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Afghanischer Außenminister: Tornado-Flugzeuge werden benötigt

Kurz vor der Entscheidung der Bundesregierung über die Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen hat der afghanische Außenminister Rangin Dadfar Spanta die Notwendigkeit des Einsatzes betont. Das in seinem Land agierende Terrornetzwerk sei kein lokales Phänomen, sagte Spanta im Interview der Woche. Wenn Afghanistan verloren ginge, wäre dies eine akute Bedrohung für die Demokratie und die Sicherheit in Europa.

Moderation: Sabine Adler |
    Sabine Adler: Herr Außenminister Rangin Dadfar Spanta, das Jahr 2006 war das schwierigste Jahr für Afghanistan seit der Zerschlagung der Taliban vor gut fünf Jahren. Es hat sechs mal so viele Selbstmordanschläge gegeben, 4.400 Menschen sind getötet worden, davon 1000 Zivilisten. Es hat auch sehr viel mehr Anschläge auf die Militärkräfte gegeben als in den Jahren zuvor. Kann man eigentlich noch leugnen, dass die Irakisierung Afghanistans in vollem Gange ist?

    Rangin Dadfar Spanta: Ach, Afghanistan mit Irak zu vergleichen heißt, unvergleichbare Dinge miteinander zu vergleichen. Natürlich, wie Sie darauf hingewiesen haben, war es in diesem Jahr schwierig für Afghanistan, für die internationale Gemeinschaft. Aber das Land entwickelt sich immer noch zum großen Teil. Norden, Süden, Westen, Zentralafghanistan, auch große Teile des Ostens sind relativ stabil und sicher. Wir haben im Süden entlang der pakistanischen Grenze Probleme gehabt. Wir haben auch einige Fehler gemacht und gleichzeitig hat die Intervention von außen - Ausbildung, Bewaffnung und Entsendung von Terroristen aus dem Süden - vehement zugenommen.

    Adler: Ihr Präsident, Präsident Karzai, hat den Vorschlag gemacht, Friedensgespräche mit den Taliban zu führen. Von den Vereinigten Staaten wurde das sofort abschlägig beantwortet. Ist dieser Vorschlag tatsächlich ein so schlechter Vorschlag?

    Spanta: Nein, das ist nichts Neues. Das wurde missverstanden. Wir haben ein Konzept, und dieses Konzept, ist die Wiederversöhnung in Afghanistan, die Stabilisierung, Mobilisierung und Beteiligung aller Afghanen am Wiederaufbau, Reintegration der Afghanen, und nicht zu vergessen, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Das setzt voraus, dass alle verfeindeten politischen Gruppierungen, die bereit sind, die Verfassung Afghanistans anzuerkennen, die Waffen nieder zu legen und sich am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen. Das ist das Konzept, das Präsident Karzai noch mal angesprochen hat, und dann wurde es falsch interpretiert.

    Adler: Das heißt, das, was Präsident Karzai angesprochen hatte oder wozu er aufgefordert hatte, war, dass die Talibankämpfer ihre Waffen niederlegen sollen und die Seiten wechseln sollen.

    Spanta: Genau so ist es. Es geht darum: Sie sollten die Verfassung in Afghanistan akzeptieren, ihre Waffen niederlegen, und dann können sie sich, wenn sie das wollen, als politische Gruppierung formieren. Einige haben das in der Vergangenheit auch gemacht. In unserem Parlament sitzen einige Talibankommandeure. Und das ist ein normaler Prozess. Da haben wir uns mit den Vereinigten Staaten von Amerika geeinigt.

    Adler: Sie haben das Wort gerade nicht ausgesprochen. Aber das, was ich rausgehört habe, war, dass die Rekrutierung immer neuer Kämpfer vor allem in Pakistan geschieht. Wie können Sie sich denn dagegen zur Wehr setzen und wie kann man Afghanistan auch helfen, dass dieser Nachschub nicht aus dieser Richtung ständig kommt?

    Spanta: Ich glaube, von mehreren Möglichkeiten sind zwei sehr wichtig: Erstens afghanische Verteidigungskräfte, Sicherheitskräfte zu unterstützen, den Wiederaufbau zu beschleunigen, damit wir mehr unser Land verteidigen können. Und dadurch können wir sozusagen vielleicht - das ist kein schönes Wort - den Krieg gegen Terror in Afghanistan afghanisieren. Wir möchten das gerne, dass wir unser Land selbst verteidigen. Und andererseits sollte Druck ausgeübt werden auf Pakistan, damit die nicht weiterhin eine Einmischung, eine dominante, expansionistische Politik Afghanistan gegenüber betreiben. Und das kann die internationale Gemeinschaft machen. Und da sollte man Druck ausüben, damit Pakistan tatsächlich wie 2001 und später 2002 mitgewirkt hat, positiv zusammengearbeitet hat, und diese Zusammenarbeit fortsetzt.

