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Ägyptische Opposition befürchtet Wahlfälschungen

Ob es bei der zweiten Runde des Verfassungsreferendums fair zugehe, bleibt fraglich, sagt ARD-Korrespondent Peter Steffe in Kairo. Mit offiziellen Zahlen wie die der überwachenden Richter müsse man vorsichtig umgehen.

Peter Steffe im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 22.12.2012
    Jürgen Zurheide: Es geht heute in die zweite Runde der Wahlen in Ägypten. Die Menschen können abstimmen über die Verfassung, die ihnen vorliegt, die allerdings für heftigen Streit sorgt. Und dieser Streit wird mehr als einmal auf den Straßen ausgetragen. Über all das wollen wir reden und ich begrüße zunächst unseren Kollegen Peter Steffe in Kairo, guten Morgen, Herr Steffe!

    Peter Steffe: Guten Morgen nach Deutschland!

    Zurheide: Herr Steffe, zunächst einmal: Die Auseinandersetzungen sind auch gestern weitergegangen, vor allen Dingen in Alexandria. War das der Schwerpunkt, was hat sich dort abgespielt?

    Steffe: Es war der Schwerpunkt, es haben sich mehrere Hundert Menschen beider Anhängerlager, sage ich mal salopp, gestern um eine Moschee herum geprügelt. Da flogen Steine, da flogen Brandsätze, es wurden auch Busse angezündet von offensichtlich Anhängern der Opposition. Und die Polizei musste gestern dazwischengehen mit Tränengas und Schlagstöcken, um die beiden Kontrahenten zu trennen und etwas Ruhe in die ganze Situation wieder reinzukriegen. Die Bilanz von gestern Nachmittag: 68 Menschen wurden bei den Ausschreitungen verletzt und es hat wohl auch Festnahmen gegeben. Hier in Kairo hatten sich auf dem Tahrir-Platz gestern zwar auch Aktivisten getroffen und wollten noch mal demonstrieren, aber es waren vielleicht nur einige Hundert. Und die meisten wollen sich wohl heute auf den zweiten Abstimmungsmarathon konzentrieren und wollen da heute vor den Wahllokalen präsent sein, um eben zu überwachen, ob da irgendwelche Wahlfälschungen laufen.

    Zurheide: Genau, heute wird gewählt, die zweite Runde. In zehn Provinzen ist gewählt worden, 17 stehen jetzt an. Zunächst die Ergebnisse, die sickern inoffiziell durch, da heißt es, so knapp 60 Prozent, 56, lese ich in manchen Agenturen, hätten sich zunächst mal für die Verfassung ausgesprochen. Wie glaubwürdig sind denn solche Zahlen?

    Steffe: Die sind zumindest mal insofern mit einem Fragezeichen zu versehen, als es keine offiziellen Ergebnisse gewesen sind. Diese Ergebnisse wurden ja in ägyptischen Zeitungen veröffentlicht und auch die Muslimbrüder und Salafisten haben wohl in ihren Kreisen darüber gejubelt, dass eben 56 Prozent der Menschen mit Ja gestimmt haben für diesen Verfassungsentwurf, wenngleich man natürlich auf die Zahlen dahinter ein bisschen gucken muss: Nur jeder Dritte der am vergangenen Samstag wahlberechtigten 26 Millionen hat seine Stimme abgegeben, also im Grunde genommen eine Wahlbeteiligung von 32 Prozent. Und wenn man das ganz normal hochrechnet auf die 25 Millionen, die heute noch zur Wahlurne gehen dürfen, also 51 Millionen Ägypter, dann ist das eine sehr magere Ausbeute.

    Zurheide: Kann man noch mal sagen, wo zum Beispiel beim ersten Mal und wo jetzt beim zweiten Mal gewählt wird? Es soll ja ein Stadt-Land-Gefälle geben, das heißt, in den Städten ist die Verfassung eher kritisch bewertet worden, so wie man es hört. Und auf dem Land andersrum. Wo wird jetzt noch gewählt?

    Steffe: Also, es wird beispielsweise in Luxor gewählt werden. Ein städtischer Bereich, der direkt in Kairo liegt, ist das Gouvernorat Gizeh, also der Bereich um die Pyramiden herum. Und dann gibt es sehr viele ländliche Bereiche wie Ismailia zum Beispiel oder einige Bereiche im Nildelta, also dort, wo die Islamisten traditionell einen sehr großen Rückhalt in der Bevölkerung haben. Das rührt einfach daher, dass die Muslimbrüder in den vergangenen 30 Jahren während der Mubarak-Ära sich speziell um diese Menschen gekümmert haben, ihnen beispielsweise finanzielle Hilfe haben zukommen lassen bei der Gesundheitsvorsorge, bei Arztbesuchen, Schulen wurden gebaut. Also, da ist die Muslimbruderschaft sehr stark verwurzelt und von der Seite her ist da zu rechnen, dass diese Menschen mit Ja für die Verfassung stimmen werden.

    Zurheide: Sie haben das Wort Fälschung gerade schon selbst in den Mund genommen. Wie sicher sind denn diese Wahlen, werden sie überwacht?

    Steffe: Ja, das ist die große Frage. Es gab gestern von einem Menschenrechtsanwalt heftige Kritik daran, dass die Angaben der Wahlkommission wohl nicht so ganz richtig scheinen. Die hat nämlich erklärt, dass sie 7500 Richter in petto hätten, die heute die Abstimmung überwachen. Und weitere 750 Justizvertreter, die möglicherweise einspringen könnten, wenn der eine oder andere heute nicht im Wahllokal erscheint. Wenn man sich aber aufgrund dieser Äußerungen mal die Verlautbarungen der vergangenen Woche anschaut und auch die Informationen, die vor dem ersten Abstimmungsdurchgang an die Öffentlichkeit gekommen sind, dann muss man da zumindest ein großes Fragezeichen in der Hinsicht machen: Da haben viele Richterverbände erklärt, sie machen nicht mit. Und jetzt hat die Wahlkommission angeblich wieder über 7000 Richter gefunden, die dieses Referendum überwachen werden. Und das Interessante war, dass dieser Menschenrechtsanwalt gesagt hat, das sind keine Richter, das sind Lehrer, das sind Uniprofessoren, das sind Assistenzrichter, die da hingesetzt werden. Also, man muss da sehr vorsichtig mit dem umgehen, was da derzeit in Ägypten an Informationen, die angeblich offiziell rauskommen, tatsächlich stimmt.

    Zurheide: Das war der Kollege Peter Steffe, ich bedanke mich für das Gespräch um 6:58 Uhr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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