Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Andrew Culp: "Dark Deleuze"
Deleuzes dunkle Seite

Der französische Philosoph Gilles Deleuze machte den Begriff des "Rhizoms" als philosophische Metapher salonfähig. Das Silicon Valley verklärte ihn als Apologet der fröhlichen Affirmation, sagte Andrew Culp, ein junger amerikanischer Philosoph, im DLF. Er liest das Deleuze’sche Werk jetzt im Kontext aktueller politischer Kämpfe.

Von Claudia Kramatschek | 28.04.2017
    Grün und gelb gefärbt ist die Ausbreitung des Schleimpilzes Physarum polycephalum auf einem Laborbild dargestellt.
    Der Begriff des Rhizoms geht unter anderen auf den französischen Philosophen Gilles Deleuze zurück. (picture alliance / dpa)
    Lange galt der französische Philosoph Gilles Deleuze als Vordenker einer fröhlichen Affirmation, die noch den Mangel als Fülle darzulegen verstand. In den 70er-Jahren wirkte solch ein Denken radikal anti-orthodox. Doch die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen wird eben dieser Deleuze der fröhlichen Affirmation als Chefideologe von jenen gefeiert, die überzeugte Anhänger des Spätkapitalismus sind und in Google und Co. die perfekte Erfüllung der Deleuzschen Wunsch-Maschine sehen. Gegen diese Vereinnahmung regt sich allerdings philosophischer Widerstand: Alexander R. Galloway beispielsweise – ein junger Philosoph und Dozent an der New York University – hatte 2015 in einem Online-Text ketzerisch gerufen: "Forget Deleuze" – "Vergesst Deleuze".
    Denker des Werdens: Gilles Deleuze.
    Denker des Werdens: Gilles Deleuze. (AP)
    In dieses Horn stößt nun auch Andrew Culp – Netztheoretiker und Philosoph an der University von Texas – mit seinem Band "Dark Deleuze". Wie Galloway möchte auch Culp den jungen Deleuze der 70er-Jahre vergessen machen und stattdessen den späten Deleuze der 90er-Jahre in Erinnerung bringen: jenen Deleuze, der Anti-Faschist und Kommunist war – und der die Negativität ebenso feierte wie die Praxis einer heilsamen Destruktion.
    "Dark Deleuze" ist insofern eine häretische Re-Lektüre. Denn Culp bürstet das Werk von Deleuze kritisch gegen den Strich – mit dem Ziel, unterhalb des ‚fröhlichen, affirmativen’ Deleuze einen anderen: einen ‚dunklen’, eben ‚negativen’ Deleuze ans Tageslicht zu holen.
    "Ein fremder Deleuze, ein dunklerer, wirft langsam seine Schatten. Doch diese Gestalt tritt nur dann in Erscheinung, wenn wir dem Chor der Freude entkommen, um zur dunklen Abgeschlossenheit der Krypta zu gelangen."
    Keine leichte Lektüre
    Zugegeben: Das klingt selbst kryptisch. Tatsächlich ist Culps Band keine leichte Lektüre. Es wird viel, sehr viel Wissen vorausgesetzt. Culp argumentiert nicht linear, sondern in waghalsigen Gedankensprüngen, vieles deutet er eher an, statt es wirklich auszuführen. Wer nicht mit diversen philosophischen Wassern gewaschen ist und keinerlei Kenntnisse der Deleuzschen Nomenklatura besitzt, könnte in diesem Dark Room also verloren gehen. "Dark Deleuze" ist insofern ein leidenschaftlicher Text – der mehr Tiefe und Breite hätte vertragen können. Und doch ist Culps Ansinnen bestechend: Denn Culp liest das Deleuze’sche Werk im Kontext aktueller politischer Kämpfe – und macht somit einen Deleuze sichtbar, der nichts weniger wäre als der Feldherr einer neuen politischen Revolte.
    "Der Pessimismus wird eine Notwendigkeit, wenn man in einer Epoche der allgemeinen Prekarisierung, der extremen Stratifizierung der Klassen und der summarischen Exekution von farbigen Menschen schreibt."
