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Antibiotika
Resistenzen mit dem Evolutionsexperiment mindern

Schon nach kurzer Zeit bilden Krankheitserreger Resistenzen selbst gegen neue Antibiotika-Medikamente. Biologen wollen diesem Prozess auf die Spur kommen und so herausfinden, wie sich dieser vermindern lässt.

Von Tomma Schröder | 26.07.2017
    ILLUSTRATION - Ein Mann zeigt am 09.08.2016 im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig (Niedersachsen) auf eine Petrischale mit unterschiedlichen Antibiotikaproben.
    Unterschiedliche Antibiotika-Probleme: Das Herausbilden von Resistenzen ist ein weltweites Problem. (dpa / Sebastian Gollnow)
    "Interessant ist: Bei den meisten Ratschlägen, die gegeben werden von Gesundheitsorganisationen – auch von der WHO – da fehlt der Hinweis auf Evolution. Und das muss sich ändern. Denn im Moment werden wir eher versuchen, Wege zu begehen, die sehr teuer sind und nie nachhaltig sein werden. Das heißt, es werden neue Antibiotika auf den Markt gebracht. Und wir wissen eigentlich heute schon, dass die nach wenigen Jahren schon wieder ineffektiv werden, weil neue Resistenzen entstanden sind."
    Zwei bis drei Jahre dauert es heute etwa, bis für neu entwickelte Antibiotika die ersten resistenten Keime gemeldet werden, erklärt Hinrich Schulenburg von der Universität Kiel. Aus der Sicht eines Evolutionsbiologen ist das nur logisch. Denn resistente Erreger haben einen evolutionären Vorteil in einer Umgebung, in der immer häufiger Antibiotika zum Einsatz kommen.
    Um diesen Selektionsdruck zu mindern, wird zurecht ein bewussterer und geringerer Gebrauch von Antibiotika in der Human- und Tiermedizin gefordert. Gleichzeitig könnte man aber auch schauen, welche Faktoren die Ausbildung von Resistenzen fördern oder behindern. Und das ist eine Stellschraube, an der bisher kaum gedreht wurde.
    "Das, was wir einsetzen: Wir führen Evolutionsexperimente durch. Das heißt, wir kultivieren die Krankheitskeime, die sich ja relativ schnell teilen und deswegen auch schnell evolvieren können. Wir kultivieren die Krankheitskeime und verwenden dann verschiedene Antibiotikabehandlungen und können dann in Echtzeit beobachten, ob Resistenzen entstehen oder halt nicht. Und können dann zusätzlich auch untersuchen, welche genetischen, genomischen Veränderungen auftreten und welche anderen Eigenschaften sich verändern. Denn das sind alles Informationen, die uns helfen, zu verstehen, warum bestimmte Behandlungsweisen gut funktionieren oder nicht."
    Kombination und Reihenfolge könnte helfen
    Dabei haben die Evolutionsbiologen unter anderem herausgefunden, dass es sinnvoll sein kein, nicht immer nur ein Antibiotikum anzuwenden.
    "Wir wissen schon, dass zum Beispiel bestimmte Kombinationen von Antibiotika oder eine bestimmte Reihenfolge es den Krankheitskeimen sehr schwierig macht. Und diese Reihenfolge an verschiedenen Antibiotika, die man vergibt, das ist etwas, was in der Medizin so gut wie gar nicht eingesetzt wird."
    Oft ist es aber so, dass ein Keim, der mit einem Antibiotikum behandelt wird und Resistenzen gegen dieses Mittel ausbildet, empfindlicher gegenüber anderen Antibiotika wird, erklärt Schulenburg. Wenn diese beiden Antibiotika dann in schneller Abfolge eingesetzt werden, kann es für Krankheitskeime sehr schwer werden, sich anzupassen, weil sie durch zwei verschiedenen Gegner gleichzeitig angegriffen werden.
    Im Labor, wo zwei Mittel im Abstand von zwölf oder 24 Stunden abwechselnd zum Einsatz kamen, hat das bereits gut funktioniert – zum Beispiel bei Pseudomonas aeruginosa, einem der häufigsten Krankenhauskeime, der eitrige Infektionen auslöst.
    Doch die Forschung zur Evolution von Krankheitserregern steckt noch in den Kinderschuhen. Und eine wichtige Herausforderung ist nun, die Ideen auf die wesentlich komplexeren Behandlungen in Krankenhäusern zu übertragen. Das wird naturgemäß einige Zeit dauern. Der Berliner Biologe Jens Rolff dagegen hat eine Idee, die schon recht bald in den ersten Kliniken Einzug halten könnte
    "Es gibt ja in den Kliniken Behandlungspläne: Bei einer bestimmten Infektion wird erst Medikament A gegeben, wenn das nicht funktioniert, Medikament B und so. Und irgendwann müssen wir an den Giftschrank gehen und die Reserve rausholen."
    Testgerät für Antibiotikabehandlungen
    Um ein solches Ausprobieren am Patienten zu vermeiden, hat Rolff eine Art Testgerät für Antibiotikabehandlungen entwickelt. Das Klinikpersonal könnte es mit Krankheitserregern bestücken und daraufhin würde es verschiedene Behandlungsweisen an den Keimen durchführen.
    "Wenn so ein neuer Einsatzplan für Antibiotika für ein ganzes Krankenhaus entwickelt wird, kann man für die wichtigsten Keime dann innerhalb von ein, zwei Wochen testen, geht es schneller geht es langsamer mit der Resistenzevolution. Und man kann in der Zeit sogar eine Genomsequenzierung machen und feststellen, von denen die resistent werden: Welche Mutationen haben die? Welche Fitness haben die? Können die wirklich besser überleben? Und das ist sicher eine Menge zusätzlicher wichtiger Information."
    Führt das im Klinikalltag tatsächlich zu einigermaßen verlässlichen Aussagen, könnten die Mediziner den Erregern diesen einen entscheidenden Schritt voraus sein und ihre Gegenmittel viel genauer und effektiver einsetzen.