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Agitprop mit Schere und Kleber

John Heartfield wurde als Helmut Herzfeld 1891 in Berlin geboren. Aus Protest gegen die nationalistische Hetze anglisierte er seinen Namen 1916. Der Mitbegründer des Berliner Dada machte die klassische Kommunisten-Karriere der ersten Jahrhunderthälfte: Sowjetische Freundschaft, Exil wegen der Nazis, DDR-Kulturbund. Dem 1968 verstorbenen politischen Künstler widmet jetzt das Kunstmuseum Straßburg eine Ausstellung.

Von Christian Gampert |
    Es gibt Künstler, die man ständig mit Retrospektiven ehrt und deren Werk man auf diese Weise präsent hält. Es gibt andere, die selten ausgestellt werden und deren Einfluss trotzdem unübersehbar ist. John Heartfield etwa wird in der Bundesrepublik selten gezeigt, in Frankreich hat er seit 40 Jahren keine Ausstellung gehabt – und doch ist in jedem Titelbild des "Spiegel" erkennbar, dass hier auf Heartfields verfremdende Techniken von Montage und Collage zurückgegriffen wird, freilich nicht mehr mit Klebstoff und Schere, sondern mit den Mitteln der Computertechnologie.

    Das Straßburger "Musée d’Art moderne et contemporain" hat sich in letzter Zeit viel mit den sowjetischen Konstruktivisten beschäftigt – und schreitet nun voran von der Grafik zur Fotomontage. Es ist in der Tat lehrreich zu sehen, wie stark auch bei Heartfields Bildaufbau konstruktivistische, also formale Prinzipien eine Rolle spielen, die aufragenden Fabrikschlote, die schräg ins Bild marschierende Phalanx der Turner oder Soldaten, der Gebrauch symbolkräftiger graphischer Elemente wie des Hakenkreuzes, des Säbels, des Beils oder einer Lanze.

    Und es ist immer wieder erstaunlich und deprimierend zugleich, dass diese Techniken sowohl zur Verherrlichung der angeblich großartigen Sowjetunion taugen wie auch zur Denunziation der faschistischen Menschenverachtung. Die Straßburger Ausstellung zeigt einige von Heartfield entworfene Buchumschläge für den Malik-Verlag, die durchaus forscher sozialistischer Ästhetik genügen, konzentriert sich dann aber auf Heartfields Titelblätter für die AIZ, die zunächst in Berlin, später, im Exil, in Prag erscheinende "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung".

    Dort wurden die Nazis aggressiv lächerlich gemacht, dort wurde ihre Politik karikiert – mit Montagen, die heute zu den Ikonen der visuellen Kunst zählen. Zum Beispiel: der Geldschlucker Hitler. Die Münzen treten zwar offenbar durch den Mund in Hitlers Körper ein, enden aber nicht in Magen und Darm, sondern bilden eine Art Wirbelsäule in der quäkenden Führer-Attrappe. Der Hitler-Gruß wird von Heartfield zweckrational uminterpretiert: der Mann mit dem Bärtchen streckt den Arm, bevor der nach vorne schnellt, erstmal nach hinten aus, damit ein Vertreter der Großindustrie Banknoten hineinlegt. Und dann hält der Zigarre-rauchende Baron Thyssen den säbelrasselnden Adolf Hitler als Kasperl-Puppe am Finger.

    Die Faschismus-Theorie, die sich in diesen Collagen Bahn bricht, mag heute nicht mehr völlig hinreichen – man weiß jetzt doch einiges mehr vor allem über die Psycho-Geschichte des Nazitums. Aber ganz falsch ist sie ja nicht: Es waren Kapitalinteressen, die Hitler an der Macht hielten.

    Heartfields bildnerischer Erfindungsreichtum jedoch stammte nicht aus der KPD, deren Mitglied er war, sondern aus der Berliner Dada-Bewegung, in der er großgeworden und, mit George Grosz, zum Künstler gereift war. Deren Verrücktheit und Anti-Bürgerlichkeit übersetzte Heartfield nun in politische Propaganda – und die Montage, ursprünglich eine filmische Technik, wurde durch ihn nicht nur ein Mittel der Kunst, sondern auch der Massenmedien.

    Ergo: John Heartfield hat ein ganzes Genre erfunden. In der von Emmanuel Guigon schön arrangierten Schau wird allerdings deutlich, dass Heartfields devote Feier des sowjetischen Sozialismus, die ihn später zum DDR-Vorzeigekünstler werden ließ, seltsam blass und konventionell bleibt. Das Verbinden von religiösen und politischen Metaphern aber hatte in der Weimarer Republik (und noch in der Nazizeit) eine ungeheure publizistische Wirkung: wenn bei Heartfield ein Proletarier am Hakenkreuz gepeinigt wird, dann greift das auf mittelalterliche Fensterrosetten an der Tübinger Stiftskirche zurück – dort wird ein Mann aufs Rad geflochten.

    Mit den alten Dada-Tricks setzte Heartfield die Hühneraugen der Nazis ins Bild und zeigte den Tod als Skelett unter der Nazi-Uniform. Selbst der Weihnachtsbaum wurde von ihm zum Hakenkreuz verbogen. Die vorbehaltlose politische Parteinahme, die Heartfield noch möglich war, die ist uns nun gründlich abhanden gekommen: für das Gute, gegen das Böse – so einfach ist es heute auch für die grafischen Titel-Bastler des "Spiegel" nicht mehr.