Donnerstag, 25. April 2024

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AfD-Chef Lucke
Fortschritt Griechenlands ist "reines Märchen"

Allein die Tatsache, dass es Griechenland kürzlich gelungen sei, eine Staatsanleihe von drei Milliarden Euro zu platzieren, heiße noch lange nicht, dass die Krise vorbei sei, sagte AfD-Chef Bernd Lucke im Interview der Woche des DLF. Es sei nur ein "Potemkin'sches Dorf" errichtet worden.

Bernd Lucke im Gespräch mit Annette Riedel | 06.07.2014
    Annette Riedel: Herr Lucke, jeder zweite Abgeordnete im neuen EU-Parlament ist erstmals hier, so wie Sie. Welche Eindrücke nehmen Sie denn aus dieser ersten Straßburg-Woche mit? Genauso gut oder genauso schlecht wie befürchtet?
    Bernd Lucke: Nein, also ich habe gar nichts Schlechtes befürchtet. Ich finde, dass das ganz normal und meinen Erwartungen entsprechend hier verlaufen ist. Wir haben den Präsidenten des Parlamentes gewählt. Es hat eine klare Mehrheit für Herrn Schulz gegeben. Es ist bekannt, dass ich Herrn Schulz nicht gewählt habe. Vom äußeren Ablauf her ist alles in Straßburg wohlorganisiert und ich bin damit ganz zufrieden.
    Riedel: Also es gibt nichts, was Sie schon mal an anderer Stelle "Entartung der Demokratie" genannt haben hier, denn das wäre der AfD ja wichtig, dagegen vorzugehen?
    Lucke: Na ja, also ich meine, ich habe damals ja gesprochen über die Art und Weise, wie in Deutschland mit dem Parlamentarismus umgegangen wird im Zuge der Euro-Rettungspolitik, als Maßnahmen durch das Parlament gepeitscht worden sind, die von den Abgeordneten in ihrer Tragweite überhaupt nicht eingeschätzt werden konnten. Wo das Parlament extrem unter Druck gesetzt worden ist, innerhalb von 48 Stunden Entscheidungen zu fällen über Vorlagen, die mehrere hundert Seiten stark gewesen sind.
    Riedel: Vergleichbares haben Sie in Straßburg nicht erwartet ...?
    Lucke: Nein, selbstverständlich, wir sind ja nicht mehr in den damaligen Zeiten. Jetzt sind wir in sozusagen eher formellen Phasen der Parlamentseröffnung. Zu den wirklich inhaltlichen Dingen kommen wir natürlich erst deutlich später. Und auch da steht zunächst einmal nichts an, was an Dramatik vergleichbar dem wäre, was wir damals in der Euro-Rettung erlebt haben.
    "AfD ist eine pro-europäische Partei"
    Riedel: Die AfD hat tatsächlich einen Coup gelandet, indem sie in die Fraktion der "Europäischen Konservativen und Reformisten" aufgenommen worden ist, in der auch die Tories vom britischen Premierminister Cameron sind. Jetzt strebt der für 2017 ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU an. Würden Sie Vergleichbares auch für Deutschland anstreben?
    Lucke: Also ich bin grundsätzlich für Volksentscheide in wichtigen Fragestellungen. Ich glaube allerdings, dass die Notwendigkeit für eine Volksbefragung in Deutschland über den Verbleib in der EU überhaupt nicht gegeben ist, weil ja keine wichtige politische Kraft in Deutschland den Verbleib Deutschlands in der EU infrage stellen würde. Die AfD ist, genauso wie alle anderen größeren Parteien in Deutschland, eine pro-europäische Partei, sie bejaht die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Ich erkenne keine große Stimmung in der Bevölkerung, die irgendwie darauf drängen würde, dass man eine Volksabstimmung dazu machen würde. Insofern sehe ich dafür zurzeit einfach überhaupt keine Notwendigkeit.
    Riedel: Hat es eigentlich Kontakte zu den noch weiter antieuropäisch angesiedelten Fraktionen im Europäischen Parlament gegeben? Also namentlich der Fraktion "Europa der Freiheit und der Demokratie" oder auch Kontakte zu Marine Le Pen vom französischen Front National oder Geert Wilders von der Freiheitspartei der Niederlande, die ja verzweifelt auf der Suche nach genug Mitgliedern für eine mögliche Fraktion gewesen sind. Das hat dann nicht funktioniert, denn sie hätten Vertreter aus sieben Ländern dafür gebraucht. Hat es da Kontakte gegeben?
    Lucke: Nein, es hat keine Kontakte gegeben zwischen uns und diesen Gruppierungen. Wir haben ja von Anfang an ganz klar gesagt, dass wir mit diesen Gruppierungen nicht zusammenarbeiten werden.
