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Abtrünniger der Aufklärung

Jean-Jacques Rousseau war wohl eine ziemlich komplexe Persönlichkeit. Davon zeugen zumindest die bitteren Beziehungskriege, auf die er sich mit David Hume einließ. Das Buch "Leben Sie wohl für immer" von Sabine Schulz zeichnet die brisante Korrespondenz dieser beiden nach.

Von Cordula Echterhoff |
    Es fing alles so harmonisch an. Rousseau war verfolgt aber von seinen Lesern geliebt, der schottische Philosoph David Hume half ihm und sonnte sich ein wenig in dessen Glanz. Und in den ersten Briefen, die die beiden wechselten, beteuerten sie sich der höchsten Wertschätzung und der gegenseitigen Liebe. Doch ihre Freundschaft endete in einem Eklat, den Rousseau am 10. Juli 1766 in einem finalen Brief an Hume besiegelte:

    "Am Ende dieses Briefes bin ich über meine Kraft erstaunt, die mich ihn schreiben ließ. Wenn man an Schmerz sterben würde, wäre ich in jeder Zeile gestorben. Alles an den Geschehnissen zur Zeit ist in gleichem Maße unverständlich. Ein Verhalten wie das Ihre ist nicht naturgegeben, es ist widersprüchlich in sich und doch habe ich es so erlebt. Doppelt abgründige Schlucht! Wohin ich auch blicke, Verderben erwartet mich auf beiden Seiten [...] Noch einmal sage ich, wenn Sie unschuldig sind, bemühen Sie sich um eine Rechtfertigung: Wenn Sie es nicht sind, leben Sie wohl für immer."

    Vorausgegangen war Folgendes: David Hume hatte dem verfolgten Rousseau geholfen, sich in England niederzulassen und bewirkt, dass der englische König dem französischen Philosophen eine Leibrente bewilligte. Dieser lehnte vermeintlich ab, Hume war brüskiert, Rousseau sah eine Intrige und am Ende stand das Zerwürfnis auf Lebenszeit.

    Das Buch "Leben Sie wohl für immer" zeichnet diese affaire infernal in Briefen und Zeitdokumenten nach. Die Herausgeberin Sabine Schulz hat sich in die Korrespondenz der beteiligten Zeitgenossen eingegraben:

    "Es ist so, diese Affäre ist unter Menschen, die sich mit dem 18. Jahrhundert ein wenig auskennen, schon bekannt. Und zwar deshalb, weil Hume selbst, nachdem es zu dem Zerwürfnis gekommen war, um seine Position darzustellen und auch um sich von möglichen Vorwürfen reinzuwaschen, er habe das herbeigeführt, die Korrespondenz veröffentlicht hat. Und diese Veröffentlichung hat damals einen immensen Aufruhr verursacht. Er hat es auf Französisch veröffentlicht und dann auf Englisch. Und diese beiden Ausgaben sind bis heute lieferbar und bekannt, aber im Deutschen eben nicht."

    Humes Veröffentlichung ist selektiv. Die hier vorliegende Ausgabe macht die Stimmen aller Beteiligter hörbar. Und das Interesse der Zeitgenossen war groß. Denn Jean-Jacques Rousseau hatte es sich schon zuvor mit fast allen französischen Philosophen verscherzt. Er war so etwas wie ein Abtrünniger der Aufklärung: Er war gefühlig, emotional, von einem göttlichen Geist beseelt und nicht streng rational und atheistisch, wie die meisten anderen Denker seiner Zeit.

    Hume und Rousseau repräsentieren diese beiden Pole. Das machen die Briefe deutlich. Und das wussten die beiden Männer auch selbst. Hume, der Rousseau anfangs als den bedeutendsten Schriftsteller seines Zeitalters rühmte, brachte dessen Gemütslage in einem Brief im März 1766 auf den Punkt:

    "Er hat, ehrlich gesprochen, wenig nachgedacht und studiert und besitzt wahrlich nicht sehr viel Wissen: Sein ganzes Leben lang hat er nur gefühlt, und so ist seine Empfindsamkeit in einem Maße ausgebildet, wie ich es noch nie erlebt habe; aber sie bereitet ihm mehr Schmerz als Freude."

    Die Korrespondenz umkreist die Figur Rousseau und verdichtet sich zu einem komplexen Charakterbild: Rousseau, wenn auch als genial und wortgewandt gepriesen, war überspannt und paranoid. Natürlich erlebte er Verfolgung, Anfeindungen und auch Spott. In Paris kursierte etwa ein gefälschter Brief des Preußenkönigs an Rousseau, der die Salons amüsierte und sich über den Philosophen lustig machte. Und die Medien in England griffen diese wortwitzige Schmähung dankbar auf und publizierten den Brief unkommentiert. Rousseau sah sich von der Öffentlichkeit missachtet und fing an, jede Geste, jede Mimik, jeden Blick auch seiner Freunde zu beobachten und alles als Puzzleteil in einem komplexen Verschwörungsplan zu deuten.

    Am Ende kommt er zu dem Schluss: Er ist das Opfer eines Komplotts zwischen seinen Pariser Feinden und David Hume, der mit diesen in Kontakt steht und alles dran gelegt hat, seinen Ruf zu ruinieren. Fassungslos liest man mit, wie sich aus dem Nichts langsam die Affäre zusammensetzt. Das Zerwürfnis – ein Resultat von Eitelkeiten auf beiden Seiten, Missverständnissen und Verfolgungswahn. Die Briefe lassen sich zu einem verblüffenden Psychogramm Rousseaus zusammensetzen.

    Sabine Schulz hat sich dazu entschieden, die Schriften fast unkommentiert für sich sprechen zu lassen:

    "Ich habe nicht das Gefühl, dass diese Affäre tatsächlich zu tun hat mit den jeweiligen Philosophien der beiden. Es ist eher so etwas wie eine gigantische personality-Show. Also, man hat wirklich diese beiden großen Leuchttürme, und man dieses Gewusel der Gesellschaft und der Salonkultur und der Vielstimmigkeit eben dieser Giftzwerge drum herum."

    Es ist die Salonkultur des 18. Jahrhunderts, die sich hier zeigt; eine Gesellschaft, die nach Neuigkeiten lechzte. Briefe waren damals nicht unbedingt dazu bestimmt, intime Bekenntnisse zu Papier zu bringen, sondern ein Mittel, um Nachrichten zu verbreiten. Die Verfasser forderten die Adressaten auf, Briefe auch an andere weiterzugeben, und diese lasen Passagen auch eigenmächtig vor, kopierten und gaben weiter. Und so wurde die Affäre streng öffentlich. Tout Paris – inklusive aller großen Philosophen der Zeit – las mit, als Hume am Ende schrieb, dass Rousseau der niederträchtigste und abscheulichste Halunke gewesen sei und diskutierte mit, ob Hume den Briefwechsel veröffentlichen solle.

    Die Korrespondenz liest sich wie ein Intrigenspiel in einem Briefroman - und ist doch höchst real: Die Briefe zeichnen ein unmittelbares und amüsant-verblüffendes Bild der damaligen Gesellschaft - aus der sich Rousseau tief gekränkt zurückzieht.


    Sabine Schulz: "Leben Sie wohl für immer: Die Affäre Hume-Rousseau in Briefen und Zeitdokumenten"
    Diaphanes-Verlag, 544 Seiten, 34,90 Euro
    ISBN: 978-3-037-34190-2