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Aerocom in Schwäbisch Gmünd
"Die Rohrpost ist kein Relikt, sondern ein aktuelles Produkt"

Solange das "Beamen" noch nicht erfunden ist, gibt es weiter die gute alte Rohrpost. Neue Anlagen werden vor allem in Krankenhäusern eingebaut, um Blutproben oder Blutprodukte schnell zwischen Station, Labor und Blutbank hin und her transportieren zu können. Der Rohrpost-Bauer Aerocom in Schwäbisch-Gmünd ist einer der größten Hersteller in Deutschland.

Von Victor Gojdka |
    Ein Mann steht neben einem Rohrpostsystem.
    Rohrpostsystem an der Uniklinik Leipzig. (dpa/picture alliance/Jan Woitas)
    Nadja Kabanow arbeitet gerade an einer Bombe. Mit spitzen Fingern dreht die Produktionsmitarbeiterin den Behälter und beschreibt: "Erst kommt das transparente Klebeband drüber, einmal um den Umfang…"
    Kabanow werkelt ruhig und entspannt. Denn sie arbeitet nicht an echten explosiven Sprengkörpern, sondern an Bomben der etwas anderen Art: an Rohrpost-Bomben. So heißen umgangssprachlich die Büchsen, in denen später Briefe, Laborproben oder Münzen durch kilometerlange Plastikrohre rauschen. Kabanow ist fast fertig mit ihrer "Bombe": "Zum Schluss kommt der KE-Ring nochmal drüber und wird auch mittig ausgerichtet."
    80 Prozent der Anlagen werden in Krankenhäusern eingebaut
    Die Firma Aerocom in Schwäbisch Gmünd ist einer der größten noch verbliebenen Rohrpost-Hersteller in Deutschland. In Behörden und Unternehmen haben Fax und E-Mail die Rohrpost zwar längst abgelöst. Doch vor allem in einer Nische lebt sie weiter, weiß Vertriebschef Jürgen Wörle:
    "Zurzeit sind es ungefähr 80 Prozent der Anlagen, die in Krankenhäusern eingebaut werden. Für den Blutprobentransport oder Blutprodukte-Transport ins Labor oder von der Blutbank in die einzelnen Stationen. Und deswegen ist die Rohrpost sicherlich kein Relikt aus der Vergangenheit mehr, sondern das ist ein aktuelles Produkt."
    Eine Krankenschwester adressiert eine Rohrpost. Uniklinik Leipzig
    Rohrpostsystem an der Uniklinik Leipzig (dpa/picture alliance/Jan Woitas)
    Wörle eilt durch die graue Produktionshalle. Sicher, das Geschäft in der Nische sei nicht einfach, räumt der Vertriebsleiter ein. Allein vom deutschen Markt leben? Für Aerocom unmöglich. Wie sich der Hersteller trotzdem behaupten kann, zeigt sich am Hallenende, wo Logistiker gerade einige Krankenhausanlagen in großen, braunen Pappkisten aufgestapelt haben.
    Wörle zeigt auf die Stapel, Paletten, die vorbereitet seien für Mexiko. Und weiter geht es: " Hier drüben haben wir Paletten, die sind für Costa Rica, für Jordanien, für Australien, für Neuseeland."
    Wachstumsmarkt in asiatischen Ländern und in Südamerika
    Im Gesundheitswesen hat sich das Unternehmen mit rund 250 Mitarbeitern und 34 Millionen Euro Umsatz ein Vertriebsnetz rund um den Globus aufgebaut. Drei neue Länder erschließt es pro Jahr, viel für einen Mittelständler. Denn Zukunftschancen sieht die schwäbische Firma vor allem Tausende an Kilometern fern der Heimat, erklärt Wörle: "Für die Rohrpost sehen wir natürlich den größten Wachstumsmarkt auch zukünftig in den asiatischen Ländern, natürlich auch in Südamerika. Weil hier jetzt wirtschaftlich sehr viel Geld investiert werden wird und vor allem jetzt auch im medizinischen Bereich sehr viel für die Bevölkerung getan wird – und eben auch der Gesundheitssektor auf ein ähnliches Niveau gebracht wird wie auch hier in Mitteleuropa."