    Riedel: Und die haben auch nicht versucht, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen?
    Lucke: Nein, sie haben nicht versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen. Es hat auch keine Kontakte geben zu anderen antieuropäischen Kräften im Europäischen Parlament.
    Riedel: Was ich nicht ganz begreife, ist, warum es Berührungsvorsicht - sagen wir nicht Berührungsängste - gibt zu UKIP beispielsweise, also den britischen EU-Kritikern. Denn die sind letztendlich eine nationalistische Partei, und die AfD würde sich doch auch zumindest "national" nennen. Also ich verstehe nicht, warum das dann politische "Schmuddelkinder" sind, mit denen man noch nicht mal redet?
    Lucke: Nein, das sind keine "Schmuddelkinder". Aber ich meine, verstehen Sie, ich habe ja auch nicht mit der Europäischen Volkspartei gesprochen. Ich habe auch nicht mit den Sozialdemokraten gesprochen. Ich habe nicht mit UKIP gesprochen. Also UKIP ist eine ernst zu nehmende Kraft im Europäischen Parlament. Die haben einfach andere Vorstellungen über die Zukunft der Europäischen Union als wir. Genauso wie die Christdemokraten, wie die EVP, also die CDU, andere Vorstellungen hat über die Zukunft Europas. Und das ist ja dem politischen Beobachter auch bekannt, dass dort die Programmatik der Parteien sehr unterschiedlich ist, sodass Gespräche eigentlich keinen Sinn machen. Das hat nichts damit zu tun, dass die UKIP ein "Schmuddelkind" sei. Ganz im Gegenteil. Also ich finde, das ist das gute Recht der Briten, auch ihre eigene Position zu vertreten und dabei eben auch Parteien wie UKIP zu wählen. Aber UKIP ist inhaltlich von uns halt genauso weit entfernt, wie die Christdemokraten von uns entfernt sind, und deshalb sprechen wir mit beiden nicht.
    "Verstehen uns nicht als rechts-konservative Partei"
    Riedel: Und Elemente, die es gibt, sowohl in der Fraktion, als auch teilweise in Ihrer Partei, als auch in der UKIP, die ganz eindeutig fremdenfeindlich sind, machen Ihnen keine Sorgen?
    Lucke: Nein, mir machen fremdenfeindliche Elemente immer Sorgen. Aber falls Sie jetzt gerade sagen wollten, dass es in der AfD fremdenfeindliche Elemente gibt, dann stimmt das nicht.
    Riedel: Also es gab zumindest in den Gründungsphasen der Partei schon Äußerungen. Nicht jeder Parteichef ist für jede Äußerung zuständig, aber natürlich guckt man da schon sehr genau drauf. Und Ihnen kann nicht daran gelegen sein, dass so eine Einstellung zur AfD entstehen kann, denn Sie möchten sich ja als seriöse Partei rechts der CDU, als national-konservative Partei - nicht nur in Brüssel, sondern vor allen Dingen auch in der Bundesrepublik - etablieren?
    Lucke: Entschuldigung, jetzt sind Ihre Fragen voller Unterstellungen. Das stimmt nicht, dass wir uns als eine rechts-konservative oder national-konservative Partei verstehen.
    Riedel: Sondern?
    Lucke: Nein. Wir verstehen uns als eine Partei, die gerade undogmatisch, unideologisch nach sachlich angemessenen Lösungen für schwierige Probleme sucht. Und diese Lösungen können zum Teil eher eine, sagen wir mal, liberale Prägung haben - gerade wenn es um Prozesse der Marktwirtschaft geht. Dann sind wir sicherlich nahe dran an Positionen, wie sie die FDP früher vertreten hat oder wie sie Teile der CDU entgegen der jetzigen Mehrheitspolitik der CDU immer noch vertreten. Das können aber auch Elemente sein, die typischerweise eher von linken Parteien vertreten werden. Also unsere Kritik an der Erpressungspolitik der systemrelevanten Banken, die wir in der Eurokrise gesehen haben, ist sicherlich eine Kritik, die typischerweise eher in der Nähe dessen ist, was Sozialdemokraten und Sozialisten sagen oder sagen würden, wenn sie sich nicht auch dort bestimmten Gegebenheiten gebeugt hätten, die sie eigentlich ihr ursprüngliches Gepräge als Anwälte der "kleinen Leute" haben verlieren lassen. Auch in anderen Fragestellungen, wie beispielsweise in der Frage nach mehr direkter Demokratie, sind wir sicherlich eher nahe an Positionen von linken Parteien. Also von rechts-konservativ oder national-konservativ ist gar keine Rede. Das ist wirklich einfach eine Unterstellung, die Sie dort machen. Und Fremdenfeindlichkeit ...