    Adler: Welche Möglichkeiten sehen Sie, dass Afghanistan in der Region mit seinen Nachbarn, zum Beispiel Iran, eben auch Pakistan, was Sie gerade angesprochen haben, aber auch zum Beispiel Tadschikistan, Usbekistan, wie diese Region enger zusammenarbeiten kann beim Kampf gegen Extremismus?

    Spanta: Wir arbeiten mit dem Iran sehr gut. Der Iran unterstützt Afghanistan bei der Stabilisierung, Verstärkung der staatlichen Institutionen und unterstützt uns beim Straßenbau und Elektrizitätsversorgung. Mit Tadschikistan haben wir die besten Beziehungen. Wir arbeiten an Projekten, die beide Länder anbelangen, zum Beispiel das Transportieren von tadschikischem Strom durch Afghanistan, für Afghanistan und durch Afghanistan bis in den Süden hinein. Mit Usbekistan genau so und auch mit Turkmenistan. Die Verstärkung der regionalen Zusammenarbeit ist eine der elementaren Punkte in unserer Politik. Das werden wir verstärken und diese Zusammenarbeit intensivieren. Ich hoffe, dass diese Zusammenarbeit auch mit Pakistan sich weiter entwickelt, wobei ich darauf hinweisen muss, dass Pakistans Export nach Afghanistan momentan jährlich mehr als 1,3 Milliarden Dollar ist. Pakistan profitiert von dem Frieden in Afghanistan, aber die Reflexion dieses Vorteils in den Köpfen von Entscheidungsträgern, Militär und Geheimdienst ist zu langsam.

    Adler: Sie haben gesagt, die Zusammenarbeit nach außen, die funktioniert in der Region. Wie sehr ist die afghanische Regierung, sind Sie eigentlich Herr in ihrem eigenen Hause?

    Spanta: Ich lade Sie ein, dann können Sie gucken. Wir haben Kontrolle über das Land, überall. Wir haben ab und zu in südlichen Gegenden entlang der pakistanischen Grenze manchmal Probleme, wo sie touristische Gruppierungen angreifen und dann nach ein, zwei Stunden oder nach zwei Tagen sich wieder zurückziehen. Ich höre von vielen meiner Freunde, dass diese bekannte Unterstellung, Karzai sei Bürgermeister von Kabul, immer kursiert. Die Regierung Afghanistans ist Herr der Lage und der Wiederaufbau findet im Norden und in Zentralafghanistan statt. Wir haben enorme Errungenschaften, aber wir sollten gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft diese Errungenschaften besser vermitteln, vor der afghanischen Öffentlichkeit und auch vor der deutschen und europäischen Öffentlichkeit. Da haben wir viel nachzuholen.

    Adler: Sie kennen Deutschland sehr gut. Sie haben 20 Jahre in Deutschland gelebt. Sie haben viele Freunde in Deutschland. Dann wissen Sie auch sehr genau, was in Deutschland diskutiert wird, wie sehr Ihr deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier im Moment unter Druck ist und dass der Fall, mit dem er zu tun hat und der ihn so in Bedrängnis gebracht, auch mit Afghanistan zu tun hat. Stichwort Murat Kurnaz, der in Kandahar festgehalten wurde. Wusste die afghanische Regierung, dass Murat Kurnaz festgehalten worden ist?

    Spanta: Ich persönlich hatte keine Information darüber, wirklich nicht. Und ich gehe auch davon aus, dass die afghanische Regierung nichts wusste. Momentan ist die Lage besser. Bei Festgenommenen werden wir informiert. Manchmal bekommen wir Informationen, manchmal nicht, das muss ich zugeben.

    Adler: Eine andere Diskussion, die gerade in Deutschland sehr die Gemüter erhitzt, ist die Diskussion um die Entsendung von sechs Tornados nach Afghanistan. Es hat in dieser Woche eigentlich eine Entscheidung geben sollen, oder schon eine Vorentscheidung zumindest im Kabinett geben sollen. Die ist noch mal vertagt worden. Über kurz oder lang wird sich das Parlament, der Bundestag, damit befassen müssen, wird über ein Mandat entscheiden müssen. Wenn Sie vor den Parlamentariern sprechen sollten, welche Argumente würden Sie finden, um ihnen die Entscheidung zu erleichtern?

