Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv


Am Tropf der Sponsoren

Deutschlands älteste Privatuniversität, Witten-Herdecke, ist finanziell ins Schlingern geraten: Nachdem der Hochschule eine nicht ordnungsgemäße Geschäftsführung vorgeworfen wurde, zog das Land Nordrhein-Westfalen seine zugesagte Förderung von 4,5 Millionen zurück. Nun wollen private Sponsoren bei der Uni einsteigen: Studenten fürchten um die Qualität des Studiums.

Von Armin Himmelrath | 09.01.2009
    "Dann bitte ich Sie jetzt, den Knie-Hacke-Versuch zu machen. Was mache ich dabei? Ich bitte die Patientin, jetzt einmal bitte mit der rechten Hacke in weitem Bogen auf das linke Knie zu gehen und an der Wade herunter zu streichen. Entschuldigung, am Unterschenkel herunter zu streichen. Das Ganze wiederholen Sie jetzt bitte auch auf der anderen Seite."

    Ein typisches Krankenhaus-Zimmer: Bett, Nachttisch, Blumen auf der Fensterbank. Der junge Mann im weißen Kittel untersucht eine Patientin. Doch ein echter Arzt ist Christian Schulz noch nicht - nur Student der Medizin. Jede seiner Bewegungen, jede Diagnose wird von einer Prüfungskommission beobachtet. Denn darum handelt es sich hier: eine Prüfung für das medizinische Staatsexamen. Nicht als Multiple-Choice-Test, wie er normalerweise an Universitäten üblich ist, sondern als Simulation einer realen Behandlungssituation. Und so geht das den ganzen Vormittag lang: Christian Schulz geht von Krankenzimmer zu Krankenzimmer, überall warten Schauspieler auf ihn und simulieren ein bestimmtes Leiden.

    "Fertig, Geschafft! Endlich! Echt erleichtert jetzt. Es ging zwar extrem schnell, ich bin noch ganz 'wuschig', aber es war das, was ich erwartet hab im Grunde von den Aufgabenstellungen. Es war kein Teil dabei, wo ich jetzt wirklich überrascht war, das hätte nicht sein dürfen. Es war also nicht so… huh! Jetzt bin ich also erst mal echt erleichtert."

    Erleichterung nach einer bestanden Prüfung, die ist auch an Deutschlands erster Privatuniversität völlig normal. Gänzlich unnormal allerdings sind die Bedingungen, unter denen in Witten-Herdecke studiert wird - jedenfalls, wenn man sie mit den Zuständen an staatlichen Hochschulen vergleicht.

    Kleine Lerngruppen und das praxisnahe Konzept des problemorientierten Lernens, ein verpflichtendes "Studium fundamentale" für alle Fächer und der immer wieder postulierter kritische Anspruch, dazu eine ausgesprochen starke Identifikation der Studierenden mit ihrer Universität: Witten ist anders als andere Unis, sagt Christian Schulz, der auch schon Studienerfahrungen an der staatlichen Ruhr-Universität in Bochum sammeln konnte. Weil mittlerweile etliche andere Hochschulen das Wittener Ausbildungskonzept übernehmen, hält Christian Schulz das Medizinstudium hier für modellhaft:

    "Das Problem ist, dass man ganz schnell in diesem Wust von Theorie und dieser Überfüllung mit Büchern und Vorlesungen ganz einfach den Zusammenhang, den Sinnzusammenhang verliert: Was hat das eigentlich alles zu tun mit dem Patienten, den ich später am Krankenbett sehe, wie kann mir das irgendwann mal etwas bringen? Und genau hier greift meiner Meinung nach der Medizin-Studiengang in Witten-Herdecke ein, indem man sagt: Wir müssen von Anfang an praxisorientiert arbeiten, wir müssen auch mit dem Studierenden die Möglichkeit von Anfang an aufzeigen - und auf der anderen Seite ihm auch gleich ganz klar machen, dass er von Anfang an praktisch denken muss und deswegen Zusammenhänge erkennen muss."

