
"Und das ist jetzt der Blickfang vor der Küste in Nienhagen."
"Wir haben dort 2003 gute 1.600 Betonelemente eingebaut, gut 2.500 Tonnen Natursteine liegen, die auf einer Fläche von 200 Meter mal 200 Meter - also etwas über 4 Hektar - dort platziert worden sind, in 12 Metern Wassertiefe."
Thomas Mohr, von Haus aus Ingenieur, reizte die Aufgabe nicht nur aus technischer Sicht. Vielmehr hoffen er und seine Kollegen, damit zur Lösung eines größer werdenden Problems beizutragen. Denn laut dem Bundesnaturschutzgesetz muss jeder Eingriff in geschützte Lebensräume ausgeglichen – egal, ob der Autobahnbau auf dem Land oder die Verlegung einer Erdgasleitung im Ostseeboden vor der eigenen Küste.
"Wir streben an, künstliche Strukturen als Ausgleichsmaßnahme für Eingriffe, die auf See passieren, dann verwenden zu können."
"Also das sind vor allem Windparks off shore, solche Sachen?"
"Windparks, Kabeltrassen- egal. Hafenbau, Molenbau. Jede Wasserbaufirma sagt dann immer: Warum muss ich an Land einen Baum pflanzen? Warum darf ich nicht irgendwo der Ostsee etwas Gutes tun, wenn ich hier eingegriffen habe?"
"Wir haben dort übers Jahr über 100 Tonnen mehr Biomasse, die dann wieder in der Nahrungskette zur Verfügung steht. Und haben natürlich auch ein höheres Fischaufkommen, und vor allem, und das freut uns: Jungfische, Kleinfische halten sich dort sehr häufig auf und wir konnten so den Nutzeffekt "Kinderstube für Jungs- und Kleinfische" zeigen."
"Das ist noch nicht anerkannt. Also es gibt einen Katalog in Mecklenburg-Vorpommern wie auch in anderen Bundesländern, wo dann direkt ausgeschrieben sind die Ausgleichsmaßnahmen, die man in Form von Öko-Punkten ableisten kann. Und da steht ein künstliches Riff so wie hier vor Nienhagen noch nicht eindeutig drin."
Gemeint sind die "Hinweise zur Eingriffsregelung für den marinen Bereich" an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns. Das Güstrower "Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie" hatte diese Hinweise im März veröffentlicht. Sie erklären, nach welchen Kriterien die Schwere eines Eingriff bewertet wird und wie sich ausreichende Ausgleichsmaßnahmen im "Zielbereich Küste" berechnen lassen.
"Aber ich finde es schon spannend, sich dieses Thema auch weiter vorzunehmen. Das sind jetzt wissenschaftliche Projekte, und ich finde schon auch es bemerkenswert, dass diese beiden künstlichen Riffs, die wir in Mecklenburg-Vorpommern haben, einen immensen Aufschluss über die Artenvielfalt der Ostsee uns erbringen. Also, künstliche Riffs sind schon auch spannend."
Doch das sieht nicht jeder so:
"Das ist ein ganz, ganz zweischneidiges Schwert."
Findet zum Beispiel Corinna Cwielag, Geschäftsführerin des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Mecklenburg-Vorpommern.

"Im Hinblick auf die naturschutzrechtlichen Belange haben wir es mit vier Behörden zu tun. Das ist das staatliche Amt für Umwelt und Natur in Stralsund, die zuständig sind für das Küstenmeer und die inneren Küstengewässer. Und landseitig sind das dann die Landkreise Vorpommern-Rügen, Vorpommern-Greifswald und das Biosphärenreservat Südost-Rügen."

"Ja, wir sind in Sachen Ausgleichsmaßnahmen für das Nord-Stream-2-Projekt unterwegs. Wir haben Maßnahmen vorgesehen, die den ökologischen Zustand des Greifswalder Boddens verbessern sollen, weil wir mit unserem Pipeline-Vorhaben durch den Greifswalder Bodden unter anderem den Anlandungsort Lubmin erreichen wollen. Das sind Maßnahmen, die insbesondere auf der Insel Rügen in der Nähe von Lagunen umgesetzt werden sollen und dazu dienen sollen, die Einträge von Nährstoffen und Pestiziden in den Greifswalder Bodden zu reduzieren."