    Spanta: Ach, wissen Sie, das ist eine innerdeutsche Diskussion. Sollen die deutschen Abgeordneten im Interesse des deutschen Volkes entscheiden oder auch im Interesse des Friedens und der Zukunft der Kinder hier und auch in Afghanistan. Das internationale Netzwerk, das in Afghanistan agiert, ist kein lokales Phänomen. Wenn wir Afghanistan verlieren, müssen wir überzeugt sein, dass es eine akute, ernsthafte Bedrohung für die Demokratie, für Wohlstand und Sicherheit in Europa ist. Europa ist unmittelbarer Nachbar des Terrornetzwerkes. Der Terror hasst Afghanen nicht, weil wir Afghanen sind. Wir sind genau so Muslime wie die Terroristen. Sie hassen uns, weil wir uns für die Demokratie entschieden haben, alle diejenigen, die für Frieden auftreten. Ich würde gerne mal fragen: Was ist Frieden in Knechtschaft? Und die Taliban haben noch nie Frieden gebracht, und 1999 und 2001 haben die Taliban 90 Prozent des Landes unter Kontrolle gebracht. Sie haben tagtäglich Frauen unterdrückt, Männer und Frauen erschossen, tagtäglich - das war normale Praxis der Taliban - aber gleichzeitig terroristische Attacken gegen New York und später London und Madrid und andere Städte organisiert. Mein Appell geht an meine ehemaligen und jetzigen Freunde in der Friedensbewegung, wo ich mitgewirkt habe. Einer der Hauptgründe, warum ich als Mitglied der afghanischen Regierung fungiere, ist, weil ich für Menschenrechte, Frauenrechte und Demokratie arbeiten will. Und da sollten sie mehr Verantwortung übernehmen.

    Adler: Welche Gründe gibt es dafür, dass sich ja auch sehr viele afghanische Männer vor allem im Osten und im Süden den Taliban immer wieder anschließen?

    Spanta: Nein, das ist nicht wahr. Die absolute Mehrheit der Afghanen ist froh, dass die internationale Gemeinschaft in Afghanistan anwesend ist, weil sie uns tatsächlich von einem unmenschlichen Regime befreit haben. Sie sind als Befreier gekommen und nicht als Invasoren. Die Rekrutierungsmöglichkeiten der fatalistischen Gruppierung entstehen eigentlich außerhalb der afghanischen Grenze, in so genannten Madrassen. Außerhalb der afghanischen Grenzen existieren mehr als 16-20.000 Madrassen.

    Adler: . . . Koranschulen.

    Spanta: Scheinbar Koranschulen, aber einige davon sind tatsächlich terroristische Ausbildungszentren, wo der Hass gepredigt wird und der Kulturkampf gepredigt wird. Die glauben, Afghanistan ist ein nicht-islamisches Land, das von Kreuzzügen besetzt. Die wollen die Afghanen christianisieren, und darum geht es. Und die Indoktrinierung der jungen Männer, die nicht nur Afghanen sind, die kommen auch aus Nordafrika, die kommen aus Tschetschenien, die kommen aus Usbekistan, viele Punjab-Pakistani sind drin, auch einige Afghanen. Auch die Zusammensetzung ist internationalistisch.

    Adler: In dieser Woche, als Sie in Deutschland waren, hat es eine Reihe von Begegnungen gegeben, unter anderem eine internationale Konferenz, die sich über die Koordinierung der Finanzhilfe oder überhaupt der Hilfe für Afghanistan Gedanken gemach hat. Und es gab eine andere Zusammenkunft, nämlich die EU-Troika, zum Thema Afghanistan. Es ist eine ganze Menge Geld versprochen worden für Afghanistan, 600 Millionen Euro von EU-Seite in den nächsten vier Jahren, das heißt 150 Millionen Euro pro Jahr. Gemessen an dem, was die Vereinigten Staaten geben, nämlich 10,6 Milliarden Dollar, das sind umgerechnet etwa 8 Milliarden Euro, klingt der EU-Beitrag ja sehr klein. Wo muss dieses viele Geld eingesetzt werden?

