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"Allmende"
Über das Konzept der Literaturzeitschrift

Hansgeorg Schmidt-Bergmann und Matthias Walz im Gespräch mit Sandra Hoffmann |
    Sandra Hoffmann: Herr Schmidt-Bergmann, ist es richtig, wenn ich sage: Wir sprechen jetzt über Ihre Literaturzeitschrift "Allmende"?
    Hansgeorg Schmidt-Bergmann: Naja, meine als Person natürlich nicht, aber die Literarische Gesellschaft gibt seit zehn Jahren die Allmende heraus, die ist über 30 Jahre alt, war in einer großen Krise. Und wir haben uns damals überlegt, als Gesellschaft, dass es schade ist, wenn so eine traditionsreiche Zeitschrift nicht mehr am Markt ist. Und wir haben versucht, es zu retten. Und wir haben die "Allmende" auf einen ganz guten Weg gebracht, von daher ist sie jetzt in Karlsruhe angesiedelt und wir hier von der Literarischen Gesellschaft, ich mit meinem Mitarbeiter Matthias Walz, versuchen eine Mischung zu machen, dass diese Zeitschrift auch auf Dauer im digitalen Zeitalter eine Chance hat.
    Hoffmann: Herr Walz, Sie arbeiten mit in der Redaktion. Und Sie sind ja von der Generation eine ganz andere und es gibt ja einige Literaturzeitschriften wie die "Bella Triste" und die "Edit", die viel später gegründet wurden, als die "Allmende". Wie hebt man sich als Literaturzeitschrift von anderen, jungen und wichtigen Neugründungen ab, ohne sein Gesicht zu verlieren? Oder wie lehnt man sich an?
    Matthias Walz: Ja, die genannten Literaturzeitschriften machen eine herausragende Arbeit aus meiner Sicht, genauso wie wir. Es geht uns also nicht darum, uns von diesen Zeitschriften in irgendeiner Form zu sehr zu distanzieren, sondern wir versuchen jedes Mal, eine gute Ausgabe zu machen, dadurch, dass wir gute literarische Texte präsentieren. Das ist das A und O. Wir bekommen viele Einsendungen von Autorinnen, von Autoren. Und wir müssen dann entscheiden, was passt in die Ausgabe. Wir haben Themenhefte, das ist manchmal ein Kriterium. Wir haben Schwerpunkte geografischer Art, das kann ein Kriterium sein. Aber über allem steht immer die literarische Qualität. Und was uns ganz wichtig ist, weil Sie das angesprochen haben, nicht nur die angesprochenen Zeitschriften versuchen, junge Literatur zu präsentieren, sondern wir ja auch. Also, wir versuchen mit der "Allmende" schon eine Plattform zu sein für junge Stimmen, denken Sie an Björn Kern, der bei uns schon ein paar Mal veröffentlicht hat, denken Sie an Verena Rossbacher, die in der letzten Ausgabe drin war ...
    Hoffmann: Das wollte ich gerade fragen: Autoren wie Björn Kern oder Verena Rossbacher schreiben ja relativ regelmäßig für Sie: Fragen Sie die an oder fragen die an?
    Walz: Beides ist der Fall. Die beiden Angesprochenen sind tatsächlich auch Freunde des Hauses, Sie wissen, die "Allmende" ist eines von vielen Projekten, das die Literarische Gesellschaft hat. Wir sind hier ein gemeinnütziger Verein in Karlsruhe, die Trägerin des Literaturmuseums und des Literaturhauses sind. Und als Literaturhaus und als Veranstalter haben wir natürlich einen bestimmten Pool an Autorinnen und Autoren, mit denen wir auch befreundet sind. Und Björn Kern und Verena Rossbacher gehören dazu. Verena Rossbacher war erst neulich bei uns, und hat aus ihrem aktuellen Roman,"Schätze und Schlachten" gelesen. Aber es ist auch schon so, dass Autoren auf uns zu kommen, junge Autoren. Und da ergeben sich die Kontakte. Und wenn man jetzt in der Ausgabe, die Ende Juli, Anfang August erscheinen wird, sieht, dass eine Katharina Hartwell einen fantastischen Text zur Verfügung gestellt hat, da kann das Redakteursherz nur hüpfen vor Freude!
    Hoffmann: Die Ausgabe ist eine über Männlichkeit?
