Samstag, 27. April 2024

Archiv


Absurd und vergeblich

Immer öfter war es ihm nun eine Lust, an eine fremden Adresse zu läuten, um zu sehen, wer er denn jetzt und in diesem Moment für einen ihm unbekannten Menschen sein konnte...

Von Werner Köhne | 26.06.2006
    Wenn er nachts aufwachte, oder am morgen und noch nicht klar war, ob sich die Wohnung um ihn herum verändert hatte oder auch nicht, suchte er im Adressbuch einen Namen und wenn er jemanden anrief, mit dem er am Abend zuvor etwas ausgemacht hatte, kam es ihm vor, dass der andere nicht wusste, wovon die Rede sein sollte oder fragte, wer er denn überhaupt sei.

    Ein Mensch im offensichtlichen Zustand geistiger Verwirrung. Ist er noch ich oder schon ein anderer, rührt er in seiner Phantasie die Verstörung selbst an oder geht diese auf einen äußeren ihm auferlegten Zwang zurück ?

    Aufgehoben ist der vorliegende Befund eines schizoiden Verhaltens in ein nüchternes Protokoll, das sich indes – wie der Fortgang beweist - selbst ad absurdum führt. Was in dieser kurzen Erzählung auf begrenztem Raum objektiv geschieht – in einem Treppenhaus, einer Wohnung, im Bett – spiegelt auf den ersten Blick einen normalen Alltag wider: ein Mann geht in eine Wohnung, ein Mann kommt aus einer Wohnung, er läutet bei seinem Nachbarn, geht in ein Lokal - eine Jedermann-Befindlichkeit scheint angezeigt, aber natürlich ist der literarische Mehrwert auf Doppelbödigkeit und Tiefe aus Es geschieht wenig in den Erzählungen von Alois Hotschnig – und doch geht es um viel.

    Ein junger Mann, der gerade erst in ein ererbtes Haus umgezogen ist, beobachtet seine Nachbarn, die den ganzen Tag im angrenzenden Garten auf einer Sonnenliege verbringen. Ihre tranige Gleichgültigkeit deutet er als Angriff auf sich – daneben fühlt er sich dem Sog ausgesetzt, sein Leben mit dem ihren verschmelzen zu müssen. Die Beobachtung der anderen wird ihm zur Obsession und erfüllt sich als Selbstzerstörung.

    Eine weitere Erzählung läßt uns einen Protagonisten beobachten, der sich immer mehr in die geschlossene Welt einer einsamen alten Frau verstrickt. Sie ist Besitzerin eines Kabinetts aus Puppen - und eine darunter heißt Karl und gleicht dem Erzähler bis auf´s Haar. Wie läßt sich derlei Mysterium auflösen ? Das Alltägliche - so muss man wohl lesen - enthüllt sich als abgründig.

    Ebenso wie in einer dritten Geschichte. Da wartet eine Familie, welcher der Erzähler angehört, auf einen Mann namens Walter Aber dieser Walter kommt nicht, obwohl er doch immer wieder ankündigen läßt – so zumindest behauptet man – , dass er kommt. Zuletzt verlassen die Wartenden das Zimmer wie in einem Kammerspiel – und wir ahnen: Im Spiel aus Zusicherung und Erwartung nistet das Absurde, die Vergeblichkeit. Und doch wirkt alles irgendwie gemütlich

    Die Definition dessen, was Alltag ist, ist gar nicht so einfach. Alltag ist heute ein undeutliches nervöses Provisorium mit individuellen Zielvorgaben in Halbwertzeiten und halben Herzen. Hier in den Erzählungen von Alois Hotschnig entpuppt sich Alltag jedoch noch einmal als eher eingehegte Welt, die mit hohem Sprachaufwand zur untergründigen Bedeutung verdonnert wird.

    Dabei bleibt die Prosa irgendwie unentschieden zwischen Sprach- Obsession und einer kunstvollen beinahe glatten Stilistik, die - unbeschadet der Inhalte - goutiert werden kann. Eine Art Subtext durchherrscht die Erzählungen, der sich bei näherer Betrachtung jedoch als von aussen gesetzt und nicht aus der Binnendynamik der Sprache herleitet. Gemeint ist das österreichische Erbe mehr noch eine Erwartung an österreichische Literatur. Sie muss von magischer Einfachheit sein und doch dunkel. Derlei Vorgaben bewahrheiten die einst von Leo Magris aufgestellte These, die österreichische Literatur gewinne ihre Explosivität und Attraktivität dadurch, dass sie nicht die nervöse Spannung zwischen moderner Subjektivität und einer entfesselten Welt darstelle, sondern anachronistische Szenarien aus Welt und Sprache in den unheilvollen Bannstrahl der späten Moderne halte. Deshalb wohl der Kult um Sprache seit Hoffmannsthals Lord Chandos Briefen , ebenso der um den Sprachphänomenologen Wittgenstein und die konkrete Poesie der Wiener Schule, und zuletzt um Thomas Bernhard, Josef Winkler und nun Alois Hotschnig.

    Der östereichische Kultus schließt den Blick auf äußerst reduzierte soziale und dazu anti-urbane Komplexität ein, focussiert sich weitestgehend auf eine Welt en miniature - und unterschiebt gerade ihr eine fast magisch allegorische Aussagekraft über den allgemeinen Zustand unserer Gegenwart. Alois Hotschnigs Erzählungen spiegeln diesen Erwartungsdruck und semantischen Zwang einmal mehr. Es regiert die Wiederholung, die Obsession und die schmerzlich-lustvolle Nabelschau gerade da, wo die anderen ins Blickfeld geraten.

    Ich saß auf meinem Steg und starrte zu ihnen hinüber, um sie dort ins Schilf starren zu sehen. Zwei auf den Rücken gefallene Käfer, die es aufgegeben hatten, noch einmal auf die Beine kommen zu wollen. .Auf diesen Liegen würden sie eines Tages liegen bleiben für immer. Und ich selbst in meinem bett liegend, dachte über diese liegenden nach und hatte dabei meinen eigenen Zustand vor Augen, denn sosehr ich mich auch auf die beiden eingelassen hatte, in Wahrheit hatte ich dabei doch nur mir selbst aufgelauert, und was ich zu sehen bekam, war ich selbst.