    Spanta: Einmal sind wir den EU-Mitgliedstaaten sehr dankbar für die großzügige Hilfe, den großen Beitrag, finanziell und auch, was personelle Hilfe anbelangt. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind unsere großen Geldgeber und Unterstützer. Die tragen die Hauptlast. Aber verglichen mit anderen Aufgaben in Staatsbildungsprozessen wie zum Beispiel Kosovo, ist das, was man in Afghanistan investiert hat, sehr wenig. Denken sie mal an die Zahl der Ausbilder, die Polizisten ausbilden und Sicherheitsorgane ausbilden. Umgerechnet pro Kopf, wie viel Tausend Dollar hat man im Kosovo ausgegeben und wie viel Hundert Dollar hat man in Afghanistan ausgegeben.

    Adler: Sagen Sie mal die Zahl.

    Spanta: Das ist 1 : 16.

    Adler: 1 : 16?

    Spanta: 1 : 16. Das heißt, man hat im Kosovo 16 mal mehr Geld ausgegeben. Und für so eine Krisenregion mit so einem expansionistischen Nachbarn, der Terroristen beherbergt, sind diese Mittel sehr, sehr wenig. Ich möchte ganz deutlich werden. Wenn wir dem Projekt Afghanistan zum Erfolg verhelfen wollen und den Terror grundsätzlich bekämpfen wollen, dann ist es wirklich notwendig, mehr Geld zu investieren und die Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan sozusagen als Langzeitverpflichtung zu betrachten. Die internationale Gemeinschaft, auch wir Afghanen, waren, glaube ich, ein bisschen naiv. Am Anfang ist der Zusammenbruch des Taliban-Regimes sehr schnell geschehen - niemand hat geglaubt, dass das innerhalb von eineinhalb Monaten passieren würde - weil die keine soziale Basis und keinen Rückhalt innerhalb der afghanischen Bevölkerung hatten. Das war eine von außen aufoktruierte Bande, die das Volk schikaniert hat. Und dieser schnelle Erfolg und auch die Zusammenarbeit Pakistans am Anfang haben uns veranlasst zu glauben, wir machen ein paar resolute militärische Aktionen und die Aufgabe ist erledigt. So wird es nicht klappen. Wenn wir militärische Elemente, zivile Aufbauelemente und auch Verstärkung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit alle gemeinsam als gleichberechtigte Momente des selben Prozesses berücksichtigen, werden wir schneller Erfolg haben.

    Adler: Ich möchte noch einmal auf den deutschen Beitrag in Afghanistan zu sprechen kommen. Sie sind Deutschland, wie man weiß, ja sehr eng verbunden. Wir hören es ja auch an Ihren Sprachkenntnissen. Deutschland hat sich große Mühe gegeben mit der Ausbildung von Polizisten - für den Geschmack der Amerikaner ein bisschen zu viel Mühe. Die Ausbildung dauert den Amerikanern viel zu lang, ist nicht wirklich auf die afghanischen Bedürfnisse zugeschnitten sondern orientiert sich eigentlich, so der Vorwurf zumindest, eher an den Bedürfnissen, wie sie in Deutschland vorhanden sind. Würden Sie in diese Kritik mit einstimmen? Würden Sie auch sagen, Deutschland kann da ein bisschen kompakter ausbilden, dann haben wir mehr davon?

    Spanta: Nein, wir müssen das differenzierter sehen. Das heißt, das deutsche Konzept für die Polizeiausbildung und Bildung ist langfristig ein richtiges Konzept. Die Polizei sollte Diener der Bürger werden und entsprechend ausgebildet werden. Und das heißt politische Bildung und Demokratisierung, etc. Das ist ein sehr wichtiges Konzept. Ich habe ein Leben lang dafür gearbeitet und ich werde auch weiterhin dafür arbeiten. Das ist die eine Seite der Sache, das ist eine langfristige Strategie. Aber andererseits sollten wir für die Bedürfnisse eines Landes angesichts der schwierigen Lage - Taliban, Terrorismus, El Kaida - auch kurzfristig darüber nachdenken, wie können wir diese Polizeiausbildung beschleunigen. Mit dieser Geschwindigkeit und den knappen Ressourcen, die wir haben, schaffen wir es nicht. Wir brauchen mehr Geld. Mehr Polizeiausbilder würden die Ausbildungszeit erheblich verkürzen. Das werden wir erst dann tun, wenn die vorhandenen Finanzmittel und darüber hinaus auch Ausbildungsmöglichkeiten besser koordiniert werden. Und das ist nicht das amerikanische Konzept oder das deutsche Konzept. Im Grunde ist das deutsche Konzept richtig. Wir sind auch dafür. Aber nach den Bedürfnissen sollten wir an diese Phase denken: Wie können wir Schulen, Brücken, Straßen, Mädchen vor den Übergriffen der Taliban und der Terroristen schützen? Dafür brauchen wir ausgebildete Sicherheitskräfte.