    Zusammenhänge erkennen, über den Tellerrand hinausschauen und gleichzeitig fest in der Realität verankert sein - diesen Anspruch von Praxistauglichkeit und verantwortungsvoller Interdisziplinarität gebe es in allen Fächern in Witten, sagt auch Wirtschaftsstudent Christian Eichert.

    "Das Studium in Witten ist, denke ich, in einer Zeit, in der ganz viel Freiheit und ganz viel Eigenverantwortung aus den Studiengängen herausgenommen wird durch den Bologna-Prozess, durch verschulte Programme, durch sechs Semester, also drei Jahre zum akademischen Abschluss, in einer Zeit, wo wir uns auf die Fahnen geschrieben haben: Wir brauchen mehr Akademiker, wir müssen schneller ausbilden, PISA et cetera und danach möglichst schnell - da verkommen viele Bildungseinrichtungen zu einer Art Durchlauferhitzer vielleicht."

    Genau das aber - ein Durchlauferhitzer für Karrieristen - wollte die 1982 gegründete Universität nie sein. Von Anfang an ging es um ein anderes, besseres Hochschulstudium. Und mit konstanter Regelmäßigkeit auch immer wieder um die Frage, wie sich ein solch besseres Studium finanzieren lässt, insbesondere in den teuren medizinischen und naturwissenschaftlichen Studiengängen. So lässt sich die Wittener Universitätsgeschichte nicht nur als Reformexperiment, sondern auch als finanzielle Krisengeschichte schreiben - mit einem existenzbedrohenden Höhepunkt in diesen Tagen.

    Denn seit Mitte Dezember ging es Schlag auf Schlag: Erst tauchte die Universität in einer Liste von Bußgeld-Empfängern auf, die in der Bochumer Staatsanwaltschaft für erhebliche personelle Querelen sorgte und schließlich zur spektakulären Ablösung der Wirtschafts-Staatsanwältin Margret Lichtinghagen führte. Zufall oder nicht - einen Tag später verkündete der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart, FDP, dass das Land seine zugesagte Förderung von 4,5 Millionen Euro für 2008 nicht auszahlen werde. Begründung: In Witten gebe es keine ordentliche Haushaltsführung mehr. Zusätzlich forderte Pinkwart außerdem noch drei Millionen aus dem Vorjahr zurück - kurz vor Weihnachten bedeutete das eigentlich schon die sichere Insolvenz für Deutschlands älteste Privatuniversität.

    Es folgte der Rücktritt des Präsidiums - und in letzter Minute dann doch noch die Rettung, zumindest eine Rettung auf Raten: Drei potenzielle Geldgeber verkündeten, die Zahlungsfähigkeit der Hochschule erst einmal bis Mitte Januar sicherzustellen. Die vorläufigen Retter sind die Stiftung Rehabilitation Heidelberg (SRH), die Darmstädter Software AG Stiftung sowie der Gemeinnützige Verein zur Entwicklung von Gemeinschaftskrankenhäusern Herdecke.

    Das Pikante dabei: Die Heidelberger SRH-Holding hatte im Jahr 2007 schon einmal versucht, sich in Witten zu engagieren - und war von der Hochschule nach anfänglichen Verhandlungen zurückgewiesen worden, weil sie als zu profitorientiert galt.
    Konrad Schily war 1982 der Gründer von Witten-Herdecke, hat sich allerdings seit einigen Jahren aus der Hochschule zurückgezogen.

    "Es gibt einen wunderbaren Ausdruck von Peter Glotz, der sich ja nun viel mit Uni und Bildung befasst hat. Der sagt: Eine gute Universität schwankt in ihrer Situation immer zwischen Eichamt und Irrenhaus."

