Samstag, 11. Mai 2024


Algerien: Das Geschäft der Schlepper

Unterwegs mit Georges und Romeo zum Oued. Der Oued Tamanrasset ist ein ausgetrockneter Flusslauf. Einmal im Jahr führt er Wasser, die restliche Zeit durchschneidet er als breites, staubiges Band die Garnisonsstadt Tamanrasset. Sie liegt 400 Kilometer nördlich von Mali und Niger. Wer hier ankommt, hat die Sahara hinter sich und den gefährlichsten Teil der Reise in den Norden überstanden.

Von Rüdiger Maack | 26.04.2006
    Beide sind aus Kamerun und wollen weiter nach Europa. Auch für sie war die Sahara die bisher schwierigste Etappe - besonders die Fahrt von Arlit, der letzten schwarzafrikanischen Stadt im Niger, bis hierher nach Tamanrasset, der ersten arabischen Stadt in Algerien.

    " In Arlit gibt es viele Geländewagen für die Fahrt nach Tamanrasset. Mir wurde gesagt, ich solle besonders auf die Landcruiser achten. Wenn Du einen Fahrer gefunden hast, musst Du nur noch den Preis mit ihm aushandeln und dann kann es losgehen. "

    Normalerweise ist die Fahrt nach Tamanrasset an einem Tag zu machen. Aber Georges und Romeo brauchten zwei dafür - mitten in der Wüste hatte der Pick-Up eine Panne.

    " Mit den Fahrgästen ist das nicht mehr so wie früher. Früher sind es viel mehr gewesen. In einer Woche sind manchmal sechs Autos gefahren. Jetzt ist es gerade mal eines. Die Leute wissen, dass sie jetzt aus Algerien abgeschoben werden. Selbst aus dem Niger werden die Leute jetzt rausgeschmissen. Das spricht sich schnell herum, und deshalb kommen nicht mehr so viele wie früher. "

    Mohamed Al Khazoum ist ein großer, imposanter Mann im blauen Gewand der Tuareg.
    Schlepper wie er organisieren den Transport der Illegalen. Sie bestechen Polizisten und besorgen auch schon mal die Einreisestempel. Sie sind fast alle Tuareg. Die Angehörigen dieses Wüstenvolkes kennen alle Routen durch die Sahara und verlieren niemals die Orientierung. Er sagt, er habe sich vor einem Jahr weitgehend aus dem Geschäft mit den illegalen Schwarzafrikanern zurückgezogen. Zu gefährlich: Mohamed wurde verhaftet, sein Auto beschlagnahmt. Jetzt fährt er nicht mehr selbst, sondern organisiert die Fahrten nur noch. Das bringt ihm aber immer noch 1000 Franc für jeden Passagier ein.

    " Die Fahrt kostet 15.000 Francs, das sind 20 Euro. Es gibt aber Leute, die wollen nur 10,000 bezahlen. Manche Fahrer machen das auch. Aber oft haben sie ihren Wagen nicht richtig angemeldet, oder sie haben aus irgendwelchen Gründen Angst vor der Polizei. Und dann setzen sie ihre Passagiere ganz plötzlich irgendwo ab und verschwinden. Die Leute stehen dann da und kennen sich nicht aus. Natürlich sterben die dann! "

    Früher gab es genug Arbeit in Tamanrasset. Damit konnten sie die nächste Etappe auf dem Weg in den Norden finanzieren. Heute gibt es zwar immer noch Arbeit, aber die Sitten sind rauer geworden.

    " Wenn uns jemand einen Job gibt, dann lässt er uns einen ganzen Monat arbeiten. Und am Ende ruft er die Polizei, damit wir abgeschoben werden und er sich das Geld spart. Dann sitzen wir in der Wüste und haben gar nichts mehr. Jedes Mal, wenn ich hierher nach Tamanrasset gekommen bin, habe ich mir Arbeit gesucht, und kein einziges Mal bin ich dafür bezahlt worden. Jetzt lasse ich das bleiben. "

    Das ist das Schlimmste, sagt Romeo: Die Abschiebungen. Bis Ende letzten Jahres haben die algerischen Behörden die illegalen Reisenden mehr oder weniger in Ruhe gelassen. Doch seit der europäische Druck auf die nordafrikanischen Regierungen wächst, greifen auch die algerischen Behörden immer härter durch. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Armeelastwagen mit Illegalen in die Wüste fährt und sie dort absetzt .