Seit dem 18. April liegen die Genehmigungsanträge von Nord-Stream 2 öffentlich vor. Sie zeigen den geplanten Trassenverlauf und man erfährt, dass die Rohre überall dort, wo das Wasser flacher als 17 Meter ist, im Meeresboden vergraben werden müssten. Nicht der einzige, aber schwerste Eingriff in den Schutzraum Ostsee bei diesem Projekt, denn:
"Der Graben ist - je nachdem, welche Sicherheitsanforderungen an den Graben bestehen - mit einer Überdeckung von 50 Zentimetern bis etwa 2,5 Metern ausgestattet. Das Rohr selbst ist 1,5 Meter im Durchmesser, sodass wir im Maximalfall bis zu 4 Meter tiefe Abschnitte haben im Bereich der Querung von Schifffahrtsrinnen."
"Dass es besser ist, die Maßnahmen in Küstennähe an Land zu realisieren, weil von hier aus die größten Belastungen für die Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern ausgehen. Und wenn es uns gelingt, die Einträge von Nährstoffen und anderen chemischen Substanzen, die mit unserem Leben in Städten oder mit der landwirtschaftlichen Produktion in Verbindung stehen – wenn wir das reduzieren können, dann hat das Meer auch ´ne große Selbstheilungskraft und wird davon enorm profitieren."
"Meinetwegen um den See herum machen wir einen Grün- Gürtel, also Grünland. Damit wird der Eintrag von Nährstoffen reduziert."
Es geht aber auch noch direkter. Berührt eine Infrastrukturmaßnahme oder Abbau von Rohstoffen ein Flora-Fauna-Habitat im Küstenmeer, kann schon jetzt der Ausgleich darin bestehen, einen weiteren Bereich in der Ostsee als FFH-Gebiet - als Schutzgebiet nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie - auszuweisen und auch dort weder Fischfang noch Kiesabbau zuzulassen.
"Wenn Landwirtschaftsbetriebe betroffen sind, die in unser Leitbild passen, dass das bäuerliche geprägte Betriebe sind, dass sie einen hohen Grad an Wertschöpfung betreiben, dann wird es mit mir keine großflächigen Enteignungen geben, sondern wir müssen nach anderen Lösungsansätzen suchen."
"Von dem Vorhabensträger, das heißt, von dem Investor, der die Natur hier beschädigt. Und wir haben ja Großprojekte wie die Nord Stream 1 schon hier gehabt. Nach langen Auseinandersetzungen sind wir zu vernünftigen Lösungen gekommen. Und ich gehe davon aus, dass wir das bei den Investitionen, die die Unternehmen vorhaben, auch hier schaffen. Und zwar im Konsens und nicht mit juristischen Schritten."
"Wir können ja mal in die Landesplanung gucken, was insgesamt alles vorgesehen ist. Da sieht man ja gerade hier in dem Teil vor unserer Küste, dass sowohl Kiesabbau als auch Leitungsverlegung als auch Offshore-Windparks geplant sind. Dann sind für diese ganzen Schifffahrtsrouten immer auch Vertiefungen geplant. Das ist natürlich alles im Schutzgebietsbereich und vor allem in unserem sensiblen Ostseeküstenbereich."
"Wir gucken da schon ganz genau hin. Allererste Forderung: reale Kompensation im Meer."
Politisch heikel, weiß auch Corinna Cwielag. Denn, wo mehr Gebiete geschützt werden, muss die Nutzung entfallen – das aber würde viele Interessen berühren, die der Fischerei, der Schifffahrt, des Tourismus, des Militärs. Zweitbeste Lösung also auch für den BUND in Mecklenburg-Vorpommern: Ausgleichsmaßnahmen im küstennahen Bereich. Der wird freilich in der Regel von Landwirten genutzt.
"Ja, wir haben in einem Projekt zwischen Rostock und West-Rügen untersucht, wo denn Flächen liegen könnten, die wieder ausgedeicht werden. Da ist eine ganz erkleckliche Hektarzahl zusammengekommen. Wir liegen so bei 800 ha. Und da fangen die Mühen der Ebenen ja erst an, wenn man mit den Nutzern sprechen muss, in welcher Form das in Zukunft genutzt werden kann, wenn Wasserstände angehoben werden.
"Wir realisieren gerade den Netzanschluss für das sogenannte Cluster "Westlich Adlergrund". In "Westlich Adlergrund" befinden sich zwei Windparks - der Windpark "Wikinger" und der Windpark "Arkonabecken". Und diese beiden Windparks werden über eine knapp 100 Kilometer lange Leitung mit mehreren Leitungen angebunden und gehen dann zu uns in das Umspannwerk Lubmin. Das ist das aktuelle Projekt mit einem Projektvolumen von über einer Milliarde Euro."
