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"Alt zu werden ist nur beschissen"

Hans Werner Kettenbach ist ein Meister der Demontage des klassischen Kriminalromans. Heute, mit über 80, blickt er auf 14 Romane, eine Reihe von Drehbüchern, aber auch unzählige Zeitungsartikel im "Kölner Stadtanzeiger" zurück. "Tante Joice" versammelt "Geschichten und anderes".

Von Katja Lückert |
    Rund 130 Prozent aller Journalisten sind verhinderte Schriftsteller. Sie träumen davon, ihrer Fantasie freien Lauf lassen zu dürfen, statt Nachrichten formulieren zu müssen. Und sie träumen von der Anerkennung als Buchautor. Hans-Werner Kettenbach hat den Sprung von der Redaktionsstube in die Dichterklause vor langer Zeit geschafft, er hat eine ganze Reihe von Romanen verfasst und schiebt jetzt, mit über 80 Jahren, ein Buch nach, das ein bisschen nach literarischer Resteverwertung aussieht.
    Es handelt sich um eine Sammlung von Skizzen und Artikeln, die auch sein eigenes Leben beleuchten und gewissermaßen einen Blick in die Werkstatt des altgedienten Texteschmieds gewähren. Da dürfen natürlich ein paar saftige Geschichten über Frauen - meist junge - und Männer - meist geifernde alte Säcke - nicht fehlen. Hans Werner Kettenbach kennt die Klischees des Erzählens und erfüllt sie zuweilen auch augenzwinkernd: Ein in die Jahre gekommener Playboy, kann eines Tages auf dem Parkplatz vor seinem Tennisklub nicht mehr aus seinem Porsche Carrera aussteigen. Der Grund: ein Hexenschuss.
    Während der Arzt den Rücken abtastete, fragte er: "Wie ist das passiert?" Er antwortete, er habe beim Einsteigen seine Tasche auf den Beifahrersitz stellen wollen und dabei – Heinemann fiel ihm ins Wort: Ja, ja solche Kunststücke solltest du besser lassen." "Kunststücke?" "Ja, sicher. Der Schlitten, den du fährst, liegt für Leute in unserem Alter schon ein bisschen tief, verstehst du? Und wenn du dann auch noch beim Einsteigen mit einem Arm die schwere Tasche hebst und dich damit zur Seite drehst, dann passiert halt so was. Das geht nicht mehr so wie bei einem Zwanzigjährigen.
    Hans Werner Kettenbach hatte, weil seine Wohnung aus allen Nähten zu platzen drohte, einen guten Teil seines Werks dem Kölner Stadtarchiv gewissermaßen als Vorlass anvertraut. Einige der Texte, die er in seinen neuen Sammelband unter dem Titel: "Tante Joice und die Lust am Leben" aufnehmen wollte, waren nach dem Einsturz des Archivs im letzten Frühjahr nicht mehr vorhanden, erzählt er:
    "Ich merke es jetzt zum Teil bitter, weil ich mich an manches erinnere, was ich nicht mehr habe. Das war also nur im Manuskript vorhanden, bevor es Computer gab und das habe ich also mit weggegeben, komme ich nicht mehr dran. Ich glaube nicht, dass der Welt unwiederbringliche Schätze verloren gegangen sind, aber es ist ja sowieso nicht zu ändern."
    Es handelte sich dennoch um ziemlich viel Papier, weil Kettenbach vor 30 Jahren auch noch das Romanschreiben angefangen hat. Damals arbeitete er als Bonner Korrespondent bei der Tageszeitung "Kölner Stadtanzeiger". Er begleitete die politische Entwicklung der damals noch jungen Bundesrepublik, er erlebte den "Deutschen Herbst", den Bau und den Fall der Mauer und auch über all diese Ereignisse finden sich verschiedene Texte in diesem Band. Auch heute noch schreibt Kettenbach fast täglich, er scheint kein bisschen müde, schaut verschmitzt drein und erinnert sich mit durchaus gemischten Gefühlen an seine Jugend:
    "Ich bin ja während der Nazizeit noch zur Schule gegangen und habe das also im Wesentlichen geglaubt, was die erzählt haben, vom Vaterland, deutscher Größe, Lebensraum, das habe ich alles für bare Münze genommen und das ist dann gründlich infrage gestellt worden; und danach hat Deutschland für mich auch noch eine Zeit lang eine Bedeutung gehabt, als Inbegriff des demokratischen Staates, den wir ja mitschaffen wollten. Ich war ein begeisterter Demokrat, nachdem ich vorher ein kleiner Nazi gewesen bin."
    Miszellen, das deutsche Äquivalent des englischen Wortes "miscellaneous", also eine Sammlung unterschiedlicher, vermischter Texte, so habe er den Band zuerst nennen wollen, aber seine Lektorin habe ihm von diesem missverständlichen Titel abgeraten, schreibt Kettenbach. Dabei wechseln sich hier doch recht unvermittelt Zeitungsartikel mit Kurzgeschichten, Briefe mit Festschriften ab. Zum 50. Dienstjubiläum des Verlegers Alfred Neven Dumont etwa wurde Kettenbach beauftragt, eine Festschrift zu verfassen. Die Fußnote ist daran eigentlich fast das Interessanteste. Kettenbach hatte die Festschrift nämlich zurückgezogen, weil sie den Redakteuren, die sie in Auftrag gegeben hatten, nicht gefallen hatte und er auf ihre zahlreichen Änderungswünsche nicht eingegangen war. Und tatsächlich ist der Text keine Lobhudelei auf Dumont, sondern enthält ein paar recht kritische Bemerkung über den herrisch-bärbeißigen Führungsstil des Patriarchen.