    Adler: Wenn wir uns die Zahlen mal ein bisschen genauer anschauen, die amerikanischen Zahlen. Da heißt es: 10,6 Milliarden Dollar werden für Afghanistan bereit gestellt, und von diesen 10,6 Milliarden sollen 8,6 in militärische Aufgaben gehen. Ist das das Verhältnis, das Sie meinen, oder muss es da ein anderes geben?

    Spanta: Ich möchte darauf hinweisen, das ist zusätzliches Geld zu dem früheren in gleicher Höhe . . .

    Adler: . . . und hat zu tun mit der Taliban-Offensive, die erwartet wird . . .

    Spanta: . . . ja. Und die Amerikaner haben uns noch einige Milliarden Dollar zugesagt. Eines der Hauptdefizite der afghanischen Regierung ist die Schwäche unserer Sicherheitsorgane. Lassen Sie mich eine Zahl nennen. Fünf Jahre nach dem Fall von Taliban verfügen wir über 35.000 Soldaten als Mitglieder der Nationalarmee Afghanistans. Und die sind schlecht bewaffnet und verfügen über keine schweren Panzergeschütze. Wenn die Gegner, die Terroristen, die gut organisiert und gut ausgebildet und motiviert sind, uns angreifen, unsere Leute und Zivilisten, die greifen uns mit schweren und halbschweren Waffen an und mit ganz modernen Kommunikationsmitteln. Da ist es auch angebracht, dass wir dafür sorgen, dass afghanische Polizei und Armee richtig ausgerüstet wird.

    Adler: Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana hat in dieser Woche ja zugesagt, dass mehr getan werden soll bei der Ausbildung von Streitkräften. Die andere Frage ist aber, nun gibt es ja nicht zu wenig Männer in Afghanistan, die mit Waffen umgehen können, es gibt einfach zu viele, die für Warlords bereit sind zu kämpfen. Wie wollen Sie diese Männer überzeugen, nicht mehr für die regionalen Warlords zu kämpfen, und statt dessen eben, wie Sie sagen, für die nationale Armee?

    Spanta: Die Institution Warlords in Afghanistan hat heute, fünf Jahre nach dem Petersberg, im Prinzip enormen Schaden genommen. Es ist nicht mehr so, dass das Warlordentum als Institution immer noch so stark ist und den Alltag in Afghanistan prägen. Der Entwaffnungsprozess in Afghanistan war sehr erfolgreich. Die Entwaffnung von Gruppen geht voran. Natürlich haben wir immer noch mit Warlords zu tun, aber die Waffen, die die in der Hand haben, das ist eine alte sowjetische Bauart wie Kalaschnikow und so. Mit diesen Waffen kann man dem Terrorismus nichts entgegensetzen.

    Adler: Herr Außenminister Spanta, wie groß ist die Gefahr, dass ähnlich wie die Sowjetarmee nach zehn Jahren abgezogen ist und ihr Ziel nicht erreicht hat, dass das gleiche jetzt den internationalen Streitkräften geschieht. Immerhin, wir haben sozusagen Halbzeit. Fünf Jahre, fast sechs Jahre sind vergangen, und die Erfolge sind zumindest nicht so geradlinig und nicht so, dass man sagt, sie wären wirklich unumkehrbar.

    Spanta: Sie haben vollkommen recht, die Erfolge sind immer noch nicht unumkehrbar, leider Gottes nicht. Wir müssen daran arbeiten, diese Wende zu schaffen. Aber gestatten Sie mir, darauf hinzuweisen, das ist wiederum ein Vergleich zwischen Unvergleichbarem. Die sowjetische Armee ist als Besatzungsmacht gekommen, hat einen halbwegs funktionierenden Dritte-Welt-Staat zerstört. Und infolge dessen ist landesweit ein Widerstand gegen die Sowjetunion ausgebrochen, ein vehementer Widerstand. Dagegen ist die internationale Gemeinschaft, sowohl ISAF als auch Anti-Terror-Koalition, die sind nicht als Besatzer gekommen. Die Rechtslage ist eindeutig. Hier gibt es einen Beschluss der Vereinten Nationen nach dem internationalen Recht. Die nationale Rechtslage ist auch eindeutig. Die afghanischen legitimen gewählten Gremien, der Präsident und das Parlament, haben diese friedensstabilisierende Maßnahme und Anti-Terror-Aktivitäten in Afghanistan bestätigt. Die Meinungsumfragen in Afghanistan, auch im Süden, deuten darauf hin, dass immer noch im Süden des Landes 86 Prozent der Bevölkerung die Präsenz der internationalen Gemeinschaft, auch die militärische Präsenz, unterstützen. Und das ist ein gravierender Unterschied zu der sowjetischen Invasion.