    Riedel: Es geht um Positionen, von denen man auch aus Ihren Reihen auch hört, auch hier in Europa ...
    Lucke: Wir können gleich über die Positionen sprechen. Aber Fremdenfeindlichkeit haben wir nicht in der Partei und dulden das auch nicht in der Partei. Wir haben da ganz klare Beschlüsse gefasst. Und jemand, der sich in der AfD fremdenfeindlich äußern würde, der würde ein Parteiausschlussverfahren bekommen.
    Riedel: Aber "national" ist doch mal grundsätzlich kein Schimpfwort. Es ist eine politische Färbung, die man mag oder nicht?
    Lucke: Nein, überhaupt nicht. Aber Sie haben jetzt national mit konservativ oder mit rechts verbunden.
    Riedel: Rechts habe ich nicht gesagt, aber konservativ unbedingt.
    Lucke: Doch, Sie haben rechts-konservativ gesagt. Ich glaube auch, dass "national" grundsätzlich kein Schimpfwort ist. Im Gegenteil. Also ich glaube, dass wir hier gerade dafür angetreten sind, auch für nationale Interessen uns einzusetzen. Aber das ist eine Verpflichtung, die werden auch viele andere Parteien als Lippenbekenntnisse sicherlich immer führen, auch wenn sie in ihrer praktischen Politik dann das oft hinten anstellen und sich den angeblichen europäischen Interessen unterordnen. Ich glaube persönlich, dass Europa nicht erfolgreich sein kann, wenn Europa so geführt wird, dass es gegen nationale Interessen ausgerichtet ist. Und deshalb haben wir das in unserem Wahlkampf auch betont.
    "Nicht gegen Interessen der Nationalstaaten entscheiden"
    Riedel: Natürlich geht es nicht darum, gegen nationale Interessen Politik zu machen. Aber es ist doch eine Frage auch der politischen Prioritätensetzung, ob man sagt: "Zuallererst für Deutschland oder zuallererst für Frankreich oder Litauen" oder was auch immer argumentiert, und zwar im Interesse dieses Volkes. Es kommt doch darauf an, dass man auf der Ebene Europas versucht, die Interessen zusammenzuführen. Aber das genau ist Ihr Ansatz nicht?
    Lucke: Nein. Also das ist eine völlig falsche Sichtweise, die Sie dort haben. Weil Sie versuchen, so eine Art Gegensatz zu konstruieren zwischen den nationalen Interessen und europäischen Interessen, indem Sie sagen: "Zu allererst Deutschland." Das haben wir nie gesagt! Das sind Ihre Worte. Und ich würde Sie bitten, jetzt vielleicht nach unseren Positionen zu fragen und nicht so sehr zu insinuieren, was wir vielleicht gesagt haben. Was ich glaube, ist, dass Europa nur dann erfolgreich ...
    Riedel: "Keine Angst vor Deutschland" ist schon eine eindeutige Wahlplakataussage gewesen.
    Lucke: Nein – Entschuldigung –, dann lesen Sie unsere Wahlplakate. Wir haben nirgendwo drauf stehen: "Keine Angst vor Deutschland". Frei erfunden.
    Riedel: "Mut zu Deutschland".
    Lucke: Das ist was anderes. Wir sind der Auffassung, dass Europa nur dann erfolgreich sein kann, wenn es sich nicht richtet gegen die Interessen der Nationalstaaten. Das heißt, das deutsche und das europäische Interesse sind unauflösbar miteinander verknüpft. Es geht nicht darum zu sagen: "Deutschland zuerst", sondern es geht darum zu sagen: "Deutschland muss erfolgreich sein können, damit auch Europa erfolgreich ist." Und wenn es aus Europa heißt: "Deutschland muss etwas tun gegen seine Leistungsbilanzüberschüsse, Deutschland muss gucken, dass es weniger wettbewerbsstark ist, damit die Spannungen in der Eurozone nicht so stark zutage treten", dann, glaube ich, ist Europa hier auf einem falschen Wege. Weil das ja dazu führen würde, dass man jetzt versuchen wollte, erfolgreiche europäische Länder irgendwie auf ein Mittelmaß zurückzustutzen. Und das kann nur zu negativen Folgen führen. Weil ein Weniger an Wettbewerbsfähigkeit natürlich dazu führen würde, dass wir Arbeitsplätze verlieren würden, weil es der Industrie nicht wirklich gut geht. Was ist das für ein Europa, was unsere Leistungsfähigkeit absichtlich beschneidet, und damit absichtlich dafür Sorge trägt, dass Arbeitsplätze und Beschäftigung und Märkte verloren gehen in Deutschland? Das kann also nicht europäisches Interesse sein.
