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Ankara und Berlin
Der deutsche Wahlkampf im Blick der Türken

Nie zuvor hat eine Bundestagswahl die Menschen in der Türkei so beschäftigt wie in diesem Jahr. Der Streit zwischen den Regierungen in Berlin und Ankara erhöht das Interesse in beiden Ländern.

Von Christian Buttkereit | 15.09.2017
    Der türkische Regierungschef Binali Yilidirim am 14.02.2017 in Ankara.
    "In Deutschland ist gerade Wahlkampf. Deshalb bedarf es kaum eines Kommentars. Es herrschen gerade Emotionen vor Vernunft." so die Meinung des türkischen Regierungschefs Binali Yilidirim. (AFP/ADEM ALTAN)
    Kaum ein Tag vergeht, an dem Deutschland nicht Thema ist in den türkischen Medien. Vor allem, dass die Türkei das große Wahlkampfthema ist. Selbst Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan wundert sich über so viel Aufmerksamkeit:
    "Von morgens bis abends Türkei. Von morgens bis abends Erdoğan. Mensch, was hat Euch dieser Erdoğan eigentlich getan?"
    All die Kritik an der Verhaftungs- und Entlassungswelle nach dem Putschversuch vom vergangenen Sommer, daran, dass Deutsche in der Türkei aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen, der verschärfte Reisehinweis. Viele deutsche Politiker empören sich gerade über die Türkei. Für den türkischen Ministerpräsident Binali Yildirim ist das ebenso verständlich wie vergänglich.
    "In Deutschland ist gerade Wahlkampf. Deshalb bedarf es kaum eines Kommentars. Es herrschen gerade Emotionen vor Vernunft."
    Vorwurf: Wahlkampf auf Kosten der Türkei
    Staatspräsident Erdogan beklagt hingegen, dass nach den Niederlanden, Belgien und Österreich nun auch in Deutschland ein antitürkischer Wahlkampf geführt werde. Um Wählerstimmen zu gewinnen, würde auf der Türkei herumgehackt und gefordert, die EU-Beitrittsverhandlungen zu stoppen. Merkel, Schulz und Co sollten sich lieber um ihren eigenen Kram kümmern:
    "Ja, finden diese Wahlen etwa in der Türkei statt? Oder in Deutschland? Warum beschäftigt Ihr Euch ständig mit uns? Ihr habt Bundestagswahlen? Nur zu, macht! Und möge gewinnen, wer gewinnt, das ist uns doch egal. Aber meinen Landsleuten in Deutschland rate ich: Gebt Acht! Wählt nicht die Feinde der Türkei!"
    Als Feinde der Türkei hatte Erdogan CDU, SPD und Grüne bezeichnet. Zu AFD, FDP und Linken hatte sich Erdogan nicht explizit geäußert: Aber gerade diese Parteien stehen für einen harten Kurs gegen Ankara. Auch wenn nicht ganz klar ist, welche, finden manche Türken gut, dass Erdoğan überhaupt einen Wahlempfehlung gegeben hat:
    "Wie du mir, so ich dir, sagt doch ein Sprichwort. Beim Referendum in der Türkei haben die sich ja auch eingemischt."
    "Ich finde den Aufruf korrekt. Warum sollten wir Parteien unterstützen, die sich der Türkei gegenüber feindselig verhalten?"
    "Das sollte jeder für sich selbst entscheiden, wen er wählt. Hinzu kommt: Was gehen uns die Wahlen in Deutschland an? Wir sollten uns um uns selbst kümmern."
    Karikaturisten freuen sich über Angela Merkel
    Traditionell fühlen sich viele Türken der SPD nah, viele haben aber auch großen Respekt vor der Kanzlerin. Weniger respektvoll gehen die türkischen Satirezeitschriften mit den deutschen Wahlkämpfern um. Sie bekommen hier genauso ihr Fett weg, wie die türkischen Politiker. Tuncay Akgün, Herausgeber der traditionsreichen Karikaturenzeitung "Leman", ist Merkel auf jeden Fall dankbar, dass sie überhaupt wieder angetreten ist:
    "Merkel ... als Gesicht Deutschlands ... sie eignet sich vom Typ her gut für Karikaturen, für Humor. Ihr leerer Blick, ihre komische Kleidung, ihr Haarschnitt...ja, sie macht es uns einfach."
    In einer älteren Ausgabe hatte die Leman Merkels Besuch bei Erdoğan im Zuge der Flüchtlingskrise aufs Korn genommen. Wie in der wirklichen Szene thronen beide in goldenen Sesseln. In der Karikatur trägt Merkel Haremskleidung und fragt sich, wo bin ich hier nur gelandet?