    Im Moment schlägt das Pendel in Witten wohl eher Richtung Irrenhaus aus. Zuletzt am Montag gab es im Düsseldorfer Wissenschaftsministerium ein dreieinhalbstündiges Gespräch zwischen der Universität, dem Land und den bisherigen Gesellschaftern - doch die potenziellen neuen Geldgeber nahmen daran nicht teil. Nachdem in Witten ein Neuanfang erkennbar ist, will Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart auch die Förderung durch das Land wieder aufnehmen.

    "Ich habe zugesagt, in diesem Falle die Zuwendung des Landes Nordrhein-Westfalen in Höhe von jeweils viereinhalb Millionen Euro für die Jahre 2009 und 2010 bereit zu stellen. Ich habe weiter zugesagt, mich darum zu bemühen, für diesen Zweijahres-Zeitraum einmalig eine zusätzliche Landeszuweisung von insgesamt 4,5 Millionen Euro bereit zu stellen."

    Diese vermeintlich zusätzliche Landeszuweisung entspricht allerdings exakt dem für 2008 nicht ausgezahlten Betrag - höhere Ausgaben entstehen der Landesregierung damit also nicht. Trotzdem fordert Pinkwart von den anderen Beteiligten ein stärkeres finanzielles Engagement: So sollen nach seiner Vorstellung etwa die Studierenden statt bisher sieben Prozent in Zukunft ein Viertel des Wittener Haushalts durch Studiengebühren selber aufbringen - was unter den Betroffenen für erhebliche Unruhe sorgt. Und auch die neuen Geldgeber stoßen beim akademischen Nachwuchs nicht unbedingt auf Begeisterung. Wirtschaftsstudent Christian Eichert:

    "Investoren verfolgen ja eigene Ziele und Interessen, das ist ja nicht unbedingt immer altruistisch ausgerichtet. Und ja - wenn man der Presse aufmerksam folgt, und wenn man der Geschichte, die zum Beispiel der Heidelberger SRH-Konzern zeigt und vorlebt in der Art und Weise, wie die ihre Fachhochschulen betreiben, wie die ihre Weiterbildungsprogramme vertreiben und vermarkten und wie die eben Bildung und Ausbildung zu einem Produkt machen - dann hab ich da persönlich durchaus bedenken, dass eben da möglicherweise die Ideale einer freien, privaten Universität - frei in Forschung und Lehre, frei in der Auswahl ihrer Studierenden - dadurch stark leiden könnte."

    Uni-Gründer Konrad Schily verweist insbesondere auf die Studentinnen und Studenten als das eigentliche Potenzial der Wittener Hochschule:

    "Die Absolventen draußen sind erfolgreich. Sicher nicht zu 100 Prozent, und wenn das so wäre, dann wäre ja auch irgend etwas krank, aber sie machen im Schnitt einen guten Job und nach wie vor müssen sie nicht um Arbeitsplätze fürchten. Das ist einfach auch ein Erfolg."

    Und zwar einer, sagt Schily, der in der Gründungsphase nicht unbedingt zu erwarten war. Und der nur durch gemeinsame Anstrengungen privater und staatlicher Geldgeber möglich wurde.

    "Während wir 1983 in so einer Mischung aus Apfelsinenkisten und selbst mitgebrachten Möbeln hausten und das zu unseren Lehrstühlen erklärten, haben wir heute - auch dank inzwischen eben staatlicher Investitionen, insbesondere der Investitionen über die Bund-Land-Finanzierung - sind da Maschinenparks et cetera, et cetera."

    Dabei sei Witten-Herdecke von Anfang an kein leichter Partner für die nordrhein-westfälische Landesregierung gewesen, erinnert sich Fritz Schaumann, der 1999 in Bremen selber eine private Hochschule als Gründungspräsident aus der Taufe hob - die heutige Jacobs University.

