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Anti-Doping-Gesetz
Der organisierte Sport als Parallelwelt

Seit fast einem Jahr hat Deutschland sein Anti-Doping-Gesetz. Viele Schlagzeilen hat das bislang nicht produziert – was nicht heißt, dass sich Ermittler damit nicht beschäftigen würden. Die aber machen ganz eigene Erfahrungen mit der Parallelwelt des organisierten Sports. Das wurde in dieser Woche auf einem Symposium zum Anti-Doping-Gesetz deutlich.

Von Daniel Bouhs | 05.11.2016
    Bei einer Razzia in einem Untergrundlabor wurden diese Ampullen mit Anabolika sichergestellt, die ein Beamter des Zolls am Mittwoch (23.03.2011) bei der Pressekonferenz des Zolls in Frankfurt am Main zeigt.
    Ampullen mit Anabolika, sichergestellt in einem Untergrundlabor. (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    "Doping soll in Deutschland künftig mit strafrechtlichen Mitteln verfolgt werden. Ein entsprechendes Gesetz hat der Bundestag heute verabschiedet." Diese Tagesschau-Nachricht ist nun fast auf den Tag genau ein Jahr alt. Zeitungen meldeten auch: "Dopingsünder müssen den Staatsanwalt fürchten." Praktisch heißt das: Sportler, die betrügen, müssen etwa mit Sebastian Wußler rechnen.
    Der Staatsanwalt ermittelt – zusammen mit zwei Kollegen – von Freiburg aus, einer von zwei Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Doping in Deutschland. Die andere sitzt in München. Mit dem Anti-Doping-Gesetz, das seit Mitte Dezember gilt, hat sich für die Ermittler grundlegendes verändert. Wußler sagt: "Bis zum Inkrafttreten des Anti-Doping-Gesetzes haben wir reine Umfeldermittlung betrieben. Der Athlet, der positiv aufgefallen ist bei einer Dopingkontrolle, war nicht Ziel unserer Ermittlungen, sondern Ziel war, herauszufinden, woher hat der Athlet diese Doping-Mittel."
    Nun aber stehen auch Athleten im Fokus der Ermittler. Die werden vor allem dann aktiv, wenn die Nationale Anti-Doping-Agentur, die Nada, ihnen positive Kontrollergebnisse meldet. Im Bundesjustizministerium berichtet Wußler: Die Ermittler könnten sich nicht damit anfreunden, dass sich der Sport parallel selbst um Kriminalität in den eigenen Reihen kümmere, mit sehr eigenen, vor allem auf Tempo getrimmten Spielregeln. "Für uns problematisch: Wir haben ein enges Zeitfester zwischen Bekanntwerden des positiven Dopingkontrollbefundes und der Mitteilung an den Athleten. Das sind sieben Tage (...) Wenn wir an verschiedenen Stellen durchsuchen müssen, wenn wir überlegen müssen, ob wir observieren, ob wir – was das Umfeld anbelangt – Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen durchführen, dann kostet die Anordnung, die Vorbereitung des Vollzugs und der Vollzug kosten Zeit. Und da können diese sieben Tage zu kurz sein."
    Sportgerichte nicht an Fakten interessiert
    Der Doping-Ermittler – der Details zu den einzelnen Verfahren auf der Fachtagung für sich behält – ist auch sonst entsetzt von der Parallelwelt des organisierten Sports. Wußler spricht gar von einem aufklärungsfeindlichen Umfeld: "Es betrifft nicht sehr viele Verbände, aber es gibt Verbände, das sind wir hingegangen mit Durchsuchungsbeschlüssen. Die wussten von ihrem Athleten schon Bescheid. Das ist in Ordnung, der darf sie informieren, er muss nicht schweigen, aber es waren keinerlei Beweismittel mehr zu diesem Athleten vorhanden. Es wurden Dateien gelöscht."
    Die Sportgerichtsbarkeit, sagt Wußler dann, sei manchmal noch nicht mal an Fakten interessiert, bevor sie ihre eigenen Urteile fälle. Das hat der Staatsanwalt bei Ermittlungen nach dem Anti-Doping-Gesetz gemerkt, bei denen ein Schiedsgericht des Sports die Unterlagen der staatlichen Ermittler beantragt hatte – wie es das Anti-Doping-Gesetz ausdrücklich ermöglicht: "Bis ich über die Akteneinsicht entschieden hatte, hatte ich schon vom Verband die Mitteilung, dass das sportrechtliche Disziplinarverfahren gegen den Athleten eingestellt war. Ich finde das bemerkenswert."
    Ob das Anti-Doping-Gesetz etwas bringt, will der Staatsanwalt noch nicht sagen. Auch Bundesjustizminister Heiko Maas hält sich auf seiner Tagung mit einer Beurteilung zurück. Er sagte: "Es gibt noch keine Verurteilung. Es gibt mehrere Ermittlungsverfahren, die laufen. Es wird auch sicherlich Verurteilungen geben. Und dann wird man insbesondere ja auch die Frage mal beurteilen können: Wie ist das Verhältnis ‚Verurteilung im Strafrecht und Konsequenzen durch die Sportgerichtsbarkeit’. Was vielfach auch problematisiert wird, dass das auseinanderläuft."
    Kartell des Schweigens noch nicht geknackt
    Unterdessen berichten sowohl der Doping-Ermittler als auch Nada-Vorstand Lars Mortsiefer: Das Kartell des Schweigens hat das Anti-Doping-Gesetz nicht geknackt. Den Anfangsverdacht liefern noch immer allein positive Testergebnisse – weder privaten Anzeigen, noch Informanten wie im Fall der russischen Leichtathletik. Mortsiefer fordert deshalb: "Das Thema ‚Kronzeugenregelung’ ist glaube ich – an Hand der Stepanovs zu sehen – noch mal ein ganz, ganz wichtiges, was wir sehen sollten, weil: Wir haben ein solides technisches System, aber es wird nur befüllt, wenn es tatsächlich auch einen Schutzmechanismus am Ende des Tages gibt."
    Außerdem, mahnt der Jurist der Nada, müssten den spezialisierten Ermittler-Teams für Baden-Württemberg und Bayern weitere folgen. Nur so könnten die neuen Möglichkeiten des Anti-Doping-Gesetzes überhaupt ausgeschöpft werden. "Wir haben viele Flecken in Deutschland, wo man nicht genau weiß, wie man damit umgeht. Deswegen sollte man da noch mal hingehen und noch mal verstärkt auf Schwerpunktstaatsanwaltschaften oder spezialisierte Richter oder Rechtsanwälte einwirken, denn nur so kann das System robust sein."
    Dieses System – es wartet nun vor allem auf seinen ersten großen Fall vor Gericht. Bis dahin gehen die Ermittlungen im Hintergrund weiter. Mit all ihren Besonderheiten, die das Tatumfeld "organisierter Sport" mit sich bringt.
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