    Riedel: Das ist aber nie der Ansatz gewesen.
    Lucke: Doch – Entschuldigung –, das ist ein ganz aktuelles politisches Problem.
    Riedel: Ja, aber der Ansatz ist nicht ...
    Lucke: Es ist ein aktuelles politisches Problem. Und das möchte ich nur noch einmal ganz klar sagen: Das deutsche Interesse und das europäische Interesse sind nicht auflösbar! Man muss eine Politik so machen, dass es in beiderlei Interesse ist.
    Riedel: Richtig. Und was die EU-Kommission mit den von Ihnen erwähnten Empfehlungen machen will, ist ja, eher darauf hinzuweisen, dass es nicht geht, dass ein Land seine Stärke gegen die anderen ausbaut, sich auf Kosten der anderen wirtschaftlich stärkt. Darum geht es.
    Lucke: Sie haben ganz recht. Aber genau das ist ja nicht die Haltung der EU-Kommission. Sondern die Haltung der EU beziehungsweise der Eurozone ist ja gerade das, dass es Deutschland ermöglicht wird, seine Stärke zu nutzen zulasten der andern Länder. Denn das ist das, was mit dem Euro passiert. Durch den Euro haben wir eine gemeinsame Währung, die für Deutschland eigentlich zu niedrig bewertet ist. Das trägt mit dazu bei, dass Deutschland auf den Exportmärkten so erfolgreich ist, dass der Euro eigentlich sehr viel niedriger bewertet ist aus deutscher Sicht, als es der Stärke der deutschen Wirtschaft angemessen ist. Gleichzeitig ist der Euro viel zu stark bewertet für die südeuropäischen Staaten, die darunter leiden. Das heißt, in der Kürze zusammengefasst, bedeutet das, im Augenblick haben wir eine Politik, wo Deutschland Nutzen zieht aus Lasten, die andere Länder zu tragen haben. Und das ist nicht europäisch gedacht.
    "England, Schweden, Dänemark boomen"
    Riedel: Sie hören das Interview der Woche vom Deutschlandfunk. Heute mit Bernd Lucke, Parteichef der Alternative für Deutschland und frischgebackener Europaabgeordneter.
    Diese Geschichte, die Sie ja gerne immer auch wieder in die Diskussion einbringen, dass es die Möglichkeit geben müsste für südeuropäische Staaten, aus dem Euro auszutreten - jetzt hat keiner von den Krisenländern, die Schwierigkeiten zur Zeit haben, tatsächlich Anstalten gemacht, es zu versuchen. Im Gegenteil haben wir mehr Länder, die in den Euro hinein wollen, wie Litauen ab 2015. Der Euro, diese Währungsunion, ist also für Länder durchaus ein erstrebenswertes Ziel. Und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass Länder, die in wirtschaftliche Schieflage geraten, die zum Beispiel Schuldenprobleme haben, die zum Beispiel Wettbewerbsprobleme und Ähnliches haben, außerhalb von Währungsunionen bessergestellt sind – also Argentinien ist ein Beispiel. Auch wenn wir in Europa gucken: Italien, Großbritannien in den 60er-, 70er-Jahren, da gab es keine Währungsunion und trotzdem Probleme.
    Lucke: Ja – Entschuldigung –, aber vielleicht haben Sie die Schweiz vergessen? Vielleicht haben Sie Norwegen vergessen? Vielleicht haben Sie Schweden vergessen?
    Riedel: Nein, wir reden ja über Krisenländern und nicht ...
    Lucke: Nein, nein, nein – Entschuldigung –, Sie haben gesagt, es gab keine Länder außerhalb von Währungsunionen, die erfolgreich gewesen sind.
    Riedel: Nein!
    Lucke: Nein? Okay, dann haben wir uns missverstanden. Aber ich möchte es ganz klar sagen.
    Riedel: Der Zusammenhang ist nicht so zu verstehen: Wenn jemand nicht in einer Währungsunion ist, dann ist er automatisch kein Problemkind. Meine These war zu sagen: Es hat letztendlich nicht damit zu tun, wie wirtschaftlich stark oder schwach ein Land ist, was es für Schuldenprobleme hat oder nicht, ob es Teil einer Währungsunion ist oder nicht.
    Lucke: Das wäre eine völlig simplifizierende Aussage, wenn Sie das so darstellen würden. Es gibt Länder, die sind außerordentlich erfolgreich außerhalb des Euro, gerade in der Europäischen Union.
    Riedel: Ja, und es gibt nicht erfolgreiche außerhalb des Euro ...
