobiliengeschäften auswechseln, der SPD-Sozialsenatorin ist der Integrationsbeauftragte von der Fahne gegangen, auch der neue Polizeipräsident lässt auf sich warten. In Tegel ist in knapp drei Monaten ein Flughafen samt Rollfeld zu vergeben – dann eröffnet der neue Großflughafen in Schönefeld. Der Termin ist seit Jahren bekannt, doch Klaus Wowereit zeigt wenig Ehrgeiz, das Thema Nachnutzung anzugehen.

    "Wir können uns die Investoren auch nicht aus den Rippen schneiden, das muss sich entwickeln."

    Auch das Beispiel Tegel ist für die Opposition ein Beleg dafür, dass sich die neuen Senatoren zwar anstrengen, der alte Bürgermeister aber nicht mit voller Leistung regiert. Senatskanzleichef Böhning erwidert:

    "Nein, das hat mit Energiesparmodus nichts zu tun, wenn man nicht täglich geräuschvoll arbeitet, sondern geräuschlos an den Fragen diskutiert. Also ich kann mich und auch er kann sich vor Arbeit kaum retten."

    Trotzdem bleibt vor dem Abarbeiten der Postmappe – das digitale Büro lässt noch auf sich warten – etwas Zeit, Luft zu schnappen auf dem Dach des Roten Rathauses.

    "Herr Glogotzki, wir würden mal gerne aufs Dach, haben Sie einen Schlüssel da, super danke."

    Solarkollektoren, Taubendreck, ein brütender Turmfalke und eine atemberaubende Aussicht über den Alexanderplatz und Berlins Prachtstraße "Unter den Linden". "Cool", sagt Deutschlands jüngster Staatskanzleichef und breitet die Arme aus. Der Satz ist plump, aber er stimmt: Björn Böhning will noch höher hinaus.