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Albtraum als Kopfkino

David Lynch ist ein Filmemacher, der mit seinen rätselhaft-wundersamen Filmen polarisiert. Sein neuer Film "Inland Empire" ist ein so genannter Patchwork-Film, bei dem Lynch seine Schauspieler immer nur einzelne Szenen spielen ließ. Der Zusammenhang und der Plot des Films blieb ihnen dabei jedoch unbekannt. "Inland Empire" ist also ein Film über das Filme-Drehen.

Von Josef Schnelle |
    Die Welt des Kinos gehört gemeinhin den Geschichtenerzählern: Exposition - Konflikt - Krise - Lösung - vielleicht sogar ein Happy End. Dann wieder raus aus dem Kino, bevor der Kopf platzt. Doch das Kino ist ein viel zu reiches Medium, um es nur den Geschichtenerzählern zu überlassen. Denn Kino ist Traum. Es kann unlogisch und verwirrend sein. Ein Erlebnis nach dem man die wirkliche Lebenswelt nur mit zögernden Schritten wieder betritt.

    So fremd ist sie geworden durch einen Film zum Beispiel von David Lynch. Seinem letzten Film "Mulholland Drive" konnte nur folgen, wer sich den überraschenden Windungen der Prominentenstraße in den Hollywoodhills und Lynchs Konstruktion aus Parallel- und Alternativgeschichten mit wachem Hirn und Lust an Bilder- und Gedankenungetümen hingeben konnte. Das Dechiffriersyndikat ist noch heute nicht endgültig fündig geworden bei der Entschlüsselung des filmischen Pendants zu James Joyce "Ulysses".

    Jetzt legt David Lynch - bleiben wir beim Vergleich - sein noch unzugänglicheres Werk , also sein "Finnegans Wake" vor. Am besten ist es bei "Inland Empire" , gleich loszulassen, Rätsel rätselhaft zu erleben und in einen Filmtraum einzutauchen - sich zu öffnen für Lynchs wilde assoziationsreiche nichtlineare Erzählweise.

    Jeder Albtraum beginnt mit einer einfachen Geschichte. Zwei Schauspieler proben eine Szene. Irgendwann ruft jemand "Schnitt" und schon sind wir in einer anderen Welt. Ein Film im Film wird gedreht. Ein psychologischer Thriller mit einer Liebesgeschichte. Doch bald kommen Zweifel auf daran was wahr und was ein bisschen wirklicher ist in diesem Kinotraum. Hasenköpfige Menschen bewegen sich durch ein Sitcom-Wohnzimmer. Völlig willkürlich schaltet sich ein Lachband ein. Wer jetzt schon anfängt nach dem verborgenen Sinn zu suchen, ist bald verloren. Auch Laura Dern als Hauptfigur Nikki weiß bald nicht mehr ob sie sich noch in der Filmrealität oder auf irgend einer anderen Traumebene befindet.

    Zeiten, Orte und Identitäten geraten immer mehr aus den Fugen. Und doch wirkt alles perfekt verfugt zu einer Geschichte. Traumlogik eben - nicht Freud eher Lacan lässt grüßen. Die Szenen des Films im Film wirken bald wie Blicke in die Zukunft der Figuren des Films, den wir gerade sehen oder in die Vergangenheit oder in unsere Herzen.

    David Lynchs Generalthema ist die Angst. Liebe ist ein unkalkulierbares Wagnis. Die Suche nach Glück ein schlechter Scherz. Und das Leben ein wilder Traum. "Inland Empire" sollte ursprünglich der Pilotfilm einer Fernsehserie werden. Doch die Zeiten von "Twin Peaks" - der Fernsehserie mit der David Lynch die Glotzkiste zu einer mysteriösen Wunderwelt machen wollte - sind längst vorbei. Geheimnisse müssen aufgelöst werden. Am besten sofort. "Inland Empire" wurde mit der Hilfe der französischen Produktionsfirma "Studio Canal" doch gedreht, fand aber in Amerika kaum Zuschauer. David Lynch hat seinen Film durch die Provinz begleitet wie ein Baby und sorgt sich um die Zukunft des Arthouse-Kinos:

    "Wer Kino nur noch als Geldmaschine definiert, schlägt die Tür für Innovationen zu. Ich bin sicher, irgendwann taucht etwas Unerwartetes auf und die Leute fahren darauf ab. Hollywood bleibt dann nur, auf den fahrenden Zug aufzuspringen."

    Nicht nur für diese Weisheit muss man David Lynch bewundern. Film ist eine viel zu reiches Medium, um auf ihn verzichten zu können.

    Später einmal wird man vielleicht sagen, dass "Inland Empire" eine neue Ära der Filmerzählung eingeleitet habe. Nach dem Kino ist vor dem Kino - vor dem im Kopf und da hat Lynch, der als Maler und Komponist angefangen hat, mehr zu bieten als alle Virtuosen des Formelkinos. Das Kino als Irrgarten.