    Adler: Für wie übertragbar halten Sie die Vorgehensweise, wie zum Beispiel die Bundeswehr im Norden Afghanistans ein Zusammenspiel von militärischer Präsenz und zugleich zivilem Wiederaufbau praktiziert? Wie übertragbar ist dieses Modell auf den Süden Afghanistans?

    Spanta: Es ist eine unmittelbare Verbindung zwischen Wiederaufbau, mit anderen Worten Entwicklung, und auch Frieden und Stabilität. Wir können das nicht als getrennte Momente sehen. Wir müssen einerseits durch militärische Stärke und Präsenz Terrorismus und ähnliche Stabilität, was nicht allein der Terrorismus ist, es ist auch gleichzeitig Drogen, Drogenanbau, Drogenschmuggel, es ist auch gleichzeitig Korruption in unserem Staat, das alles bekämpfen durch eine transparente Justiz und polizeiliche Maßnahmen, aber gleichzeitig die Errungenschaften beim Wiederaufbau unmittelbarer und sichtbarer zu machen. Das ist sehr wichtig. Ich möchte hier über Ihr Radio, wenn Sie gestatten, ein paar ganz wichtige Stichworte nennen. Sieben Millionen afghanische Kinder, die fünf Jahre nach dem Fall von Taliban zur Schule gehen oder zur Universität, davon sind 38 Prozent Frauen. 28 Prozent der Mitglieder des afghanischen Parlaments sind Frauen. Wir haben über 300 Zeitungen und Zeitschriften, und mehr als 90 oder 95 Prozent davon sind regierungskritische Publikationen. Wir haben neun Fernsehsender, einer davon ist staatlich, die anderen sind freie Sender. Wir haben in den letzten fünf Jahren mehr als 2000 Kilometer asphaltierte Straßen gebaut. Die Grundgesundheitsversorgung - bitte vergleichen Sie uns nicht mit Deutschland, gehen sie von afghanischen Maßstäben aus - bei der afghanischen Bevölkerung beträgt 82 Prozent, während das im Jahr 2002 nur acht Prozent waren. Alle diese Errungenschaften sind Errungenschaften der internationalen Gemeinschaft in Kooperation mit Afghanen.

    Adler: Ein Teil dieser Errungenschaften, das möchte ich Ihnen entgegenhalten, ist in Gefahr, nämlich zum Beispiel die Beteiligung am Schulunterricht von Mädchen. Es werden Schulen abgebrannt. Das ist das Werk von Taliban unter anderem. Wie sehr sind diese Erfolge gefährdet durch das Wiedererstarken der Taliban?

    Spanta: Im Süden, da haben Sie vollkommen recht, da sind die gefährdet. Taliban haben im Jahr 2006 198 Schulen in Brand gesteckt. Bedauerlicherweise ist ein erheblicher Teil davon Mädchenschulen. Ich habe am Anfang unseres Gesprächs darauf hingewiesen, dass die Taliban Demokratie, Menschenrechte, Emanzipation und Frauenrechte hassen. Aus diesem Grunde ist die Zerstörung und In-Brand-Steckung von Mädchenschulen eines der Hauptziele von Taliban und deren Unterstützern. Circa 200.000 Afghanen und Afghaninnen, die im Jahre 2005 zur Schule gingen, haben diese Chance und Gelegenheit verloren, weil so viele Schulen in Brand gesteckt wurden. Aber bitte noch einmal, achten sie darauf, es sind 99 Prozent entlang der pakistanischen Grenze. Und in anderen Gegenden bauen wir diese Schulen weiter und der Durst der Bevölkerung nach Bildung und Ausbildung ist enorm.

    Adler: Herr Außenminister Spanta, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.

    Spanta: Ich bedanke mich sehr herzlich für die Gelegenheit.