    Ortswechsel. Zehn Kilometer und nur einen Hügel vom Aerocom-Firmensitz entfernt liegt der Schauplatz für einen der Einsatzorte der Rohrpost im Klinikalltag. Auf der 'Station 9' des Stauferklinikums in Mutlangen ist heute viel los. Krankenpflegerin Claudia Eckerl muss Patienten aufnehmen, Formulare in die Röntgenabteilung schicken.
    Und jetzt – kurz vor Feierabend – einen Zettel mit der Rohrpost wegschicken, erklärt die Pflegerin: "Ich hab hier eine Rohrbombe, da kann man oben den Deckel öffnen. Ich rolle das Papier", erklärt die weiter, "schieb das rein, mach den Deckel zu. Das muss jetzt auf die 10-12. Ich drück die 10-12, leg die Rohrpost ein und dann wird sie verschickt."
    Schneller Transport zwischen Labor und Station
    Zwei Minuten lang saust die Rohrpost dann mit 20 Stundenkilometern durch den Bauch der Klinik. Ein sogenannter Verdichter im Keller treibt die Büchsen mit Luftdruck und –sog durch die Plastikrohre. In diesem Fall zu Laborleiter Martin Maier, drei Stockwerke weiter oben. Vor der Rohrpost, erinnert er sich, dauerte es oft lange, bis die Proben im Labor ankamen. "Die Schwestern hatten ja nicht jede Minute Zeit, wenn die Probe abgenommen wurde am Patienten, dann sofort loszurennen und die bei uns ins Labor zu bringen. Da war es ganz natürlich, dass die Proben zwischengelagert wurden auf der Station. Also die kommen auf jeden Fall zeitnaher zu uns ins Labor, die Ärzte haben dann auch schneller die Resultate wieder zurück – das ist schon ein großer Vorteil."
    Zurück am Unternehmenssitz steigt Seniorchef Wolfram Pfitzer hinab in die sogenannte Asservatenkammer und verspricht: "Dort werden Sie ein Sammelsurium an Büchsen erleben und sehen."
    Die einzige wirklich wasserdichte Büchse auf dem Weltmarkt
    In einem großen Metallregal stehen viele Hundert alter und neuer Rohrpostbüchsen fein säuberlich aufgereiht. Manche sind schon ein wenig angegilbt. "Der Verschluss war teilweise mit Leder und Magnet", beschreibt der Senior, "sehr aufwendig, wunderschön." Pfitzer kommt ins Erzählen. Wie er das völlig marode 'Fabrikle' 1981 von einem Bekannten angedient bekam. Wie er erst die Bilanzen aufmöbelte und dann kleine Rohrposthersteller in ganz Europa kaufte. Vorzugsweise solche mit interessanten Technologien.
    Heute forschen und entwickeln sie bei Aerocom selbst, erzählt Pfitzer – und greift eine Büchse aus dem Regal, an der sie zwei Jahre getüftelt haben. Das sei mit Abstand die beste, wenn nicht die einzige wirklich wasserdichte Büchse auf dem Weltmarkt, lobt sich der Seniorchef. Irgendwo müsse einmal kontaminiertes Blut ausgelaufen sein. "Aidsverseucht oder was auch immer", rätselt Pfitzer. Im Ergebnis sei es aber auf die Anfrage hinausgelaufen, ob es denn keine auslaufsicheren Büchsen gebe.
    Die "Rohrbombe" von Nadja Kabanow ist inzwischen fertig und an der Endkontrolle bei Mitarbeiter Herbert Exner angekommen. "Da gehen wir in den Servicemodus rein", sagt der und schiebt die Rohrbombe ins System. "Da fällt sie ins Fahrrohr," ist er sich sicher: " Die Büchse wird ordnungsgemäß empfangen und wird dann ausgeschleust. Dann können wir das ordnungsgemäß ausliefern und auch sagen, dass die Station funktioniert."