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Afghanische Wellenreiter
Surfen für ein Land ohne Meer

Bei den Sommerspielen in Tokio 2020 wird Wellenreiten zum ersten Mal Teil des olympischen Programms sein. Auf einen Start in Japan können auch Surfer aus einem Land hoffen, dass gar keine Küste hat: Afghanistan. Zu verdanken hätten sie es dann Afridun Amu, der einst als Flüchtling nach Deutschland kam.

Von Bastian Rudde | 15.07.2017
    Der Exil-Afghane Afridun Amu posiert mit einem seiner Surfboards.
    Der Afghane Afridun Amu gründete 2012 mit Unterstützern von Deutschland aus den afghanischen Wellenreitverband und startete 2017 als erster Afghane bei der Surf-Weltmeisterschaft. (dpa / Boris Roessler)
    Dieses Geräusch gibt es in Afghanistan nicht: Das Meer, die Brandung, Wellen. Afghanistan. Ein Land, das keine Küste hat. Und weil das so ist, dauert es eine ganze Weile, bis der gebürtige Afghane Afridun Amu seine ersten Wellen hört, sieht, erlebt.
    "Meine erste eigene Erinnerung: Da muss ich so zehn Jahre gewesen sein. Da waren wir an der Atlantikküste. Und das war überwältigend für mich. Das war eine meiner schönsten Kindheitserfahrungen. Hab eigentlich den ganzen Tag nur damit verbracht, im Wasser zu sein und mich von den Wellen an der Küste irgendwie rumschmeißen zu lassen."
    Mit zehn Jahren lebt Afridun Amu bereits in Deutschland, hat Afghanistan mit seinen Eltern als politischer Flüchtling verlassen und geht in Göttingen zur Schule. Von dort geht’s nach dem Abitur mit Freunden auf einen Roadtrip. Amus erstes Surf-Erlebnis: "Absolut low budget, nichts in der Tasche sind wir drauf losgefahren und wir sind in Frankreich an der Atlantikküste gelandet. Und ich hab mir dann von jemandem ein Brett geben lassen, ein relativ großes, und bin damit schnurstracks zum Wasser gegangen. Und es war noch nie so in meinem Leben, dass ich schon in dem Moment wusste, das will ich hoffentlich für den Rest meines Lebens machen. Aber mit Surfen war es tatsächlich so."
    "Wir wollten eine andere Geschichte von Afghanistan erzählen"
    Heute ist Afridun Amu 30, hat Jura und Kulturwissenschaften studiert und arbeitet unter anderem am Heidelberger Max-Planck-Institut für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit. Wellenreiten wird nach dem Roadtrip nach Frankreich eine große Leidenschaft. Doch Amu erzählt, dass er sich als surfender Afghane irgendwann wie ein Exot vorkommt und sich fragt: Gibt es eigentlich noch andere wie mich? Auch deshalb gründet er 2012 mit Unterstützern von Deutschland aus den afghanischen Wellenreitverband - und kann schließlich im Internet verkünden, dass der Verband die erste afghanische Meisterschaft ausrichten wird.
    Zwölf Teilnehmer aus verschiedenen Ländern sind es schließlich, die im Mai 2015 in Portugal ins Wasser steigen. Acht Männer, vier Frauen. "Es waren alles Exil-Afghanen. Wir haben es leider nicht hinbekommen, Afghanen aus Afghanistan teilnehmen zu lassen. Das lag daran, dass wir mit der Visa-Vergabe Probleme hatten, was definitiv ein Ziel ist fürs nächste Mal. Unsere Intention war es auch, durch dieses Event eine andere Geschichte von Afghanistan zu erzählen. Wir wollten den Leuten zeigen, was für Musik wir in Afghanistan hören, was für Essen wir essen und was für Hobbies, Beschäftigungen und dergleichen Afghanen haben, damit die Leute eben sehen, dass Afghanistan nicht nur das ist, was man aus den Nachrichten kennt, sondern dass das nur ein Teil ist."
    Schöne Story für das krisengeschüttelte IOC
    Bei den Männern gewinnt Afridun Amu selbst die erste afghanische Meisterschaft und startet im Mai 2017 als erster Afghane bei der Surf-Weltmeisterschaft. Dort landet er zwar ziemlich weit hinten, aber die Geschichte ist noch längst nicht zu Ende, sondern könnte bei Olympia 2020 in Tokio weitergehen. Dann gehört Wellenreiten erstmals zum olympischen Programm.
    "Natürlich haben wir Afghanen nicht die Profisportler wie Länder wie Brasilien, Vereinigten Staaten und Australien. Aber ein Prinzip der olympischen Spiele ist ja auch, dass so viele Sportler wie möglich aus verschiedenen Regionen teilnehmen. Insofern wird es auch regionale Qualifikationen geben und da stehen unsere Chancen schon weitaus besser. Das Interesse beim IOC ist schon groß, Afghanistan dabei zu haben."
    Ein möglicher Hinweis dafür findet sich auch im neuen Olympic Channel des IOC. In dem Olympia-Werbekanal im Internet wird Amus WM-Auftritt gefeiert - und etwas augenzwinkernd gefragt, ob er wohl auch der erste afghanische Surfer bei Olympia sein wird. Das könnte für das viel kritisierte Internationale Olympische Komitee eine neue, schöne Story von Friedensstiftung und Völkerverständigung darstellen und nicht die nächste Negativ-Geschichte über Korruption oder Doping.
    Sollte der afghanische Wellenreitverband in Tokio starten, ist es möglich, dass Afridun Amu selbst einen Platz einnimmt. Er wäre dann vom Hobbysurfer aus einem Land ohne Wellen zum Verbandsgründer zum Olympiateilnehmer geworden, sagt aber, dass ihm ein eigener Start nicht so wichtig ist: "Mein primäres Ziel wäre es, irgendwelche Afghanen dahin zu schicken - im Idealfall die besten!"