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Alternatives Leben inmitten von Kopenhagen

Gelände und Gebäude der dänischen Freistadt Christiania gehen in wenigen Tagen in den Besitz der Bewohner über. Seit der Gründung, Anfang der 70er-Jahre in Kopenhagen haben sie viele Probleme nicht lösen können. Christiania ist nicht perfekt, doch die Utopie funktioniert dennoch.

Von Marc-Christoph Wagner |
    Kalle Krarup lebt an der dänischen Westküste. An diesem Morgen hat er sich früh auf den Weg gemacht, um das mitten in Kopenhagen gelegene Christiania zu besuchen - zum ersten Mal überhaupt:
    "Ich sehe mir das Ganze ohne Vorurteile an, glaube aber nicht, dass sich meine Haltung ändert. Einen Staat im Staate darf es nicht geben."

    In Christiania selbst geht der Alltag seinen gewohnten Gang. Touristengruppen ziehen über das Gelände, in der Pusher-Street verkaufen die Dealer Haschisch wie andernorts Obst und Gemüse, Bewohner schlendern aneinander vorbei und unterhalten sich.

    Helena Waldmann:
    "Wir alle hier sind völlig unterschiedlich, auch was unseren Lebensstandard betrifft, und das macht es interessant. Ich bin umgeben von Menschen, die nicht für sich sorgen können - von Alkoholikern und psychisch Kranken, aber auch von Leuten mit sehr viel Geld, Architekten und kreativen Menschen. In Christiania gibt es alle und alles!"

    Ole Lykke:
    "Es gibt jede Menge Streitigkeiten. Und es ist unmöglich zu sagen, ob wir eine bessere Gesellschaft sind, aber das Leben hier ist gut. Niemand sagt, der Rest der Welt solle so werden, wie wir. Aber es muss auch Platz geben für eine Gemeinschaft wie unsere."

    Doch eben diese Alternative war in den vergangenen Jahren hart umkämpft. Als 2001 eine rechtsliberal-konservative Regierung unter dem heutigen NATO-Generalsekretär Anders Fogh-Rasmussen in Dänemark an die Macht kam, drohte Christiania das Aus. Rund um die Uhr patrouillierte die Polizei, immer wieder gab es Gerüchte, die Regierung wolle das lukrative Gelände an Investoren verkaufen. In der Bevölkerung regte sich Protest - zu sehr war Christiania im Laufe der Jahre ein nationales Symbol für Toleranz und Freisinn geworden. Das Lied der dänischen Rapperin Natasja mit dem vielsagenden Titel Gib mir Dänemark zurück wurde Ohrwurm und Protesthymne zugleich.
    Am Ende rückte die Regierung wegen der massiven Widerstände von ihren Plänen ab. Der dänische Staat und die etwa 900 Bewohner Christianias einigten sich im vergangenen Jahr auf einen Kompromiss, der den Freistaat erhält, das Leben dort aber gleichzeitig durch Auflagen regelt. Jacob Holst Andersen von der zuständigen Behörde:
    "Auf Christiania gibt es ganz offensichtlich Probleme. Ich habe die genaue Zahl nicht im Kopf, aber ich meine, die Kriminalitätsrate ist elf Mal so hoch, wie im Rest von Dänemark. Gebäude verfallen, hinzu kommen enorme soziale Probleme. Das alles kann man nicht einfach ignorieren, da muss man etwas tun."

    Das größte Problem ist und bleibt die Pusher-Street, in der seit den 1970er Jahren Drogen aller Art verkauft werden, harte wie weiche. Die Pusher-Street liegt zwar im Herzen von Christiania, die allermeisten Christianitter haben damit aber kaum etwas zu tun. Das sieht auch Jens Jespersen so, der zuständige Beamte der Kopenhagener Polizei:
    "Genau genommen könnte die Pusher-Street überall in Kopenhagen liegen. Und dennoch werden hier große Mengen an Haschisch umgesetzt, wir rechnen mit etwa zehn Tonnen pro Jahr - und dieses Geschäft geht in die Milliarden. Verantwortlich dafür sind kriminelle Netzwerke, vor allem die Hells Angels. Immer wieder kommt es zu Machtkämpfen, auch Schießereien."

    Soll Christiania dauerhaft bestehen, muss es sich weiterentwickeln, vor allem die Drogenprobleme müssen gelöst werden, darin sind sich Bewohner, Politiker und Polizisten einig. Dem dänischen Christiania-Touristen Kalle Krarup hat der Ausflug in den Freistaat zwar gefallen, die Pusher-Street aber verärgert auch ihn:
    "Wenn ich all diesen Jugendlichen sehe - ich weiß, einige sind nur hier, um sich das anzuschauen, aber 80 Prozent von ihnen kaufen Haschisch und so etwas. Ehrlich gesagt, da bin ich schockiert."