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Alles andere als ein rasender Reporter

Egon Erwin Kisch war Schriftsteller deutscher Sprache und stolz, nicht Deutscher oder Österreicher, sondern Tscheche zu sein. Er war linientreuer Kommunist und kritischer Querdenker, er war Jude ohne die Religion zu praktizieren. Heute gilt er als einer der bedeutendsten Journalisten des 20. Jahrhunderts. Selber sah sich Kisch jedoch als Dichter. Heute vor 125 Jahren wurde er geboren.

Von Helge Buttkereit | 29.04.2010
    "Wir erteilen das Wort unserem Freund, dem rasenden Reporter, Genossen Egon Erwin Kisch."

    "Genossen und Genossinnen, wir stehen auf dem Roten Platz in Moskau. Und wenn man sonst die Paraden und die Jubelfeiern im Mai und im November gesehen, die fast immer im Sonnenglanz erstrahlen ... "

    Dieses einzige überlieferte Tondokument von Egon Erwin Kisch zeigt den "rasenden Reporter" in seiner Paraderolle als genauen und aufmerksamen Beobachter seiner Umwelt. In Moskau war das KPD-Mitglied als Verehrer der Sowjetunion, deren Errungenschaften er zeitlebens rühmte. Dabei verschloss der Journalist allerdings die Augen vor den Säuberungen des Stalinismus. Ein Versäumnis, das ihm bis heute nachhängt.

    Kisch wurde am 29. April 1885 in Prag geboren, wo er sich als Lokalreporter einen Namen machte.

    Er veröffentlichte Reportagen aus der Unterwelt und deckte politische Skandale auf. Im Ersten Weltkrieg diente er zunächst an der Front. Selbst schwer verwundet, prägte ihn das Erlebnis des massenhaften sinnlosen Tötens. Fortan schrieb er gegen den Krieg und für die Revolution. In einer Verteidigung des Aufbaus von Soldatenräten in Wien erläuterte er 1919, dass es ...

    " ... niemals einen furchtbareren Kriegsgegner, niemals einen entschiedeneren Feind des Militarismus geben kann, als den Soldaten, der den Weltkrieg mitgemacht hat, dass keiner einen zukünftigen Krieg so sicher und energisch zu vereiteln wissen wird als jene, die als Opfer des Kapitalismus für fremde Interessen als Schlachtvieh hinausgejagt worden sind."

    Nach dem Scheitern der Revolution ging Kisch 1921 nach Berlin. 1925 erschien das Buch "Der rasende Reporter", das ihm fortan seinen eigentlich unpassenden Beinamen geben sollte. Denn Kisch war akribisch und genau, er bedachte jeden Satz mehrfach, bevor er ihn zu Papier brachte. Kisch machte die Reportage zu Literatur, zu einer Kunstform der Neuen Sachlichkeit. Sein Interesse galt dabei den einfachen Menschen, den Arbeitern und Tagelöhnern. Er mischte sich in Böhmen drei Wochen unter die Hopfenpflücker oder beschrieb die Arbeitsbedingungen in einem Bochumer Stahlwerk. Für den Leipziger Journalistik-Professor Michael Haller zeigt sich Kischs emanzipatorischer Standpunkt in der Position, aus der er seine Umwelt betrachtete.

    Michael Haller: "Also er hat im Fokus der Beobachtung tatsächlich diejenigen, die die Schwächeren sind und nicht diejenigen, die die stärkeren sind. Aber wie er es dann macht, ist es sehr wohl aus der Perspektive des genauen Beobachters. Er bleibt der unbeteiligte Beobachter. Er hat sich immer abgegrenzt von dem agitatorischen Journalismus."

    Kisch war da, wo etwas passierte. Er reiste durch die Sowjetunion, nach Australien, China, in die Vereinigten Staaten und berichtete über den spanischen Bürgerkrieg. Von dort klagte er in einer seiner Frontreportagen die Staaten an, die dem Treiben der Faschisten unter General Franco tatenlos zusahen.

    "Wir liegen da, wir tun das gleiche, was die Lenker der demokratischen Staaten tun, wir stecken den Kopf in den Sand. Wir haben keine Waffen gegen das Geschwader, wir haben kein Mittel, die Bombe aufzuhalten, die herniedersaust. Aber jene Staatsmänner haben Mittel und Waffen. Hoch springen Feuer und Rauch empor wie ein Schrei. Mögen die menschlichen Menschen ihn hören, diesen Schrei gegen die Barbarei: Fortschrittliche Menschheit werde zu einer Internationalen Brigade für Freiheit und Recht."

    Kisch verbrachte den Zweiten Weltkrieg in Mexiko. Seine politische Haltung, aber auch seine jüdischen Wurzeln machten ihn zum entschiedenen Gegner Hitlers. Nach Kriegsende kehrte er nach Prag zurück, wo er 1948 starb. In der Folge war er für die DDR-Journalisten ein Vorbild als Kommunist, im Westen berief man sich seit den 1970er-Jahren vor allem auf seine Arbeit als aufdeckenden, beschreibenden Reporter. Michael Haller:

    "Die Bedeutung von Kisch sehe ich vor allem darin, dass er so etwas wie einen Mittelsmann, eine Art Brückenschlag gemacht hat zwischen der Literatur und dem Recherchier-Journalismus."

    Davon zeugen seine zahlreichen Reportage-Bücher, die anders als die meisten journalistischen Tagesschriften die Zeiten überdauert haben und heute noch neue Auflagen erleben.