    Lucke: Nein, lassen Sie mich jetzt bitte! Gerade innerhalb der Europäischen Union wissen wir: England boomt zum Beispiel mit seiner eigenen Währung, Schweden geht es ausgesprochen gut, Dänemark geht es sehr, sehr gut. Also diese Länder, die damals die Entscheidung getroffen haben, sich dem Euro nicht anzuschließen, sind nicht in die Probleme gekommen, in die Länder gekommen sind, denen es eigentlich relativ gut ging, weil sie nämlich stark wirtschaftlich gewachsen sind, wie die südeuropäischen Staaten. Und dann ist dieses Wachstum abgewürgt worden mit der Finanzkrise, und es ist nicht wieder in Gang gekommen. Alle Staaten haben sich von dieser schweren wirtschaftlichen Krise wieder erholt, mit Ausnahme von Portugal, Spanien, Italien, Griechenland, Zypern, Frankreich. Es sind nur die Eurostaaten, die südlichen Eurostaaten, die nicht haben überleiten können ...
    Riedel: Aber sie waren halt vorher in einer Politik begriffen, wo sie ungeheuer viel Schulden gemacht haben. Das hat sich nur deshalb nicht gezeigt, weil wir noch keine Krise hatten und es deshalb einfach eine hohe Konjunktur und ein Wirtschaftswachstum gab. Die Schulden, die beispielsweise Griechenland gemacht hat, schon vor der Krise, waren deutlich höher als in der Krise.
    Lucke: Aber das ist falsch, was Sie sagen. Diese Staaten haben nur zum Teil hohe Schulden gemacht. Manche Staaten hatten niedrigere Schuldenstände als Deutschland. Spanien zum Beispiel. Spanien ist in diese Krise gekommen durch die Finanzkrise und hat sich seither nicht erholen können trotz der Tatsache, dass die Staatsschulden in Spanien wirklich nicht das Problem sind.
    "Krisenländer hätten sich ohne Euro erholt"
    Riedel: Und hätte sich erholt ohne Euro?
    Lucke: Und hätte sich erholt ohne Euro - das ist genau der Punkt.
    Riedel: Woher nehmen Sie diese Überzeugung?
    Lucke: Weil der Euro als Währung für die Spanier zu hart ist. Weil im Grunde genommen ...
    Riedel: Ja, aber dieser harte Euro ist auf der anderen Seite auch ein Kriterium, warum beispielsweise im Prozess der Gesundung die Kapitalmärkte dann wieder bereit sind, Spanien zu finanzieren.
    Lucke: Vielleicht sollten Sie Pressesprecherin der Europäischen Union werden - aber es stimmt nicht, was Sie sagen. Spanien hätte natürlich viel bessere Möglichkeiten gehabt, wieder ökonomisch Tritt zu fassen, wenn es eine niedriger bewertete Währung hätte haben können. Wir wissen, dass die spanischen Exportpreise viel zu hoch sind, im Vergleich zu deutschen Exportpreisen, gemessen an der Qualität der Güter, die Spanien exportieren kann. Wir wissen darüber hinaus, dass es ein reines Propaganda-Märchen ist, dass Griechenland sich wieder auf dem Kapitalmarkt finanzieren kann. Denn gerade hat doch Griechenland eine erneute Tranche aus dem Europäischen Rettungsschirm bekommen. Das heißt, das, was dort gemacht worden ist, dass man einmal gesagt hat: "Griechenland, nun geh doch bitteschön an den Kapitalmarkt und leg mal für drei Milliarden Euro eine Staatsanleihe auf", das war ein Potemkin'sches Dorf, was man dort erreichtet hat.
    Riedel: Wenn es nicht so gewesen wäre ...
    Lucke: Ich führe die griechischen Staatsschulden an. Die EZB hat sozusagen die griechischen Staatsschulden garantiert und hat damit den Banken, die jetzt die griechische Staatsschuld gekauft haben, alles Risiko abgenommen. Wenn man vier oder fünf Prozent Zinsen geradezu risikolos bekommt, weil die Europäische Zentralbank das Risiko übernommen hat, ist es kein Wunder, dass man diese Staatsanleihen hat verkaufen können politisch.
