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Adler-Safari
Zum König der Lüfte

Gelbe Kralle und ausgebreitete Schwingen: Seeadler bieten den Besuchern des Feldberger Naturparks in Mecklenburg-Vorpommern einen atemberaubenden Anblick. Dort leben so viele wie nirgendwo sonst in Deutschland. Doch selbst hier drohen ihnen Gefahren.

Von Dagmar Wittek | 24.09.2017
    Ein Seeadler (lat. Haliaeetus albicilla) fliegt am 12.10.2012 am Breiten Luzin, einem See im Naturpark "Feldberger Seenlandschaft" in Feldberg (Mecklenburg-Vorpommern).
    Die Bestände wachsen, aber sie sind immer noch bedroht: Seeadler (dpa / Patrick Pleul )
    Es ist ganz schön frisch - um sechs Uhr in der Früh' auf einem glasklaren See mitten in Mecklenburg Vorpommern. Leise tuckert das per Elektromotor angetriebene Boot entlang der mit Laubwald überzogenen steilen Böschung über einen der tiefsten und saubersten Seen Norddeutschlands: den Breiten Luzin bei Feldberg.
    Der Mann am Ruder - grauer Walroßschnauzer, spitzbübisch funkelnde Augen, olivgrüne Camouflage-Kleidung- er hält einen toten Fisch und eine Spritze in der Hand.
    "Ah, jetzt muss ich erst mal eine Beruhigungsspritze nehmen. Da guckst du, was? Dat hätteste nicht gedacht, dass ich fixe. Nein, nein Finger weg von dem Quatsch, ich mache das nur, manche schwimmen ja von selbst, aber die meisten Fische würden untergehen, und deswegen pumpe ich ein klein wenig Luft rein, unter die Haut, so, weisst du. Und dann schmeiße ich den Fisch raus, dann schwimmen die an der Oberfläche. Ich schmeiße mal einen kleinen Fisch, um den noch nicht satt zu füttern. Nee, so richtig Bock hat der noch nicht."
    Die Adler kennen Fred
    Fred ist der Adler-Ranger von Feldberg. Ein Naturbursche, dem es egal ist, ob es stürmt oder regnet. Bei jedem Wetter geht er im Morgengrauen, mit einem Fernglas bewaffnet, auf die Pirsch. Er füttert die Vögel mit Fisch an. Selten muss er lange warten. Die Adler am Breiten Luzin kennen Fred schon. Kein anderer in Deutschland kommt so nah an frei lebende Adler ran. Seit über 16 Jahren beobachtet und bewacht Fred Bollmann in der Feldberger Seenlandschaft im Osten der Mecklenburgischen Seenplatte die mächtigen, extrem scheuen Greifvögel. Auch Milane, Schwarzstörche, Eisvögel, Kraniche, Reiher und Kormorane bekommt er dabei immer wieder zu Gesicht.
    "So jetzt kommt hier wieder ein Milan an. Ich schmeiße. Achtung. Ganz nah jetzt. Dichter geht es nicht, acht Meter? So gleichmäßig und in Zeitlupe. Na, das sollte eigentlich jetzt auch der Seeadler sehen und sich sagen: 'Was, der Milan holt sich meine Fische?'"
    Lieblingsspeise: Aal
    Fred weiß, der Adler beobachtet das Boot auf dem Wasser ganz genau. Das sprichwörtliche Adlerauge vergrößert im Vergleich zum menschlichen um das siebenfache und ist fünfmal lichtempfindlicher. Der Adler warte auf seine Lieblingsspeise - nämlich Aal - meint Fred, während sein Kollege an Bord, der Leiter des Naturparks Feldberger Seenlandschaft, erklärt, wie Adler überhaupt zu erkennen sind.
    Ein Seeadler (lat. Haliaeetus albicilla) holt sich am 12.10.2012 einen toten Fisch aus dem Wasser des Breiten Luzins, einem See im Naturpark «Feldberger Seenlandschaft» in Feldberg (Mecklenburg-Vorpommern). 