    "Konrad Schily hat sich immer als derjenige verstanden, der es am besten konnte, am schnellsten konnte, der das schönste Modell hatte, und der den öffentlichen Bereich gelegentlich in einer Weise angemacht hat, sag ich mal flapsig, dass er zu Reaktionen jedenfalls führte, die darauf hinausliefen, Witten-Herdecke in eine Nische zu drängen. Also bildungspolitisch - wenn Sie so wollen - ziemlich irrelevant erscheinen zu lassen."

    Witten-Herdecke als echtes Reform-Modell oder doch nur als schillernder Hochschul-Exot? Eine Frage, die im Grunde bis heute nicht endgültig beantwortet werden kann, findet Schaumann. Die private Bremer Jacobs-University jedenfalls habe daraus gelernt.

    "Wir haben ein anderes Konzept der Finanzierung, was aus meiner Sicht sehr viel tragfähiger ist, als das, was Witten-Herdecke betrieben hat oder musste. Ich kenne die Umstände ja ziemlich genau, deshalb sage ich das gar nicht vorwurfsvoll. Also, wir sind auf Kapitalstock und Finanzierung der laufenden Kosten aus der Rendite desselben mit Studiengebühren, mit Drittmitteln und Ähnlichem orientiert, und Witten-Herdecke hat das über sehr lange Zeiten jährlich neu finanzieren müssen - ohne die wirtschaftliche Unabhängigkeit, von der ich meine, dass das zentral ist für eine derartige Hochschule, tatsächlich zu erreichen."

    Dabei werden die Bedingungen für private Hochschulen nicht unbedingt leichter. Denn weil staatliche Vorschriften und Kontrollen in der Bildungspolitik mehr und mehr gelockert werden, haben auch die staatlichen Hochschulen immer größere Freiheiten. Für die privaten Unis und Fachhochschulen bedeutet das: Sie müssen ihre Rolle neu finden. Jörg Dräger, früherer Hamburger Wissenschaftssenator und heute Leiter des Centrums für Hochschulentwicklung in Gütersloh:

    "Die privaten Hochschulen waren ja ein sehr wichtiger Stachel im Fleisch für Reformimpulse für das deutsche Hochschulwesen, haben da sehr viel bewirkt. Ich glaube, sie kommen immer mehr in die Situation, dass sie durch eine starke Profilbildung Lücken füllen, die das staatliche Hochschulsystem heute noch lässt. Zum Beispiel Studium während des Berufes oder bestimmte duale Studiengänge, wo die staatlichen Hochschulen noch nicht hinreichend ihr Profil geschärft haben und die privaten eben eine Chance haben. Der Stachel im Fleisch - diese Bedeutung war sicher vor fünf Jahren oder vor zehn Jahren größer, als sie heute ist."

    Trotzdem seien die privaten Hochschulen weiterhin ein wichtiger Reform-Motor im Bildungswesen, sagt Jörg Dräger. Und er rät der Bildungspolitik, sehr genau zu prüfen, ob nicht auch private Universitäten Staatsgeld erhalten können und sollten, wenn damit letztlich Einsparungen für die Bundesländer verbunden sind.

    "Wir sehen, dass die Grenzen international sich ja auflösen zwischen staatlichen und privaten Hochschulen. Es geht einfach um unterschiedliche Finanzierungsanteile, die von Staat und Privat bereitgestellt werden. Und ich glaube, hier sollte man mit einer gewissen Besonnenheit und wenig Ideologie gucken, was die sinnvollen Lösungen sind - ich wünsche mir mehr Offenheit."

    Eine Offenheit, die auch Birger Priddat einfordert. Der Wirtschaftswissenschaftler war bis zum 18. Dezember 2008 der Universitätspräsident in Witten-Herdecke. Gegenüber dem Deutschlandfunk äußerte er sich jetzt erstmals ausführlich nach seinem Rücktritt von der Hochschulleitung. Vor allem der Vorwurf der nicht ordnungsgemäßen Geschäftsführung durch das Wissenschaftsministerium ärgere ihn, sagt Birger Priddat. Denn schon 2007 habe das Land mit seiner Zahlung bis zur letzten Minute gewartet - mit schwierigen Folgen für die Universität.