    Meistens nach Tin Zaouatine, einem Ort im Niemandsland Die Hitze und der Staub dort sind unerträglich, für viele gibt es kein Zurück mehr. Die Kameruner nennen Tin Zaouatine das Haus des Teufels. Auch Georges war schon einmal dort. Zum Glück hatte er ein Handy dabei und konnte es bei einem Schlepper für die Rückfahrt nach Tamanrasset eintauschen.

    " Viele sind dort schon gestorben. Andere haben kein Geld mehr und können nicht mehr weg. Es gibt Leute, die sind schon seit drei Jahren dort, andere haben den Verstand verloren. Wenn Du zuviel nachdenkst, kann das passieren. Die Leute haben Hunger, denn es gibt keine Arbeit. "

    Ganze Gräberfelder soll es im Sand von Tin Zaouatine geben. Die Illegalen werden nicht direkt in die Stadt gebracht, die schon in Mali liegt, sondern 10 Kilometer davor abgesetzt, mitten in der Wüste. Den Rest müssen sie zu Fuß gehen. Das letzte Mal sei einer einfach verdurstet, erzählt Romeo.

    " Er wurde erst immer stiller, und dann sagte er immer wieder "Ich habe Durst". Aber es gibt nichts zu trinken. "Ich habe Hunger", aber es gibt nichts zu essen. Irgendwann konnte er nicht mehr laufen und dann hat er aufgegeben. Wir haben ihn zuerst getragen und als er tot war, haben wir ihn beerdigt. "

    Romeo hat Tin Zaouatine überlebt. Er hat es zurück nach Tamanrasset geschafft. Seinen Plan, nach Europa zu gehen, hat er erst einmal begraben. Immer die Ungewissheit, wie es weitergeht. Und die Abhängigkeit von den Schleppern.

    Nicht nur sie verdienen an den Illegalen - und nicht nur die Bauunternehmer, die den Lohn für sich behalten. Sondern auch die korrupten Beamten, die sich für irgendwelche Papiere teuer bezahlen lassen. Oder Polizisten, die die Hand aufhalten. Oder Fahrer, die auch beim dritten Versuch noch abkassieren.

    Das Haus, in dem Georges untergekommen ist, liegt in einem Armenviertel. Georges nimmt nie denselben Weg, sondern jedes Mal einen anderen. Als er durch die dunklen Gassen läuft, achtet er darauf, von keinem Polizisten gesehen zu werden. Die Straßen sind staubig. Die meisten Häuser sind Rohbauten und nur mit Lehm verputzt. Benzinkanister liegen im Weg, Steinhaufen an der Seite.

    Hinter einer Stahltür ein winziger Innenhof, von dem es in dunkle Zimmer geht. Keine Tische, Stühle, Betten oder Matratzen. Lediglich ein paar Decken auf dem Zementfußboden. Kleine Fenster, durch die kaum Tageslicht dringt. Hier leben Georges und ein halbes Dutzend Landsleute, darunter zwei Frauen.

    Auf einer Matratze liegt Ernestine. Im Mai letzten Jahres ist sie in Kamerun losgelaufen, bis nach Algier hat sie es geschafft. Dann wurde sie abgeschoben - in den Süden Algeriens. In Europa will sie Fußball spielen und es bis zum Profi bringen.

    " In Douala habe ich in einem kleinen Club gespielt. Wir hatten keine Möglichkeit, große Reisen zu unternehmen, um gegen andere Mannschaften zu spielen. Deswegen habe ich da aufgehört. Meine Eltern sind natürlich nicht glücklich darüber, dass ich gegangen bin. Aber ich habe das so gewollt und ich weiß, ich werde ankommen. Mit Gottes Hilfe... "

    Georges steht auf und gibt mir zum Abschied die Hand. Er lacht mich an und sagt: "Du wirst schon sehen - zur Fußball-WM bin ich in Deutschland. Dann ruf ich Dich an."