    Seeadler sind die größten Greifvögel Mitteleuropas (dpa / Patrick Pleul)
    "Seeadler sehen deutlich anders aus in der Gefiederfärbung als die geschlechtsreifen Alten. Umso älter ein Seeadler wird, umso heller wird der ja. Und nachher hat der fast so ein hellbraunes Gefieder wie meine Jacke, einen ganz gelben Schnabel und einen weißen Stoß. Ist so wie bei den Menschen, wir werden im Alter ja auch immer heller im Kopf - und bei den Seeadlern kann man das dann auch sehen.
    "Also sie brauchen fünf Jahre, um geschlechtsreif zu werden, und in der Regel brüten sie so mit sieben bis acht Jahren das erste Mal dann. Die können deutlich über 20 Jahre alt werden, in Gefangenschaft dann noch deutlich älter."
    Bedrohung: Gülle, Pestizide, Drohnen
    In freier Wildbahn leben in Deutschland derzeit rund 700 Adler-Brutpaare. Die meisten davon in Mecklenburg-Vorpommern. Doch vom Aussterben bedroht sind sie weiterhin, denn auch hier sind geeignete Brutplätze wie sehr hohe, freistehende Kiefern rar und Naturschützer wie Fred befinden sich im Dauerkampf mit Landwirten, die güllen und Insektizide und Pestizide einsetzen und somit die Nahrungsquellen der Adler deutlich einschränken. Drohnen und Windräder sind zudem neue Bedrohungen für die Adler.
    "Achtung, ich schmeiße den Aal, oder ich winke erst mal mit dem Aal, das sieht er ja auch. Na komm, hol dir den Aal."
    Gesangskünstler sind sie nicht, die Adler. Alle suchen gespannt den Himmel ab.
    "Der Adler kommt. Ihr seht den Aal hier vorne. Guckt mal da oben."
    Und tatsächlich: ein dunkler fast rechteckiger Schatten am Himmel zieht majestätisch Kreise. Er sieht aus wie eine fliegende Kellertür. Die Flügelspannweite von Seeadlern beträgt bis zu 2,50 Metern. Die Weibchen wiegen gut sechs Kilogramm.
    "Na komm, hol dir den Aal."
    "Oh, voller Anflug. Wow. Das ist der Adler."
    Ein Seeadler sitzt am 08.09.2014 im Tierpark von Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) auf einem Baumstumpf.
    Ernähren sich hauptsächlich von Fischen - fressen aber auch Wasservögel und Aas (dpa / Stefan Sauer)
    "Das ist Action. Jetzt müsst ihr euch mal vorstellen, diese Vögel haben normalerweise eine Fluchtdistanz von mehreren 100 Metern. Da kommt der nächste."
    "An dem weißen Schwanz erkennt man den Altadler."
    "Wow, das ist ja echt mega-cool."
    "Da kommt der zweite Altadler."
    "Passt auf, der kriegt auch einen."
    "Das ist das Weibchen. Batsch."
    Der Puls geht hoch
    "Wahnsinn!"
    Atemberaubend - ein Adler nur wenige Meter auf Augenhöhe direkt neben dem Boot. Ein Gänsehaut erzeugendes Erlebnis: Ein gewaltiger, bullig wirkender, schwerer Vogel bremst wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche im Zeitlupentempo durch Ausbreiten seines weißen Schwanzes ab, streckt die gelben Krallen weit vor, packt zu und im Nu zieht er wieder - beladen mit dem Fisch - in schwindelerregende Höhen.
    Zufriedenes Durchatmen bei den extra aus 500 Kilometer Entfernung angereisten Hobby-Fotografen an Bord.
    "Es war schon ein besonderes Gefühl, wie er dann auf Zuruf herangeflogen kam und sich immer weiter näherte, der Puls ging ziemlich hoch, ich hatte schon Schwierigkeiten den richtigen Fokus zu finden."
    Auch Adler-Ranger Fred ist froh, dass seine Aal-versessenen Könige der Lüfte gnädig waren und wieder einmal mitgespielt haben. Er verspricht, dass sein selbst ernannter "Catering-Service" später wieder zu Diensten sein wird.
    "Um fünf bin ich wieder da, dann gibt es Abendbrot. Vielleicht steigt ihr alle so hier aus, so wie ihr das gelernt habt … tschüss".