Dafür müsste 1,50 Meter tief in den Meeresboden gegraben werden. Da sind jede Menge ökologischer Ausgleichsmaßnahmen fällig. Fünf Prozent bis 15 Prozent der Investitionssumme kämen da schnell zusammen, sagt Jens Regiment aus Erfahrung. Können keine geeigneten Flächen oder Projekte gefunden werden, muss die Baugenehmigung noch nicht scheitern. Denn die Behörde kann entscheiden, ob sie sich ersatzweise auf eine Geldzahlung einlassen will. Dieses sogenannte "Ersatzgeld" fließt an einen Fonds, der im Auftrag des Landesumweltministeriums von der "Stiftung Umwelt und Natur Mecklenburg-Vorpommern" verwaltet wird. Aber:
"Der Vorhabenträger wie die `50Hertz´ können im Endeffekt nicht entscheiden, was mit dem Geld passiert, wo fließt es hin und wie wird es eingesetzt. Und das ist immer ein bisschen schwierig."
"Ich gehe davon aus, dass wir Projekte haben. Ich finde immer noch, dass unser Moorschutzprogramm ein Beispiel dafür ist, dass wir auf freiwilliger Basis Flächen renaturieren. Wir haben in den letzten Jahren 30.000 Hektar renaturiert mit einem großen Erfolg. Nicht umsonst ist der Moorschutz im Pariser Abkommen endlich mit als kompensations- und ersatzmaßnahmenfähig aufgenommen worden. Es bringt einen Riesenbeitrag für den Klimaschutz, für die Artenvielfalt, aber auch für Nährstoffreduktion für unsere Weltmeere, denn wir haben das kleinste Binnenmeer der Welt, die Ostsee und die Flüsse, die bringen immer noch Nährstofffrachten, die weiter zurückgedrängt werden müssen."
"Wir hatten dort die Möglichkeit, mit dem Landwirt und mit dem Eigentümer der Insel zusammen eine große Kompensationsmaßnahme umzusetzen. Im Übrigen die erste reine Offshore-Kompensationsmaßnahme, die jemals in Mecklenburg-Vorpommern umgesetzt wurde."
Weil dort Öl gefördert werden sollte, wurde in den 60er Jahren ein langer Damm aufgeschüttet, der die knapp 100 Hektar große Insel Görmitz mit dem Festland verbindet. Dieser Damm bildet eine Barriere und behindert die natürliche Durchströmung des Peene-Flusses. Die Folge:
"Es ist in den vergangenen Jahrzehnten zu erheblichen Verschlammungserscheinungen gekommen. Die Wasserqualität hat sich entsprechend verschlechtert in diesen Bereichen. Und wir haben mit dem Eigentümer und mit der Gemeinde Lütow, die dort ansässig ist, die Idee entwickelt, diesen Damm komplett zurückzubauen, um die natürlichen Strömungsverhältnisse wiederherzustellen. Wir haben ca. 50 Prozent der Maßnahme umgesetzt. Wir werden in diesem Jahr noch mal kräftig bauen und hoffen dann, dass wir im Frühjahr 2018 Erfolg vermelden können, dass der Damm komplett zurückgebaut ist und die Natur ihre natürliche Strömung dort wiederbekommt."
Immerhin ein Projekt in Küstennähe. Aber nicht am Ort des Eingriffs. Der studierte Fischereibiologe und heutige Offshore-Projektmanager Jens Regiment auf die Frage, ob sein Unternehmen eine solche Möglichkeit begrüßen würde?
"Also ´ne ganz kurze und klare Antwort von mir: Ja. Wir gucken im Moment in den Planungen bei 50Hertz im `Bundesfachplan Offshore` bis ca. 2025, 2030. Wir sind dabei, auch schon für kommende Projekte Kompensationsmaßnahmen, die direkt in der Ostsee umgesetzt werden, vorzubereiten bzw. planerisch zu durchdenken. Wir haben da auch Ideen entwickelt. Es bedarf jetzt natürlich immer noch der Feinabstimmung mit den entsprechenden Fachbehörden wie den Staatlichen Ämtern für Landwirtschaft und Umwelt, ganz klar. Aber wir sind an diesem Thema dran und möchten ganz gern, dass wir auch wirklich eingriffsbezogen in der Ostsee ausgleichen."