    Riedel: Auch wenn ich nicht Pressesprecherin des Europäischen Parlaments oder des Euro bin, wenn man weiß - und das ist ja unbestritten -, dass es natürlich bei dem ganzen Konstrukt dieser Währungsunion Fehler gegeben hat, massive Fehler, die auch zum Teil für die heutigen Probleme verantwortlich sind, ist das doch aber kein Argument dagegen zu sagen: Man muss diese Fehler versuchen wieder gut zu machen. Und das kann man nur in einem System geben, was zum Beispiel über die Troika - oder es sollte ja auch möglicherweise, wie die Bundeskanzlerin es will - über verbindliche Abmachungen für Reformen gegen finanzielle Gegenleistung zwischen einzelnen Ländern und der EU-Kommission. Nur in so einem System kann man den nötigen Druck auf die jeweiligen Länder ausüben, tatsächlich eine solide Haushaltsführung zu haben. Und man kann auch nur in einem solchen System versuchen zu verhindern, dass es Auswüchse der Bankenspekulation gibt, die ja zum entscheidenden Teil zu dieser Krise geführt hat? Denn die sind alle - Euro hin oder her, EU hin oder her - so stark miteinander vernetzt, die Banken - und wer weiß das besser als Sie -, dass man ihnen letztendlich nur als Gemeinschaft begegnen kann. Und genau das ist im Ansatz geschehen.
    Lucke: Schauen Sie, das ist jetzt ein vernünftiger Ansatzpunkt, den Sie in Ihrer Frage drin haben, ...
    Riedel: Danke.
    Lucke: ... dass Sie sagen: Es hat Fehler gegeben und man muss diese Fehler korrigieren. Genau so sehe ich das ja auch. Nur Sie sind der Auffassung, es reicht, als Fehler das zu korrigieren, was sich im Bereich der Haushaltsdisziplin der Staaten abspielt. Stichwort: Staatsverschuldung. Sie sagen: Es reicht, wenn man die Staaten zwingt, dass sie irgendwie eine vernünftigere Haushaltspolitik machen über die Mechanismen des Fiskalpakts.
    "Wettbewerbsfähigkeit der Privatwirtschaft ist massives Problem"
    Riedel: Und Strukturreformen auch. Ich habe das nicht beschränkt auf die Haushaltsdisziplin.
    Lucke: Ja, gut, okay. Aber Sie sagen, alles, was sozusagen der Staat an Reformen machen kann, diese Art von strukturellen Anpassungen, das würde reichen. Nun kann man erstens lange darüber diskutieren, ob das angemessen ist, dass Brüssel Staaten zwingt, die ja eigentlich ihr eigenes Parlament haben, was für Wirtschaftspolitik zuständig ist.
    Riedel: Dafür Sie sind ja das Parlament und Sie sind die parlamentarische Kontrolle.
    Lucke: Nein, die werden hier schon unter Druck gesetzt. Also die werden wirklich sehr unter Druck gesetzt. Also oft haben die ja gesagt, die wollen eigentlich überhaupt nicht. Der entscheidende Punkt ist eigentlich, dass wir zwei Probleme haben. Wir haben das Problem der Staatsverschuldung und das kann man in der Tat in den Griff bekommen, indem man diese Staaten eben zwingt, eine andere Politik zu machen als die, die sie eigentlich freiwillig machen wollten. Aber das andere Problem kriegt man nicht in den Griff, das ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Privatwirtschaft. Das sind innere Reformen.
    Riedel: Sie haben das Spielfeld gewechselt haben. Wir haben über Banken geredet und wir waren im Moment nicht bei der Privatwirtschaft.
    Lucke: Nein, nein. Nein, ich spreche über die gesamte Eurokrise. Entschuldigen Sie, ich lasse mir das Spielfeld nicht von Ihnen vorgeben. Das Spielfeld ist die Eurokrise, und diese Eurokrise hat verschiedene Aspekte. Sie hat den Aspekt "Banken" - da haben wir noch wenig drüber gesprochen ...
    Riedel: Das war genau meine Frage.
    Lucke: Nein. Es hat den Aspekt "Staatsverschuldung". Und jetzt habe ich gebracht, das massive Problem ist die Wettbewerbsfähigkeit der Privatwirtschaft, weil das nämlich behoben werden muss, um das große Problem der Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen - Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit. Das läuft nur über die Wettbewerbsfähigkeit der Privatwirtschaft. Das hat herzlich wenig zu tun mit Staatsschulden und es hat herzlich wenig zu tun mit Banken. Und die Wettbewerbsfähigkeit der Privatwirtschaft kriegen sie nicht mit staatlichen Maßnahmen verbessert. Die Unternehmen müssen im Stande sein, zu wettbewerbsfähigen Preisen anzubieten. Und diese wettbewerbsfähigen Preise kriegt man nur dann, wenn man eine Währung hat, die auch ihren Wert verändern kann gegenüber den Währungen der Wettbewerber.
    Riedel: Aber das hat noch nie nachhaltig funktioniert: Abwertung zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.
    Lucke: Entschuldigung, natürlich hat das funktioniert. Ach nein, das ist Unfug. Selbstverständlich.