    "Wir sind dann Ende des Jahres schon fast in eine Insolvenz geraten, die unter anderem dadurch entstand, dass das Land seine 4,5 Millionen, die ja für ein paar Jahre versprochen waren, erst ganz spät zahlen wollte, so dass wir zwischendurch schon wieder Kredite darauf aufnehmen mussten. Und dann gab sozusagen es einige Berechnungsprobleme. 4,5 Millionen wurden ja dann gezahlt, 2,5 und zwei Millionen, und dann wurde festgestellt, dass am 3.1. noch zwei, drei Millionen auf dem Konto waren, und dann hat das Land gesagt: Ja, wenn Sie das übrig haben, dann hätten sie ja gar nicht fordern dürfen! Dann hätten Sie ja nur 1,5 Millionen fordern dürfen! Und das ist jetzt der Vorwurf der nicht ordnungsgemäßen Geschäftsführung. Mehr steckt jetzt nicht dahinter."

    Für Priddat ist das vor allem eine Folge mangelnder Absprache zwischen den Beteiligten - und eines unterschiedlichen Rechnungssystems in der Landesregierung und der Hochschule.

    "Es ist ein Buchungsfehler. Wenn wir das am 29.12. oder 30.12. anders gebucht hätten, wäre das Problem nicht da. Das ist die Differenz zwischen einer GmbH - also wir sind ja sozusagen eine bürgerliche Rechtsform, eine BGB-Rechtsform - und einer kameralistischen Planungsordnung des Staates, die zum Jahresende gewissermaßen alles, was im Jahr gezahlt wurde, auf Null hätten fahren müssen. Man hätt e es verbrauchen müssen. Das war etwas - wir hatten ein neues Management - in dieser Form war das jetzt etwas unklar. Das Land hätte uns da sehr vernünftig auch beraten können, was sie in der Form nicht gemacht haben. Das ist sozusagen der Vorwurf."

    Priddat vermutet deshalb eher politisch-strukturelle Gründe für den harten Kurs des Landesregierung gegenüber Witten-Herdecke.

    "Als Modell gelten wir nicht mehr, eher als ein Störfaktor. Das, finde ich, muss auch eine Universität leisten, das muss sie sich auch leisten können, dazu muss sie auch gut genug sein, um das zu bieten."

    Die Leistungen der Universität in Forschung und Lehre seien jedenfalls so gut, dass sie ganz offenbar für externe Geldgeber interessant seien, sagt Priddat mit Blick auf die drei Stiftungen, die sich finanziell in Witten engagieren wollen. Und den Kontakt zu diesen Geldgebern habe es auch schon lange vor der aktuellen Krise gegeben.

    "Alle, die jetzt mit Herrn Pinkwart und der Universität verhandeln, die waren ja jetzt bei uns auch schon in der Verhandlung. Wir hätten nur etwas Zeit… Man macht keine Verhandlungen unter Druck! Wir hätten mehr Zeit gebraucht. Wir hätten die Landesgelder gebraucht und dann mit einer schon laufenden Bürgschaft von der Software AG hätten wir bis März, April in Ruhe verhandeln können und auch allemal vernünftige Ergebnisse herauskriegen können. Das war leider nicht der Fall, weil das Land jetzt eine Unterbrechung produziert hat, die ich immer noch nicht verstehe, warum sie nötig war. Das ist mir unerklärlich, aber da wird es irgendwelche guten Gründe dafür geben."