    Walz: Es geht um die Krise der Männlichkeit, das wird ja in der Öffentlichkeit gerade wieder stark debattiert: Gibt es diese Krise? Böse Zungen oder vielmehr deren Besitzer würden behaupten, es sind Männerfantasien, es sind Resouveränisierungsmaßnahmen vielleicht von Männern: Glaube ich nicht! Ich glaube schon, dass man sachlich nachweisen kann, dass die Thematik auch in der Literatur eine immer stärkere Rolle spielt. Und vor allem ist der Mann heute, so glauben wir, in einer gewissen Zwickmühle. Auf der einen Seite ist es ja so, dass es dieses Karrieredenken immer noch gibt, auf der anderen Seite soll er auch den Hausmann spielen. Und das sind Schwierigkeiten, die er versucht, unter einen Hut zu bekommen. Und das wird thematisiert, indem wir da einfach ein paar Themen angefragt haben, die Autoren gefragt haben: Gibt es männliches Schreiben, wie sieht die Männlichkeit aus der Sicht der Frau aus, wie würde man selbst als Mann sie heute diskutieren? Da gibt es fantastische Texte von Rebecca Kricheldorf, die etwas über den urbanen Hipster-Bart geschrieben hat. Oder auch ein schönes Interview mit Barbara Vinken, die über Mode und Männlichkeit sich auslässt. Können Sie gespannt sein, das wird ein sehr vielversprechendes Heft werden!
    Hoffmann: Klingt gut! Liest man heutzutage überhaupt noch Literaturzeitschriften? Oder deckt nicht das Netz die kleine Textform eigentlich schon vollkommen ab?
    Walz: Ist ganz interessant, dass Sie das ansprechen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass junge Autoren und Autorinnen gedruckt werden wollen, das Netz kann kein Ausgleich sein. Jeder möchte natürlich in irgendeiner Form in einer Publikation veröffentlicht sein, der schreibt, auch etwas Haptisches in der Hand haben. Professor Schmidt-Bergmann hat das auch schon ein paar Mal gesagt: Die E-Books werden kommen. Uns ist es egal, ob literarische Texte auf einer Tontafel, in einem E-Book oder in einer Publikation erscheinen werden. Aber das Problem, im Netz zu veröffentlichen, ist ja, dass man die Texte im Grunde genommen oft selbst online stellen kann. Und ich glaube, es ist schon eine Wertschätzung der literarischen Art, wenn da eine Redaktion da ist, die sagt: Der Text gefällt uns, den wollen wir rein nehmen. Es ist ja eine Auswahl, die einfach eine Anerkennung des Schreibens ist.
    Hoffmann: Herr Schmidt-Bergmann, auffällig an den letzten beiden Ausgaben der "Allmende" fand ich, dass Sie den Texten immer noch Interviews mit den Autoren hinzugefügt haben. Eigentlich ganz im Widerspruch zu der auch unter Autoren ganz beliebten These von Roland Barthes: Der Autor ist tot, was soviel heißt, wie: Alleine der Text zählt! Warum?
    Schmidt-Bergmann: Ja, um den Schreibprozess plastisch zu machen. Das war gerade bei der Nummer, wo wir mal in die Werkstatt geschaut haben. Und da ist uns die Idee gekommen, anzufragen, und ein paar Fragen zu formulieren: Was ist das Schreiben, wie schreibt man heute, wie sind Schreibhaltungen? Weil der Tod des Autors als These, das ist ja auf einer theoretischen Ebene schon etwas, was man diskutieren kann, aber gerade bei der jungen Literatur ist es ja ganz interessant: Wo sind die Vorbilder, wo sind Traditionen, an welchen Autorinnen und Autoren kann man sich orientieren? Und die meisten sind auskunftswillig, das hat mich eigentlich auch gewundert. Es sind immer auch ein paar dabei, auch von den jüngeren Autoren, die sagen: Der Text zählt alleine, wir müssen jetzt nicht unbedingt etwas preisgeben biografischer Art. Die meisten sind aber schnell bereit, das sieht man ja auch an den Fotos, die wir gekriegt haben, von den Arbeitsplätzen. Das war mir eigentlich ganz wichtig, als ein, zwei Autoren gesagt haben: Ja, machen wir gerne, ein Foto. Und dann kriegt das eine ganz eigene Ikonografie: Die Schreibplätze sehen eigentlich relativ gleich aus, einige sind aufgeräumt, einige weniger, aber auf allen steht ein Laptop. Und dieser Laptop ist dann auch ganz zentral so postiert. Und diese Fotos kommen ja von den Autoren selber, also das ist eine Botschaft schon auch wieder. Das Interview, ein Foto dazu und der Text: Das sind schon Botschaften. Mich interessiert eigentlich der Umbruch heute im Schreiben. Und gerade bei den jüngeren Autoren, wenn man auch gesagt kriegt, es wird nicht mehr soviel gelesen, oder man kriegt die Leser nicht mehr, die Leserschaft bei den jüngeren Lesern: Ich halt das, sagen wir mal, für nicht ganz so plausibel. Es wird sehr viel geschrieben, das sehen wir auch an unseren Einsendungen. Und die meisten wissen auch, was sie machen. Und die gehen ja auch ein Risiko ein. Viele von den Autorinnen und Autoren, die wir publizieren, versuchen den Weg eines freien Autors zu gehen. Nicht der Autor ist tot, sondern der Autor möchte frei sein. Und möchte sozusagen in diesen Traditionen des Schreibens sich bewegen.