    Riedel: Ja, wo hat es funktioniert nachhaltig und nicht nur kurzfristige Entlastung gebracht?
    Lucke: Lassen Sie mich bitte zu Ende machen. Wenn man das nicht hat, wenn man diese Möglichkeit der Abwertung nicht hat, dann ist es meine Überzeugung, dann kann man den Fehler eben gerade nicht korrigieren. Und nun kann man da ja unterschiedlicher Auffassung sein. Sie sagen, das spielt keine Rolle, diese Frage mit der Wettbewerbsfähigkeit der Privatwirtschaft und es reicht, wenn man sich auf den Staatssektor konzentriert.
    Riedel: Das habe ich nicht gesagt.
    Lucke: Na gut, okay. Aber das ging aus Ihren Worten hervor.
    "Banken dürfen nicht immer auf Kosten der Steuerzahler gerettet werden"
    Riedel: Nein, das ist falsch interpretiert.
    Lucke: Wenn Sie der Auffassung sind, dass man die Fehler korrigieren muss, dann muss es zumindest legitim sein, dass auch politische Parteien auftreten und sagen: Der Fehler steckt viel tiefer im System drin, als es die Eurozone zugestehen möchte, denn er liegt tatsächlich in der gemeinsamen Währung. Und wenn das der Fehler ist, dann bleibt nichts anderes übrig, als dass man die gemeinsame Währung verändert. Da muss man da ran. Und dann verstehe ich nicht, warum eine Partei wie die Alternative für Deutschland immer verteufelt und dämonisiert wird, weil sie genau das vorschlägt.
    Riedel: Niemand verteufelt Sie. Ich zweifle nur daran, oder ich stelle diese Frage - ich bin keine Wirtschaftsprofessorin -, aber die wird allgemein auch gestellt, ob das wirklich alles mit dem Euro zusammenhängt und nicht vielmehr wirklich mit der Tatsache, dass diese Banken dereguliert wurden und dass es Entwicklungen gegeben hat, die den Staat mit in den Strudel gezogen haben, die Wirtschaft kaputt gemacht haben? Und natürlich ist es richtig und wichtig und gut zu sagen, dass diese Zeche künftig nicht die europäischen Bürger zahlen dürfen oder müssen, sondern die Banken selbst. Aber genau das passiert doch. Und das ist doch unabhängig davon, ob man jemanden aus der Währung rausschmeißt oder entlässt, wo es erkennbar sowieso gar kein Bedürfnis danach gibt?
    Lucke: Jetzt könnte ich Ihnen ja fast noch nahelegen, dass Sie sich bei der AfD als Pressesprecherin bewerben, denn das ist genau unsere Position. Die Banken dürfen nicht immer auf Kosten der Steuerzahler gerettet werden.
    Riedel: Aber das ist doch jedermanns Diskussion?
    Lucke: Aber nein, ich meine, das haben wir ja jetzt in der Eurozone gesehen. In der ganzen Euro-Rettungspolitik sind die Staatsschulden deshalb garantiert worden, weil man damit die Banken gerettet hat. Und sie sind garantiert worden auf Kosten der Steuerzahler. Man hat es anders gemacht, als in allen Staatsschuldenkrisen zuvor, wo es immer geheißen hat: Erst mal müssen die Banken ihre Verluste selbst tragen und dann müssen die Bankgläubiger ran, die Leute, die in Banken investiert haben. Die müssen ihr Scherflein dazu beitragen, dass die Banken gerettet werden. Und erst wenn das alles nicht reichen sollte, erst dann kommt der Steuerzahler als der Letzte, der eine wichtige Bank gegebenenfalls noch auffängt.
    Riedel: Aber das Argument war ja zu sagen, ...
    Lucke: Aber genau das ist nicht gemacht worden. Und wir wollen es auch umkehren. Wir wollen es umkehren in dieser ...
    Riedel: Das wollen alle. So läuft die Gesetzgebung im Moment auch schon.
    Lucke: Richtig.
    Riedel: Und warum das passiert ist, wovon Sie sprechen, hatte ja damit zu tun, dass die Angst da war, wenn Banken-Schwergewichte kippen, dann zahlt der Steuerzahler am Ende sowieso mit oder der kleine Bürger sowieso drauf, weil eben dieses System - in ganz Europa übrigens, nicht nur in Spanien oder Griechenland oder Zypern - so verflochten ist - auch die Deutsche Bank ist gut vernetzt -, dass einzelne Dominosteine, die kippen, einen Flächenbrand auslösen.
    Lucke: Dazu sind zwei Dinge zu sagen. Erstens ist es richtig, dass inzwischen auch die Altparteien, die zuvor immer die andere Politik betrieben haben, sagen: Erst mal muss der Steuerzahler die Banken retten ...
