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Abschiedsvorlesung
Scheidender ifo-Chef Sinn zieht Bilanz - und blickt voraus

Nach 17 Jahren an der Spitze des Münchner ifo Instituts geht Hans-Werner Sinn im März kommenden Jahres in Rente. In dieser Zeit entwickelte sich das ifo zu einem der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, lag zuletzt aber mit seinen Prognosen auch häufiger daneben. Gestern hielt Sinn an der Ludwig-Maximilians-Universität seine Abschiedsvorlesung.

Von Susanne Lettenbauer | 15.12.2015
    Der Präsident des ifo Instituts, Hans-Werner Sinn, spricht am Mittwoch (29.06.2011) in München (Oberbayern) auf der Jahresversammlung des Instituts
    Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts, räumt im März kommenden Jahres seinen Posten für Clemens Fuest. (picture alliance / dpa / Tobias Hase)
    Hans Werner Sinn ist immer für Überraschungen gut. Ob bei seinen Prognosen zum Eurokurs oder den Analysen zur Weltwirtschaft, die mittlerweile seine Mitarbeiter erstellen. Sei es bei seinen kritischen Überlegungen zur Flüchtlingskrise oder bei seiner vehementen Ablehnung der Euro-Rettung. In den vergangenen Jahren setzte Deutschlands Chefökonom oft auf populistische Konfrontation zur Politik. Bei seiner Abschiedsvorlesung nach über 30 Jahren Professur an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität zeigte sich Sinn eher von seiner versöhnlichen Seite. Vor über 1000 Zuhörern, darunter Wirtschaftsberater Roland Berger, überraschte der 67-Jährige vor allem mit sehr persönlichen Erinnerungen aus einem halben Jahrhundert:
    "Ich möchte Ihnen heute einen Rückblick geben, denn nach vorne ist ziemlich viel Nebel."
    Er wolle keinen Pessimismus schüren, so das Urgestein der deutschen Wirtschaftsforschung. Aber hinter die noch einmal auf dem CDU-Parteitag bekräftigte Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel "Wir schaffen das" müsse doch ein großes Fragezeichen gesetzt werden. Nicht nur beim Thema Flüchtlinge, deren Eingliederung Deutschlands Chefökonom im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsforschern eher als kostenintensive Belastung der deutschen Wirtschaft bezeichnet hatte denn als Nutzen.
    Sein Rat für den Nachfolger: "Zähne zusammenbeißen"
    Thema Energiewende, Thema Standortfrage und Globalisierung, Thema Eurorettung. "Schaffen wir das?", fragt Sinn rhetorisch. Deutschland stehe vor vielfältigen Herausforderungen, so der scheidende ifo-Institutschef. Das sei auch bei Adenauer der Fall gewesen, bei Willi Brandt und Helmut Schmidt. Immer habe es Lösungen gemeinsam mit den Volkswirtschaftlern gegeben. Die wiederum hätten in die Gesellschaft hineingehört. Heute würden wirtschaftspolitische Entscheidungen zu oft von der Reaktion der schnelllebigen Medien beeinflusst werden. Sein Rat deshalb an seinen Nachfolger Clemens Fuest vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung:
    "Also Zähne zusammenbeißen. Es stimmen einem nicht immer alle zu, wenn man was sagt, aber wenn man die volkswirtschaftliche Theorie auf seiner Seite hat, dann kann man auch mal die emotionalen Stürme, wenn die in eine andere Richtung gehen, überstehen."
    Gegen den Mainstream denken, das tat Sinn bereits in den 60er Jahren mit Rudi Dutschke. Der Bau der Mauer sei wirtschaftspolitische Notwehr gewesen, sagt er noch heute. Die sozialistischen Reformen im Ostblock waren interessant, aber utopisch. Werke von linken Vordenkern wie Ota Sik gehörten zu seiner Lektüre. Seine heftig umstrittenen Vorschläge für die Agenda 2010 der Regierung unter Gerhard Schröder erscheinen da wie ein Widerspruch. Trotzdem ist der bekennende Linksdenker noch heute davon überzeugt:
    "Gerade auch angesichts der Flüchtlinge müsste man das noch mal wiederholen, da haben wir dasselbe noch mal in grün. Da sind Geringqualifizierte, die im Wesentlichen zu uns kommen. Es sind eben nicht alles nur Chefärzte aus Aleppo. Und die müssen ja integriert werden. Wenn wir die in der Arbeitslosigkeit finanzieren, mag das human klingen, ist es aber nicht."
    So leise wird der Abschied dann doch nicht
    Absenkung der Löhne, Abkehr vom gesetzlichen Mindestlohn, den es de facto sowieso in Deutschland gebe durch Sozialhilfe und Lohnkostenzuschuss - die Politik müsse jetzt handeln. So ganz leise will sich Hans Werner Sinn dann doch nicht verabschieden von der großen wirtschaftspolitischen Bühne. Erst vor Kurzem hat er noch in Berlin seine Prognosen bis 2017 vorgelegt:
    "Das nächste Jahr haben wir noch eine gute Konjunktur, aber darüber hinaus wollen wir noch nicht wirklich schauen, auch 2017, wenn das alles so bleibt, wenn der Ölpreis so bleibt, wenn der Eurokurs so niedrig bleibt, dann geht es uns auch 2017 wahrscheinlich noch gut, aber was ist dann? Da muss man auf Sicht fahren und nachjustieren, wenn man neue Informationen hat."
    Sein Nachfolger werde andere Schwerpunkte am ifo-Institut setzen. Das unterstütze er.
    "Ich werde aber versuchen, mich nicht mehr tagesaktuell zu äußern", kokettiert Sinn mit seinen Zuhörern.
    Das glaubt ja dann doch keiner so wirklich.