    Das Leitmotiv in "Dark Deleuze" bildet dabei Culps Abscheu gegenüber der jetzigen Welt – einer seiner Meinung nach allzu affirmativen Welt, da sie nur noch aus endlosem Spaß und endlosem Konsum besteht. Eben diese Welt möchte er zerstören. Das Ziel wäre: Abschaffung des Staates – Ankunft eines neuen Kommunismus.
    "Die ultimative Aufgabe des Dark Deleuze ist nicht gerade eine bescheidene: den Traum der Revolution in konterrevolutionären Zeiten am Leben zu erhalten."
    "Dark Deleuze" versteht sich also auch als Manifest für die Wiederbelebung der Revolution. Für solch eine Revolution liefert Culp den Lesern zugleich geistige Munition an die Hand: Der größte Teil des Bandes besteht aus der Revision von bekannten Aspekten der Deleuzschen Philosophie – wie etwa ‚Ströme’ oder ‚Nomadismus’. Culp interpretiert diese Themenfelder neu, indem er sie auf ihre – Zitat – ‚gegenläufige’ Bedeutung hin untersucht: Der Deleuzschen ‚Assemblage’ setzt er beispielsweise das ‚Nicht-Werden’ entgegen, der ‚Intensität’ die ‚Grausamkeit’, dem ‚Rhizom’ die ‚Entfaltung’. Entscheidend ist: ‚Gegenläufig’ bedeutet bei Culp keine einfache Dialektik, sondern eine bewusst gesetzte Asymmetrie. Eben diese Gedankenfigur der Asymmetrie verleiht Culps Neuinterpretationen ihren rebellischen Sinn. Denn wie gesagt: Statt der gängigen ‚prozessualen Demokratie’ propagiert Culp einen ‚konspirativen Kommunismus’.
    "Unser verrückter schwarzer Kommunismus ist keine Wiederaufbereitung des Marxschen Universalismus, der die nahtlose Einheit von Theorie und Praxis beinhaltet. ... Es ist die Konspiration zur Zerstörung der Fabrik der Produktion."
    Endlich wieder zu politischen Subjekten werden
    Culp ruft also zur widerständigen Sabotage auf – wobei es ihm nicht darum geht, reale Fabriken zu zerstören. Sein Buch möchte vielmehr dazu ermuntern, sich einer Guerilla-Taktik zu verschreiben, um das kapitalistische System von innen heraus zu bekämpfen.
    "Man denke an den alten deutschen Rocksong 'Macht kaputt, was Euch kaputtmacht' von Ton Steine Scherben, einer anarchokommunistischen Band mit Verbindungen zur Hausbesetzerszene, und denke an die Rote Armee Fraktion (bevor sie in den Untergrund ging). So billig es klingen mag: Vielleicht besteht die Kur gegen die depressive Gleichgültigkeit im Nervenkitzel 'des Zerstörens, was dich zerstört'."
    Wie gesagt: Vieles in Culps Ausführungen bleibt leider im Dunklen – den Begriff der ‚Opazität’, sprich die bewusste Nicht-Transparenz, benennt er übrigens als wichtiges Instrumentarium solch einer politischen Guerilla-Strategie. Auf manche seiner Gedankengänge muss und kann man sich deshalb nur einen Reim machen. Unverhohlen aber ist der radikal politische – und politisch radikale Impetus dieses Bandes: Culps Sympathien gelten unverkennbar dem sogenannten Schwarzen Block. Man muss das nicht gutheißen – und kann seinen Band dennoch mit Gewinn lesen: Er ruft uns dazu auf, endlich wieder zu politischen Subjekten zu werden. "Dark Deleuze" wäre somit die neue Internationale all jener, die wissen: Eine andere Welt wäre nicht nur denkbar – sie ist dringend nötig.
    Andrew Culp: "Dark Deleuze".
    Aus dem Amerikanischen von Achim Szepanski. Laika Verlag. 113 Seiten. 10 Euro.