    "Krise ist noch nicht abgeschlossen"
    Riedel: Das hat nie jemand gewollt.
    Lucke: Doch. Nein – Entschuldigung –, das hat Herr Trichet ausdrücklich gesagt: "Kein Privatinvestor muss sich an den Verlusten der Banken oder der Staaten beteiligen. Es wird keine Insolvenz geben", hat er gesagt. "Die Eurozone fängt das alles auf." Das heißt, der Steuerzahler fängt das alles auf. Erst seit der Zypernkrise ist die Bundesregierung umgeschwenkt auf die Linie, die die Alternative für Deutschland bereits zuvor verfochten hat. Da hat es immerhin ein Umdenken gegeben, und man ist jetzt etwas klüger in Bezug auf die Politik, die man macht. Der andere Punkt ist noch der, man hätte in der Tat die Staatsschuldenkrise anders lösen können, indem man eine geordnete Staatsinsolvenz hätte durchführen lassen können und stattdessen nur die systemisch relevanten Banken gestützt hatte in dem Ausmaß, in dem die Beteiligung der Aktionäre und die Beteiligung der Gläubiger nicht ausgereicht hätte. Das wäre um ein Vielfaches billiger gewesen, als die Euro-Rettungspolitik heutzutage. Die Kosten hätten sich auf weitaus weniger als ein Zehntel der Kosten belaufen. Selbst im schlimmsten Fall, wenn wir einen großen Zusammenbruch in allen Südländern gehabt hätten, mit allen betroffenen Banken - die wären alle Pleite gegangen -, selbst in diesem allerschlimmsten Fall, wären die Kosten höchsten ein Zehntel dessen gewesen, was man für die Euro-Rettungspolitik aufgewendet hat. Und das ist ja auch logisch. Denn bei der Staatenrettung rettet man sämtliche Staatsanleihen, die der Staat ausgegeben hat. Bei der Bankenrettung muss man sich nur konzentrieren auf diejenigen Staatsanleihen, die im Bankbesitz sind.
    Riedel: Wobei, das Meiste sind ja einfach Garantien. Es ist auch Geld geflossen, aber bei Weitem nicht diese Zahlen, die Sie genannt haben. Das sind potenzielle Kosten, die entstehen könnten. Ich möchte zum Schluss noch zwei, drei praktischen Fragen zur Parlamentsarbeit stellen. Wie sehr richten Sie sich auf diesen Standort Straßburg oder auch Brüssel ein, denn Sie wollen ja 2017 Ihr Mandat aufgeben, um dann für die Bundestagswahl zu kandidieren?
    Lucke: Ja, zunächst einmal, also die Krise ist natürlich noch nicht abgeschlossen. Es sind bereits zweistellige Milliardenverluste in Bezug auf Griechenland entstanden, die sind nur noch nicht sozusagen buchmäßig auch wirklich erfasst worden, weil die Regierung sich das nicht traut. Aber das Geld ist de facto weg. Und es kann noch viel mehr kommen, denn die Staatsschulden sind ja zurzeit sehr, sehr hoch - viel höher als zu Beginn der Krise. Also die Krise ist noch lange nicht ausgestanden. Aber zu den praktischen Fragen. Es ist einfach so, ich nehme diese Arbeit im Europaparlament sehr ernst. Ich werde umziehen mit meiner Familie, vermutlich nach Brüssel, vielleicht auch nach Straßburg. Wie Sie richtig gesagt haben, habe ich vor, im Jahr 2017 auch für den Deutschen Bundestag zu kandidieren. Das sind ja auch noch drei Jahre, bis zu diesem Zeitpunkt. Und in dieser Zeit habe ich vor, hier sehr ernsthaft, sehr sachlich und sehr konstruktiv, insbesondere im Ausschuss für Wirtschaft und Währung zu arbeiten.
    Riedel: Wer sind da Ihre potenziellen Verbündeten?
    Lucke: Das hängt immer ein bisschen davon ab, welche Vorlagen von der Kommission geliefert werden. Es ist ja nicht so, dass das Europäische Parlament ein Initiativrecht hat und selbst etwas gestalten kann. Die Verbündeten ergeben sich aus der Vorlage der Europäischen Kommission und daraus, wie andere Parteien darüber denken.
    Riedel: Gibt es irgendjemanden im Parlament, der Ihnen sozusagen als nachahmenswertes Vorbild dient?
    Lucke:Nein. Also ich richte mich eigentlich an Sachpolitik aus und nicht an irgendwelchen Vorbildern.
    Riedel: Herr Lucke, vielen Dank für das Gespräch.
    Lucke: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.