Donnerstag, 25. April 2024

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Agrarpolitik
"Das ist Greenwashing"

Weniger Tiere, weniger Insekten, weniger typische Ackerpflanzen - laut dem heute erschienenen Agrarbericht ist es um die Artenvielfalt in ländlichen Regionen nicht gut bestellt. Agrarsubventionen würden häufig an falscher stelle ausgegeben, kritisierte Beate Jessel vom Bundesamt für Naturschutz im Deutschlandfunk.

Beate Jessel im Gespräch mit Stefan Römermann | 20.06.2017
    Portraitfoto von Beate Jessel vor grüner Landschaft.
    Beate Jessel fordert, dass Subventionen weniger im "Gießkannenprinzip" verteilt werden, sondern stärker an bestimmte Leistungen geknüpft werden. (dpa / Rolf Vennenbernd)
    Stefan Römermann: Über 40 Milliarden Euro gibt die EU jedes Jahr für Agrarsubventionen aus. Eine Menge Geld. Aber glaubt man dem Bundesamt für Naturschutz, wird es bisher völlig falsch ausgegeben. Im heute erschienenen Agrarbericht untersuchen die Wissenschaftler die Auswirkungen der Landwirtschaft und der Landwirtschaftspolitik auf die Artenvielfalt in ländlichen Regionen, und um die ist es offenbar nicht gut bestellt. Weniger Tiere, weniger Insekten, weniger typische Ackerpflanzen. Vor der Sendung habe ich mit der Chefin des Bundesamtes Beate Jessel gesprochen und habe sie gefragt, welche Arten besonders bedroht sind.
    Beate Jessel: Der Rückgang an biologischer Vielfalt betrifft alle Gruppen an Tier- und Pflanzenarten in der Agrarlandschaft. Zu nennen sind etwa die typischen Vögel in der Agrarlandschaft. Die Bestände von Arten, die früher Allerweltsarten waren, wie Kiebitz oder Feldlerche, sind in den letzten Jahren dramatisch eingebrochen. Hauptvorreiter, kann man sagen, ist das Rebhuhn. Hier hatten wir jetzt über die letzten 20 Jahre hinweg Bestandsrückgänge von über 90 Prozent zu verzeichnen. Das ist ein Indikator dafür, dass es in vielen Landschaften kaum noch entsprechende Strukturen gibt, die nicht diesen Tieren Deckung bieten und Nahrung bieten.
    Es betrifft aber auch Pflanzenarten wie die typischen Acker-Wildkräuter. Hier sind sehr starke Rückgänge zu verzeichnen, nicht nur bei der Artenvielfalt, sondern, wenn man absolut noch mal guckt, die Bestandszahlen von Arten, die früher sehr typisch waren, die Kornblume etwa. Auch da haben wir Rückgänge von über 90 Prozent und das ist schon eklatant.
    Kaum Förderung biologischer Vielfalt
    Römermann: Nun sagen die Bauernverbände ja, dass sie ihre Subventionen und so weiter ja auch bekommen, dass das alles gerechtfertigt sei, weil sie ja die Kulturlandschaft pflegen. Ist das alles nur ein Lippenbekenntnis und tatsächlich geht die Kulturlandschaft vor die Hunde?
    Jessel: Was wir kritisieren ist ja nicht, dass die Landwirtschaft Subventionen erhält, sondern wofür sie sie erhält. Ein Großteil der Zahlungen an die Landwirtschaft sind sogenannte Direktzahlungen, die an die Fläche geknüpft sind. Das ist eine Flächenprämie pro Hektar. Mit Beginn der neuen Förderperiode seit 2014 ist nun ein Drittel dieser sogenannten Direktzahlungen an das sogenannte Greening geknüpft. Das heißt, die Landwirte sind verpflichtet, zum Beispiel auf fünf Prozent ihrer Ackerfläche sogenannte ökologische Vorrangflächen anzulegen.
    Wenn man sich es aber mal anschaut, wie diese Vorrangflächen aussehen, dann ist es bislang erlaubt, auf diesen Vorrangflächen Pestizide einzusetzen, Pflanzenbekämpfungsmittel. Da hat jetzt im Übrigen letzte Woche erst endlich das Europäische Parlament anders entschieden, dass das ab dem nächsten Jahr auch anders sein soll. Aber der Großteil dieser Vorrangflächen wird genutzt für Zwischenfrüchte und Leguminosen und die bringen letztlich nichts für die biologische Vielfalt. Brachen oder Blühflächen, die angelegt werden, Blühstreifen, die sehr viel effektiver wären, die finden sich kaum.
    "Ökolandbau löst nicht alle Probleme in der Landschaft"
    Römermann: Zukünftig nur noch Biolandwirtschaft in Deutschland?
    Jessel: Der Ökolandbau kann eine wichtige Komponente sein, wenn es um den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit geht, wenn es um sauberes Grundwasser geht. Aber auch der Ökolandbau wirtschaftet ja entsprechend intensiv und der Ökolandbau ist, was das Grünland betrifft, von diesen Greening-Verpflichtungen ausgenommen. Will heißen: Der Ökolandbau ist sicher eine wichtige Komponente, um zu einer umweltgerechteren Bewirtschaftung zu gelangen. Er löst aber auch nicht alle Probleme in der Landschaft.
    Auch das Thema Strukturvielfalt: Ökolandwirte sind jetzt nicht verpflichtet, bestimmte Strukturen hier vorzuhalten und anzulegen. Dafür brauchen wir eigene Anreize in der Agrarförderung und dafür muss ein Umschwenken stattfinden, dass Gelder nicht nur wie bisher mit dem Gießkannenprinzip, mit der Flächenprämie über die Flächen verteilt werden, sondern dass sie stärker an bestimmte Leistungen, die die Landwirtschaft ja sehr wohl bei entsprechender Ausrichtung für die Gesellschaft erbringt, geknüpft werden, wie den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, wie sauberes Grundwasser - die Nitratwerte von 50 Milligramm im Grundwasser werden ja in Deutschland an vielen Bereichen überschritten - und auch an den Erhalt der biologischen Vielfalt. Letztlich auch an Landschaften, an den Erhalt solcher Landschaften und solcher Strukturen sollte die Agrarförderung stärker geknüpft werden.
    Greenwashing statt Greening
    Römermann: Faktisch stellen Sie aber dem Landwirtschaftsminister schon ein ziemlich schlechtes Urteil aus, wenn Sie in Ihrem Agrarbericht schreiben, die Agrarpolitik der Europäischen Union und die nationale Agrarpolitik, die leisten keinen substanziellen Beitrag, um den Verlust der biologischen Vielfalt einzugrenzen.
    Jessel: Was wir als wissenschaftliche Behörde darlegen und worauf es uns ankommt, das ist die Faktenlage. Und diese Faktenlage ist eine sehr eindeutige. Wir haben es mit einem sehr starken Rückgang der Biodiversität in der Agrarlandschaft zu tun, und zwar nicht nur auf der Artenebene, sondern auch auf der Ebene der Lebensräume. Und das sind Probleme, auf die wir hinweisen als wissenschaftliche Behörde und sagen in der Quintessenz, da muss sich etwas ändern.
    Da nutzt nicht nur so ein kleines Nachjustieren, wie man es letztlich mit dem Greening für die laufende Förderperiode getan hat - das Greening ist aufgrund der damit verbundenen Effekte letztlich sogar ein Greenwashing, kann man sagen - sondern da muss sehr grundlegend sich etwas ändern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.