    Hoffmann: Bekommen die Autoren denn ein Honorar fürs Schreiben für eine Literaturzeitschrift?
    Schmidt-Bergmann: Das ist bei uns ein ganz großes Problem. Und wir versuchen das gerade so zu machen, dass wir ein anderes Finanzierungsmodell planen. Und bis jetzt konnten wir in der Regel keine Honorare bezahlen. Das mache ich mit großen Bauchschmerzen, weil ich ja weiß, dass gerade die jüngeren Autoren diese Honorare auch brauchen. Und wenn das eine Anerkennung ist, die sich wirklich in kleinerem Rahmen bewegt, daran sind wir am Arbeiten. Und wir hoffen, dass wir in ein- bis eineinhalb Jahren auch ein kleineres Honorar bezahlen können, weil ich immer dafür plädiere, dass auch wir, als Kulturvermittler oder auch die Schreibenden, die sollen sich nicht unter Wert verkaufen, das heißt, sie wissen von der Leistung her, dass sie nicht mithalten können mit Honoraren und Stundensätzen von Anwälten oder Ärzten. Aber sie sollen auch ihre Honorare haben, weil das ist ja auch ein gesellschaftliches Projekt, was wir da mittragen, nämlich das Schreiben weiterhin als Möglichkeit zu bewahren.
    Hoffmann: Matthias Walz, sie haben vorhin schon mal die Titel genannt, von der nächsten Zeitschrift, nämlich "Die Krise der Männlichkeit", die letzten waren: "Die jungen Wilden", oder "Literarische Landschaften, Berlin". Wie sehr muss eine Literaturzeitschrift auch immer ein kulturpolitisches Konzept verfolgen?
    Walz: Generell glaube ich, dass Literatur durchaus politisch sein darf. Und eine Zeitschrift wie unsere hat schon den Anspruch, auch ein Spiegel der Gesellschaft zu sein, die Texte, die Themen, die darin aufgegriffen werden, bilden ja die Gesellschaft ab, insofern ist die "Allmende" kulturpolitisch. Die Themen, die wir finden, sind ganz unterschiedlicher Art, manchmal stoßen wir einfach drauf, weil es aktuell besprochen wird.
    Hoffmann: Die Themen kommen von Ihnen? Sie haben also nicht Autoren im Blick, von denen Sie denken, mit denen möchten wir was machen, und schneiden es auf die zu, sondern sie stellen ein Thema und sprechen dann Autoren an, oder nehmen dazu, was passt?
    Walz: Letzteres ist der Fall. Wir überlegen uns ein Thema, was könnte gerade von Interesse sein, wir lesen ja auch Zeitung. Und wir finden Themen in den Medien, finden Themen auch bei den Lesungen. Und dann merken wir: Ok, das scheint die Autoren in irgendeiner Form zu bewegen. Und dann überlegen wir uns, könnten wir da nicht unterschiedliche Autoren in einem Heft zusammenfassen und dabei vielleicht auch unterschiedliche Positionen abbilden. So hat das ganz gut funktioniert jetzt bei der kommenden Ausgabe, aber auch bei den vorigen Ausgaben. Denken Sie an die Ausgabe über junge Gegenwartsliteratur, wo wir einfach mal versucht haben, das poetologische Schreiben unter unterschiedlichen Aspekten zu sammeln, also die Form und Funktion des Schreibens. Dass man da einfach versucht, unterschiedliche Stimmen auch zu haben.
    Hoffmann: Herr Schmidt-Bergmann, wir sprechen jetzt ja miteinander für den Deutschlandfunk. Und es werden also sicher viele Zuhörer neugierig auf Ihre Zeitschrift werden: Warum müssen diese die "Allmende" ab sofort abonnieren?
    Schmidt-Bergmann: Sie müssen natürlich nicht abonnieren, aber es wäre schön, wenn sie sie abonnieren würden. Und wer Lust hat auf Information und auch auf gute Texte gerade der jüngeren und mittleren Generation wird also in der "Allmende" immer fündig werden. Das Interesse ist wahnsinnig groß, auch die Resonanz, die wir haben. Und auch die Publizität hat sich in den letzten Jahren gesteigert!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.