    Zumindest für Außenstehende kann so durchaus der Eindruck entstehen, dass das Wissenschaftsministerium der Privatuniversität möglicherweise auch deshalb den Geldhahn zugedreht hat, um damit einem Geldgeber den Einstieg zu ermöglichen, der in Witten schon einmal gescheitert war: der SRH-Holding aus Heidelberg. Der zurückgetretene Wittener Präsident lehnt jeden Kommentar zu diesem Verdacht ab und erklärt nur generell:

    "Der Bildungsmarkt in Deutschland für private Fachhochschulen und Universitäten und Hochschulen läuft an, und im Fachhochschulbereich sind sogar auch - Einzelne, muss man sehr vorsichtig sagen - sogar schon schwarze Zahlen zu schreiben. Aber das liegt ganz schlicht daran: hoher Durchsatz, hohe Studiengebühren, billige Lehrkräfte und wenn es geht eine günstige Kapazitätsauslastung der Häuser. Das ist aber ein Konzept, was auf eine Universität nicht zu übertragen ist."

    Und damit eben auch nicht auf Witten-Herdecke, das eben gerade nicht auf die Prinzipien billig und schnell setzt, sondern auf ein Studium in selten gewordener Gründlichkeit.

    Wirtschaftsstudent Christian Eichert jedenfalls sieht die von Wissenschaftsministerium und SRH erhobene Forderung nach mehr Effizienz und Profitorientierung äußerst skeptisch:

    "Dann müssen die Studierendenzahlen hochgetrieben werden. Ja gut, wenn sie aber die Studierendzahlen hochtreiben, dann ist es ja weniger interessant für potenzielle Studierende, hier nach Witten zu kommen, weil: Massenveranstaltungen gibt es ja woanders auch. Und dann haben sie ganz schnell ein Problem mit der Qualität der Studierenden. Wenn sie aber ein Problem mit der Qualität der Studierenden haben, leidet die Reputation der Uni. Und wenn die Reputation der Uni leidet, kommt niemand mehr her - also, das ist ein Teufelskreis. Und da kommt SRH meiner Meinung nach mit ihrem Konzept auch nicht weit."

    Die Studierenden jedenfalls wollen mit aller Vehemenz dafür kämpfen, dass ihre Universität sich nicht vermeintlichen Markt-Mechanismen unterordnen muss. Noch sind die Nachwuchs-Akademiker in der Gesellschafter-Versammlung der Hochschule vertreten und sitzen deshalb bei allen Verhandlungen mit am Tisch - und diese Mitwirkung wollen sie sich auch nicht nehmen lassen. Parallel dazu haben sie die Internet-Kampagne "Deutschland braucht Witten" ins Leben gerufen, um so bei Prominenten ideelle Unterstützung für die kleine Uni an der Ruhr zu sichern. Die Krise ist zwar da, aber sie kann bewältigt werden, findet Christian Eichert.

    "Die Stimmung ist wachsam. Wachsam - und ich glaube hochkonzentriert. Wir haben als studentische Gruppe, denke ich, vor Weihnachten sehr viel gearbeitet und sehr viel auch aufgegeben, teilweise sogar das Weihnachtsfest mit der Familie aufgegeben dadurch, und jetzt vielleicht ein paar Tage Ruhe sammeln können zwischen den Jahren. Aber fest steht, dass die Liquidität und Finanzierung der Uni langfristig nicht gesichert ist - und dass wir jetzt eigentlich nur einen Etappensieg errungen haben dadurch, dass wir die Finanzierung eben jetzt bis Mitte Januar gesichert haben. Ich denke, dass wir jetzt einen ganz großen Berg von Arbeit vor uns haben, dass wir aber die angespannte Lage und die hohe Aufmerksamkeit, die dadurch auch zustande kommt in der Öffentlichkeit wie innerhalb der Uni, dazu nutzen sollten, wichtige Dinge anzugehen und richtige Entscheidungen zu treffen."

    Der Mut hat die Wittener Studenten also noch nicht verlassen. Und auch das ist, neben den finanziellen Engpässen, eine Kontinuität an Deutschlands ältester Privatuni: Die große Verbundenheit der Nachwuchs-Akademiker mit ihrer Hochschule. So gesehen, taugt sie eigentlich immer noch als echtes Vorbild.