    Überhaupt nehmen die abgewiesenen Texte und zänkischen Briefwechsel mit Fernsehredakteuren einen nicht unwesentlichen Platz in diesem 400-seitigen Textsammelsurium ein. Denn sie zeigen, worauf Kettenbach wohl auch ein wenig stolz ist, nämlich neben einem recht passablen Schriftsteller auch noch ein ausgewiesener Sturkopf zu sein. Eben fast so einer, wie die anderen Protagonisten, mit denen er es mit Laufe seines Lebens zu tun hatte, und über die er immer wieder schreibt. Der inzwischen verstorbene Volksschauspieler Willy Millowitsch etwa, der viele Jahre lang die Hauptfigur für seinen Serienkommissar Klefisch abgab, habe nie das schöne Kölsch gesprochen, das er sich als Drehbuchautor gewünscht hatte.
    "Tante Joice und die Lust am Leben" zeigt die Vielfältigkeit der Textsorten und Schreibstile, die Kettenbach beherrscht. Er schreibt Essays über das Bindestrichland Nordrhein-Westfalen, über die Brücken Kölns und die Hasen auf den Wiesen des Kölner Stadtteils Poll, wo er seit 1989 lebt. In seiner Jugend sei er jedoch überzeugt gewesen, dass ein echter Schriftsteller eine angemessene Umgebung brauche – wie etwa Paris:
    Aber ich war zu feige, den großen Schritt zu tun. Ich ging von Hamburg nicht nach Paris, sondern nach Köln, studierte weiter und schrieb weiter, obwohl niemand das veröffentlichen wollte, was ich schrieb. Wie ich mir den Misserfolg zu erklären versuchte, weiß ich im Einzelnen nicht mehr. Es bot sich jedenfalls an, Köln dafür verantwortlich zu machen, die biedere, gewöhnliche Stadt, die den Schriftsteller nicht zu inspirieren vermochte, und natürlich auch mich selbst schuldig zu sprechen, der ich den Mut nicht aufgebracht hatte, diese bis zum Überdruss vertraute, taube Welt hinter mir zu lassen.
    Nach den erfolglosen schriftstellerischen Versuchen seiner Jugend - ein frühes Drama im Stabreim habe er seinem Leser tatsächlich nicht auch noch zumuten wollen –, schreibt er im Vorwort, dauerte es noch viele Jahre, bis aus dem Zeitungsjournalisten Hans Werner Kettenbach ein Schriftsteller wurde. Es war an seinem 50. Geburtstag, als er das Gefühl entwickelte, sich selbst unter Druck setzen zu müssen, erzählt er:
    "Ich habe zwar immer Projekte notiert, die ich verwirklichen wollte, aber bin nie dazu gekommen und habe immer gedacht, entweder hast du den Beruf hier oder du hast einen anderen, es geht nicht beides zusammen. Und dann hat den Anstoß mir gegeben ein Preisausschreiben des Lübbe-Verlags und die haben per Preisausschreiben gesucht, den besten unveröffentlichten Kriminalroman in deutscher Sprache, und dann habe ich gesagt, das wirst du doch schaffen, heute würde ich das nicht mehr sagen, das ist ziemlich arrogant, denn der ist zumindest genauso schwierig, wie ein normaler Roman."
    Seit diesem ersten Roman, mit dem Kettenbach dann tatsächlich das Preisausschreiben gewann, begann eine neue Karriere: Bis heute hat er 14 Romane und mehrere Drehbücher geschrieben. Dabei sind viele seiner Geschichten gar keine Kriminalromane im klassischen Sinne. In "Sterbetage", einem Roman, der auch für das Kino verfilmt wurde, geht es um die Liebe zwischen einem alternden Mann und einer jungen, flippigen Frau. Der Roman: "Minnie oder ein Fall von Geringfügigkeit" lebt hauptsächlich von der subtilen Angst, die ein deutscher Filmproduzent bei einer Reise durch den Mittleren Westen Amerikas erlebt. Er ist besessen von der Idee, dass er Zeuge eines Verbrechens geworden sein könnte und nun von den Tätern als Mitwisser verfolgt wird. Das Genre Kriminalroman habe ihn immer begeistert, sagt Kettenbach.
    " Es reizt mich deshalb, weil es ein gutes Stück Handwerk erfordert. Sie müssen richtig fummeln und das habe ich immer gern gemacht. Der Plot muss aufgehen. Sie sind gezwungen, sich an die Realität zu halten. Es muss einleuchten, was da passiert, die Charaktere müssen überzeugen und die Geschichte muss stimmen, die muss aufgehen."
    "Tante Joice und die Lust am Leben" versammelt lebenskluge Geschichten, die vom Altern und von der ewigen Sehnsucht nach Liebe handeln. Etwa in der Geschichte einer jungen Frau, die nur zum Schein eine Affäre mit ihrem viel älteren Vermieter beginnt, um sich schließlich von diesem eine Eigentumswohnung finanzieren zu lassen. In der titelgebenden Erzählung um Tante Joice geht es übrigens um eine Frau, die angeblich 160 Jahre alt gewesen sein soll und Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Jahrmarkt gezeigt wurde. Sie beginnt mit einem Satz, den sich Kettenbach allerdings nur bei Henning Mankell ausgeliehen haben will: "Alt zu werden ist nur beschissen."